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Zweckorientierter Liebeshandel
Neuanfang im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt
13. Februar 2001 - Karin Leydecker
Es nennt sich stolz Deutsches Architekturmuseum; und noch immer gilt es als das führende Haus der Architekturvermittlung im deutschsprachigen Raum. Doch Berlin und Wien drohen dem Frankfurter Institut den Rang abzulaufen. Nun will es die neue Direktorin, Ingeborg Flagge, baulich und inhaltlich auf Vordermann bringen.
Es war so wie immer bei einer Vernissage im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main: Man sass auf harten quadratischen Stühlen im quadratischen Saal, lustwandelte unter dem milchigen Glashimmel der «Piazza» im Erdgeschoss, und man ass und trank. Nur eine Kleinigkeit war diesmal anders: Es gab kein Licht, und es gab auch keine Ausstellung. Die neue Direktorin Ingeborg Flagge hatte zum «Fest im Dunkeln» geladen, um bei Kerzenschimmer und experimentellen Klängen den ersten Sanierungsabschnitt des maroden Hauses gebührend zu feiern. Und das hat seinen Grund: Als Flagge im vergangenen Sommer das Ruder im DAM ergriff, übernahm sie einen «Palazzo Brösel», der seit Jahren nur noch notdürftig über Wasser gehalten wurde. Die Stadt Frankfurt, die so stolz auf ihre Wolkenkratzer ist, hat ihr Architekturmuseum finanziell an den Tropf gehängt. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel! Deshalb machte die neue Direktorin das DAM erst einmal zu. Bis Anfang März wird die Inkunabel des metaphysischen Rationalismus wieder auf Hochglanz poliert. Natürlich sollen alle diesen Glanz sehen: scheibchenweise, peu à peu! Aus diesem Grund hat Ingeborg Flagge die Goethe'sche Parole ausgegeben: «Saure Wochen, frohe Feste!»
Architektur pur
Bis im März der reguläre Ausstellungsbetrieb wieder anläuft, zeigt das Museum jedes Wochenende quasi als Zustandsbeschreibung sein neues altes Gesicht und öffnet sich mit Inszenierungen aus Wort, Licht und Musik. Das «Fest im Dunkeln» war der Auftakt. Das Erdgeschoss und das Auditorium präsentieren sich nun endlich wieder so, wie ihr Schöpfer Oswald Mathias Ungers es einst wollte: weiss, kühl und streng, geplant nach den «erhabenen Gesetzen der Geometrie» (Ungers). Architektur pur: als Museum unpraktisch, als Kunstwerk aber wunderschön. Und so sollen es alles wieder sehen lernen.
Inzwischen setzt die «Baustelle DAM» ein klares Zeichen: «Hier bewegt sich wieder was!» Die Richtung ist klar: weg vom Arkadien für Architekten und hin zu einer öffentlichen baukünstlerischen Spielwiese. Inszenierungen werden deshalb wieder eine zentrale Rolle spielen. «Baukunst verständlich und spannend erklären», heisst die Devise. Dabei will man der computergesteuerten «Fun»-Gesellschaft von heute entgegengehen. Die Gründerjahre unter Heinrich Klotz, der das DAM zur Pilgerstätte einer ganzen Architektengeneration machte und in genialer Mischung aus Kunst und Kommerz das Volk zu architektonischen Kaffeekränzchen versammelte, scheinen wieder aufzuleben. Natürlich wird es auch weiterhin die «kleinen, feinen Ausstellungen» mit Reformkost für Insider gehen, aber mit architektonischer Nabelschau ist jetzt Schluss. Das DAM will «populär» und «didaktisch» werden. «Architektur ist unsere dritte Haut», sagt Flagge, und deshalb «wichtig für alle». Deshalb wird auch die Dauerausstellung - mit Dioramen «Von der Urhütte zum Wolkenkratzer» ergänzt - wiedereröffnet. Flagges Vorgänger, Vittorio M. Lampugnani und Wilfried Wang, hatten dieses architektonische Phantasieland wegen mangelnder Wissenschaftlichkeit schamhaft versteckt.
