Artikel
Baumeister des Bundes
Günter Behnisch und die deutsche Demokratie
1. Februar 2001 - Oliver Herwig
Günter Behnisch zählt zu den bekanntesten deutschen Architekten. Wie kaum ein anderer Baumeister gestaltete der heute 78-Jährige die Symbole der alten Bundesrepublik: das Münchner Olympiastadion - Zeichen der «heiteren Spiele» - sowie das gläserne Parlament in Bonn. Beide Bauwerke sind von der Kommerzialisierung bedroht.
«Wir wollen mehr Demokratie wagen.» Dieser Satz von Willy Brandt gilt auch für Günter Behnisch. Doch wenn der 78-jährige Architekt über den Umbau des Münchner Olympiastadions spricht, schwingt Erschöpfung mit in der Stimme. Die auf 400 Million Mark geschätzte Baumassnahme sei architektonisch möglich, aber darüber dürfe das Symbol der Olympischen Spiele nicht verloren gehen. Genau hier liegt das Problem. Nicht nur für den Architekten, sondern für eine ganze Stadt, die ihren Vorzeigebau für die anstehende Fussball-WM radikal erneuern will. Ist es ein Sakrileg, die wenigen grossen Zeichen der alten Bundesrepublik zu verändern? Oder lebt ein Denkmal nur dann, wenn es sich wandelt?
Die Frontlinien der Diskussion um Münchens Olympiastadion sind nicht klar auszumachen. Keineswegs stehen sich Traditionalisten und Progressive, Denkmalschützer und Fussballfans klar gegenüber. Ein Volksbegehren versucht die Entscheidung für einen Umbau zu kippen. Der Ausgang ist ungewiss. Seit im Oktober 1995 Fussballkaiser Beckenbauer das damals 23 Jahre alte Stadion verbal zum Abbruch freigab, wurden zahllose Expertenrunden abgehalten. Drei Umbauvarianten bestimmten bisher die Debatten: «Ring-», «Schüssel-» und «Konsensmodell». Doch selbst Letzteres ist seit dem 6. Dezember nur noch Makulatur. Da erklärte ausgerechnet Manfred Sabatke, Partner im Stuttgarter Architekturbüro Behnisch: «Wir können den Kritiken am sogenannten Konsensmodell nicht in allen Punkten widersprechen.» Diese Äusserung brachte die ohnehin angespannte Situation zur Explosion. Von einer «Bombe» sprachen Lokalpolitiker; das Konsensmodell sei nun «erledigt». Doch welchen Wert besitzt ein «Konsensmodell», zu dem die Bürger noch gar nicht befragt wurden?
Wichtiger als der Aspekt der ästhetischen und technischen Probleme ist für Behnisch die Frage, ob das Stadion künftig «eine Geldmaschine wird oder wenigstens noch ein bisschen von der freiheitlichen, offenen Anlage bleibt», die es einmal war. Behnisch hätte die Mittel, einen Umbau zu verhindern. Doch beim Hinweis auf sein Urheberrecht winkt er ab: «Das ist nicht dazu da, dass man Bauherrschaften zwingt, irgendetwas anders zu machen.» Im Übrigen sei es nicht Aufgabe der Architekten, «die Politik davon abzuhalten, das Stadion zu aktualisieren». Auch wenn Behnisch den Ball an die Politiker zurückspielt, bleibt er mit in der Verantwortung für sein Lebenswerk. Fast dreissig Jahre nach den «heiteren Spielen» von 1972 ist den politisch Verantwortlichen das Lachen vergangen. Nach wie vor steht Behnisch bereit zum Umbau, um wenigstens dafür zu sorgen, «dass keine allzu grossen Dummheiten passieren», auch wenn es ihm bei diesem Gedanken nicht wohl zu sein scheint.
Transparenz und Demokratie
Schon Anfang der siebziger Jahre hatte das Büro Behnisch einen der vier ersten Preise erhalten für die Umgestaltung des Regierungsprovisoriums in Bonn. Der gebürtige Sachse gruppierte die Bundesbauten als ringförmige Bürokomplexe rund um das Abgeordnetenhochhaus «Langer Eugen». Wie bei seinem Münchner Geniestreich flutete Landschaft in und um den Komplex. Behnisch hatte «Situationsarchitektur» im Sinn: «Das Ziel ist nicht das Haus, das Gebäude, sondern die zu schaffende Situation», erklärte er damals. Diese gelte es «zu verdeutlichen, zu verstärken, zu erhöhen oder, in weniger glücklichen Fällen: neu zu schaffen».
