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Herausgeputzt ins Heilige Jahr
Neue Zürcher Zeitung

Die Renovation der Fassade in St. Peter ist abgeschlossen

Unter Papst Paul V. erweiterte der Tessiner Architekt Carlo Maderno den nicht ganz vollendeten Zentralbau von Michelangelos Peterskirche in Rom um ein Langhaus und die Fassade. Fast 400 Jahre nach deren Vollendung erstrahlt die Stirnfront nun in alter Pracht. Dennoch führte die rekonstruierte Polychromie der Travertinfassade in Italien zu einer heftigen Debatte.

9. Oktober 1999 - Axel Christoph Gampp
Die Enthüllung der schon fast fertiggestellten Fassade von St. Peter im Jahre 1612 hatte einen Skandal zur Folge. Denn der regierende Papst Paul V. aus der Familie Borghese hatte unterhalb des mittleren Giebelfeldes statt des Namens des Apostelfürsten und Kirchenpatrons Petrus seinen eigenen und denjenigen seiner Familie placiert: PAULUS V. BURGHESIUS ROMANUS. Die eben erfolgte neuerliche Enthüllung nach zweijähriger Restaurierung brachte erneut einen Skandal mit sich - so das Verdikt von Carlo Bertelli. Denn nach Auffassung des bedeutenden italienischen Kunsthistorikers ist alles falsch gemacht worden. Ihm gemäss hat man es hier nicht mit einem konservatorischen Akt, sondern mit einer «innovativen Leistung» der Restauratoren zu tun. Mit anderen Worten: was ans Tageslicht gekommen ist, sei eine Schöpfung der Spezialisten.


Hochtechnologie im Dienst der Kirche

Doch bei diesem zweiten Skandal dürfte es sich eher um ein Skandälchen handeln, und noch nicht einmal das ist sicher. Denn Bertelli steht die geschlossene Riege seiner Berufskollegen gegenüber. Sie verteidigt unisono das Resultat des Eingriffes, das sich in der Tat sehen lassen kann. Die Restaurierung wird bereits als «Restaurierung des Jahrhunderts» gefeiert. Auch wenn man etwas vorsichtiger ist, muss man anerkennen, dass noch nie zuvor ein vergleichbarer technischer Aufwand betrieben wurde. Die Analyse schloss den Einsatz von Röntgenstrahlen, Ultraschall und verschiedener elektromikroskopischer Techniken ebenso ein wie komplexere Verfahren: etwa Thermogravimetrie oder Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie. Im Laufe der Untersuchungen hatte man auf den Wandflächen zwischen den Säulen Farbreste gefunden. Nachforschungen im Archiv ergaben, dass tatsächlich zur Bauzeit Maler für Arbeiten an der Fassade bezahlt wurden. Ein Gemälde aus dem Jahre 1640 verdichtete die aufkeimende Vermutung zur Gewissheit: Teile der Fassade waren einst koloriert. Diese Polychromie ist nun wiederhergestellt. Die tonale Differenz besteht aus dem Travertinweiss der Säulen und dem hellen Ockerton der Wandfläche. Sie findet sich übrigens auch in anderen Bauten des 16. und 17. Jahrhunderts wieder und wird in entsprechenden Quellen als «color travertino chiaro» bzw. «color travertino scuro» bezeichnet, als helle und dunkle Travertinfarbe. Eine derartige Kolorierung ist häufig dort erfolgt, wo die Travertinplatten (aus Kostengründen) nicht ganz regelmässig verlegt werden konnten. Unter einem leichten Anstrich konnte man die Fugen etwas verbergen.

Doch es gab auch inhaltliche Gründe für den Farbauftrag. In St. Peter ist die Benediktionsloggia im Zentrum der Fassade besonders ausgezeichnet. Das umfangende Wandfeld ist hier grün gestrichen und von zwei roten Pilastern gerahmt. Dadurch wird die Bedeutung jenes Balkons hervorgehoben, von dem aus nicht nur der Papst den Segen erteilt, sondern auch das Resultat der Papstwahlen verkündet wird. Nach Meinung einiger Experten hätte das Gesimsband mit der oben erwähnten Inschrift Pauls V. ebenfalls eine Weisshöhung verdient. Unzweifelhaft wäre dadurch das architektonische Grundgerüst der Fassade noch evidenter geworden. Nun tritt den weiss gehöhten Säulen als Gegengewicht erst die Attika zuoberst entgegen, die - ebenfalls im helleren Farbton gehalten - fast wie ein späterer Zusatz aussieht. Doch dieser Eindruck täuscht.

Michelangelo hatte bekanntlich für St. Peter einen Zentralbau auf griechischem Kreuz geplant. Der ästhetische Wert dieses weitgehend ausgeführten Projektes hatte lange Zeit eine Fertigstellung verhindert, denn über den Abschluss und eine Fassade konnte man sich nicht einigen. Erst unter Paul V. wurde nach langwieriger Debatte der Entscheid gefällt, an den Kuppelraum doch noch ein Langhaus anzufügen und diesem eine grossartige Tempelfassade vorzublenden. Ausführender Architekt war der aus Capolago gebürtige Tessiner Carlo Maderno. Der Planungsprozess lässt sich heute im farblich differenzierten Bild der Fassade teilweise ablesen, wobei den herausgehobenen weissen Säulen und Pilastern eine zentrale Rolle zukommt. Der erste Plan hatte überhaupt nur die vier vollplastischen Säulen im Mittelrisalit unterhalb des Giebels vorspringen lassen. Ein nachfolgendes Projekt fügte schon die übrigen, heute weissen Halbsäulen hinzu, sah aber noch keine seitlichen Türme vor. Dadurch verkürzte sich die Fassade links und rechts um jene beiden Achsen, die heute durch weissen Pilaster leicht abgesetzt sind.


Michelangelos Bau und Madernos Fassade

Mit diesen seitlichen Durchfahrten wirkt die endgültige Fassade etwas langgezogen und gedrückt. Das ist nur zum Teil die Schuld Madernos. Hätten dort die flankierenden Glockentürme hochgezogen werden können, wäre die stark horizontale Betonung aufgehoben worden. Doch dieses Projekt wurde nie umgesetzt, und die später von Bernini errichteten Türme mussten wegen Terrainsenkungen bald wieder abgetragen werden. Die etwas kleinteiligen Uhren von Valadier aus dem frühen 19. Jahrhundert können nicht mehr deutlich machen, dass die beiden äusseren Achsen darunter eigentlich Turmbasen sind, die als vertikale Elemente der Horizontalen hätten entgegentreten sollen.

Die Idee der polychromen Differenzierung dürfte Maderno von seinem Vorbild Michelangelo übernommen haben. Bei jenem war das Spiel zwischen rotem Ziegel und weissem Travertin beliebt, wie andere Renovationen der jüngsten Vergangenheit, etwa jene des Palazzo Farnese oder des Kapitols, in Erinnerung gerufen haben. Dabei dient der Einsatz der Polychromie dazu, die architektonische Grundstruktur zu verdeutlichen. Die Fassade von St. Peter unterscheidet sich von den anderen Beispielen nur durch die Homogenität des Materials. Dass sie sich nun farblich in den Reigen von Michelangelos Meisterwerken einfügt, muss man eher als Glücksfall denn als Skandal bezeichnen.

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