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Wie (Mickey-)Mäuse Berge gebären
Enttäuschung über den «Millennium Dome» in Greenwich
25. Januar 2000 - Georges Waser
Der Millennium Dome im Londoner Vorort Greenwich, der laut Premierminister Blair zum Symbol für den Geist Grossbritanniens und die globale Zukunft hätte geraten sollen, steht endlich zum Besuch offen. Wie an dieser Stelle bereits berichtet: in ihren Dimensionen übertrifft diese gigantische, 758 Millionen Pfund teure Konstruktion sowohl den Georgia Dome im amerikanischen Atlanta als auch den Astrodome in Houston - das Londoner Wembley-Stadion hätte zweimal, die Albert Hall gar dreizehnmal darin Platz. Erinnert sei auch daran, dass das Projekt 1995 von der damaligen konservativen Regierung ins Auge gefasst wurde und dass dann 1997 das Schatzamt der neuen Labourregierung darauf drängte, die Sache fallenzulassen: ein Rückzieher hätte ungefähr 25 Millionen Pfund gekostet.
Tony Blair allerdings hatte andere Absichten, und mit ihm auch bald schon sein zum «Minister für den Dome» gemachter Günstling Peter Mandelson. Was genau diese Absichten waren, wollte zwar lange niemand sagen: vorgesehen war - zum Schrecken der von der Regierung herbeigezogenen Werbeleute -, dass der Dome als «das bestgehütete Geheimnis der Welt» entstehen würde. Immerhin, da war die eingangs zitierte Aussage des begeisterten Premierministers; und dazu sein Versprechen, die Welt werde die Briten um ihr neues Symbol beneiden.
«Labour Gulag»
Dass jetzt der Dome seit der Silvesternacht von der englischen Presse tagtäglich abgeschlachtet wird, hat nur zum Teil mit den Unzulänglichkeiten bei der Eröffnung zu tun - damit, dass Zeitungsvertreter, und damit 3000 von 10 500 Gästen, stundenlang in der nächtlichen Kälte Schlange stehen mussten, weil es die Dome-Organisatoren verpasst hatten, die Einladungen auszusenden, und weil überdies amateurhafte Sicherheitsmassnahmen alles verzögerten. Schliesslich war es schon längst in die Redaktionsstuben durchgesickert, dass die Entstehungsgeschichte des Dome viel mehr nicht ist als ein Katalog solcher Pannen. Schwerer wiegt, dass sich mit der Eröffnung die Dome-Rhetorik der Regierung Blair als Seifenblase und blosse Selbstgefälligkeit herausgestellt hat - so stellte die «Times» fest, dass sich die «box of dark tricks» der offiziösen Schönredner als leer erwiesen habe. Noch schärfer ging im Magazin der «Sunday Times» der Kolumnist und Schriftsteller A. A. Gill mit dem Dome ins Gericht. Er - mit seinem jüngsten Roman immerhin Gewinner des in London alljährlich verliehenen «Bad Sex Prize» und folglich kaum ein Purist - schildert potentiellen Besuchern den Dome als «ein Vielfaches der scheusslichsten Erfahrung, für die Sie je bezahlt haben». Vielleicht sollte darin zum ungehinderten Genuss ihres kulturellen Placebos die gesamte Labourpartei ein Jahr lang eingeschlossen werden? Jedenfalls, so Gill, wäre für dieses Ungetüm der Name «Labour Gulag» angebracht.
Als scheussliche Erfahrung beginnt der Dome- Besuch in der Tat für jene, die im Auto, Bus oder Taxi von Greenwich her kommen: der Dome ist auf einer halbinselförmigen Öde ohne Infrastruktur errichtet worden, und folglich führt die Fahrt an morastigem Niemandsland sowie gelegentlich einem verrosteten Zaun und dahinter Abfallbergen vorbei. Kein Wunder, reden die Dome- Organisatoren einem zu, die Züge der neuen Jubilee Line zu benutzen: man reist so unter der Erde an und sieht vom darüberliegenden Jammertal nichts. Und dann, aus der vom vortrefflichen Architekten Will Alsop erbauten U-Bahn-Station North Greenwich von funkelnagelneuen Rolltreppen ans Tageslicht getragen, steht man vor dem Dome, einer zeltartigen Konstruktion mit einem Dach aus Glaswolle, von zwölf je hundert Meter hohen Masten getragen. Und wenn man auch mit unguten Gefühlen hergekommen ist: an einem sonnigen Tag, von einem blauen Himmel umrahmt, wirkt diese Struktur überraschend effektvoll und keineswegs unproportioniert.
