Artikel
Aufbruch im Ländle
Neue Tendenzen in der Architektur Liechtensteins
6. April 2001 - Beat Aeberhard
Trotz seiner Lage zwischen den beiden bedeutenden Architekturregionen Vorarlberg und Graubünden konnte sich in Liechtenstein bis anhin keine vorbildliche Baukultur entwickeln. Doch nun werden in dem von einem beispiellosen Bauboom geprägten Kleinstaat erste Konturen einer sich etablierenden Architekturszene erkennbar.
Vaduz mit seinem hoch über dem Tal thronenden Fürstenschloss ist ein viel besuchtes Touristenziel. Doch die Kleinstadt ist längst kein Postkarten- oder Briefmarkensujet mehr, denn mit der Anhäufung von sterilen Geschäftsbauten bietet sie vor allem einen Querschnitt durch die Abgründe der gesichtslosen Spekulationsarchitektur der letzten zwanzig Jahre. Der Wochenendbesucher verharrt denn auch etwas ratlos auf der zentralen Aeulestrasse vor der gähnenden Leere von Tiefgarageneinfahrten und der Tristesse geschlossener Jalousien in den darüber liegenden Bürogeschossen. Der expandierende Bankenplatz braucht Raum, und es verblüfft, wie die pseudoalpenländische Idylle zusehends einer kleinen Downtown amerikanischen Zuschnitts weicht. In Vaduz haben die andernorts längst überholten städtebaulichen Postulate der sechziger Jahre, die den Abbruch der vorhandenen Stadt vorsahen, um diese durch die neue, bessere Stadt zu ersetzen, nach wie vor ihre Gültigkeit. Dies mag daran liegen, dass dem Ort mit seinen gut 5000 Einwohnern historisch kaum städtische Qualitäten attestiert werden können. Der Boom der Finanzdienstleistungsbranche, wachsende Verdichtung und die hohen Bodenpreise haben den Ersatz der dörflichen Bausubstanz durch grossmassstäbliche Strukturen zur Folge. Das andernorts selbstverständliche Begehren, das Vorhandene in seiner Geschichtlichkeit zu respektieren und im Hinblick auf neue Bedürfnisse und Werte zu transformieren, wird hier nicht einmal geäussert.
Verstädterte Landschaft
Die liechtensteinische Baukultur war während Jahrhunderten geprägt von der einfachen Bauaufgabe des Wohnhauses mit Stall. Im verarmten Bauernland blieben die kompakten Dörfer bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend intakt. Die starke wirtschaftliche Entwicklung und der dadurch ausgelöste Strukturwandel vom landwirtschaftlich dominierten Land zum modernen Finanzzentrum verursachten einen grundlegenden Wandel: Die dichten Dorfgefüge wucherten allmählich zu weitläufigen Streusiedlungen aus, die grosse Teile der Rheinebene und der Hanggebiete erfassten. Der Wohlstand entfesselte eine zügellose Bauorgie. Die banalen Verwaltungsbauten und die weitläufigen, mit Einfamilienhäusern übersäten Hänge wirken bisweilen wie Baumarktkollektionen und verweisen auf die Selbstverwirklichungsansprüche ihrer Erbauer. Es ist viel Geld im Land. Der jahrzehntelange Wirtschaftsaufschwung hat die Leute verändert und Menschen aus dem Ausland angezogen. Der kulturelle Unterschied zwischen den weitgereisten, oft im Ausland ausgebildeten jüngeren Nutzniessern des Aufschwungs und ihren Grosseltern ist eklatant.
Einen eigentlichen Kulturschock vor allem für die ältere Generation löste der eigenwillige Solitär des im letzten November fertiggestellten Kunstmuseums in Vaduz (NZZ 11. 11. 00) aus. Dieser schwarze Monolith ist gleichzeitig aber auch ein charakteristischer Ausdruck der veränderten neuen Gesellschaft. Dem Architektenteam Morger & Degelo und Kerez ist ein Gebäude gelungen, das mit seiner minimalistischen Form radikal ins Allerlei des Kontextes einbricht. Trotzdem fügt es sich mit seinen das Licht und die Nachbarbauten reflektierenden, fein geschliffenen Betonflächen offenbar mühelos in die bestehende Baustruktur ein. Vaduz hat eine Preziose erhalten, die erstmals die - faktisch längst vollzogene - gesellschaftliche Wandlung von der ländlichen zur städtischen Kultur auf architektonischer Ebene ebenso subtil wie eindringlich transponiert.
