Artikel
Dauerhaftigkeit des Vergänglichen
Denkmalschutz für den Nakagin-Kapselturm in Tokio
24. November 2000 - Carsten Krohn
In der ersten Ausgabe des «Playboy» von 1968 war die Fotomontage eines pyramidenförmigen Regals zu sehen, das den Fudschijama überragt. Der Autor dieses Entwurfs, der im Jahr zuvor als Architekt der geodätischen Kuppel des amerikanischen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal populär gewordene Richard Buckminster Fuller, hatte sich ein gigantisches Stapelsystem für fabrikmässig hergestellte Wohncontainer als Impuls für die Stadterweiterung Tokios ausgedacht. Von diesen Ideen liess sich der 1934 in Nagoya geborene japanische Architekt Kisho Kurokawa inspirieren. Mit dem Bau seines Nakagin-Kapselturms in Tokio wurde er 1972 fast über Nacht zum bekanntesten Japaner - gleich hinter dem Kaiser und dem Premierminister.
Inzwischen ist der Kapselturm so alt, wie Kurokawa damals war, und die für diesen Bau ursprünglich vorgesehene Lebensdauer ist abgelaufen. Die 144 in den Turm eingefügten «Junggesellenapartments» - mit Asbest bespritzte, betongrau gestrichene Metallkästen - sind von Tauben bevölkert und rosten. Hinter den runden Fenstern stapeln sich Kartons. Die auswärtigen Firmen, die diese Wohneinheiten einst für ihre reisenden Mitarbeiter kauften, nutzen sie heute als Abstellkammern. Dabei hätten eigentlich die in einer Fabrik für Schiffscontainer vorgefertigten Wohncontainer bei Bedarf durch neue ersetzt werden und so einen Metabolismus, einen biologischen Prozess des Wandels und Austausches, zum Ausdruck bringen sollen.
Früher war es in Japan durchaus üblich, betont Kurokawa, dass man auf wenig Raum lebte, dass die Eltern mit einem Kind in einem Zimmer und im zweiten die Grosseltern mit den anderen Kindern schliefen. Diese Enge war dem jungen Architekten vertraut, als er noch vor Abschluss seines Studiums zusammen mit Freunden Visionen für zukünftige Städte entwickelte und zu veröffentlichen begann. Ihre Philosophie nannten sie «Metabolismus». Sie glaubten nämlich, dass man mit Mikroskopen Strukturen erkennen könne, nach denen Städte gebaut werden sollten. Auf die Entdeckung der DNS-Moleküle reagierte Kurokawa mit dem Vorschlag, in die Bucht von Tokio gigantische Wolkenkratzer in der Form spiralig ineinander gewundener Betonregale zu bauen. Auf den Regalen sah er Campingplätze vor. - Etwas abseits der pulsierenden Geschäftsstrassen steht am Fusse von Kurokawas Kapselturm neben Getränkeautomaten noch immer die ursprüngliche Musterkapsel, die einst von Neugierigen und Interessenten besichtigt werden konnte. Auf knapp neun Quadratmetern ist darin eine komplette Wohnung untergebracht. Fernseher, Taschenrechner, Digitalwecker, Tonbandgerät und ein Telefon mit Wählscheibe sind fest in eine Schrankwand eingebaut. Wie in einem Cockpit war die gesamte Technik vom Bett aus bedienbar, von dem sich ein Ausblick auf die benachbarte Hochstrasse bot. Die zum Preis eines Mittelklassewagens angebotenen Behausungen wurden innerhalb eines Monats verkauft. Sie müssen den meisten Japanern wie aus einer anderen Welt erschienen sein, da ihnen ein vom Boden abgehobenes Bett damals ebenso unbekannt war wie eine westliche Toilette und eine Badewanne im gleichen Raum. Gab der Innenausbau den damaligen Bewohnern die Illusion, sie lebten schon im kommenden Jahrtausend, erinnert er heute eher an nüchternes DDR-Design. Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, denn Kurokawa hatte in der Sowjetunion die Entwicklung der Plattenbauindustrie intensiv erforscht.
Die Einwohner Tokios blicken ohne Nostalgie auf ihre Stadt. Im Verhältnis zu den Bodenpreisen stellen Häuser keinen Wert dar. Wie Konsumprodukte werden sämtliche Bauten permanent ausgetauscht. Jetzt drohte auch dem Kapselturm der Abbruch, weshalb kürzlich eine europäische Organisation zur Erhaltung moderner Baudenkmäler einschritt. Kurokawa schlägt vor, die mit wenigen Schrauben befestigten Container durch neue zu ersetzen. Da sich aber das Zeittypische des Kapselturms weitgehend im Innenausbau findet, würde dadurch der architekturgeschichtlich bedeutende Bau beeinträchtigt. Kurokawa verstand sein Baukastensystem «als Revolte gegen Vereinheitlichung» und «gegen Uniformität». Doch als er beim Bau des Kapselturms merkte, wie unflexibel diese Architektur war, distanzierte er sich von der Philosophie des Metabolismus. Wie eine Mode veraltete die Kapselidee - und wird nun neu entdeckt. Denn der Turm verkörpert in seiner Asymmetrie und Nacktheit ein Schönheitsideal, das heute wieder Liebhaber findet.
