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Gebaute Instrumente der Wahrnehmung
Neue Zürcher Zeitung

Zwei Bauten von Pierre Bonnet und Christian Bridel - Aus der Reihe „Junge Schweizer Architekten“

Für denselben Bauherrn konnten die beiden jungen Westschweizer Architekten Pierre Bonnet und Christian Bridel zwei grundverschiedene Projekte, eine Zollstation und ein Fernheizkraftwerk, realisieren. Die Gemeinsamkeit der Lösungen liegt dabei in der Intelligenz ihrer Konzeption, die jeweils in der feinsinnigen Analyse des Ortes gründet.

4. Februar 2000 - Peter Omachen
Der Traum eines jeden Architekturstudenten ging für den Genfer Pierre Bonnet und den Lausanner Christian Bridel kurz nach Abschluss ihrer Studien an der ETH Lausanne in Erfüllung: Gemeinsam gewannen sie auf Anhieb einen Architekturwettbewerb und konnten ihr Projekt anschliessend realisieren.


Virtuelles Büro

Bei diesem bemerkenswerten Erstlingswerk handelt es sich um den 1993 vollendeten Neubau der zehn Kilometer von Nyon entfernt gelegenen Zollstation Crassier. Das vom Amt für Bundesbauten in Auftrag gegebene Gebäude unmittelbar an der Grenze zu Frankreich, die mitten durch das idyllische Dorf am Fusse des Jura geht, umfasst neben einem kleinen Zollamt auch Wohnungen für die hier beschäftigten Grenzbeamten. Gleich an der Strasse befindet sich das eingeschossige Zollamt, dessen ausladendes Vordach über der Fahrbahn an die modernistische Formensprache der benachbarten Tankstelle erinnert. Dahinter erheben sich der Wohntrakt für Zollbeamte mit Familie und - rechtwinklig daran anstossend - die Studios für alleinstehende Grenzwächter. Sämtliche Wohnungen sind vom Hofraum im Innern des Gevierts aus erschlossen und verfügen über einen privaten Aussenraum, sei es als Gartensitzplatz, Balkon oder Dachterrasse. - Durch die Verteilung der Nutzung auf drei kleinere Volumen gelang es, die intakte Massstäblichkeit des Ortes beizubehalten, ohne dass der Charakter des Neubaus in Frage gestellt wäre. Darüber hinaus festigt das präzise Setzen den vorgefundenen Altbestand in seiner scheinbar zufälligen Lage und bindet ihn besser ins Dorfgeflecht ein. Dies gelang dank einer vorgängigen Analyse des hochdefinierten Ortes mit seinen charakteristischen Elementen wie Grenzstreifen, Grenzübergang und Bachlauf. Die darin erkennbaren Strukturen wurden geschickt in die Architektur des Neubaus umgesetzt, so dass nun die inhärent vorhandenen Eigenschaften des Ortes durch die Architektur wahrnehmbar werden. Diese wird so zum Instrument der Wahrnehmung.

Es ist beinahe ein Zufall, dass die beiden realisierten Projekte von Pierre Bonnet und Christian Bridel vom Architektenduo gemeinsam entworfen worden sind: Die beiden führen nämlich kein gemeinsames Büro, sondern arbeiten projektbezogen in wechselnden Konstellationen mit verschiedenen Berufskollegen zusammen. Diese Praxis findet gerade in der jüngeren Architektengeneration immer grössere Verbreitung. Sie kann als Reaktion auf die schlechte Arbeitsmarktsituation und die zunehmende Komplexität heutiger Bauaufgaben interpretiert werden. Solchen Gegebenheiten ist nur mit individuell zusammengestellten Spezialistenteams beizukommen. Dies gilt etwa für das technisch neuartige Fernheizkraftwerk auf dem Waffenplatz im waadtländischen Bière.

Auch in Bière ging der Entwurf aus einem Wettbewerb unter mehreren geladenen Architektenteams hervor; auch hier war einmal mehr das Amt für Bundesbauten der Bauherr. Sonst aber war die Ausgangslage völlig andersartig: Die beiden veralteten Fernheizkraftwerke auf dem Armeegelände sollten durch ein neues, vollautomatisches ersetzt werden, dessen Lage innerhalb des Areals ebenfalls teil der Aufgabenstellung war. Das 1998 fertiggestellte Kraftwerk von Bonnet und Bridel präsentiert sich nun als hölzerner Monolith am Rande des Siedlungsgebietes. Auf dem freien Plateau zwischen Genfersee und Jurakette tritt der mächtige Quader von 48 m Länge, 15 m Breite und 12 m Höhe in Beziehung zum freien Horizont. Der Eindruck dieser losgelösten Lage wird durch die fernen Wälder und den Blick auf die Alpenkette mit dem Montblanc noch verstärkt.


Spiel mit der Topographie

Das Projekt spielt mit diesen topographischen Elementen und wird durch die Abstraktion seiner Form und seiner Materialität zum Bestandteil der Landschaft. Seine Funktion erschliesst sich dem Betrachter einzig durch einige emblematische Elemente wie Kamine, Aschencontainer oder Aussentore, die durch ihre Ausführung in blankem Aluminium auf die im Holzgehäuse verborgene Maschinerie verweisen. Auf ein komplexes technisches Programm antwortet die Architektur mit einem abstrakten Bild: dem eines einfachen Körpers, dessen physische Schwere durch den Sockel aus hinterleuchteten Polykarbonat-Platten negiert wird. Der Wille zur Entmaterialisierung manifestiert sich ebenso im Spiel mit dem Massstab der Türöffnungen, der flimmernden Holzlattenfassade und den zurückhaltenden Details, die in hartem Kontrast zur komplexen und leistungsstarken Technologie im Gebäudeinnern stehen.

Zurzeit arbeiten die beiden Westschweizer Architekten wieder getrennt an verschiedenen Projekten zwischen Lausanne und Genf. Ein neuer gemeinsamer Entwurf ist derzeit nicht in Sicht. So darf man gespannt sein, ob sie das hohe Niveau, das sich in ihrer gemeinsamen Arbeit manifestierte, auch in anderen Konstellationen zu halten vermögen. Die Erkennbarkeit der Urheberschaft ist für die beiden ohnehin kein Thema. Schliesslich liegt das Charakteristische ihrer gemeinsamen Bauten nicht in deren Formensprache, sondern in der Intelligenz der architektonischen Lösung.


[ Pierre Bonnet und Christian Bridel stellen ihre Arbeiten am 9. Februar um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 17 vor (Vortrag in französischer Sprache). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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