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Licht aus der Laterna Magica
Licht aus der Laterna Magica © Kunsthaus Bregenz
Licht aus der Laterna Magica © Kunsthaus Bregenz
Spectrum

Jahrtausendelang waren Bauwerke nur Reflektoren und Masken der Helligkeit, seit der Elektrifizierung können sie auch Quellen sein. Keith Sonnier, dem das Kunsthaus Bregenz eine Retrospektive widmet, bringt Raum solcherart zu artifiziellem Leuchten.

6. November 1999 - Walter Chramosta
Die Säulen waren bislang nur zum Stützen da. Der Eisenbau braucht weniger Stützen als der Backsteinbau; die meisten Stützen sind im Glashause überflüssig. Um nun die Säulen noch leichter zu machen, kann man sie mit Lichtkörpern hinter voller Glasumrahmung ausstatten, dann machen diese Lichtsäulen nicht nur den Eindruck des Stützenden, und die Architektur wirkt viel freier – so als trüge sie alles von selbst; die Glasarchitektur wird etwas Schwebendes bekommen durch diese Lichtsäulen.“

Die Sehnsucht, daß sich das Bauwerk von der Erdscheibe löse, motiviert neben dem Drang nach „Licht, Luft und Sonne“ die wichtigste Strömung der Architektur des 20.Jahrhunderts: die Moderne. Das Schwebende “eines aufgelösten, tageslichtdurchfluteten und vor allem künstlich beleuchteten Baus, das Paul Scheerbart 1914 in seiner visionären Schrift „Glasarchitektur“ meint, hat Architekten beflügelt, seit um 1880 Thomas Alva Edison das System der Elektrizität vom Generator bis zur Glühbirne praxistauglich machte.

Der Weg von der perforierten Steinwand im dauernd wechselnden Auflicht der Sonne zum Glasvorhang mit permanentem, weil künstlichem Durchlicht war lang und ist noch nicht abgeschlossen. Nach Jahrtausenden eines sorgfältig tradierten Selbstverständnisses der Architektur, sie bestehe aus massiven künstlichen Körpern, die dem menschlichen analog zu verstehen seien und kein Innen, sondern primär ein Außen darzustellen hätten, löste die neue Technik einen baukünstlerischen Ideenschub aus. Freilich hatte nicht jeder Zeitgenosse der elektrischen Revolution gleich deren Sprengkraft für die Architekturpraxis und –theorie erkannt. Scheerbarts schwärmende Beschreibung der „Glasarchitektur“ überrascht deswegen, weil sie eben nicht aus dem Kreis der Architekturschaffenden kam. Auch die Bauhaus-Architekten konnten noch keine totale Lichtarchitektur sehen, am ehesten die malenden Architekten der „Gläsernen Kette “.

Bemerkenswert ist, daß in einer der wirkungsreichsten Schriften der aufkeimenden Moderne, Le Corbusiers „Vers une architecture“ von 1922, die Chancen des elektrischen Lichts nicht gewürdigt werden. Legenär Le Corbusiers in der Anschauung klassischer antiker Architektur wurzelnde Ansage: „Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper. Unsere Augen sind geschaffen, die Formen unter dem Licht zu sehen: Lichter und Schatten enthüllen die Formen; die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder die Pyramiden sind die großen primären Formen, die das Licht klar offenbart; ihr Bild erscheint uns rein und greifbar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die allerschönsten. “Licht ist hier der Sonne gleichgesetzt, die geometrischen Körper lassen den gleißenden Marmor griechischer Tempel assoziieren. Die Architektur Le Corbusiers hat bei Nacht kaum externe Ambitionen. Wie Reyner Banham schon 1967 ausführte:„Le Corbusier sah Körper im Licht, Scheerbart sah Körper aus Licht.“

Der Mythos der Schrift Le Corbusiers als Quelle eines neuen Bauens beruht trotz er Auslassung der Beleuchtungsfrage sehr wohl auf der Antizipation avancierter technischer Errungenschaften seiner Zeit: Schiffe, Flugzeuge und Automobile dienen als Argumentationshilfe für die kommende Architektur. Adolf Max Vogt hat uns 1989 den Begriff des „Schwebesynroms“ geschenkt, um die verbindende Eigentümlichkeit dieser Verkehrsmittel, den Ansatz Le Corbusiers und einer Fülle von Leitprojekten der Moderne (von Tatlins „Denkmal für die 3.Internationale“ bis zur Frank Lloyd Wrights „FallingWater “) knappest zu benennen: das Negieren der bis anhin geltenden Gesetzmäßigkeiten der optischen Statik, der paradoxen Überführung der Begriffe der noch klassizistischen Tektonik (Tragen und Lasten) in jene der damals modernistischen Atektonik (Abheben und Schweben).