Inzwischen ist der Kapselturm so alt, wie Kurokawa damals war, und die für diesen Bau ursprünglich vorgesehene Lebensdauer ist abgelaufen. Die 144 in den Turm eingefügten «Junggesellenapartments» - mit Asbest bespritzte, betongrau gestrichene Metallkästen - sind von Tauben bevölkert und rosten. Hinter den runden Fenstern stapeln sich Kartons. Die auswärtigen Firmen, die diese Wohneinheiten einst für ihre reisenden Mitarbeiter kauften, nutzen sie heute als Abstellkammern. Dabei hätten eigentlich die in einer Fabrik für Schiffscontainer vorgefertigten Wohncontainer bei Bedarf durch neue ersetzt werden und so einen Metabolismus, einen biologischen Prozess des Wandels und Austausches, zum Ausdruck bringen sollen.
Früher war es in Japan durchaus üblich, betont Kurokawa, dass man auf wenig Raum lebte, dass die Eltern mit einem Kind in einem Zimmer und im zweiten die Grosseltern mit den anderen Kindern schliefen. Diese Enge war dem jungen Architekten vertraut, als er noch vor Abschluss seines Studiums zusammen mit Freunden Visionen für zukünftige Städte entwickelte und zu veröffentlichen begann. Ihre Philosophie nannten sie «Metabolismus». Sie glaubten nämlich, dass man mit Mikroskopen Strukturen erkennen könne, nach denen Städte gebaut werden sollten. Auf die Entdeckung der DNS-Moleküle reagierte Kurokawa mit dem Vorschlag, in die Bucht von Tokio gigantische Wolkenkratzer in der Form spiralig ineinander gewundener Betonregale zu bauen. Auf den Regalen sah er Campingplätze vor. - Etwas abseits der pulsierenden Geschäftsstrassen steht am Fusse von Kurokawas Kapselturm neben Getränkeautomaten noch immer die ursprüngliche Musterkapsel, die einst von Neugierigen und Interessenten besichtigt werden konnte. Auf knapp neun Quadratmetern ist darin eine komplette Wohnung untergebracht. Fernseher, Taschenrechner, Digitalwecker, Tonbandgerät und ein Telefon mit Wählscheibe sind fest in eine Schrankwand eingebaut. Wie in einem Cockpit war die gesamte Technik vom Bett aus bedienbar, von dem sich ein Ausblick auf die benachbarte Hochstrasse bot. Die zum Preis eines Mittelklassewagens angebotenen Behausungen wurden innerhalb eines Monats verkauft. Sie müssen den meisten Japanern wie aus einer anderen Welt erschienen sein, da ihnen ein vom Boden abgehobenes Bett damals ebenso unbekannt war wie eine westliche Toilette und eine Badewanne im gleichen Raum. Gab der Innenausbau den damaligen Bewohnern die Illusion, sie lebten schon im kommenden Jahrtausend, erinnert er heute eher an nüchternes DDR-Design. Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, denn Kurokawa hatte in der Sowjetunion die Entwicklung der Plattenbauindustrie intensiv erforscht.
Die Einwohner Tokios blicken ohne Nostalgie auf ihre Stadt. Im Verhältnis zu den Bodenpreisen stellen Häuser keinen Wert dar. Wie Konsumprodukte werden sämtliche Bauten permanent ausgetauscht. Jetzt drohte auch dem Kapselturm der Abbruch, weshalb kürzlich eine europäische Organisation zur Erhaltung moderner Baudenkmäler einschritt. Kurokawa schlägt vor, die mit wenigen Schrauben befestigten Container durch neue zu ersetzen. Da sich aber das Zeittypische des Kapselturms weitgehend im Innenausbau findet, würde dadurch der architekturgeschichtlich bedeutende Bau beeinträchtigt. Kurokawa verstand sein Baukastensystem «als Revolte gegen Vereinheitlichung» und «gegen Uniformität». Doch als er beim Bau des Kapselturms merkte, wie unflexibel diese Architektur war, distanzierte er sich von der Philosophie des Metabolismus. Wie eine Mode veraltete die Kapselidee - und wird nun neu entdeckt. Denn der Turm verkörpert in seiner Asymmetrie und Nacktheit ein Schönheitsideal, das heute wieder Liebhaber findet.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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