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Beweglichkeit des Geistes
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung des Architekten Clemens Holzmeister in Innsbruck

19. Juli 2000 - Christiane Zintzen
Seine Spuren sind fast omnipräsent in Österreich; und doch sind Werk und Wirken des Architekten Clemens Holzmeister (1886-1983) nur wenigen bekannt. Eine derzeit in Innsbruck gezeigte Ausstellung pointiert in höchstmöglicher Konzentration die Unwägbarkeiten im Lebenswerk des «Staatsbaumeisters», der nicht nur ein Jahrhundert der Wechselfälle durchquert, sondern auch architektonisch mitgestaltet hat. Nach der grossen Wiener Retrospektive, die die Akademie der bildenden Künste 1982 kurz vor Holzmeisters Tod zusammengestellt hat, ist dies die erste Schau, die sein Gesamtwerk fokussiert: Um ein Œuvre von rund siebenhundert Projekten auf begrenztem Raum darstellen zu können, übte man sich in der Tugend asketischer Reduktion. Dabei beschränkt sich die Innsbrucker Schau auf einige ästhetische Konstanten: Zu sehen ist eine Architektur, die - obwohl modern in ihrer kubischen Erscheinung sowie sachlich in ihrer Funktionalität und Lichtdramaturgie - dennoch traditions- und lokalbewusst blieb, indem sie sich auf die gebaute und natürliche Umgebung bezog.

Besonders deutlich wird dies in den Hotelbauten wie dem «Tre Cime» in Sexten (1929-34) oder dem «Post» in St. Anton am Arlberg (1927-29): Gebäude von hoher Funktionalität, die den Alpinstil nicht als Dekor und Verkleidung zitieren, sondern fundamental inkorporieren: in Bauweise, Werkstoff sowie im effektvollen Auftritt auf der Bühne der Landschaft. Schlichtheit und Eleganz verschwistern sich im Kurmittelhaus von Bad Ischl (1927-31) und in der ländlich entspannten Sachlichkeit der Villa Eichmann am Attersee (1927/28). Das zugehörige hölzerne Bootshaus illustriert anschaulich, wie selbstgewiss sich Holzmeisters Baukörper einerseits formal behauptet, andererseits in die Szenerie integriert. Solche Wahrnehmungsfähigkeit und Beweglichkeit des Geistes, die das Einpassen des architektonischen Artefakts in (Bedeutungs-)Räume impliziert, offenbart auch das Krematorium auf dem Wiener Zentralfriedhof (1921-23), das als erster Monumentalbau des «roten Wien» die Karriere des katholischen Tirolers begründet hat: Die Feuerbestattung, von den Sozialdemokraten als kulturkämpferische Pointe gegen die Kirche in Anschlag gebracht, verliert in der architektonisch allusiven Geste jeden aggressiven Agnostizismus.

Wurde das Formenvokabular dieses Bauwerks von Zeitgenossen als «babylonisch», «indisch» oder gar «gotisch» interpretiert, so gelangt hier ein Moment zur Kenntlichkeit, welches als «Stimmungsarchitektur» zum Leitmotiv von Holzmeisters Œuvre wird: von der Repräsentationsrhetorik des Regierungsviertels für Atatürk in Ankara (1927-63) über das «Thingspiel»-Raunen des Albert-Leo-Schlageter-Denkmals in Düsseldorf (1931) bis hin zum Aspekt des Gesamtkunstwerks der Salzburger Festspielhäuser. Holzmeisters Streben nach Theatralik und raumgreifender Dramaturgie entfaltete sich konsequent im Verhältnis zur Macht - Kirche, Ständestaat, Republik -, verwahrte sich jedoch konsequent gegen ideologische Konzessionen.

Mit einer gediegenen Dokumentation und neuen Forschungsbeiträgen wagt sich das Katalogbuch an die Sondierung der komplexen Beziehungsgeschichten von Baukunst und Politik. Die sorgfältigen historisch-ästhetischen Studien zur Tourismusarchitektur (Marena Marquet) sowie zum Sakral- und Memorialbauwerk (Christian Fuhrmeister, Herbert Muck) formulieren ein schlüssiges Plädoyer für den produktiven Dialog von Architektur- und Zeitgeschichte.


[ Die Ausstellung in der RLB-Kunstbrücke an der Adamgasse in Innsbruck dauert noch bis zum 8. September. Das von Georg Rigele und Georg Loewit herausgegebene Katalogbuch ist im Innsbrucker Haymon-Verlag erschienen und kostet Fr. 52.-. ]

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