Kulminationspunkt der Parkanlage war das Parlament: kreisrund, eine Art moderner Tafelrunde, wo die Parlamentarier wenn nicht als Brüder, so doch als Gleichberechtigte zusammenkommen sollten. Aber erst zwei Jahrzehnte später wurde die Vision Wirklichkeit. 1992 sorgte der gläserne Bundestag für Furore. Und für einen Streit um das richtige, das angemessene Bauen für die Demokratie. Die einfache Formel «Glas gleich Transparenz gleich Demokratie», die in der Debatte oft zu hören war, hält auch Behnisch für zu kurz gegriffen. Dennoch gehört gerade der transparente Bonner Bundestag, der Einblicke nach innen gewährt und Sichtachsen nach aussen schafft, zu seinen grossen Arbeiten. «Das hat uns viel bedeutet, und wir haben versucht, das Wesentliche der Demokratie in Architektur zu übertragen», meint Behnisch, der mit der neuen Nutzung des Bonner Bundestags als kommerzielle Kongresshalle seine Probleme hat. Denn am 1. November 1999 übernahm das «Maritim Bonn» durch einen Pacht- und Managementvertrag die Bewirtschaftung des Saals. Ein wohl einmaliger Fall. Was bedeutet es, wenn Parlamentsgebäude profaniert werden? «Sie werden noch eine Zeit ihren symbolischen Wert behalten, vor allem da sie gut dokumentiert sind», meint zumindest der Baumeister. Und dann? Werte lassen sich Gebäuden nicht einfach zuschreiben, und doch verkörpern sie ihre Zeit erstaunlich präzise.
Es ist viel geschehen im letzten Jahrzehnt. Die Mitte der Republik ist geographisch nach Osten gewandert. Im märkischen Sand Berlins stehen die Symbole des neuen Deutschland: Axel Schultes' kraftmeierisches Kanzleramt, das allmählich der Vollendung entgegengeht, und Norman Fosters kühl gestalteter Reichstag. Ende Oktober kam ein weiteres monumentales Zeichen hinzu, Eduardo Chillidas 90 Tonnen schwere Stahlplastik «Berlin», welche die Nachfolge von Henry Moores «Large Forms» antrat. Das Modell einer bescheidenen, betont supranationalen Wacht am Rhein, Adenauers Erbe, das erst auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders nach Repräsentation jenseits des Provisorischen suchte, ist in der grossen Geste nicht mehr zu erkennen.
Offenheit und Vielschichtigkeit
Berlin und Behnisch, das ist eine durchaus reizvolle Kombination. Für den Wahl-Stuttgarter aber auch eine heikle, «weil die Bauverwaltung versucht hat, Tradition aus dem preussischen Bauen heraus weiterzuführen». Und rasch fügt Behnisch hinzu: «Nach unserer Geschichte geht das gar nicht mehr. Deshalb haben wir uns als Büro geweigert, diese Stein-Architektur zu machen.» Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg am Pariser Platz setzt dem Berliner Steinkult ein Spiel sich überlagernder Ebenen entgegen, die von einem geradezu exzessiven Glasanteil ins rechte Licht gesetzt werden. Die steinerne Stadt der dreissiger Jahre, die nun weitergeschrieben wird, ist für Behnisch eine Schreckensvision. Und wieder taucht der Münchner Olympiapark auf, nicht als Gegenmodell zur Urbanität, sondern als Zeichen eines Miteinanders von Grün und Landschaft, einer Offenheit, die viele seiner Bauten auszeichnet.
Offenheit und Vielschichtigkeit sind geradezu Voraussetzungen für Behnisch, der bisweilen eher «als Kritiker und Manager» denn als Planer bezeichnet wurde. Er und seine wechselnden Partner bildeten keine Schule, keinen dominanten Stil. Im Vordergrund standen Einzelbauten, individuelle Lösungen im jeweiligen Kontext, eine Haltung, die auch in Repräsentationsbauten wie dem gläsernen Parlament als «heitere Demokratie» wahrgenommen wurde. Inmitten seines vom Willen zur Qualität geprägten Arbeitens weist Behnisch nur eines weit von sich: «Wir traten nicht mit der Absicht an, Symbole zu schaffen. Es wurden einfach Symbole.» Und diese sind heute in Gefahr.
