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Das Künstlergenie im barocken Universum
Borromini zum zweiten - in Rom
Die eben zu Ende gegangene Tessiner Borromini-Ausstellung «Il giovane Borromini» findet ihre Fortsetzung in der Ausstellung «Borromini e l'universo barocco» im römischen Palazzo delle Esposizioni. Wurden in Lugano die Anfänge Borrominis dargestellt, so würdigt die zweite Ausstellung umfassend Leben und Werk des Architekten.
24. Dezember 1999 - Axel Christoph Gampp
Rom dürfte das Heilige Jahr so anfangen wie der römische Palazzo delle Esposizioni seine Borromini-Ausstellung: Überall wird noch gearbeitet, gehämmert und geklopft. Eine weitere Parallele zwischen der Stadt und der eben eröffneten Ausstellung drängt sich auf: Obwohl vieles im neuen Gewand erscheint, bleibt doch letztlich alles beim alten. Mit dem Bild Borrominis, das einem in der Ausstellung entgegentritt, verhält es sich jedenfalls so. Noch immer steht im Vordergrund das Künstlergenie, das sich in einer hermetischen Formensprache selbstverwirklicht. In einem Aufsatz des Kataloges - der übrigens eher ein Aufsatzband als ein Ausstellungsbegleiter ist - geht Werner Oechslin anhand der Forschungsgeschichte diesem Bild auf den Grund. Dem Klassizismus war die Architektur Borrominis ein Dorn im Auge, ein endgültiges ästhetisches Verdikt konnte mit dem Hinweis auf einen pathologischen Geisteszustand ihres Schöpfers zementiert werden. Umgekehrt musste gerade das den Anreiz für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bieten, zumal das Künstlergenie zweifellos das Lieblingskind der Kunstgeschichte ist. Doch Borrominis Freund, der Bibliothekar Fioravanti Martinelli, hat das ganz anders gesehen. Borromini, so schreibt er, habe gelehrt zu bauen, ohne vorher alles zu zerstören, und gezeigt, wie man auch den kleinsten Baugrund mit der Architektur adeln könne. Aus diesen Worten tritt ein Architekt entgegen, der sich sehr an der Aufgabe orientiert, ihr fast dienend gegenübersteht und die Auftraggeberwünsche umzusetzen vermag - alles Aspekte, die dem Geniegedanken abhold sind.
Die römische Ausstellung schwankt gerade zwischen diesen beiden Polen. Einerseits will sie das Ingeniöse vorführen, andererseits kann sie aber nicht umhin, durch die Erläuterung des kulturellen Umfeldes darzustellen, wie Borromini den Kontext berücksichtigte. Hier scheint die Vision eines Architekten auf, der gar nicht als avantgardistischer Künstler nach Selbstverwirklichung trachtet, sondern sich unermüdlich bemüht, eine ihm gestellte Aufgabe bis ins kleinste Detail zu erfüllen, unter Einbezug aller zur Verfügung stehenden intellektuellen und handwerklichen Mittel. Verschiedene Sektionen der Ausstellung thematisieren diese Haltung. Im Eingangsbereich wird der damalige Kenntnisstand von Wissenschaft und Geschichte sowie der profanen und sakralen Symbolik rekonstruiert. Dem schliesst sich ein Cursus monumentorum an, der die Paläste Barberini, Pamphili, Falconieri, Giustiniani und Carpegna einbezieht, die Kirchen S. Carlo alle Quattro Fontane, S. Maria delle Sette Dolori, S. Agnese, S. Ivo della Sapienza, S. Andrea delle Fratte, das Oratorium der Philippiner, den Lateran sowie das Collegio di Propaganda Fide und die geplante Sakristei für St. Peter. Durchgezogen wird diese Ansammlung von Borrominis Bauten durch thematische Einschübe wie den «Antikenbezug», die «Architettura obliqua», also die verformte Architektur, oder die «Morphologie des Raumes». Der formale Einfluss der eben kartographierten Villa Adriana in Tivoli etwa auf die Gestaltung des Vestibülbereiches von S. Maria delle Sette Dolori springt ins Auge. Ebenso schlagend ist die Gegenüberstellung von Borrominis Raum und Dekorationskonzeption und den Sphärenvorstellungen seiner Zeit, wie sie von Kepler oder Galilei entwickelt wurden und in der Ausstellung in verschiedenen astronomischen Objekten präsent sind.