Zierstück in der Einöde
Ausser dem vielbeachteten Kunstmuseum entstanden in den letzten Jahren in aller Stille einige durchaus bedeutende Bauten in der «Agglomeration Liechtenstein». Ein zentrales Verdienst kommt dabei dem Liechtensteiner Hochbauamt zu. Hätte sich sein oberster Vertreter, Landesbaumeister Walter Walch, in den vergangenen dreissig Jahren nicht beharrlich gegen die weitere Zersiedelung der Landschaft und für mehr Verantwortungsbewusstsein der Bauherren bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes eingesetzt, so wären die heute von der öffentlichen Hand zwingend durchzuführenden Wettbewerbe kaum denkbar. Seit Liechtensteins Beitritt zum EWR im Jahre 1995 und der damit einhergehenden Öffnung zu Europa werden die Wettbewerbe immer öfter mit internationaler Beteiligung durchgeführt. Vermehrt bauen seither Ausländer in Liechtenstein. Die einheimischen Architekten sehen sich einer starken Konkurrenz ausgesetzt, und insbesondere die jüngeren sind willens, den Tendenzen in der Deutschschweiz und in Vorarlberg nachzueifern und im Aufbau einer eigenständigen Baukultur zu reüssieren.
Der in Schaan arbeitende Ivan Cavegn etwa erstellte in Zusammenarbeit mit Franz Marok im Zentrum von Eschen ein bemerkenswertes Gebäude für die Post mit darüber liegenden Alterswohnungen. Der zur Strasse hin mit seiner vollständig verglasten Fassade etwas abweisend wirkende Kubus überrascht mit einer in Holz und Glas ausgeführten, subtil ausformulierten Südfront, deren tiefe Loggien eine hohe Lebensqualität verheissen. Ein eingeschossiger Querarm, der die öffentlichen Bereiche der Poststelle beinhaltet, definiert den noch zu schaffenden Platzraum und sucht den Bezug zur Kirche. Das Architektenteam überzeugt durch den präzise placierten Baukörper im Kontext des alten Dorfzentrums sowie durch die saubere und konsequente Materialisierung: Das vollständig verglaste Erdgeschoss etwa ist umhüllt von leichten, drehbaren Metalllamellen, die zum einen dem geforderten Sicherheitsaspekt entsprechen, zum anderen einen wünschenswerten Sicht- und Sonnenschutz bieten.
Internationale Stars und junge Füchse
Ein weiterer Faktor beeinflusst das Baugeschehen: Stararchitektur liegt im Trend. Die international tätigen Finanzgesellschaften haben erkannt, dass qualitätvolles Bauen weit mehr als nur Büroflächen bereitzustellen vermag. Architektur wird vermehrt zum Imagefaktor, dessen sich die zum Teil um ihre Reputation besorgten Finanzgesellschaften gerne bedienen. Etwas Kultur hat schliesslich noch nie geschadet. Zwei private Architekturwettbewerbe erkoren letzthin die Projekte von Hans Hollein aus Wien und von David Chipperfield aus London. Hollein antwortet bei seinem Entwurf für den Neubau der Centrumsbank in Vaduz mit einem selbstreferenziellen Solitär auf die heterogene Umgebung. Der organisch geschwungene Baukörper zeigt eine Tendenz auf, die bisweilen in der narzisstischen Selbstdarstellung des Privaten im öffentlichen Raum gipfelt. Holleins Interesse gilt nicht dem Kontext, sondern dem Objekt und dem Detail.
Anders präsentierte sich die Ausgangslage für Chipperfield: Seine Aufgabe ist die Umgestaltung und Erweiterung eines ehemals herrschaftlichen Gutshofes in Schaan, bei dem es sich um eine wertvolle, unter Denkmalschutz stehende Anlage handelt. Um einer weiteren Zerstückelung des weitläufigen Areals vorzubeugen, liess der Grundeigentümer einen von der Denkmalpflege begleiteten Architekturwettbewerb durchführen. Chipperfield, der sich der historischen Bedeutung des Objekts bewusst ist, sieht den Erhalt des Ensembles und eine bauliche Erweiterung in zeitgemässer Architektursprache vor. Leider kann das Projekt nicht umgesetzt werden, weil die Gemeinde die Ausnahmebewilligung - unter der etwas abstrusen Begründung, die Ausnützungsziffer werde überschritten - nicht erteilen mag.
Einige private Bauherren haben es gewagt, ungewöhnliche Projekte in Auftrag zu geben. Bearth & Deplazes aus Chur errichteten 1998 ein winkelförmiges Einfamilienhaus aus Sichtbeton in Triesen. Der minimalistische, unaufgeregte Bau in schöner Aussichtslage am Hang besticht durch die sich dem Betrachter offenbarenden Themen, deren Reichtum aus einer konsequenten Reduktion resultiert. Die skulpturalen Häuser des Vorarlberger Duos Baumschlager & Eberle in Vaduz und Schaan suchen dagegen den offensichtlichen Kontrast zur Biederkeit der Umgebung. Vorkragende, übereinander gestapelte Betonkuben hinterlassen einen starken Eindruck.
Neben den etablierten Schweizern und Vorarlbergern gelang es auch einer jungen Generation ortsansässiger Architekten, mit ersten Privathäusern auf sich aufmerksam zu machen. Einer ähnlich direkten Sprache wie Baumschlager & Eberle bedienen sich Thomas Keller und Richard Brander. Ihr spektakulär auskragendes Mehrfamilienhaus in Nendeln verblüfft durch seine äusserst karge Sprache. Das Material spricht für sich selbst: Ein Holzhaus ist ein Holzhaus. Das in seiner Breite mit den unteren Geschossen identische Attikageschoss wird zurückgeschoben, wodurch zur einen Seite eine Dachterrasse gewonnen wird und zur gegenüberliegenden die abenteuerliche Auskragung entsteht.
