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Kalt geklebtes Konsensbarock
Altstädte behaupten ihre Identität nicht, indem sie Altes vortäuschen. Sie müssen den Bestand entweder pflegend erhalten oder durch Neues umwerten. Tauschgeschäfte zwischen Bauepochen sind immer riskant und reglementiert. Eine Regelkunde zu einem Wiener Notfall.
2. September 2000 - Walter Chramosta
Ein Schandfleck ist beseitigt, ein Ensemble aufgebessert! Nicht wenige Bürger und politische Mandatare des vierten Wiener Gemeindebezirks sehen in der veränderten Baugestalt auf der Favoritenstraße Nr. 7 einen Teilerfolg über den formkalten Ungeist der architektonischen Moderne. Der Magistrat hat der Bauordnung zum Durchbruch verholfen, weitergehende Kommerzdammbrüche abgewendet. Dabei ist ein schon lange als Belastung empfundenes Produkt des banalisierenden Funktionalismus, ein schlichter Bürobau, durch Aufstockung und Fassadenverkleidung verschwunden.
Doch die Freude ist geteilt. Wer als Passant die Straßenflucht im Augenwinkel vorbeiziehen läßt, ohne sich Architektur und Städtebau gezielt zu widmen, wird über die Glättung des modernistischen Bruchs in der Fassadenfolge nicht unzufrieden sein. Wer hingegen als kritischer Geist mit gespitzter Erwartung an die Leistungsfähigkeit zeitgenössischer Architektur vor das sich in plumpem Historismus ergehende Bauwerk in der Favoritenstraße 7 tritt, ist entweder entsetzt oder bestenfalls amüsiert. Hier hat eine aufwendige bauliche Veränderung stattgefunden, die nach architektonischen Kriterien nicht einordenbar ist, die eher Rohstoff für ein Sittenbild des immobilistischen Ausschlachtungsgewerbes liefert. Jedenfalls ergibt sie keine Verbesserung der unbefriedigenden städtebaulichen Situation.
Wo (fast) alles möglich ist, wo Freud und Leid des Stadtumbaus gleichzeitig fühlbar sind, wo also baukulturell bereits alles gleich gültig ist, besteht maximaler Aufklärungsbedarf. Die Kritik ist hier gefordert, die gemeinhin gar nicht schmerzlich empfundene Absenz von Architektur zu kommentieren. Denn an diesem bezirkswichtigen, für das Stadtganze aber nur zweitrangigen Ort spitzt sich jenes Kräftespiel zwischen Architekten, Behörden, Politikern und Unternehmern auf groteske Weise zu, welches das Wiener Baugeschehen zunehmend prägt: die private Profitmaximierung in interessanten Lücken des kompakten Stadtkörpers auf Kosten öffentlicher Ansprüche an Funktionalität und Gestalt der Stadt.
Die Administration der öffentlichen Interessen am Stadtraum ist sehr schwierig: Politisch ist sie trägen Planungsinstrumenten wie Flächenwidmungs-, Bebauungs- und Schutzzonenplänen und an sprachlich nie detailscharfe, das Wesen der Architektur schwammig umkreisende Gesetzestexte überantwortet, bürokratisch ist sie an Bauämter delegiert. Letztlich entscheidet das Geschick der handelnden Personen, ihren Handlungsspielraum im Rahmen geltenden Rechts auszureizen, über die Machart der Bauwerke. Daß die Projektbeteiligten jeweils ihre Interessen wahrnehmen, ist legitim. Daß dabei der private Bauherr - wie in diesem Fall - seine Verantwortung gegenüber der Stadt vernachlässigt oder vielmehr unter der doch recht komfortablen Deckung der „baukünstlerischen“ Freiheit ein Entrepreneurgehabe zeigt, das der Ringstraßenära gut angestanden wäre, müßte die Stadtpolitik grundsätzlich auf den Plan rufen.
Es existieren bewährte Modelle vertiefter Qualitätssicherung im Baugenehmigungsverfahren, für die in Wien freilich erst die Grundlagen geschaffen werden müßten. Qualifizierungsmethoden für das Planungsgeschehen sind mit zwei Zielrichtungen denkbar: einerseits projektzentriert durch Fachbeiräte bei den Kommunen, durch Gesetzestexte, die das Qualitätsproblem präziser erfassen und in praktikable behördliche Handlungsschemata münden, andererseits umfeldorientiert über nationale Architekturförderprogramme, über offener strukturierte Zugänge zum Architektenberuf, durch intensivere Information des Bürgers über die Handhabung der Qualitätskriterien und die damit genehmigten Bauten et cetera. Für die Architekturpublizistik bedarf es erst gestalterischer Glücksfälle, für die Massenmedien technischer oder kommerzieller Versagensfälle, um eine Kernfrage der Baukultur zu thematisieren: „Wie verbessert man den Durchschnittsbau?“ Man muß für den kaltschnäuzig-konsensbarocken, durch Kaltklebung auf ein nüchternes Betonskelett applizierten Schutzmantel geradezu dankbar sein; er setzt ein unübersehbares Rufzeichen auf die latente Krise der Qualitätskriterien für das „normale“ Baugeschehen.