Das oberste Gebot jeder Ausstellung lautet von nun an «Konzentration und Reduktion». Eine thematische Ausstellung darf nicht wie bisher durch Material erschlagen, sondern muss im kleinen Rundgang durch das Erdgeschoss und das erste Stockwerk «belehren und beleben». Flagge bringt es auf einen einfachen Nenner: «Wir müssen hier Werbung machen für Architektur.» Und Werbung ist nun mal eine Sache der schnellen und prägnanten Bilder, die primär ein junges Publikum ansprechen sollen und nicht mehr nur die Fünfzigjährigen. Ein Café soll Leben ins Haus bringen, und es wird auch einen Museumsshop geben. «Konsum» heisst das Zauberwort. Deshalb soll sich das vierte Obergeschoss mit der poetischen «Haus im Haus»-Metapher in eine Architekturgalerie mit wechselndem jungem Programm verwandeln. Hochschulimpressionen und Traumfabrik - eine bunte Mischung für ein buntes Publikum. Das klingt aufregend, aber es birgt auch die Gefahr der Wundertüte: viel drin, aber alles nur Ramsch!
Neue Inhalte
Workshops, Sommerakademien und eine rege interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft sollen für eine Öffnung des DAM sorgen. Die neuen Inhalte sind klar: Die Architekturhistoriographie rückt in die zweite Reihe, im Brennpunkt steht das aktuelle Architekturgeschehen. Nicht nur die internationalen Stars werden hier durchdekliniert, sondern primär «lebende Architekten mit Konzepten, über die es sich zu diskutieren lohnt». Als ganz grosses Thema sieht Flagge das Werden von Architektur. Im Zentrum soll der Entwurf per Computer stehen, denn «seit 15 Jahren ist CAD Realität, aber das DAM hat das bisher einfach nicht zur Kenntnis genommen». Peter Cachola Schmal, der neue Mann im DAM-Team, der seit Oktober letzten Jahres an die Stelle der Historikerin Romana Schneider gerückt ist, wird dieses Feld beackern. Er ist Architekt mit Praxiserfahrung, und man kennt ihn als renommierten Architekturkritiker mit besten Drähten zur jungen Szene. Sein Début ist die für Mai geplante Ausstellung «Digital Real-Blobmeister» mit den ersten gebauten Projekten virtueller Imagination.
Diese Thematik bietet Zündstoff, denn sie fragt nach dem Selbstverständnis des Architekten von heute: Kann er immer noch Baukünstler sein, oder führt er nur noch Fertigprogramme aus? Drängende Fragen und Stoff für viele kontroverse Ausstellungen eines DAM, dessen Stimme wieder international Gewicht haben soll. Flagge weiss, dass dies nur gelingen kann, wenn die verwandten Disziplinen der Architektur - Design, Kunst, Physik, Wahrnehmungsästhetik, Psychologie und Philosophie - mit beleuchtet werden. Es gilt, mutig die unzähligen Knoten im dicht gewebten Architekturteppich zu lösen, zu analysieren und zu einem sinnfälligen Muster zu ordnen. Wie schwer und gefährlich das sein kann, musste bereits Lampugnani erleben, der damals nach Klotz die Amtsgeschäfte im DAM übernahm und der es wagte, am Lack der Moderne zu kratzen.
Doch Ingeborg Flagge ist optimistisch. Sie fürchtet die Berliner Konkurrenz nicht und hat auch «keine Angst vor den Inhalten». Das Programm bis Ende nächsten Jahres steht: Sie wird den Architekturzeichner Helmut Jacoby präsentieren, sie will mit Giuseppe Terragni, Ernst May und Emil Steffann die Qualitäten der Moderne inszenieren, sie träumt von «Bauen mit Licht», von einer «Museumswerkstatt» mit Thomas Herzog und sucht «40 junge Architekten unter 40». Das klingt gut - für den Anfang jedenfalls.
Finanzierungsschwierigkeiten
Jetzt müssen nur noch die Finanzen stimmen. Die Gespräche mit Bundesfinanzminister Eichel um ein «echtes» Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt am Main liegen momentan auf Eis. Und die Stadt Frankfurt als verantwortliche öffentliche Geldgeberin will zwar nicht, dass sich die neue Direktorin «im Betteln um Etats verschleissen muss», hält aber dennoch den Geldbeutel zu: Gerade einmal 800 000 Mark rückte sie zum ersten Sanierungsabschnitt des Hauses heraus. Den Rest - nochmals 800 000 Mark - musste das DAM selbst auftreiben.