Und gleichwohl wird das Repertoire in einer Weise vorgeführt, als sei es um seiner selbst und nicht um der Aufgabe willen entwickelt worden. Dabei verdeutlicht etwa Martin Raspe in seinem Katalogbeitrag, wie stark die Antikenrezeption nach ihrem ikonologischen Gehalt und nicht nach ihrer formalen Wirkung erfolgte. Es wird dem Besucher auch nicht entgehen, dass sich zwar in der Ausstellung ein Interesse Borrominis an der Antike verfolgen lässt, dieses materialiter aber von jenem an mittelalterlichen Zeugnissen übertroffen wird. Spätestens seit der Borromini-Ausstellung in Lugano (NZZ 10. 9. 99) dürfte bekannt sein, welche Bedeutung die Mittelalter-Rezeption sowohl in inhaltlicher wie in formaler Hinsicht für Borromini hatte. Durch das Mailänder Milieu wie durch Martinelli war er nämlich auch mit jener Kirchengeschichte vertraut, die Cesare Baronio zu Ende des 16. Jahrhunderts neu verfasst hatte und in der naturgemäss dem Mittelalter eine weit grössere Bedeutung zukam als der Antike. Es erstaunt deswegen nicht, dass der Umgang mit dieser Epoche etwa bei den Lateranumbauten besonders sorgfältig war. Wenn die Klassizisten Borromini stets vorwarfen, er sei «gotico», so muss sich ihre Kritik auf eine Formensprache bezogen haben, die dem Mittelalter viel verdankt und die durchaus auch positiv verstanden werden könnte. Aber anstatt hierauf einzugehen, rückt die Ausstellung nur die Antikenrezeption in den Vordergrund.
Den Blick hier etwas zu weiten hätte bedeutet, den Kontext in jeder Hinsicht stärker in Rechnung zu stellen. Das Verdienst Borrominis wäre dadurch gewiss nicht geschmälert worden, sondern seine Leistung hätte sich noch deutlicher gezeigt. Anstelle der Suche nach einem System oder nach Prinzipien wäre die komplexe Verbindung von topographischen Verhältnissen, Auftraggeberwünschen und architektonischer Eigenleistung im Einzelfall zu prüfen gewesen. Bisweilen bleibt diese Entflechtung auch nicht aus: wie gering etwa der Anteil Borrominis gerade an einem seiner bekanntesten Eingriffe, nämlich dem Durchgang in perspektivischer Verkürzung im Palazzo Spada ist, erläutert die Ausstellung. Hier hatte der mathematisch beschlagene Kardinal Spada die Federführung fest in der Hand.
Wenngleich insgesamt nicht eben ein neues Borromini-Bild präsentiert wird, so soll doch die Bedeutung der Ausstellung nicht in Abrede gestellt werden. Es wird auf Jahre hinaus die letzte Gelegenheit sein, derart viele Architekturzeichnungen Borrominis im Original sehen zu können: 184 Blätter stammen allein aus dem 500 Zeichnungen umfassenden Fundus der Albertina in Wien; Windsor, Berlin, Stockholm und natürlich der Vatikan haben weitere bedeutende Originale beigesteuert. Für einmal erweisen sich die Computer-Animationen, die aus den Grund- und Aufrisszeichnungen ein scheinbar dreidimensionales Bild des geplanten Bauwerkes entstehen lassen, als tatsächlich hilfreich. Am eindrücklichsten ist hier zweifellos die Rekonstruktion der im Projektstadium verbliebenen Sakristei von St. Peter, die sowohl in der Aussenansicht wie im Innern betrachtet werden kann und sich als ein Bau von überraschend moderner Formensprache erweist. In einem Aufsatz des Katalogs stellt Paolo Portoghesi denn auch den Bezug zur Moderne her. Ihm ist ebenfalls eine Idee zu verdanken, die eher auf die pathetische Seite fällt. Im Katalog dedizieren Architekten wie Mario Botta, Frank O. Gehry, Hans Hollein, Richard Meier oder Renzo Piano ihre Werke Borromini, der sie angeblich alle inspiriert habe. Der «Borrominismo» lässt sich aber wohl doch differenzierter an jenen spätbarocken Beispielen verfolgen, die Elisabeth Kieven zusammengestellt und im Katalog besprochen hat, als an Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York, wenngleich dort auch eine Spirale wie an der Kuppel von S. Ivo della Sapienza auftaucht.
