Artikel
Brennende Architektur
Ein subversives Traktat zum zeitgenössischen Städtebau von Aaron Betsky
5. Januar 2001 - Gian-Marco Jenatsch
Auch wenn einen manchmal Zweifel davon abhalten, zu schrill und grell aufgemachten Architekturbüchern zu greifen, wie sie nach dem Muster von «S,M,L,XL» von Rem Koolhaas und Bruce Mau entstanden sind, so macht man dann zuweilen doch Entdeckungen. Um eine solche handelt es sich bei der Publikation «Architecture Must Burn» von Aaron Betsky, dem Kurator für Architektur und Design des San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA). In kurzen Aufsätzen beschreibt der Autor darin seine Sicht des gegenwärtigen Zustands von Architektur und Städtebau und entwirft dann seine eigene Vision. In Kontrast zum trendigen Layout mit plakativer Typographie und knalligen Farben, für das der Mitherausgeber Erik Adigard zeichnet, erscheint dabei der übersichtliche Aufbau mit 28 manifestartigen Aufsätzen, die sich um Themen wie «sprawl», «translucency», «the body» und «architecture beyond building» drehen und ihrerseits wieder in Unterkapitel wie «malls», «high way», «loft» oder «icons» aufgeteilt sind.
Die Welt des Sprawl
Im Kapitel «sprawl» schreibt Betsky über die Entwicklung der Städte in den vergangenen Jahrzehnten, ihre Auflösung in eine Ansammlung von Wohnorten, scheinbar willkürlich über das Land und die Natur verteilt. Als Resultat erscheine eine hybride, vom Menschen geschaffene Landschaft. Diese ungeregelte Ausbreitung des Stadtgebietes sei symptomatisch für den Zusammenbruch fester Strukturen, die einst das sichere Gerüst um uns herum gebildet hätten. Die Struktur des Sprawls, der wuchernden Ausdehnung der Stadtlandschaft, sei der Highway, die Autobahn, als arterielle Verbindung, die mehr und mehr Platz beanspruche und gleichzeitig unser ursprüngliches Verständnis von Ort und Bewegung grundlegend verändere. Der Sprawl selbst organisiere sich um sogenannte Attractors, Anziehungspunkte oder Gravitationszentren wie Malls, Stadien und Flughäfen. Diese seien die neuen Monumente unserer Zeit.
Als innenräumliche Version des Sprawl sieht Betsky den Loft, den leeren, ungerichteten, aber gefassten Raum, der, in sich selbst noch keine Bedeutung tragend, alles erlaube. Den Loft erhebt er zum Baustein einer neuen Architektur und erklärt ihn zur perfekten Wohnform für das sich ständig verändernde Leben des neuen urbanen Nomaden. Um der Welt des Sprawl, dieser (wie Betsky meint) physischen Manifestation unserer Zeit, einen Sinn geben zu können, brauche es keine neue Ordnung - «sprawl is almost all right» -, sondern neue Bilder, neue Vorstellungen: «burning architecture».
In vielen Punkten des Buches handelt es sich um eine vorwiegend amerikanische Diskussion, um eine Sichtweise, die auf den spezifischen Gegebenheiten, wie sie in den USA bestehen, basiert. Ein Vergleich mit den Themen einer in Europa oder auch in der Schweiz geführten Architekturdiskussion ist jedoch durchaus interessant. Bestimmten in den letzten Jahren unter anderen Fragen wie «das Haus und die Stadt», die «Magie der Werkstoffe» oder das Thema der Hülle, der Verkleidung, die Diskussion, so werden seit neustem wieder vermehrt städtebauliche, raumplanerische und auch soziologische Fragen mit einbezogen. Ein Beispiel dieses wiedererwachten Interesses ist die Arbeit des ETH-Architekturstudios Basel von Roger Diener, Jacques Herzog, Marcel Meili und Pierre de Meuron. In einem zeitlich befristeten Projekt setzen sich die Studenten dieses Kurses mit der Schweiz auseinander - mit dem Ziel eines städtebaulichen Porträts des Landes. In einer analytischen Untersuchung wird erforscht, was hinter dem Begriff «Schweiz» steht: Was sie ist, was sie sein will.