Diese Stadt ist in Sachen Baukultur unbelehrbar! Und weil daran nichts zu ändern ist, arbeitet Flagge gemeinsam mit einer Kölner Unternehmensberatung an einem massgeschneiderten Sponsoringkonzept für eine langfristige Liaison zwischen DAM und Wirtschaftsunternehmen. Aber Vorsicht: Bei einem zweckorientierten Liebeshandel zahlt der Schwächere gerne drauf!
Es war so wie immer bei einer Vernissage im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main: Man sass auf harten quadratischen Stühlen im quadratischen Saal, lustwandelte unter dem milchigen Glashimmel der «Piazza» im Erdgeschoss, und man ass und trank. Nur eine Kleinigkeit war diesmal anders: Es gab kein Licht, und es gab auch keine Ausstellung. Die neue Direktorin Ingeborg Flagge hatte zum «Fest im Dunkeln» geladen, um bei Kerzenschimmer und experimentellen Klängen den ersten Sanierungsabschnitt des maroden Hauses gebührend zu feiern. Und das hat seinen Grund: Als Flagge im vergangenen Sommer das Ruder im DAM ergriff, übernahm sie einen «Palazzo Brösel», der seit Jahren nur noch notdürftig über Wasser gehalten wurde. Die Stadt Frankfurt, die so stolz auf ihre Wolkenkratzer ist, hat ihr Architekturmuseum finanziell an den Tropf gehängt. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel! Deshalb machte die neue Direktorin das DAM erst einmal zu. Bis Anfang März wird die Inkunabel des metaphysischen Rationalismus wieder auf Hochglanz poliert. Natürlich sollen alle diesen Glanz sehen: scheibchenweise, peu à peu! Aus diesem Grund hat Ingeborg Flagge die Goethe'sche Parole ausgegeben: «Saure Wochen, frohe Feste!»
Architektur pur
Bis im März der reguläre Ausstellungsbetrieb wieder anläuft, zeigt das Museum jedes Wochenende quasi als Zustandsbeschreibung sein neues altes Gesicht und öffnet sich mit Inszenierungen aus Wort, Licht und Musik. Das «Fest im Dunkeln» war der Auftakt. Das Erdgeschoss und das Auditorium präsentieren sich nun endlich wieder so, wie ihr Schöpfer Oswald Mathias Ungers es einst wollte: weiss, kühl und streng, geplant nach den «erhabenen Gesetzen der Geometrie» (Ungers). Architektur pur: als Museum unpraktisch, als Kunstwerk aber wunderschön. Und so sollen es alles wieder sehen lernen.
Inzwischen setzt die «Baustelle DAM» ein klares Zeichen: «Hier bewegt sich wieder was!» Die Richtung ist klar: weg vom Arkadien für Architekten und hin zu einer öffentlichen baukünstlerischen Spielwiese. Inszenierungen werden deshalb wieder eine zentrale Rolle spielen. «Baukunst verständlich und spannend erklären», heisst die Devise. Dabei will man der computergesteuerten «Fun»-Gesellschaft von heute entgegengehen. Die Gründerjahre unter Heinrich Klotz, der das DAM zur Pilgerstätte einer ganzen Architektengeneration machte und in genialer Mischung aus Kunst und Kommerz das Volk zu architektonischen Kaffeekränzchen versammelte, scheinen wieder aufzuleben. Natürlich wird es auch weiterhin die «kleinen, feinen Ausstellungen» mit Reformkost für Insider gehen, aber mit architektonischer Nabelschau ist jetzt Schluss. Das DAM will «populär» und «didaktisch» werden. «Architektur ist unsere dritte Haut», sagt Flagge, und deshalb «wichtig für alle». Deshalb wird auch die Dauerausstellung - mit Dioramen «Von der Urhütte zum Wolkenkratzer» ergänzt - wiedereröffnet. Flagges Vorgänger, Vittorio M. Lampugnani und Wilfried Wang, hatten dieses architektonische Phantasieland wegen mangelnder Wissenschaftlichkeit schamhaft versteckt.
Das oberste Gebot jeder Ausstellung lautet von nun an «Konzentration und Reduktion». Eine thematische Ausstellung darf nicht wie bisher durch Material erschlagen, sondern muss im kleinen Rundgang durch das Erdgeschoss und das erste Stockwerk «belehren und beleben». Flagge bringt es auf einen einfachen Nenner: «Wir müssen hier Werbung machen für Architektur.» Und Werbung ist nun mal eine Sache der schnellen und prägnanten Bilder, die primär ein junges Publikum ansprechen sollen und nicht mehr nur die Fünfzigjährigen. Ein Café soll Leben ins Haus bringen, und es wird auch einen Museumsshop geben. «Konsum» heisst das Zauberwort. Deshalb soll sich das vierte Obergeschoss mit der poetischen «Haus im Haus»-Metapher in eine Architekturgalerie mit wechselndem jungem Programm verwandeln. Hochschulimpressionen und Traumfabrik - eine bunte Mischung für ein buntes Publikum. Das klingt aufregend, aber es birgt auch die Gefahr der Wundertüte: viel drin, aber alles nur Ramsch!
