Artikel
Ein poetischer Grenzgänger
Ausstellung Alessandro Mendini in Vicenza
2. März 2001 - Irene Meier
Der unkonventionelle Architekt und Designer Alessandro Mendini zeigt sich in Vicenza als Gestalter von grosser Konsequenz. In seinem Schaffen strebt er nicht danach, neue Formen zu erfinden, sondern Alltagsgegenständen eine neue Seele einzuhauchen.
In der Schaufensterauslage einer schönen alten Pasticceria in Vicenza begegnet man der Miniatur des pointillistisch dekorierten «Proust-Sessels» von Alessandro Mendini inmitten von Gebäck und Schokolade. Vor dem historischen Café Garibaldi auf der Piazza dei Signori, dem Hauptplatz der Stadt, steht eine bunte Mosaikstele und in der Loggia del Capitaniato, einem Spätwerk von Palladio, ein Porsche, den ein buntes geometrisches Muster unregelmässig überzieht. Beides sind Werke von Mendini, der dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Aus diesem Grund ehrt ihn Vicenza gegenwärtig in der Basilica Palladiana mit einer umfassenden Retrospektive.
Die Melancholie des Gestalters
Mehr als 130 Objekte aus dreissig Jahren reihen sich wie auf einer Bühne im Halbkreis unter dem hohen, an einen Schiffsbug erinnernden Dachstuhl der Basilica. Es sind Möbel, Leuchten, Haushaltgeräte, Uhren, Vasen, Teppiche, Architekturmodelle, Zeitschriften, grossformatige, mit Autolack ausgeführte Gemälde und ganze Wohnszenerien: Mendini bewegt sich in der Tat «tra le arti», wie schon der Untertitel der Ausstellung verheisst. Alle Objekte leuchten bunt und sind von auffälligen Dekorationen überzogen - inspiriert vom Pointillismus, vom Futurismus, vom tschechischen Kubismus, von Kandinsky, aber auch vom Kitsch der fünfziger Jahre. Mendini mischt alles unbekümmert und stösst damit unweigerlich auf heftige Ablehnung oder auf glühende Anerkennung.
Was bei einem isoliert betrachteten Objekt Mendinis befremdend wirken kann, beeindruckt im Überblick. Mit grosser Konsequenz verfolgt er das Prinzip der Dekoration seit über dreissig Jahren in seiner Tätigkeit als Designer, Architekt und Firmenberater u. a. von Alessi und von Swatch. Als einflussreicher Chefredaktor von Zeitschriften wie «Domus» und «Casabella» hat er dieses Prinzip theoretisch untermauert. So schrieb er 1981 im Manifest der von ihm initiierten Designergruppe Alchimia: «Es existiert heute keine Originalität mehr. Die Erfindung neuer Formen wird ersetzt durch die Variationen an Dekorationen und Oberflächen. Das Design ist Re-Design. Entwerfen ist Dekorieren.»
Im Zeichen von «Re-Design» setzte er schon 1978 einem banalen Alltagssofa schnittige Formen auf, die Gemälden von Kandinsky entliehen waren. Design-Ikonen wie den Sessel «Wassily» von Marcel Breuer verfremdete er in seiner «Bauhaus-Kollektion» 1979 mit bunten Wolkenstrukturen, und dem berühmten Stuhl «Superleggera» von Gio Ponti verlieh er Flügel in Form aufgesetzter Fähnchen. Die Rückenlehne des «Zig-Zag»-Stuhles von Rietveld verlängerte er in einer Kreuzform, so dass er an eine Art Bischofsthron oder an ein gezacktes Grabkreuz erinnert.
Ironie ist eine treibende Kraft für Mendini. Sie ist bei ihm gepaart mit einer tiefen Melancholie, die aus der Erkenntnis resultiert, dass alles schon gemacht worden ist. Mendini reagiert spielerisch auf diese Situation: Die Alltagsgegenstände werden zu Spielzeugen, an denen man sich wie ein Kind erfreut und die so etwas Poesie ins graue Dasein und in die Monotonie der Arbeit bringen. Einem Zapfenzieher gibt Mendini einen Frauenkopf und gestaltet seinen Körper wie einen bunten Faltenrock. Einer seiner neusten Würfe ist der «Cioccolator», eine Rechenmaschine in der gar nicht so absurden Form einer Schokoladetafel. Man rechnet, indem man auf die in weichem Plastic gehaltenen Schokoquadrate tippt - und freut sich über die zum Spiel gewordene Arbeit.
