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Architektur im historischen Wandel
Neue Zürcher Zeitung

Breslau entdeckt das Werk Hans Poelzigs

Im Jahre 1900 wurde der Architekt Hans Poelzig (1869-1936) an die Königliche Kunst- und Kunstgewerbeschule in Breslau, dem heutigen Wroclaw, berufen. Damit begannen 16 Jahre erfolgreicher Lehr- und Bautätigkeit in Schlesien. Eine Ausstellung in Breslau erinnert jetzt an Poelzigs architektonisches Erbe

13. Dezember 2000 - Sylvia Claus
Den Berlinern ist der Architekt Hans Poelzig kaum ein Begriff. Viele Menschen im Osten der Stadt aber erinnern sich noch an den vom tschechischen Schauspieler Jiri Vrštala verkörperten Clown Ferdinand, dessen legendäre Auftritte im alten Friedrichstadtpalast ein Ende fanden, als das Gebäude 1980 gesperrt und Mitte der achtziger Jahre schliesslich abgerissen wurde. Damit fiel auch ein Stück Architekturgeschichte, das von der DDR noch nicht als «Erbe» anerkannt worden war. Denn bei dem alten Friedrichstadtpalast handelte es sich um das expressionistische «Theater der Fünftausend», zu dem Hans Poelzig den Zirkus Schumann 1918/19 für Max Reinhardt umgebaut hatte.

Der «Stempel des Alltags»
Poelzig hatte hier eine seinem Architekturverständnis entsprechende Aufgabe gefunden. Im Zirkus Schumann hatte Reinhardt zuvor bereits Sophokles' «König Ödipus» aufgeführt und war begeistert von der den Zuschauer in das Geschehen einbindenden amphitheatralischen Anlage. Der Verschmelzung von Bühne und Publikum entsprach Poelzigs Credo einer ausdrucksstarken, beseelten oder gar beseelenden Architektur, die nicht allein praktisch und zweckmässig sein dürfe. Poelzig überliess es denn auch nicht allein dem Regisseur, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Er schuf vielmehr einen Bau von eigener Suggestionskraft: Stalaktitenartige, die Akustik verbessernde Deckenverkleidungen liessen schon die Zeitgenossen an Tropfsteinhöhlen denken. Durchmodellierte, palmenartige Lichtsäulen in den Foyers warfen indirektes Licht an die Wände und stimmten so auf das Theatererlebnis ein. Bloss formale Gesten? Das meinte manch ein Kritiker - und auch manch ein Bewunderer. Dem Architekturhistoriker Julius Posener, einem Schüler Hans Poelzigs, fehlte am Grossen Schauspielhaus der «Stempel des Alltags». Den hatten für Posener nur die Bauten aus Poelzigs Breslauer Zeit. Sie waren für ihn die wirklich grossen Schöpfungen seines Lehrers.

Dem Wirken Poelzigs in Schlesien ist jetzt in Breslau ein vom dortigen Architektur- und Nationalmuseum sowie dem Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte in Oldenburg veranstaltete Ausstellung gewidmet. Sie wird von einem umfangreichen, in deutscher und in polnischer Sprache erschienenen Katalog begleitet, der mit Akribie dem Schaffen und der Bedeutung Poelzigs in Schlesien nachgeht und der in einem um einige bisher unbekannte Projekte ergänzten Verzeichnis die Werke auflistet, die Poelzig in den Breslauer Jahren zwischen 1900 und 1916 schuf. Die Tragweite dieses Unternehmens macht ein Beitrag besonders deutlich. Janusz Dobesz befasst sich mit der Rezeption Poelzigs in Breslau. Neben Unbekanntem ruft er dabei eindrücklich auch das eigentlich Bekannte in Erinnerung. Breslau, das war Anfang des Jahrhunderts die drittgrösste Stadt Deutschlands, die nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig neu besiedelt wurde. Den nun polnischen Bewohnern der Stadt war die einstige Kultur fremd: «Nicht einmal die Überzeugung von der ‹Gerechtigkeit der Geschichte› und die allgegenwärtige Propaganda konnten den neuen Bewohnern Schlesiens ein psychisches Wohlbefinden vermitteln. Fast alle fühlten sich fremd, und kaum einer konnte glauben, dass dieses Land nun polnisch sein sollte.»

Die Suche nach einer eigenen Tradition führte zunächst zur Negation der deutschen Vergangenheit, als deren Repräsentant auch Poelzig galt. Erst seit den späten siebziger Jahren setzten sich polnische Wissenschafter mit seinem Werk wieder auseinander. Auf diesen Forschungen, die mit einem aktuellen Beitrag Piotr Lukaczewicz' auch im Katalog vertreten sind, konnte nun aufgebaut werden, da in Breslau eine Generation lebt, die in der Stadt geboren wurde und auch die habsburgische wie preussische Vergangenheit als ihre Geschichte begreift. Zugleich machen Ausstellung und Katalog mit der deutschen Poelzig-Forschung der letzten Jahre bekannt.

Der Architekt und sein Umfeld
Den Kuratoren der Ausstellung, Jerzy Ilkosz und Beate Störtkuhl, war es ein Anliegen, nicht nur Poelzig, sondern auch dessen Umfeld und das Kunstleben Schlesiens Anfang unseres Jahrhunderts darzustellen. Und so finden sich in der Ausstellung neben Dokumenten poelzigscher Planungen wie etwa der Kirche in Maltsch (1903-07), des Wasserturmes in Posen (1911) oder der Chemischen Fabrik in Luban (1909-11) dicht gedrängt auch die Arbeiten von Kollegen und Schülern, wobei die Fülle des Materials mitunter auf Kosten der Anschaulichkeit geht. Hervorstechend ist eine Art Freundschaftsbild, das Max Wislicenus um 1906 von Hans Poelzig malte, mit einem der für Hamburg entworfenen Wassertürme im Hintergrund. Wiederbegegnen kann man in Breslau auch - obwohl bereits jenseits des Datums gelegen, das die Breslauer Jahre vom späteren Œuvre trennt - dem aus Ton modellierten Grabmal, das Hans Poelzig in expressiv lodernden Formen 1921 für seinen Freund Carl Hauptmann, den älteren Bruder Gerhart Hauptmanns, schuf und das nach seinem Verschwinden vom Friedhof in Unter-Schreiberhau beziehungsweise seiner teilweisen Zerstörung verschollen war. Ein Katalogbeitrag zeichnet die Odyssee dieses Grabmales nach.

Dass Poelzigs Arbeiten in den Räumen eines restaurierten Benediktinerklosters präsentiert werden, in dem das gerade mit dem Architekturmuseum vereinigte Bauarchiv seinen Sitz hat, hätte dem mystischen Gedanken zugetanen und von mittelalterlichem Bauen inspirierten Architekten sicher gefallen. Dass der eingangs erwähnte Jiri Vrštala (1920-1999) aus Liberec stammte, das wie Schlesien zu Füssen des Riesengebirges liegt, mag schliesslich zu allerhand geheimnisvollen Spekulationen verleiten.


[Bis 28. Dezember, anschliessend im Japanischen Palais in Dresden (16. Juli bis 2. September) und im Schlesischen Museum in Görlitz. Katalog: Hans Poelzig in Breslau. Architektur und Kunst 1900-1916. Hrsg. v. Jerzy Ilkosz und Beate Störtkuhl. Verlag Aschenbeck und Holstein, Delmenhorst 2000. 600 S., Fr. 128.- (DM 65.- in der Ausstellung).]

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