Die Spitzenleistungen finden dem kulturellen Stand der Dinge gemäß trotzdem statt, entziehen sich definitionsgemäß jedem Reglement und sollten selbst im Zweifel unter liberalen Genieparagraphen als Ausnahmen abgehandelt werden. Der Bau in der Favoritenstraße 7 gehört nicht zu dieser Kategorie. Er verwirklicht primär die kommerzielle Intention des Bauherrn: die durch den Bebauungsplan gedeckte Nutzflächenmaximierung. Er vernachlässigt aber offenbar sekundäre Ziele, die zentrale öffentliche Interessen tangieren.
Auch zu deren Wahrung ist der Architekt, kraft seiner bekundeten Rolle als Fachmann und seines behördenähnlichen Status, berufen: die Einbettung des Baukörpers in das Stadtgefüge, die Abstimmung mit Ort und Zeit durch angemessene architektonische Mittel und so weiter. Die geltende Wiener Bauordnung umreißt im vieldiskutierten Paragraphen 85, „Äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen“, dieses öffentliche Interesse in Absatz 1 so: „Das Äußere der Gebäude und baulichen Anlagen muß nach Bauform, Maßstäblichkeit, Baustoff und Farbe so beschaffen sein, daß es die einheitliche Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht stört.“ Der Handlungsspielraum der Baubehörde ist so definiert, daß schwerwiegende Beeinträchtigungen des Stadtbildes, eine nicht immer klar abgrenzbare räumliche Wirkungseinheit von Bauten, abwendbar sind.
Was schwerwiegend ist, unterliegt zum einen dem Urteil der Fachbeamten, die das aktuelle Architekturgeschehen, die Aussagen der Denkmalpflege, die Feststellungen der Fachliteratur et cetera reflektieren, zum anderem dem Gestaltungswillen des einreichenden Architekten, der seinen Entwurf für sachdienlich hält. An der Favoritenstraße 7 gibt es - nicht ohne Krämpfe - unter der Prämisse des Paragraphen 85 einen Konsens. Auch der Absatz 2 wurde nicht zum Verhängnis: „Die Errichtung von Gebäuden und baulichen Anlagen sowie deren Änderung ist nur zulässig, wenn das mit dem Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild weder gestört noch beeinträchtigt wird. Darüber hinaus darf das gegebene örtliche Stadtbild weder gestört noch beeinträchtigt werden, sofern es mit dem vom Bebauungsplan beabsichtigten örtlichen Stadtbild vereinbar ist. Im Nahebereich von Schutzzonen ist bei der Beurteilung auf diese besonders Bedacht zu nehmen.“
Im gegenständlichen Fall ist von einer Nähe der Schutzzone, einer landesrechtlichen Schutzkategorie für Ensembles, die nicht nur aus denkmalwertigen Objekten bestehen müssen, auszugehen. Das kaiserliche Lustschloß Favorita dominiert als Theresianum noch immer die östliche Front der innersten Favoritenstraße und ist dementsprechend geschützt. Der „besondere Bedacht“ war hier auf das großzügige Fassadenkontinuum der Favorita zu legen, also auf die Abwägung, ob die benachbarten, ausdrucksarmen Fassaden der Technischen Universität eine derartige Belebung vertragen, und ob die so umgeprägte, leicht gekrümmte Fassadenfolge zwischen Gußhausstraße und Taubstummengasse das Theresianum bestärkt. Auch in dieser Hinsicht hat die Behörde positiv erkannt, die vitalisierende Wirkung für den offensichtlich strukturschwachen Straßenzug geltend gemacht. So richtig die städtebauliche Diagnose von Architekt und Magistrat, so fragwürdig die architektonische Therapie.