San Francisco und Basel
Handelt es sich bei «Architecture Must Burn» um eine ausschliesslich theoretische Diskussion, wird es da interessant, wo man die Umsetzung von Betskys Vision auf einen konkreten Fall überprüfen kann. In der museumseigenen Zeitschrift des SFMOMA schreibt Betsky über seine Heimatstadt San Francisco. Gleichsam als Modellfall für seine Überlegungen analysiert er die Stadt auf der Suche nach «burning architecture», ohne Furcht davor, Gebäude abzureissen, die keinen Sinn mehr haben. Er verlangt nach innovativer Stadtplanung, nach einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz und nach öffentlichen Freiräumen, die das Leben der Bewohner bereichern und die natürlichen Gegebenheiten der Stadt besser nutzen. Nicht nur die zuweilen martialische Sprache, sondern auch das umfassende Nachdenken über die Stadt erinnert an Herzog & de Meuron und ihre städtebauliche Studie für Basel, «Eine Stadt im Werden», aus dem Jahre 1991/92, in der sie den Grossraum Basel über die politischen Grenzen hinweg untersuchten und die Wahrnehmung der Stadt neu zu schärfen versuchten - eine Arbeit, die sie bis heute umtreibt.
So spezifisch amerikanisch einem Betskys Buch «Architecture Must Burn», seine leidenschaftliche, manchmal fast pathetische Sprache oder die Auswahl der abgebildeten Architekturen zuerst auch erscheinen mag, so ist sein Impetus doch klar nachvollziehbar. Nicht nur die Verwendung des Zitates «Architecture Must Burn» von Coop Himmelb(l)au schafft einen Bezug zu Europa, in der konkreten Diskussion lassen sich auch immer mehr Berührungspunkte zur Situation in Europa und in der Schweiz feststellen. Zwar greift Betsky keine neuen Themen auf, doch in ihrer konzentrierten Darstellung und ihrer konsequenten Diskussion von der Ebene des Städtebaus bis hin zu neuen Wohnformen wird das Buch zu einem zeitgenössischen Architekturtraktat, dessen Lektüre ergiebig und erfrischend ist.
[Aaron Betsky: Architecture Must Burn. Gingko Press, Corte Madera 2000. 144 S., Fr. 83.-. ]
Die Welt des Sprawl
Im Kapitel «sprawl» schreibt Betsky über die Entwicklung der Städte in den vergangenen Jahrzehnten, ihre Auflösung in eine Ansammlung von Wohnorten, scheinbar willkürlich über das Land und die Natur verteilt. Als Resultat erscheine eine hybride, vom Menschen geschaffene Landschaft. Diese ungeregelte Ausbreitung des Stadtgebietes sei symptomatisch für den Zusammenbruch fester Strukturen, die einst das sichere Gerüst um uns herum gebildet hätten. Die Struktur des Sprawls, der wuchernden Ausdehnung der Stadtlandschaft, sei der Highway, die Autobahn, als arterielle Verbindung, die mehr und mehr Platz beanspruche und gleichzeitig unser ursprüngliches Verständnis von Ort und Bewegung grundlegend verändere. Der Sprawl selbst organisiere sich um sogenannte Attractors, Anziehungspunkte oder Gravitationszentren wie Malls, Stadien und Flughäfen. Diese seien die neuen Monumente unserer Zeit.