Sowohl in der Produktegestaltung wie in der Architektur arbeitet Mendini, der seit 1989 in Mailand mit seinem Bruder das Studio Mendini betreibt, ganz bewusst mit anderen Designern, Künstlern und Architekten zusammen. Als künstlerischer Berater von Alessi initiierte er beispielsweise 1992 die Serie «100% Make-up», für die er selber eine Vase entwarf und 100 Persönlichkeiten, darunter namhafte Künstler und Architekten, einlud, diese zu dekorieren. So entstand eine limitierte Edition von insgesamt 10 000 Vasen. Sie sind heute Sammelobjekte. Als Art Director von Swatch konnte er diese Idee auch für ein kommerziell orientiertes Industrieprojekt anwenden. Die gleiche Uhr hatte ihren stets neuen Auftritt allein dank den wechselnden Dekorationen, deren Urheber in der Regel anonym blieben.
Architektur als Collage
Für Swatch gestaltete er auch das Grundkonzept für die weltweiten Shops; und im Auftrag von Alberto Alessi konzipierte er die Casa della Felicità (1983-1988). Dabei entwarf er ein Grundkonzept und betraute daraufhin befreundete Architekten wie Aldo Rossi, Ettore Sottsass und Riccardo Dalisi mit der Ausführung eines jeweils in sich unabhängigen Trakts. Dasselbe Prinzip wandte er erneut beim Museum in Groningen (1988-1994) an, wo er den Eingangsbereich selber gestaltete, für die einzelnen, als Gebäude in sich abgeschlossenen Abteilungen aber internationale Baukünstler und Designer wie Coop Himmelblau, Michele de Lucchi und Philippe Starck beauftragte. Entstanden ist eine ungewöhnliche Architektur-Collage. Mendinis neuste architektonische Arbeiten umfassen die Neugestaltung der Tore und Passagen des Maghetti-Viertels in Lugano sowie des Parks der Villa comunale in Neapel. Ausserdem harren die Projekte für zwei neue Metrostationen in Neapel und für einen Flügel der Stazione Termini der Realisierung.
Alessandro Mendini hat die Konsequenzen des reproduzierbaren Kunstwerkes, wie es Walter Benjamin formulierte, in neu durchdachter Weise auf den industriell gefertigten Gebrauchsgegenstand übertragen. Er überlagert diesen mit Kunst und gibt ihm so neben einem neuen Aussehen eine neue Seele - was letztlich einer Gratwanderung gleichkommt. Mendini lässt sich bewusst auf keine Stilrichtung festlegen. Die attraktive Ausstellung in Vicenza zeigt seinen ungewöhnlichen Weg exemplarisch auf.
[Bis 25. März in Vicenza, danach vom 10. April bis zum 30. Juni im Palacio Real de Pedralbes, Barcelona, und vom 19. August bis zum 21. Oktober im Westfälischen Landesmuseum, Münster. Katalog: Alessandro Mendini. Cose, progetti, architetture. Hrsg. Peter Weiss. Electa, Milano 2001. 200 S., Lit. 80 000.-.]
In der Schaufensterauslage einer schönen alten Pasticceria in Vicenza begegnet man der Miniatur des pointillistisch dekorierten «Proust-Sessels» von Alessandro Mendini inmitten von Gebäck und Schokolade. Vor dem historischen Café Garibaldi auf der Piazza dei Signori, dem Hauptplatz der Stadt, steht eine bunte Mosaikstele und in der Loggia del Capitaniato, einem Spätwerk von Palladio, ein Porsche, den ein buntes geometrisches Muster unregelmässig überzieht. Beides sind Werke von Mendini, der dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Aus diesem Grund ehrt ihn Vicenza gegenwärtig in der Basilica Palladiana mit einer umfassenden Retrospektive.
Die Melancholie des Gestalters
Mehr als 130 Objekte aus dreissig Jahren reihen sich wie auf einer Bühne im Halbkreis unter dem hohen, an einen Schiffsbug erinnernden Dachstuhl der Basilica. Es sind Möbel, Leuchten, Haushaltgeräte, Uhren, Vasen, Teppiche, Architekturmodelle, Zeitschriften, grossformatige, mit Autolack ausgeführte Gemälde und ganze Wohnszenerien: Mendini bewegt sich in der Tat «tra le arti», wie schon der Untertitel der Ausstellung verheisst. Alle Objekte leuchten bunt und sind von auffälligen Dekorationen überzogen - inspiriert vom Pointillismus, vom Futurismus, vom tschechischen Kubismus, von Kandinsky, aber auch vom Kitsch der fünfziger Jahre. Mendini mischt alles unbekümmert und stösst damit unweigerlich auf heftige Ablehnung oder auf glühende Anerkennung.
Was bei einem isoliert betrachteten Objekt Mendinis befremdend wirken kann, beeindruckt im Überblick. Mit grosser Konsequenz verfolgt er das Prinzip der Dekoration seit über dreissig Jahren in seiner Tätigkeit als Designer, Architekt und Firmenberater u. a. von Alessi und von Swatch. Als einflussreicher Chefredaktor von Zeitschriften wie «Domus» und «Casabella» hat er dieses Prinzip theoretisch untermauert. So schrieb er 1981 im Manifest der von ihm initiierten Designergruppe Alchimia: «Es existiert heute keine Originalität mehr. Die Erfindung neuer Formen wird ersetzt durch die Variationen an Dekorationen und Oberflächen. Das Design ist Re-Design. Entwerfen ist Dekorieren.»