Im Innern allerdings folgt dann die Ernüchterung. Was als das «bestgehütete Geheimnis» zum Symbol Grossbritanniens hätte werden sollen - in anderen Worten: was einem jetzt hier zu einem Eintrittsgeld von 20 Pfund beschert wird -, ist eine Beschreibung nicht wert. Das heisst, es genügen dafür die drei Worte banal, billig und überflüssig. Mit seinen «Themenzonen» ist der Dome nichts anderes als ein monumentaler Lunapark - und warum sollen wir schon bezahlen dafür, uns mit Tennisbällen bewerfen zu lassen oder gar «mittels Betäubung» in eine ältere Person verwandelt zu werden? Jenen, die den Dome als Erlebnis für Kinder empfehlen, sei eher zum Besuch des Britischen Museums oder von Madame Tussaud's geraten: dort - viel mehr jedenfalls als im Dome, wo eine der lehrhaften Zonen sogar zum Einatmen der für Schulhaus und Klassenzimmer typischen Gerüche einlädt - erlebt man staunende und begeisterte Kinder.
Disneyworld als Inspirationsquelle
Auch das Design des Inneren entbehrt insgesamt jeglicher Harmonie, glaubte man doch, auf die Einsetzung eines künstlerischen Leiters verzichten zu können - zuständig war einzig der unsägliche Mandelson, der sich (wer hat es nicht längst erraten?) von Mickey Mouse, das heisst einem Besuch in Disneyworld, inspirieren liess. Zu empfehlen ist einzig eine Ruhepause auf der hinter dem Dome angelegten Terrasse, von wo sich ein spektakulärer Ausblick über die Themse hinweg auf Docklands und den Turm von Cesare Pelli anbietet. Fast wünscht man sich hier, auf einer Bank sitzend, den Rückweg durch den Dome nicht mehr antreten zu müssen.
Was die englische Presse in Rage versetzt, ist die gönnerhafte Art, mit der die Labourregierung den Dome dem Volk vorschrieb - und wie jetzt die wortverdrehenden «spin doctors» dieser Regierung, trotz den ungenügenden Besucherzahlen, weiter von einem Triumph sprechen. Man stellt es tatsächlich mit Bedauern fest: Tony Blair predigt die Vorzüge des Dome mit einem Starrsinn und Fanatismus, wie man sie zuvor nur an der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher kannte. Und auch Mandelson, seiner Pflicht längst enthoben und heute Nordirland- Minister, stösst unklugerweise weiter in dasselbe Horn.
Im Dome, angesichts der Torheiten von Ausstellern, die nichts auszustellen haben, erinnert man sich unwillkürlich daran, wie Peter Mandelson für sein Lieblingsprojekt einst mit den Worten plädierte, zu viele Leute in Grossbritannien hätten vergessen, was es bedeute, wirklich gross zu sein. Vielleicht sollten statt des Volkes vielmehr er selbst und Premierminister Blair etwas mehr über das «Who are we?» nachdenken, das im Dome das Motto zu einer Themenzone ist.
Georges Waser
Tony Blair allerdings hatte andere Absichten, und mit ihm auch bald schon sein zum «Minister für den Dome» gemachter Günstling Peter Mandelson. Was genau diese Absichten waren, wollte zwar lange niemand sagen: vorgesehen war - zum Schrecken der von der Regierung herbeigezogenen Werbeleute -, dass der Dome als «das bestgehütete Geheimnis der Welt» entstehen würde. Immerhin, da war die eingangs zitierte Aussage des begeisterten Premierministers; und dazu sein Versprechen, die Welt werde die Briten um ihr neues Symbol beneiden.
«Labour Gulag»
Dass jetzt der Dome seit der Silvesternacht von der englischen Presse tagtäglich abgeschlachtet wird, hat nur zum Teil mit den Unzulänglichkeiten bei der Eröffnung zu tun - damit, dass Zeitungsvertreter, und damit 3000 von 10 500 Gästen, stundenlang in der nächtlichen Kälte Schlange stehen mussten, weil es die Dome-Organisatoren verpasst hatten, die Einladungen auszusenden, und weil überdies amateurhafte Sicherheitsmassnahmen alles verzögerten. Schliesslich war es schon längst in die Redaktionsstuben durchgesickert, dass die Entstehungsgeschichte des Dome viel mehr nicht ist als ein Katalog solcher Pannen. Schwerer wiegt, dass sich mit der Eröffnung die Dome-Rhetorik der Regierung Blair als Seifenblase und blosse Selbstgefälligkeit herausgestellt hat - so stellte die «Times» fest, dass sich die «box of dark tricks» der offiziösen Schönredner als leer erwiesen habe. Noch schärfer ging im Magazin der «Sunday Times» der Kolumnist und Schriftsteller A. A. Gill mit dem Dome ins Gericht. Er - mit seinem jüngsten Roman immerhin Gewinner des in London alljährlich verliehenen «Bad Sex Prize» und folglich kaum ein Purist - schildert potentiellen Besuchern den Dome als «ein Vielfaches der scheusslichsten Erfahrung, für die Sie je bezahlt haben». Vielleicht sollte darin zum ungehinderten Genuss ihres kulturellen Placebos die gesamte Labourpartei ein Jahr lang eingeschlossen werden? Jedenfalls, so Gill, wäre für dieses Ungetüm der Name «Labour Gulag» angebracht.