[ Die Ausstellung «Borromini e l'universo barocco» ist im Palazzo delle Esposizioni, Rom, bis zum 28. Februar zu sehen, anschliessend in der Albertina, Wien, vom 12. April bis zum 25. Juni. Der Katalog ist bei Electa Milano erschienen; er enthält Aufsätze von Joseph Connors, Christoph L. Frommel, Richard Bösel, Heinrich Thelen, Werner Oechslin, Elisabeth Kieven u. a. und kostet L. 70 000. Zudem ist für Rom ein Itinerario Borrominiano herausgegeben worden, der zu Borrominis Monumenten führt (Electa Milano, L. 18 000). ]
Die römische Ausstellung schwankt gerade zwischen diesen beiden Polen. Einerseits will sie das Ingeniöse vorführen, andererseits kann sie aber nicht umhin, durch die Erläuterung des kulturellen Umfeldes darzustellen, wie Borromini den Kontext berücksichtigte. Hier scheint die Vision eines Architekten auf, der gar nicht als avantgardistischer Künstler nach Selbstverwirklichung trachtet, sondern sich unermüdlich bemüht, eine ihm gestellte Aufgabe bis ins kleinste Detail zu erfüllen, unter Einbezug aller zur Verfügung stehenden intellektuellen und handwerklichen Mittel. Verschiedene Sektionen der Ausstellung thematisieren diese Haltung. Im Eingangsbereich wird der damalige Kenntnisstand von Wissenschaft und Geschichte sowie der profanen und sakralen Symbolik rekonstruiert. Dem schliesst sich ein Cursus monumentorum an, der die Paläste Barberini, Pamphili, Falconieri, Giustiniani und Carpegna einbezieht, die Kirchen S. Carlo alle Quattro Fontane, S. Maria delle Sette Dolori, S. Agnese, S. Ivo della Sapienza, S. Andrea delle Fratte, das Oratorium der Philippiner, den Lateran sowie das Collegio di Propaganda Fide und die geplante Sakristei für St. Peter. Durchgezogen wird diese Ansammlung von Borrominis Bauten durch thematische Einschübe wie den «Antikenbezug», die «Architettura obliqua», also die verformte Architektur, oder die «Morphologie des Raumes». Der formale Einfluss der eben kartographierten Villa Adriana in Tivoli etwa auf die Gestaltung des Vestibülbereiches von S. Maria delle Sette Dolori springt ins Auge. Ebenso schlagend ist die Gegenüberstellung von Borrominis Raum und Dekorationskonzeption und den Sphärenvorstellungen seiner Zeit, wie sie von Kepler oder Galilei entwickelt wurden und in der Ausstellung in verschiedenen astronomischen Objekten präsent sind.
Und gleichwohl wird das Repertoire in einer Weise vorgeführt, als sei es um seiner selbst und nicht um der Aufgabe willen entwickelt worden. Dabei verdeutlicht etwa Martin Raspe in seinem Katalogbeitrag, wie stark die Antikenrezeption nach ihrem ikonologischen Gehalt und nicht nach ihrer formalen Wirkung erfolgte. Es wird dem Besucher auch nicht entgehen, dass sich zwar in der Ausstellung ein Interesse Borrominis an der Antike verfolgen lässt, dieses materialiter aber von jenem an mittelalterlichen Zeugnissen übertroffen wird. Spätestens seit der Borromini-Ausstellung in Lugano (NZZ 10. 9. 99) dürfte bekannt sein, welche Bedeutung die Mittelalter-Rezeption sowohl in inhaltlicher wie in formaler Hinsicht für Borromini hatte. Durch das Mailänder Milieu wie durch Martinelli war er nämlich auch mit jener Kirchengeschichte vertraut, die Cesare Baronio zu Ende des 16. Jahrhunderts neu verfasst hatte und in der naturgemäss dem Mittelalter eine weit grössere Bedeutung zukam als der Antike. Es erstaunt deswegen nicht, dass der Umgang mit dieser Epoche etwa bei den Lateranumbauten besonders sorgfältig war. Wenn die Klassizisten Borromini stets vorwarfen, er sei «gotico», so muss sich ihre Kritik auf eine Formensprache bezogen haben, die dem Mittelalter viel verdankt und die durchaus auch positiv verstanden werden könnte. Aber anstatt hierauf einzugehen, rückt die Ausstellung nur die Antikenrezeption in den Vordergrund.
