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Einfach angemessen
Was ist die angemessene Form der Erinnerung und Aufklärung über die NS-Zeit - und zwar an einem Ort der Täter, nicht der Opfer?
18. Januar 2001 - Matthias Boeckl
Am Obersalzberg, Hitlers Bergidyll in Oberbayern, das er nach der Machtergreifung 1933 von einer beschaulichen Sommerfrische zu einem zweiten Regierungssitz mit eigenen Häusern aller Mitglieder seiner Machtclique ausgebaut hatte, sammelt man seit einem Jahr Erfahrung mit einer nüchternen Dokumentation, die in einer unspektakulären, dennoch einprägsamen Architektur untergebracht ist.
Keine Inszenierung
Auch Nicht-Architekten unter den Besuchern - und auf die kommt es schließlich an - wird auf den ersten Blick klar, dass die steinernen Erdgeschoßmauern von Hitlers „Gästehaus Hoher Göll“ von einer eindeutig zeitgenössischen Holz-Glas-Konstruktion mit Satteldach gleichsam kritisch kommentiert werden. Auf weitergehende Architektureffekte wurde zugunsten der präzisen Ausstellung des renommierten Münchner Instituts für Zeitgeschichte bewusst verzichtet.
Der einfache und in vielerlei Hinsicht funktionierende Entwurf stammt nicht aus der Feder eines Stararchitekten, sondern - vom Staatlichen Hochbauamt Traunstein. Ein Beleg für die Vermutung, dass das Unsägliche eben nicht nur mit Symbolen, sondern auch mit nüchternen Dokumentationen in unprätentiösen Bauformeln eindringlich vergegenwärtigt werden kann.
Die Probleme des Feuilletons
Sarkastische Feuilletonberichte zeigen die Unfähigkeit des Milieus, sich aus der wichtigeren Sicht der Nutzer, statt bloß jener der bauenden Zeichensetzer und Kunstschreiber mit der heiklen Materie auseinander zu setzen. Besonders die „Süddeutsche“ ließ diesbezüglich keine Platitude aus. Sie illustriert damit aber nur die herrschende Ratlosigkeit angesichts der offensichtlichen Verzichtbarkeit auf theatralische Inszenierungen für sachliche Dokumentationen im Kontext eines Täterorts.
Schlichte Aufbereitung
Die Dokumentationsstelle ist keine auf spektakuläre Formen hin angelegte Überwältigungsinszenierung, sondern eine schlichte bauliche Hülle (in den Abmessungen des zerstörten Vorgängerbaus), in der kompakt und kritisch die Geschichte des Orts und jene des Regimes referiert wird - übrigens begleitet von den wohl besten zur Zeit erhältlichen Kurzdarstellungen in Buchform über „Die tödliche Utopie“ (von Horst Möller, Volker Dahm und Hartmut Mehringer) und den „Obersalzberg, das Kehlsteinhaus und Adolf Hitler“ (von Ernst Hanisch).
Die Einrichtung der Ausstellung vom Münchner Büro Claus + Forster bespielt das „filigrane“ Volumen auf zwei Ebenen in einer nicht weniger unaufgeregten Haltung: Architekturmodelle der zahlreichen Nazibauten am Obersalzberg sind hier ebenso zu sehen wie Fotos, Videos, reproduzierte Dokumente und Originalgegenstände. In der von Holzlamellenwänden leicht gedämpften Tagesdurchlichtung des Pavillons erscheinen diese Exponate keineswegs „magisch“ oder sonst wie irrational, sondern sind, was sie sind: Verdichtete Information.
Geschichte einer Dokumentation
Beim Besuch hat man nicht den Eindruck, dass es einer anderen, spektakuläreren Darstellung bedurft hätte. Wer den Weg von der Straße zur Dokumentation hinuntersteigt und dabei an den Fundamentmauern der NS-Einrichtungen vorbeigeht, wer durch ein Waldstück weiter hinunter zu den Grundmauern des 1952 von der US Army gesprengten „Berghofs“ Hitlers geht, der hat mit Sicherheit ein offenes Auge für die Brisanz des Terrains.