«Wir wollen mehr Demokratie wagen.» Dieser Satz von Willy Brandt gilt auch für Günter Behnisch. Doch wenn der 78-jährige Architekt über den Umbau des Münchner Olympiastadions spricht, schwingt Erschöpfung mit in der Stimme. Die auf 400 Million Mark geschätzte Baumassnahme sei architektonisch möglich, aber darüber dürfe das Symbol der Olympischen Spiele nicht verloren gehen. Genau hier liegt das Problem. Nicht nur für den Architekten, sondern für eine ganze Stadt, die ihren Vorzeigebau für die anstehende Fussball-WM radikal erneuern will. Ist es ein Sakrileg, die wenigen grossen Zeichen der alten Bundesrepublik zu verändern? Oder lebt ein Denkmal nur dann, wenn es sich wandelt?
Die Frontlinien der Diskussion um Münchens Olympiastadion sind nicht klar auszumachen. Keineswegs stehen sich Traditionalisten und Progressive, Denkmalschützer und Fussballfans klar gegenüber. Ein Volksbegehren versucht die Entscheidung für einen Umbau zu kippen. Der Ausgang ist ungewiss. Seit im Oktober 1995 Fussballkaiser Beckenbauer das damals 23 Jahre alte Stadion verbal zum Abbruch freigab, wurden zahllose Expertenrunden abgehalten. Drei Umbauvarianten bestimmten bisher die Debatten: «Ring-», «Schüssel-» und «Konsensmodell». Doch selbst Letzteres ist seit dem 6. Dezember nur noch Makulatur. Da erklärte ausgerechnet Manfred Sabatke, Partner im Stuttgarter Architekturbüro Behnisch: «Wir können den Kritiken am sogenannten Konsensmodell nicht in allen Punkten widersprechen.» Diese Äusserung brachte die ohnehin angespannte Situation zur Explosion. Von einer «Bombe» sprachen Lokalpolitiker; das Konsensmodell sei nun «erledigt». Doch welchen Wert besitzt ein «Konsensmodell», zu dem die Bürger noch gar nicht befragt wurden?
Wichtiger als der Aspekt der ästhetischen und technischen Probleme ist für Behnisch die Frage, ob das Stadion künftig «eine Geldmaschine wird oder wenigstens noch ein bisschen von der freiheitlichen, offenen Anlage bleibt», die es einmal war. Behnisch hätte die Mittel, einen Umbau zu verhindern. Doch beim Hinweis auf sein Urheberrecht winkt er ab: «Das ist nicht dazu da, dass man Bauherrschaften zwingt, irgendetwas anders zu machen.» Im Übrigen sei es nicht Aufgabe der Architekten, «die Politik davon abzuhalten, das Stadion zu aktualisieren». Auch wenn Behnisch den Ball an die Politiker zurückspielt, bleibt er mit in der Verantwortung für sein Lebenswerk. Fast dreissig Jahre nach den «heiteren Spielen» von 1972 ist den politisch Verantwortlichen das Lachen vergangen. Nach wie vor steht Behnisch bereit zum Umbau, um wenigstens dafür zu sorgen, «dass keine allzu grossen Dummheiten passieren», auch wenn es ihm bei diesem Gedanken nicht wohl zu sein scheint.
Transparenz und Demokratie
Schon Anfang der siebziger Jahre hatte das Büro Behnisch einen der vier ersten Preise erhalten für die Umgestaltung des Regierungsprovisoriums in Bonn. Der gebürtige Sachse gruppierte die Bundesbauten als ringförmige Bürokomplexe rund um das Abgeordnetenhochhaus «Langer Eugen». Wie bei seinem Münchner Geniestreich flutete Landschaft in und um den Komplex. Behnisch hatte «Situationsarchitektur» im Sinn: «Das Ziel ist nicht das Haus, das Gebäude, sondern die zu schaffende Situation», erklärte er damals. Diese gelte es «zu verdeutlichen, zu verstärken, zu erhöhen oder, in weniger glücklichen Fällen: neu zu schaffen».