Noch mehr zum Einspruch fordert Paragraph 85 Absatz 3 heraus: „Bauliche Änderungen an einzelnen Bauwerken von geschichtlicher, kultureller oder künstlerischer Bedeutung sowie die Errichtung baulicher Anlagen und bauliche Änderungen in der Umgebung solcher Bauwerke sind unzulässig, wenn deren Eigenart oder künstlerische Wirkung oder das örtliche Stadtbild beeinträchtigt würde. Hierbei bleiben die besonderen, den Denkmalschutz betreffenden gesetzlichen Bestimmungen unberührt.“ Es ist evident, daß der zerstörte Bandfassadenbau mit Sechziger-Jahre-Gepräge keine künstlerische Bedeutung beanspruchen konnte; aber im Hinterhof, eingesperrt von Feuermauern, steht nach wie vor das spätbarocke Palais Erzherzog Carl Ludwig, dessen Umbau als wichtiges Werk des Heinrich Ferstel gilt und das sich sehr wohl einen respektableren Umgang verdient hätte.
In einer Schutzzone würde zudem der Absatz 5 greifen, bei einer härteren Genehmigungsphilosophie wohl auch in deren Umfeld: „Bei Errichtung eines neuen Gebäudes in einer Schutzzone ist das Gebäude (. . .) auf zeitgemäße Weise in das Stadtbild einzuordnen, oder es sind hinsichtlich des Baustils, der Bauform, der Gebäudehöhe, der Dachform, des Maßstabes, des Rhythmus, der Proportion, der technologischen Gestaltung beziehungsweise der Farbgebung die benachbarten Gebäude in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile zu berücksichtigen.“
Von seiner Sendung als Retter der Baukunst des Abendlandes vor modernistischer Verödung überzeugt, würde Alaa Abouelenin, der in Wien niedergelassene Architekt dieser imperialen Zuckergußüberfangung, seinen in Kunststoff vorgeklebten Formvorrat wahrscheinlich auch in einer Schutzzone für angemessen halten. Da aber, wie Manfred Sack 1993 so treffend sagte, „auch noch das privateste Haus eine öffentliche Affäre ist“, muß man der Gewaltbereitschaft dieser baukünstlerischen Stupidität in den Arm fallen. Das Gemeinwesen kann sich nicht über persönliche Form- und Materialobsessionen definieren lassen; auch dem privaten Bauherrn sollte nicht gleichgültig sein, ob er sich in seiner Selbstdarstellung in der aufgeklärten Hemisphäre der Weltkunst aufhalten will oder zwischen Bananenrepublikanern und Architekturdespoten.
Die öffentliche Hand muß das Notfallrecht haben, solch pflichtvergessene Banalbauten in wertigem Umfeld zu verhindern, aber sie muß zugleich verpflichtet werden, wirklich sphärenöffnende Entwürfe vorbehaltlos zu unterstützen. Neue Baukunst bedeutet, die Tradition umbildend und weiterführend zu würdigen, nicht sie nachzuäffen.
Doch die Freude ist geteilt. Wer als Passant die Straßenflucht im Augenwinkel vorbeiziehen läßt, ohne sich Architektur und Städtebau gezielt zu widmen, wird über die Glättung des modernistischen Bruchs in der Fassadenfolge nicht unzufrieden sein. Wer hingegen als kritischer Geist mit gespitzter Erwartung an die Leistungsfähigkeit zeitgenössischer Architektur vor das sich in plumpem Historismus ergehende Bauwerk in der Favoritenstraße 7 tritt, ist entweder entsetzt oder bestenfalls amüsiert. Hier hat eine aufwendige bauliche Veränderung stattgefunden, die nach architektonischen Kriterien nicht einordenbar ist, die eher Rohstoff für ein Sittenbild des immobilistischen Ausschlachtungsgewerbes liefert. Jedenfalls ergibt sie keine Verbesserung der unbefriedigenden städtebaulichen Situation.
Wo (fast) alles möglich ist, wo Freud und Leid des Stadtumbaus gleichzeitig fühlbar sind, wo also baukulturell bereits alles gleich gültig ist, besteht maximaler Aufklärungsbedarf. Die Kritik ist hier gefordert, die gemeinhin gar nicht schmerzlich empfundene Absenz von Architektur zu kommentieren. Denn an diesem bezirkswichtigen, für das Stadtganze aber nur zweitrangigen Ort spitzt sich jenes Kräftespiel zwischen Architekten, Behörden, Politikern und Unternehmern auf groteske Weise zu, welches das Wiener Baugeschehen zunehmend prägt: die private Profitmaximierung in interessanten Lücken des kompakten Stadtkörpers auf Kosten öffentlicher Ansprüche an Funktionalität und Gestalt der Stadt.