Das Projekt kam zustande, als die Vereinigten Staaten das 1945 bombardierte und seither in ihrer Armeeverwaltung befindliche Gelände 1995 dem Freistaat Bayern übergaben. Die schwierige Frage des angemessenen Umgangs damit (ein Verkauf, womöglich an
Nazinostalgiker, kam nicht in Frage) wurde durch Vergaben in Erbpacht gelöst, so dass der Freistaat bei unerwünschten Betriebsformen die Güter auch wieder einziehen kann. Ein Ort jedoch, und hier fiel die Wahl auf die Ruine des „Gästehauses Hoher Göll“, sollte der objektiven Information über die Geschichte des Berges dienen, auf dem vor 1933 auch Arthur Schnitzler und Sigmund Freud Sommerfrischen verlebt hatten.
Das für Staatsliegenschaften zuständige Finanzministerium entschloss sich jedoch nicht, wie die Berliner bei ihrer Topographie des Terrors (Informationsräume über den Ruinen des „Reichssicherheitshauptamtes“), zu einer künstlerischen Diskussion, sondern plante in Eigenregie den Dokumentationspavillon. Wie immer man zu dieser Vorgangsweise stehen mag - fest steht, dass auf diese Weise rasch ein inzwischen sehr gut besuchter, eindringlicher Informationsort entstanden ist.
Ausbau folgt
Manko oder Bestätigung - der Raum ist bereits zu eng und so trägt man sich mit dem Gedanken, im nahegelegenen ehemaligen „Plattnerhof“, dem ersten Tourismusbetrieb am Ort, der nach 1945 den Amerikanern als Erholungsheim diente und eigentlich abgebrochen werden sollte, eine Erweiterung um Seminarräume einzurichten. Auch hier sollen historische Bauschichten (Jahrhundertwende, NS-Zeit, US-Zeit) klar erfassbar freigelegt werden. Die einfache Demonstration bei gleichzeitiger begleitender Dokumentation ist auch hier das Mittel der Wahl - und womöglich effizienter als anspruchsvollere künstlerische Interpretationen.
Keine Inszenierung
Auch Nicht-Architekten unter den Besuchern - und auf die kommt es schließlich an - wird auf den ersten Blick klar, dass die steinernen Erdgeschoßmauern von Hitlers „Gästehaus Hoher Göll“ von einer eindeutig zeitgenössischen Holz-Glas-Konstruktion mit Satteldach gleichsam kritisch kommentiert werden. Auf weitergehende Architektureffekte wurde zugunsten der präzisen Ausstellung des renommierten Münchner Instituts für Zeitgeschichte bewusst verzichtet.
Der einfache und in vielerlei Hinsicht funktionierende Entwurf stammt nicht aus der Feder eines Stararchitekten, sondern - vom Staatlichen Hochbauamt Traunstein. Ein Beleg für die Vermutung, dass das Unsägliche eben nicht nur mit Symbolen, sondern auch mit nüchternen Dokumentationen in unprätentiösen Bauformeln eindringlich vergegenwärtigt werden kann.
Die Probleme des Feuilletons
Sarkastische Feuilletonberichte zeigen die Unfähigkeit des Milieus, sich aus der wichtigeren Sicht der Nutzer, statt bloß jener der bauenden Zeichensetzer und Kunstschreiber mit der heiklen Materie auseinander zu setzen. Besonders die „Süddeutsche“ ließ diesbezüglich keine Platitude aus. Sie illustriert damit aber nur die herrschende Ratlosigkeit angesichts der offensichtlichen Verzichtbarkeit auf theatralische Inszenierungen für sachliche Dokumentationen im Kontext eines Täterorts.