Kulminationspunkt der Parkanlage war das Parlament: kreisrund, eine Art moderner Tafelrunde, wo die Parlamentarier wenn nicht als Brüder, so doch als Gleichberechtigte zusammenkommen sollten. Aber erst zwei Jahrzehnte später wurde die Vision Wirklichkeit. 1992 sorgte der gläserne Bundestag für Furore. Und für einen Streit um das richtige, das angemessene Bauen für die Demokratie. Die einfache Formel «Glas gleich Transparenz gleich Demokratie», die in der Debatte oft zu hören war, hält auch Behnisch für zu kurz gegriffen. Dennoch gehört gerade der transparente Bonner Bundestag, der Einblicke nach innen gewährt und Sichtachsen nach aussen schafft, zu seinen grossen Arbeiten. «Das hat uns viel bedeutet, und wir haben versucht, das Wesentliche der Demokratie in Architektur zu übertragen», meint Behnisch, der mit der neuen Nutzung des Bonner Bundestags als kommerzielle Kongresshalle seine Probleme hat. Denn am 1. November 1999 übernahm das «Maritim Bonn» durch einen Pacht- und Managementvertrag die Bewirtschaftung des Saals. Ein wohl einmaliger Fall. Was bedeutet es, wenn Parlamentsgebäude profaniert werden? «Sie werden noch eine Zeit ihren symbolischen Wert behalten, vor allem da sie gut dokumentiert sind», meint zumindest der Baumeister. Und dann? Werte lassen sich Gebäuden nicht einfach zuschreiben, und doch verkörpern sie ihre Zeit erstaunlich präzise.
Es ist viel geschehen im letzten Jahrzehnt. Die Mitte der Republik ist geographisch nach Osten gewandert. Im märkischen Sand Berlins stehen die Symbole des neuen Deutschland: Axel Schultes' kraftmeierisches Kanzleramt, das allmählich der Vollendung entgegengeht, und Norman Fosters kühl gestalteter Reichstag. Ende Oktober kam ein weiteres monumentales Zeichen hinzu, Eduardo Chillidas 90 Tonnen schwere Stahlplastik «Berlin», welche die Nachfolge von Henry Moores «Large Forms» antrat. Das Modell einer bescheidenen, betont supranationalen Wacht am Rhein, Adenauers Erbe, das erst auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders nach Repräsentation jenseits des Provisorischen suchte, ist in der grossen Geste nicht mehr zu erkennen.
Offenheit und Vielschichtigkeit
Berlin und Behnisch, das ist eine durchaus reizvolle Kombination. Für den Wahl-Stuttgarter aber auch eine heikle, «weil die Bauverwaltung versucht hat, Tradition aus dem preussischen Bauen heraus weiterzuführen». Und rasch fügt Behnisch hinzu: «Nach unserer Geschichte geht das gar nicht mehr. Deshalb haben wir uns als Büro geweigert, diese Stein-Architektur zu machen.» Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg am Pariser Platz setzt dem Berliner Steinkult ein Spiel sich überlagernder Ebenen entgegen, die von einem geradezu exzessiven Glasanteil ins rechte Licht gesetzt werden. Die steinerne Stadt der dreissiger Jahre, die nun weitergeschrieben wird, ist für Behnisch eine Schreckensvision. Und wieder taucht der Münchner Olympiapark auf, nicht als Gegenmodell zur Urbanität, sondern als Zeichen eines Miteinanders von Grün und Landschaft, einer Offenheit, die viele seiner Bauten auszeichnet.
Offenheit und Vielschichtigkeit sind geradezu Voraussetzungen für Behnisch, der bisweilen eher «als Kritiker und Manager» denn als Planer bezeichnet wurde. Er und seine wechselnden Partner bildeten keine Schule, keinen dominanten Stil. Im Vordergrund standen Einzelbauten, individuelle Lösungen im jeweiligen Kontext, eine Haltung, die auch in Repräsentationsbauten wie dem gläsernen Parlament als «heitere Demokratie» wahrgenommen wurde. Inmitten seines vom Willen zur Qualität geprägten Arbeitens weist Behnisch nur eines weit von sich: «Wir traten nicht mit der Absicht an, Symbole zu schaffen. Es wurden einfach Symbole.» Und diese sind heute in Gefahr.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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