Die Administration der öffentlichen Interessen am Stadtraum ist sehr schwierig: Politisch ist sie trägen Planungsinstrumenten wie Flächenwidmungs-, Bebauungs- und Schutzzonenplänen und an sprachlich nie detailscharfe, das Wesen der Architektur schwammig umkreisende Gesetzestexte überantwortet, bürokratisch ist sie an Bauämter delegiert. Letztlich entscheidet das Geschick der handelnden Personen, ihren Handlungsspielraum im Rahmen geltenden Rechts auszureizen, über die Machart der Bauwerke. Daß die Projektbeteiligten jeweils ihre Interessen wahrnehmen, ist legitim. Daß dabei der private Bauherr - wie in diesem Fall - seine Verantwortung gegenüber der Stadt vernachlässigt oder vielmehr unter der doch recht komfortablen Deckung der „baukünstlerischen“ Freiheit ein Entrepreneurgehabe zeigt, das der Ringstraßenära gut angestanden wäre, müßte die Stadtpolitik grundsätzlich auf den Plan rufen.
Es existieren bewährte Modelle vertiefter Qualitätssicherung im Baugenehmigungsverfahren, für die in Wien freilich erst die Grundlagen geschaffen werden müßten. Qualifizierungsmethoden für das Planungsgeschehen sind mit zwei Zielrichtungen denkbar: einerseits projektzentriert durch Fachbeiräte bei den Kommunen, durch Gesetzestexte, die das Qualitätsproblem präziser erfassen und in praktikable behördliche Handlungsschemata münden, andererseits umfeldorientiert über nationale Architekturförderprogramme, über offener strukturierte Zugänge zum Architektenberuf, durch intensivere Information des Bürgers über die Handhabung der Qualitätskriterien und die damit genehmigten Bauten et cetera. Für die Architekturpublizistik bedarf es erst gestalterischer Glücksfälle, für die Massenmedien technischer oder kommerzieller Versagensfälle, um eine Kernfrage der Baukultur zu thematisieren: „Wie verbessert man den Durchschnittsbau?“ Man muß für den kaltschnäuzig-konsensbarocken, durch Kaltklebung auf ein nüchternes Betonskelett applizierten Schutzmantel geradezu dankbar sein; er setzt ein unübersehbares Rufzeichen auf die latente Krise der Qualitätskriterien für das „normale“ Baugeschehen.
Die Spitzenleistungen finden dem kulturellen Stand der Dinge gemäß trotzdem statt, entziehen sich definitionsgemäß jedem Reglement und sollten selbst im Zweifel unter liberalen Genieparagraphen als Ausnahmen abgehandelt werden. Der Bau in der Favoritenstraße 7 gehört nicht zu dieser Kategorie. Er verwirklicht primär die kommerzielle Intention des Bauherrn: die durch den Bebauungsplan gedeckte Nutzflächenmaximierung. Er vernachlässigt aber offenbar sekundäre Ziele, die zentrale öffentliche Interessen tangieren.
Auch zu deren Wahrung ist der Architekt, kraft seiner bekundeten Rolle als Fachmann und seines behördenähnlichen Status, berufen: die Einbettung des Baukörpers in das Stadtgefüge, die Abstimmung mit Ort und Zeit durch angemessene architektonische Mittel und so weiter. Die geltende Wiener Bauordnung umreißt im vieldiskutierten Paragraphen 85, „Äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen“, dieses öffentliche Interesse in Absatz 1 so: „Das Äußere der Gebäude und baulichen Anlagen muß nach Bauform, Maßstäblichkeit, Baustoff und Farbe so beschaffen sein, daß es die einheitliche Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht stört.“ Der Handlungsspielraum der Baubehörde ist so definiert, daß schwerwiegende Beeinträchtigungen des Stadtbildes, eine nicht immer klar abgrenzbare räumliche Wirkungseinheit von Bauten, abwendbar sind.