Als innenräumliche Version des Sprawl sieht Betsky den Loft, den leeren, ungerichteten, aber gefassten Raum, der, in sich selbst noch keine Bedeutung tragend, alles erlaube. Den Loft erhebt er zum Baustein einer neuen Architektur und erklärt ihn zur perfekten Wohnform für das sich ständig verändernde Leben des neuen urbanen Nomaden. Um der Welt des Sprawl, dieser (wie Betsky meint) physischen Manifestation unserer Zeit, einen Sinn geben zu können, brauche es keine neue Ordnung - «sprawl is almost all right» -, sondern neue Bilder, neue Vorstellungen: «burning architecture».
In vielen Punkten des Buches handelt es sich um eine vorwiegend amerikanische Diskussion, um eine Sichtweise, die auf den spezifischen Gegebenheiten, wie sie in den USA bestehen, basiert. Ein Vergleich mit den Themen einer in Europa oder auch in der Schweiz geführten Architekturdiskussion ist jedoch durchaus interessant. Bestimmten in den letzten Jahren unter anderen Fragen wie «das Haus und die Stadt», die «Magie der Werkstoffe» oder das Thema der Hülle, der Verkleidung, die Diskussion, so werden seit neustem wieder vermehrt städtebauliche, raumplanerische und auch soziologische Fragen mit einbezogen. Ein Beispiel dieses wiedererwachten Interesses ist die Arbeit des ETH-Architekturstudios Basel von Roger Diener, Jacques Herzog, Marcel Meili und Pierre de Meuron. In einem zeitlich befristeten Projekt setzen sich die Studenten dieses Kurses mit der Schweiz auseinander - mit dem Ziel eines städtebaulichen Porträts des Landes. In einer analytischen Untersuchung wird erforscht, was hinter dem Begriff «Schweiz» steht: Was sie ist, was sie sein will.
San Francisco und Basel
Handelt es sich bei «Architecture Must Burn» um eine ausschliesslich theoretische Diskussion, wird es da interessant, wo man die Umsetzung von Betskys Vision auf einen konkreten Fall überprüfen kann. In der museumseigenen Zeitschrift des SFMOMA schreibt Betsky über seine Heimatstadt San Francisco. Gleichsam als Modellfall für seine Überlegungen analysiert er die Stadt auf der Suche nach «burning architecture», ohne Furcht davor, Gebäude abzureissen, die keinen Sinn mehr haben. Er verlangt nach innovativer Stadtplanung, nach einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz und nach öffentlichen Freiräumen, die das Leben der Bewohner bereichern und die natürlichen Gegebenheiten der Stadt besser nutzen. Nicht nur die zuweilen martialische Sprache, sondern auch das umfassende Nachdenken über die Stadt erinnert an Herzog & de Meuron und ihre städtebauliche Studie für Basel, «Eine Stadt im Werden», aus dem Jahre 1991/92, in der sie den Grossraum Basel über die politischen Grenzen hinweg untersuchten und die Wahrnehmung der Stadt neu zu schärfen versuchten - eine Arbeit, die sie bis heute umtreibt.
So spezifisch amerikanisch einem Betskys Buch «Architecture Must Burn», seine leidenschaftliche, manchmal fast pathetische Sprache oder die Auswahl der abgebildeten Architekturen zuerst auch erscheinen mag, so ist sein Impetus doch klar nachvollziehbar. Nicht nur die Verwendung des Zitates «Architecture Must Burn» von Coop Himmelb(l)au schafft einen Bezug zu Europa, in der konkreten Diskussion lassen sich auch immer mehr Berührungspunkte zur Situation in Europa und in der Schweiz feststellen. Zwar greift Betsky keine neuen Themen auf, doch in ihrer konzentrierten Darstellung und ihrer konsequenten Diskussion von der Ebene des Städtebaus bis hin zu neuen Wohnformen wird das Buch zu einem zeitgenössischen Architekturtraktat, dessen Lektüre ergiebig und erfrischend ist.
[Aaron Betsky: Architecture Must Burn. Gingko Press, Corte Madera 2000. 144 S., Fr. 83.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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