Aus heutiger Sicht sind sowohl Le Corbusier als auch Paul Scheerbart vom „Schwebesynrom “befallen; der Dichter bedient sich freilich schon früher der räumlich stärksten Waffe, um das Schweben seiner imaginierten Bauten zu induzieren; der Agitator und Architekt beschränkt sich in seinen Entwürfen auf einige wenige Darstellungen illuminierbarer Entwürfe – gebaut hat er letztlich immer brillante „Primärformen im Licht“. Dabei läge im tages- oder jahreszeitlichen Wechsel zu architektonischen Sekundärformen eine eminente räumliche Option. Bauten aus Licht könnten feinnerviger auf ihren internen Betriebszustand reagieren, sie könnten die primäre Form verstärken oder neutralisieren, den Körpern verstärkte Zeichenhaftigkeit und Bedeutsamkeit zukommen lassen oder sie sogar im Leuchtfeld der Umgebung zum Verschwinden bringen. Die Aufrüstung des Bauwerks zum Kommunikationsinstrument im Maßstab des Stadtraums, zum Informationsvermittler in der Landschaft wäre ein vorstellbares Maximum einer Anreicherung von Architektur mit Leuchtelementen. Architektonischer Ansatz wäre stets, das Licht vom Körper zu lösen und damit den Raum zu erfüllen, den Körper aufzulösen.

Die Rarität von solch diaphanen Architekturen verwundert heute, weil die Machbarkeit jetzt durch die Lichttechnik gegeben wäre und manche Bauaufgabe mit Durchlicht besser zu lösen wäre als mit Auflicht. Toyo Itos „Turm der Winde“, ein meteorologisches Instrument im Stadtmaßstab, ist in Erinnerung oder Jean Nouvels nicht realisiertes Projekt für einen „Tour sans fin“ in Paris. Eine integrale Lichtarchitektur ist gegenwärtig weltweit weder als Einzelbau noch als generelle Tendenz zu erkennen; den Architekten mangelt es angesichts der rigiden Usancen im globalen Generalplanungsgeschäft offenbar an Mut, den Bauherrn am grundsätzlichen Wunsch nach Erleuchtung. So sind es nicht erst jetzt Künstler wie etwa Dan Flavin, James Turrell, Maurizio Nannucci, Bruce Nauman oder Keith Sonnier, die der Faszinationddes „Materials Licht “ im Raum erliegen und mit ihren Arbeiten im musealen oder architektonischen Kontext, die Grenzen der Kunstdisziplinen verschieben, sicherlich jene der Architektur implizit erweitern.

Die Retrospektive zu Keith Sonniers „Environmental Works 1968 –99“ im Bregenzer Kunsthaus setzt nicht nur im Stadtraum variable Lichtzeichen, sie sollte der Architektur Denkanstöße zur gesteigerten Sinnlichkeit, zur intensiveren Involvierung des Betrachters, zur differenzierteren Wahl der Mittel, zu einer höheren Nutzbarkeit geben. Sonnier, 1941 in Louisiana geboren, begann Ende er sechziger Jahre die Grenzen der Bilhauerei in Richtung unorthodoxe Materialien, Einbindung von Elektronik, Erweitung des Werkbegriffs zum Prozeßhaften auszuloten. Sein Beitrag zur postminimalistischen Skulptur ist bereits Teil der Kunstgeschichte, sein Ruf als Künstler mit vielfältigen kontinuierlichen Schaffenssträngen ist weltweit gefestigt.

Hohe Bekanntheit in der Kunstwelt genießen seine Installationen mit Neonlicht, von denen drei schon früher gezeigte im Kunsthaus neuerlich zu sehen sind. Gerade die beiden hier versammelten Werke aus der „Ba-O-Ba “-Serie, bestehend aus auf dem Boden locker geschichteten, rechteckigen Schaumstoffplatten oder an den Zumthorschen Kathedralbeton gelehnten Glaskreisen – beide gerahmt von farbigen Neonpolygonen – ,verdeutlichen gewissermaßen den Aufbruch des dreidimensionalen Wandbildes in den Raum. Der daneben präsentierte „Kiosk II“,ein grob in Aluminiumstrangprofilen gefügter Raumteiler ohne letztlich dem Titel entsprechenden Nutzwert, aber bestimmt von beeindruckender Neonbalkenregie und stofflicher Präsenz, belegt schließlich, daß Sonnier nicht nur grenzgehender Bildhauer, sondern auch mit feinen Nuancen dilettierender Architekt ist.

Den Beweis seiner räumlichen Kompetenz führt Sonnier am eindrücklichsten mit seinen Projekten im öffentlichen Raum, etwa mit dem 1000 Meter langen Lichtweg auf dem Flughafen München, einer Farblichtsequenz für einen hochbelasteten Passagenraum, oder der nun an der Glasfassade des Kunsthauses gezeigten Arbeit „Millennium 2000 “,in der Welt- und Ortszeit in wechselnden Zahlencodes fernwirksam abgebildet werden. Der stille Glaskörper Zumthors gewinnt so nächtliche Brisanz und Dynamik, der Ort noch mehr Bedeutung.

Nicht auszudenken, wäre Sonnier früher an einen Architekten dieses Kalibers gelangt oder hätte er gar die Chance gehabt, einen so originären architektonischen Entwurfsprozeß von Anfang an zu begleiten. So steht die Laterna magica der architektonischen Moderne noch in Bregenz. Sie wäre bei Leuchtbedarf noch jederzeit abzuholen.

[ Die Keith Sonnier gewidmete Retrospektive „Environmental Works 1968 –99 “ist noch bis 28.November im Kunsthaus Bregenz zu sehen. ]

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