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Anthropozentrisches Bauen
Neue Zürcher Zeitung

Eine neue Publikation über Rudolf Schwarz

20. Juli 2000 - Fabrizio Brentini
In der deutschen Architektur nahm Rudolf Schwarz eine wichtige Position ein, auch wenn ihn seine Vorliebe für den Kirchenbau den Bauhausveteranen, die lange Zeit die allgemeine Diskussion prägten, suspekt machte - zumal Schwarz selber an den zweiten Darmstädter Gesprächen im Jahre 1951 einen Frontalangriff gegen das Neue Bauen ritt. Schon damals gab es aber angesehene Architekten wie Mies van der Rohe und später auch Franz Füeg, die ihn schätzten. In jüngster Zeit überraschte dann Peter Zumthor mit dem Hinweis auf Schwarz als wichtige Leitfigur bei seiner Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg.

Manche Forschungsarbeit litt bisher darunter, dass Schwarz' Einbettung in die liturgische Bewegung den Zugang zu seinem architektonischen Denken erschwerte. Es brauchte eine gewisse zeitliche Distanz, damit von einem anderenStandpunkt aus Schwarz' programmatische Schriften - etwa «Vom Bau der Kirche» und «Von der Bebauung der Erde» - neu gelesen und interpretiert werden konnten. Der in Frauenfeld tätige Architekt Thomas Hasler legt nun nach über zehnjähriger Forschertätigkeit eine akribische Annäherung an das Vokabular und Denken von Rudolf Schwarz vor. Der Titel der Publikation - «Architektur als Ausdruck» - zielt darauf hin, die Werke von Schwarz als Manifestationen einer komplexen theoretischen Auseinandersetzung zu verstehen, zu deren Quellen man nur durch viele Schichten vordringen kann. Die Vernebelung war auch eine Taktik von Schwarz, er legte listig falsche Fährten, so dass seine Schriften oft als Musterbücher für konkrete Realisierungen missverstanden wurden. Hasler wollte es genau wissen und durchforstete Schwarz' Bibliothek nach entscheidenden Vorbildern. Gleichzeitig versuchte er verschlüsselte Begriffe zu decodieren.

Man wird Hasler beipflichten, dass Schwarz sich dem Kirchenbau nicht nur wegen seiner katholischen Herkunft, sondern auch wegen der immensen Möglichkeiten der Raumgestaltung verschrieb. Plausibel erklärt der Autor die anthropologische Grundkonzeption von Schwarz' Denken. Er verstand den Menschen als Verbindung von Körper und Seele, deren Ausdruck sich durch das Gleichgewicht von Hülle und Kern einstellt. Diese primäre Beobachtung übertrug er nun auf den architektonischen Raum - mit dem Menschen als Kern und den Wänden als Haut. Hasler konnte durch die Formanalyse ausgesuchter Kirchen nachweisen, dass Schwarz innerhalb dieser Prämissen seine Entwurfsarbeit tätigte. Es war ein Ausloten von Abgrenzung und Leere, von Mitte und Umfassung, von Geschlossenheit und Offenheit. Bezieht man noch die Zeitdimension mit ein, kann ein Gesamtschaffen im günstigsten Falle zum Abbild eines Lebensweges werden. So nämlich können die sieben «Kirchenpläne» in der Schrift «Vom Bau der Kirche» auch als visualisierte Stationen eines exemplarischen Lebens gedeutet werden, das in einem Punkt beginnt, sich entfaltet und sich wieder zu einem Punkt zusammenzieht. - Schwarz' anthropozentrisches Bauen verlangte, dass ein Gebäude immer von einer Mitte aus wirken musste, wobei damit nicht die geometrische Mitte gemeint war, sondern der Aspekt der Dynamik, die in Gang gesetzt wird, wenn das wahrnehmende Subjekt die Grenzen abtastet. Schwarz wollte in jedem Bau diese Bewegung initiieren, ein schwieriges Unterfangen, ist doch das Gebäude etwas Statisches. Doch es musste zumindest das Agieren innerhalb seiner Grenzen fördern, sowohl bezogen auf den Einzelnen als auch auf verschiedene Individuen, die sich zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen haben. Was stand Schwarz dabei zur Verfügung? Zunächst einmal die moderne Technik, die es ihm erlaubte, innerhalb der Wände subtile Übergänge und Überlagerungen zu zeichnen, dann die Führung des Lichtes, das wohl als das aktivste Moment einer Architektur bezeichnet werden kann, schliesslich die Bildfindungen. Hasler konnte nachweisen, dass die sieben Idealpläne als Urbilder fungieren, die jeweils über mehrere Schritte zu konkreten Bildern mutierten. Bilder bedeuten Ordnung im Chaos der Wahrnehmungen, weshalb Schwarz darauf bedacht war, in der Erkundung eines Raumes vertraute Bilder wie Höhle, Mantel oder Lichtwand zu evozieren.

Das dürfte Zumthor bei seinem Kommentar zu Sogn Benedetg gemeint haben, als er zahlreiche Bilder aufzählte. Man verstünde ihn ähnlich falsch wie Schwarz, würde man die Begriffe - wie in der Rezeption geschehen - als Symbole auffassen. Auf die Frage, wo denn die Nachfolger von Schwarz geblieben seien, meinte einer seiner ehemaligen Studenten, dass sie unsichtbar seien. Das dürfte bis vor kurzem zugetroffen haben, doch jüngere Architekten haben keine Hemmungen mehr, in seine Nähe gerückt zu werden. Zu ihnen zählt auch Hasler selber, der mit seinem prämierten Kirchenumbauprojekt für Jona dem deutschen Kirchenbaumeister seine Reverenz erwies.


[ Thomas Hasler: Architektur als Ausdruck - Rudolf Schwarz. gta-Verlag, Zürich 2000, und Gebr.-Mann-Verlag, Berlin 2000. 320 S., Fr. 65.-. ]

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