Was schwerwiegend ist, unterliegt zum einen dem Urteil der Fachbeamten, die das aktuelle Architekturgeschehen, die Aussagen der Denkmalpflege, die Feststellungen der Fachliteratur et cetera reflektieren, zum anderem dem Gestaltungswillen des einreichenden Architekten, der seinen Entwurf für sachdienlich hält. An der Favoritenstraße 7 gibt es - nicht ohne Krämpfe - unter der Prämisse des Paragraphen 85 einen Konsens. Auch der Absatz 2 wurde nicht zum Verhängnis: „Die Errichtung von Gebäuden und baulichen Anlagen sowie deren Änderung ist nur zulässig, wenn das mit dem Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild weder gestört noch beeinträchtigt wird. Darüber hinaus darf das gegebene örtliche Stadtbild weder gestört noch beeinträchtigt werden, sofern es mit dem vom Bebauungsplan beabsichtigten örtlichen Stadtbild vereinbar ist. Im Nahebereich von Schutzzonen ist bei der Beurteilung auf diese besonders Bedacht zu nehmen.“
Im gegenständlichen Fall ist von einer Nähe der Schutzzone, einer landesrechtlichen Schutzkategorie für Ensembles, die nicht nur aus denkmalwertigen Objekten bestehen müssen, auszugehen. Das kaiserliche Lustschloß Favorita dominiert als Theresianum noch immer die östliche Front der innersten Favoritenstraße und ist dementsprechend geschützt. Der „besondere Bedacht“ war hier auf das großzügige Fassadenkontinuum der Favorita zu legen, also auf die Abwägung, ob die benachbarten, ausdrucksarmen Fassaden der Technischen Universität eine derartige Belebung vertragen, und ob die so umgeprägte, leicht gekrümmte Fassadenfolge zwischen Gußhausstraße und Taubstummengasse das Theresianum bestärkt. Auch in dieser Hinsicht hat die Behörde positiv erkannt, die vitalisierende Wirkung für den offensichtlich strukturschwachen Straßenzug geltend gemacht. So richtig die städtebauliche Diagnose von Architekt und Magistrat, so fragwürdig die architektonische Therapie.
Noch mehr zum Einspruch fordert Paragraph 85 Absatz 3 heraus: „Bauliche Änderungen an einzelnen Bauwerken von geschichtlicher, kultureller oder künstlerischer Bedeutung sowie die Errichtung baulicher Anlagen und bauliche Änderungen in der Umgebung solcher Bauwerke sind unzulässig, wenn deren Eigenart oder künstlerische Wirkung oder das örtliche Stadtbild beeinträchtigt würde. Hierbei bleiben die besonderen, den Denkmalschutz betreffenden gesetzlichen Bestimmungen unberührt.“ Es ist evident, daß der zerstörte Bandfassadenbau mit Sechziger-Jahre-Gepräge keine künstlerische Bedeutung beanspruchen konnte; aber im Hinterhof, eingesperrt von Feuermauern, steht nach wie vor das spätbarocke Palais Erzherzog Carl Ludwig, dessen Umbau als wichtiges Werk des Heinrich Ferstel gilt und das sich sehr wohl einen respektableren Umgang verdient hätte.
In einer Schutzzone würde zudem der Absatz 5 greifen, bei einer härteren Genehmigungsphilosophie wohl auch in deren Umfeld: „Bei Errichtung eines neuen Gebäudes in einer Schutzzone ist das Gebäude (. . .) auf zeitgemäße Weise in das Stadtbild einzuordnen, oder es sind hinsichtlich des Baustils, der Bauform, der Gebäudehöhe, der Dachform, des Maßstabes, des Rhythmus, der Proportion, der technologischen Gestaltung beziehungsweise der Farbgebung die benachbarten Gebäude in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile zu berücksichtigen.“
Von seiner Sendung als Retter der Baukunst des Abendlandes vor modernistischer Verödung überzeugt, würde Alaa Abouelenin, der in Wien niedergelassene Architekt dieser imperialen Zuckergußüberfangung, seinen in Kunststoff vorgeklebten Formvorrat wahrscheinlich auch in einer Schutzzone für angemessen halten. Da aber, wie Manfred Sack 1993 so treffend sagte, „auch noch das privateste Haus eine öffentliche Affäre ist“, muß man der Gewaltbereitschaft dieser baukünstlerischen Stupidität in den Arm fallen. Das Gemeinwesen kann sich nicht über persönliche Form- und Materialobsessionen definieren lassen; auch dem privaten Bauherrn sollte nicht gleichgültig sein, ob er sich in seiner Selbstdarstellung in der aufgeklärten Hemisphäre der Weltkunst aufhalten will oder zwischen Bananenrepublikanern und Architekturdespoten.
Die öffentliche Hand muß das Notfallrecht haben, solch pflichtvergessene Banalbauten in wertigem Umfeld zu verhindern, aber sie muß zugleich verpflichtet werden, wirklich sphärenöffnende Entwürfe vorbehaltlos zu unterstützen. Neue Baukunst bedeutet, die Tradition umbildend und weiterführend zu würdigen, nicht sie nachzuäffen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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