Schlichte Aufbereitung
Die Dokumentationsstelle ist keine auf spektakuläre Formen hin angelegte Überwältigungsinszenierung, sondern eine schlichte bauliche Hülle (in den Abmessungen des zerstörten Vorgängerbaus), in der kompakt und kritisch die Geschichte des Orts und jene des Regimes referiert wird - übrigens begleitet von den wohl besten zur Zeit erhältlichen Kurzdarstellungen in Buchform über „Die tödliche Utopie“ (von Horst Möller, Volker Dahm und Hartmut Mehringer) und den „Obersalzberg, das Kehlsteinhaus und Adolf Hitler“ (von Ernst Hanisch).
Die Einrichtung der Ausstellung vom Münchner Büro Claus + Forster bespielt das „filigrane“ Volumen auf zwei Ebenen in einer nicht weniger unaufgeregten Haltung: Architekturmodelle der zahlreichen Nazibauten am Obersalzberg sind hier ebenso zu sehen wie Fotos, Videos, reproduzierte Dokumente und Originalgegenstände. In der von Holzlamellenwänden leicht gedämpften Tagesdurchlichtung des Pavillons erscheinen diese Exponate keineswegs „magisch“ oder sonst wie irrational, sondern sind, was sie sind: Verdichtete Information.
Geschichte einer Dokumentation
Beim Besuch hat man nicht den Eindruck, dass es einer anderen, spektakuläreren Darstellung bedurft hätte. Wer den Weg von der Straße zur Dokumentation hinuntersteigt und dabei an den Fundamentmauern der NS-Einrichtungen vorbeigeht, wer durch ein Waldstück weiter hinunter zu den Grundmauern des 1952 von der US Army gesprengten „Berghofs“ Hitlers geht, der hat mit Sicherheit ein offenes Auge für die Brisanz des Terrains.
Das Projekt kam zustande, als die Vereinigten Staaten das 1945 bombardierte und seither in ihrer Armeeverwaltung befindliche Gelände 1995 dem Freistaat Bayern übergaben. Die schwierige Frage des angemessenen Umgangs damit (ein Verkauf, womöglich an
Nazinostalgiker, kam nicht in Frage) wurde durch Vergaben in Erbpacht gelöst, so dass der Freistaat bei unerwünschten Betriebsformen die Güter auch wieder einziehen kann. Ein Ort jedoch, und hier fiel die Wahl auf die Ruine des „Gästehauses Hoher Göll“, sollte der objektiven Information über die Geschichte des Berges dienen, auf dem vor 1933 auch Arthur Schnitzler und Sigmund Freud Sommerfrischen verlebt hatten.
Das für Staatsliegenschaften zuständige Finanzministerium entschloss sich jedoch nicht, wie die Berliner bei ihrer Topographie des Terrors (Informationsräume über den Ruinen des „Reichssicherheitshauptamtes“), zu einer künstlerischen Diskussion, sondern plante in Eigenregie den Dokumentationspavillon. Wie immer man zu dieser Vorgangsweise stehen mag - fest steht, dass auf diese Weise rasch ein inzwischen sehr gut besuchter, eindringlicher Informationsort entstanden ist.
Ausbau folgt
Manko oder Bestätigung - der Raum ist bereits zu eng und so trägt man sich mit dem Gedanken, im nahegelegenen ehemaligen „Plattnerhof“, dem ersten Tourismusbetrieb am Ort, der nach 1945 den Amerikanern als Erholungsheim diente und eigentlich abgebrochen werden sollte, eine Erweiterung um Seminarräume einzurichten. Auch hier sollen historische Bauschichten (Jahrhundertwende, NS-Zeit, US-Zeit) klar erfassbar freigelegt werden. Die einfache Demonstration bei gleichzeitiger begleitender Dokumentation ist auch hier das Mittel der Wahl - und womöglich effizienter als anspruchsvollere künstlerische Interpretationen.
Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at
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