Als scheussliche Erfahrung beginnt der Dome- Besuch in der Tat für jene, die im Auto, Bus oder Taxi von Greenwich her kommen: der Dome ist auf einer halbinselförmigen Öde ohne Infrastruktur errichtet worden, und folglich führt die Fahrt an morastigem Niemandsland sowie gelegentlich einem verrosteten Zaun und dahinter Abfallbergen vorbei. Kein Wunder, reden die Dome- Organisatoren einem zu, die Züge der neuen Jubilee Line zu benutzen: man reist so unter der Erde an und sieht vom darüberliegenden Jammertal nichts. Und dann, aus der vom vortrefflichen Architekten Will Alsop erbauten U-Bahn-Station North Greenwich von funkelnagelneuen Rolltreppen ans Tageslicht getragen, steht man vor dem Dome, einer zeltartigen Konstruktion mit einem Dach aus Glaswolle, von zwölf je hundert Meter hohen Masten getragen. Und wenn man auch mit unguten Gefühlen hergekommen ist: an einem sonnigen Tag, von einem blauen Himmel umrahmt, wirkt diese Struktur überraschend effektvoll und keineswegs unproportioniert.
Im Innern allerdings folgt dann die Ernüchterung. Was als das «bestgehütete Geheimnis» zum Symbol Grossbritanniens hätte werden sollen - in anderen Worten: was einem jetzt hier zu einem Eintrittsgeld von 20 Pfund beschert wird -, ist eine Beschreibung nicht wert. Das heisst, es genügen dafür die drei Worte banal, billig und überflüssig. Mit seinen «Themenzonen» ist der Dome nichts anderes als ein monumentaler Lunapark - und warum sollen wir schon bezahlen dafür, uns mit Tennisbällen bewerfen zu lassen oder gar «mittels Betäubung» in eine ältere Person verwandelt zu werden? Jenen, die den Dome als Erlebnis für Kinder empfehlen, sei eher zum Besuch des Britischen Museums oder von Madame Tussaud's geraten: dort - viel mehr jedenfalls als im Dome, wo eine der lehrhaften Zonen sogar zum Einatmen der für Schulhaus und Klassenzimmer typischen Gerüche einlädt - erlebt man staunende und begeisterte Kinder.
Disneyworld als Inspirationsquelle
Auch das Design des Inneren entbehrt insgesamt jeglicher Harmonie, glaubte man doch, auf die Einsetzung eines künstlerischen Leiters verzichten zu können - zuständig war einzig der unsägliche Mandelson, der sich (wer hat es nicht längst erraten?) von Mickey Mouse, das heisst einem Besuch in Disneyworld, inspirieren liess. Zu empfehlen ist einzig eine Ruhepause auf der hinter dem Dome angelegten Terrasse, von wo sich ein spektakulärer Ausblick über die Themse hinweg auf Docklands und den Turm von Cesare Pelli anbietet. Fast wünscht man sich hier, auf einer Bank sitzend, den Rückweg durch den Dome nicht mehr antreten zu müssen.
Was die englische Presse in Rage versetzt, ist die gönnerhafte Art, mit der die Labourregierung den Dome dem Volk vorschrieb - und wie jetzt die wortverdrehenden «spin doctors» dieser Regierung, trotz den ungenügenden Besucherzahlen, weiter von einem Triumph sprechen. Man stellt es tatsächlich mit Bedauern fest: Tony Blair predigt die Vorzüge des Dome mit einem Starrsinn und Fanatismus, wie man sie zuvor nur an der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher kannte. Und auch Mandelson, seiner Pflicht längst enthoben und heute Nordirland- Minister, stösst unklugerweise weiter in dasselbe Horn.
Im Dome, angesichts der Torheiten von Ausstellern, die nichts auszustellen haben, erinnert man sich unwillkürlich daran, wie Peter Mandelson für sein Lieblingsprojekt einst mit den Worten plädierte, zu viele Leute in Grossbritannien hätten vergessen, was es bedeute, wirklich gross zu sein. Vielleicht sollten statt des Volkes vielmehr er selbst und Premierminister Blair etwas mehr über das «Who are we?» nachdenken, das im Dome das Motto zu einer Themenzone ist.
Georges Waser
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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