Den Blick hier etwas zu weiten hätte bedeutet, den Kontext in jeder Hinsicht stärker in Rechnung zu stellen. Das Verdienst Borrominis wäre dadurch gewiss nicht geschmälert worden, sondern seine Leistung hätte sich noch deutlicher gezeigt. Anstelle der Suche nach einem System oder nach Prinzipien wäre die komplexe Verbindung von topographischen Verhältnissen, Auftraggeberwünschen und architektonischer Eigenleistung im Einzelfall zu prüfen gewesen. Bisweilen bleibt diese Entflechtung auch nicht aus: wie gering etwa der Anteil Borrominis gerade an einem seiner bekanntesten Eingriffe, nämlich dem Durchgang in perspektivischer Verkürzung im Palazzo Spada ist, erläutert die Ausstellung. Hier hatte der mathematisch beschlagene Kardinal Spada die Federführung fest in der Hand.
Wenngleich insgesamt nicht eben ein neues Borromini-Bild präsentiert wird, so soll doch die Bedeutung der Ausstellung nicht in Abrede gestellt werden. Es wird auf Jahre hinaus die letzte Gelegenheit sein, derart viele Architekturzeichnungen Borrominis im Original sehen zu können: 184 Blätter stammen allein aus dem 500 Zeichnungen umfassenden Fundus der Albertina in Wien; Windsor, Berlin, Stockholm und natürlich der Vatikan haben weitere bedeutende Originale beigesteuert. Für einmal erweisen sich die Computer-Animationen, die aus den Grund- und Aufrisszeichnungen ein scheinbar dreidimensionales Bild des geplanten Bauwerkes entstehen lassen, als tatsächlich hilfreich. Am eindrücklichsten ist hier zweifellos die Rekonstruktion der im Projektstadium verbliebenen Sakristei von St. Peter, die sowohl in der Aussenansicht wie im Innern betrachtet werden kann und sich als ein Bau von überraschend moderner Formensprache erweist. In einem Aufsatz des Katalogs stellt Paolo Portoghesi denn auch den Bezug zur Moderne her. Ihm ist ebenfalls eine Idee zu verdanken, die eher auf die pathetische Seite fällt. Im Katalog dedizieren Architekten wie Mario Botta, Frank O. Gehry, Hans Hollein, Richard Meier oder Renzo Piano ihre Werke Borromini, der sie angeblich alle inspiriert habe. Der «Borrominismo» lässt sich aber wohl doch differenzierter an jenen spätbarocken Beispielen verfolgen, die Elisabeth Kieven zusammengestellt und im Katalog besprochen hat, als an Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York, wenngleich dort auch eine Spirale wie an der Kuppel von S. Ivo della Sapienza auftaucht.
[ Die Ausstellung «Borromini e l'universo barocco» ist im Palazzo delle Esposizioni, Rom, bis zum 28. Februar zu sehen, anschliessend in der Albertina, Wien, vom 12. April bis zum 25. Juni. Der Katalog ist bei Electa Milano erschienen; er enthält Aufsätze von Joseph Connors, Christoph L. Frommel, Richard Bösel, Heinrich Thelen, Werner Oechslin, Elisabeth Kieven u. a. und kostet L. 70 000. Zudem ist für Rom ein Itinerario Borrominiano herausgegeben worden, der zu Borrominis Monumenten führt (Electa Milano, L. 18 000). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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