Neue Inhalte
Workshops, Sommerakademien und eine rege interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft sollen für eine Öffnung des DAM sorgen. Die neuen Inhalte sind klar: Die Architekturhistoriographie rückt in die zweite Reihe, im Brennpunkt steht das aktuelle Architekturgeschehen. Nicht nur die internationalen Stars werden hier durchdekliniert, sondern primär «lebende Architekten mit Konzepten, über die es sich zu diskutieren lohnt». Als ganz grosses Thema sieht Flagge das Werden von Architektur. Im Zentrum soll der Entwurf per Computer stehen, denn «seit 15 Jahren ist CAD Realität, aber das DAM hat das bisher einfach nicht zur Kenntnis genommen». Peter Cachola Schmal, der neue Mann im DAM-Team, der seit Oktober letzten Jahres an die Stelle der Historikerin Romana Schneider gerückt ist, wird dieses Feld beackern. Er ist Architekt mit Praxiserfahrung, und man kennt ihn als renommierten Architekturkritiker mit besten Drähten zur jungen Szene. Sein Début ist die für Mai geplante Ausstellung «Digital Real-Blobmeister» mit den ersten gebauten Projekten virtueller Imagination.
Diese Thematik bietet Zündstoff, denn sie fragt nach dem Selbstverständnis des Architekten von heute: Kann er immer noch Baukünstler sein, oder führt er nur noch Fertigprogramme aus? Drängende Fragen und Stoff für viele kontroverse Ausstellungen eines DAM, dessen Stimme wieder international Gewicht haben soll. Flagge weiss, dass dies nur gelingen kann, wenn die verwandten Disziplinen der Architektur - Design, Kunst, Physik, Wahrnehmungsästhetik, Psychologie und Philosophie - mit beleuchtet werden. Es gilt, mutig die unzähligen Knoten im dicht gewebten Architekturteppich zu lösen, zu analysieren und zu einem sinnfälligen Muster zu ordnen. Wie schwer und gefährlich das sein kann, musste bereits Lampugnani erleben, der damals nach Klotz die Amtsgeschäfte im DAM übernahm und der es wagte, am Lack der Moderne zu kratzen.
Doch Ingeborg Flagge ist optimistisch. Sie fürchtet die Berliner Konkurrenz nicht und hat auch «keine Angst vor den Inhalten». Das Programm bis Ende nächsten Jahres steht: Sie wird den Architekturzeichner Helmut Jacoby präsentieren, sie will mit Giuseppe Terragni, Ernst May und Emil Steffann die Qualitäten der Moderne inszenieren, sie träumt von «Bauen mit Licht», von einer «Museumswerkstatt» mit Thomas Herzog und sucht «40 junge Architekten unter 40». Das klingt gut - für den Anfang jedenfalls.
Finanzierungsschwierigkeiten
Jetzt müssen nur noch die Finanzen stimmen. Die Gespräche mit Bundesfinanzminister Eichel um ein «echtes» Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt am Main liegen momentan auf Eis. Und die Stadt Frankfurt als verantwortliche öffentliche Geldgeberin will zwar nicht, dass sich die neue Direktorin «im Betteln um Etats verschleissen muss», hält aber dennoch den Geldbeutel zu: Gerade einmal 800 000 Mark rückte sie zum ersten Sanierungsabschnitt des Hauses heraus. Den Rest - nochmals 800 000 Mark - musste das DAM selbst auftreiben.
Diese Stadt ist in Sachen Baukultur unbelehrbar! Und weil daran nichts zu ändern ist, arbeitet Flagge gemeinsam mit einer Kölner Unternehmensberatung an einem massgeschneiderten Sponsoringkonzept für eine langfristige Liaison zwischen DAM und Wirtschaftsunternehmen. Aber Vorsicht: Bei einem zweckorientierten Liebeshandel zahlt der Schwächere gerne drauf!
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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