Im Zeichen von «Re-Design» setzte er schon 1978 einem banalen Alltagssofa schnittige Formen auf, die Gemälden von Kandinsky entliehen waren. Design-Ikonen wie den Sessel «Wassily» von Marcel Breuer verfremdete er in seiner «Bauhaus-Kollektion» 1979 mit bunten Wolkenstrukturen, und dem berühmten Stuhl «Superleggera» von Gio Ponti verlieh er Flügel in Form aufgesetzter Fähnchen. Die Rückenlehne des «Zig-Zag»-Stuhles von Rietveld verlängerte er in einer Kreuzform, so dass er an eine Art Bischofsthron oder an ein gezacktes Grabkreuz erinnert.
Ironie ist eine treibende Kraft für Mendini. Sie ist bei ihm gepaart mit einer tiefen Melancholie, die aus der Erkenntnis resultiert, dass alles schon gemacht worden ist. Mendini reagiert spielerisch auf diese Situation: Die Alltagsgegenstände werden zu Spielzeugen, an denen man sich wie ein Kind erfreut und die so etwas Poesie ins graue Dasein und in die Monotonie der Arbeit bringen. Einem Zapfenzieher gibt Mendini einen Frauenkopf und gestaltet seinen Körper wie einen bunten Faltenrock. Einer seiner neusten Würfe ist der «Cioccolator», eine Rechenmaschine in der gar nicht so absurden Form einer Schokoladetafel. Man rechnet, indem man auf die in weichem Plastic gehaltenen Schokoquadrate tippt - und freut sich über die zum Spiel gewordene Arbeit.
Sowohl in der Produktegestaltung wie in der Architektur arbeitet Mendini, der seit 1989 in Mailand mit seinem Bruder das Studio Mendini betreibt, ganz bewusst mit anderen Designern, Künstlern und Architekten zusammen. Als künstlerischer Berater von Alessi initiierte er beispielsweise 1992 die Serie «100% Make-up», für die er selber eine Vase entwarf und 100 Persönlichkeiten, darunter namhafte Künstler und Architekten, einlud, diese zu dekorieren. So entstand eine limitierte Edition von insgesamt 10 000 Vasen. Sie sind heute Sammelobjekte. Als Art Director von Swatch konnte er diese Idee auch für ein kommerziell orientiertes Industrieprojekt anwenden. Die gleiche Uhr hatte ihren stets neuen Auftritt allein dank den wechselnden Dekorationen, deren Urheber in der Regel anonym blieben.
Architektur als Collage
Für Swatch gestaltete er auch das Grundkonzept für die weltweiten Shops; und im Auftrag von Alberto Alessi konzipierte er die Casa della Felicità (1983-1988). Dabei entwarf er ein Grundkonzept und betraute daraufhin befreundete Architekten wie Aldo Rossi, Ettore Sottsass und Riccardo Dalisi mit der Ausführung eines jeweils in sich unabhängigen Trakts. Dasselbe Prinzip wandte er erneut beim Museum in Groningen (1988-1994) an, wo er den Eingangsbereich selber gestaltete, für die einzelnen, als Gebäude in sich abgeschlossenen Abteilungen aber internationale Baukünstler und Designer wie Coop Himmelblau, Michele de Lucchi und Philippe Starck beauftragte. Entstanden ist eine ungewöhnliche Architektur-Collage. Mendinis neuste architektonische Arbeiten umfassen die Neugestaltung der Tore und Passagen des Maghetti-Viertels in Lugano sowie des Parks der Villa comunale in Neapel. Ausserdem harren die Projekte für zwei neue Metrostationen in Neapel und für einen Flügel der Stazione Termini der Realisierung.
Alessandro Mendini hat die Konsequenzen des reproduzierbaren Kunstwerkes, wie es Walter Benjamin formulierte, in neu durchdachter Weise auf den industriell gefertigten Gebrauchsgegenstand übertragen. Er überlagert diesen mit Kunst und gibt ihm so neben einem neuen Aussehen eine neue Seele - was letztlich einer Gratwanderung gleichkommt. Mendini lässt sich bewusst auf keine Stilrichtung festlegen. Die attraktive Ausstellung in Vicenza zeigt seinen ungewöhnlichen Weg exemplarisch auf.
[Bis 25. März in Vicenza, danach vom 10. April bis zum 30. Juni im Palacio Real de Pedralbes, Barcelona, und vom 19. August bis zum 21. Oktober im Westfälischen Landesmuseum, Münster. Katalog: Alessandro Mendini. Cose, progetti, architetture. Hrsg. Peter Weiss. Electa, Milano 2001. 200 S., Lit. 80 000.-.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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