Die Vorgehensweise der Architekten muss geradezu als kühn bezeichnet werden, und ihre etwas ältere Überbauung in Triesen zeigt, dass zuweilen ein schmaler Grat über Triumph oder Misslingen entscheidet: Die auf eine provokative Art das Einfache zelebrierenden Wohnhäuser drohen ins Banale abzugleiten.
Pragmatischer gehen Markus Freund und Camillo Fehr vor. Die beiden Architekten vom Büro Effeff haben bereits einige bemerkenswerte Holzhäuser gebaut, wobei sie auch ökologischen Belangen gerecht zu werden suchen. Beim Grenzübergang in Ruggell-Nofels erstellten sie eine Zollstation als offenes Tor, das den Blick in die österreichische Nachbarschaft weitet und dadurch eine klare Haltung bezüglich der politischen Grosswetterlage einer zusammenwachsenden europäischen Grenzregion offenbart. Lattenroste verkleiden sowohl die Wände wie auch ein ausgedehntes, schwebendes Dach. Bereits beim Bau des Schulhauses in Triesenberg, das sie in Zusammenarbeit mit Hubert Ospelt 1992 bis 1994 errichteten, benutzten sie Holz. Die Verwendung von Holzschindeln für die Fassadenverkleidung und von Natursteinen für das Mauerwerk verweist auf die regionale Bautradition. Vor allem das Wohnhaus des Abwarts besticht durch seine kräftige Form und durch die bereits nachgedunkelten Holzschindeln, die das Bild einer geglückten Einpassung in den Hang evozieren. Subversiv wirkt hingegen die irritierende Grösse des Schulhauskomplexes an exponierter Hanglage.
Verheissungsvolle Aussichten
Liechtenstein gilt nicht als bedeutende Architekturregion. Eine verstädterte Landschaft einerseits und eine erfreuliche Offenheit gegenüber neuen Tendenzen anderseits verheissen indessen eine interessante Entwicklung. Das Wettbewerbswesen hat durch die gezielte Förderung der öffentlichen Hand zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen geführt, und vermehrt anerkennen auch private Bauherren den Nutzen des Architekturwettbewerbs. Es gibt sie, die Architekten, die an der Gestaltung der zahlreichen Bauaufgaben teilnehmen und aufzeigen, wie zunehmend schwierigere Anforderungen mit klaren städtebaulichen und architektonischen Vorstellungen vereinbart werden können. Die Hoffnungen sind daher nicht unbegründet, dass in Zukunft vermehrt von gelungenen baukünstlerischen Resultaten aus dem Fürstentum zu berichten sein wird und sich im kleinen Land mit grossem finanziellem Potenzial allmählich eine eigenständige regionale Architekturkultur entwickeln wird.
Vaduz mit seinem hoch über dem Tal thronenden Fürstenschloss ist ein viel besuchtes Touristenziel. Doch die Kleinstadt ist längst kein Postkarten- oder Briefmarkensujet mehr, denn mit der Anhäufung von sterilen Geschäftsbauten bietet sie vor allem einen Querschnitt durch die Abgründe der gesichtslosen Spekulationsarchitektur der letzten zwanzig Jahre. Der Wochenendbesucher verharrt denn auch etwas ratlos auf der zentralen Aeulestrasse vor der gähnenden Leere von Tiefgarageneinfahrten und der Tristesse geschlossener Jalousien in den darüber liegenden Bürogeschossen. Der expandierende Bankenplatz braucht Raum, und es verblüfft, wie die pseudoalpenländische Idylle zusehends einer kleinen Downtown amerikanischen Zuschnitts weicht. In Vaduz haben die andernorts längst überholten städtebaulichen Postulate der sechziger Jahre, die den Abbruch der vorhandenen Stadt vorsahen, um diese durch die neue, bessere Stadt zu ersetzen, nach wie vor ihre Gültigkeit. Dies mag daran liegen, dass dem Ort mit seinen gut 5000 Einwohnern historisch kaum städtische Qualitäten attestiert werden können. Der Boom der Finanzdienstleistungsbranche, wachsende Verdichtung und die hohen Bodenpreise haben den Ersatz der dörflichen Bausubstanz durch grossmassstäbliche Strukturen zur Folge. Das andernorts selbstverständliche Begehren, das Vorhandene in seiner Geschichtlichkeit zu respektieren und im Hinblick auf neue Bedürfnisse und Werte zu transformieren, wird hier nicht einmal geäussert.
Verstädterte Landschaft
Die liechtensteinische Baukultur war während Jahrhunderten geprägt von der einfachen Bauaufgabe des Wohnhauses mit Stall. Im verarmten Bauernland blieben die kompakten Dörfer bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend intakt. Die starke wirtschaftliche Entwicklung und der dadurch ausgelöste Strukturwandel vom landwirtschaftlich dominierten Land zum modernen Finanzzentrum verursachten einen grundlegenden Wandel: Die dichten Dorfgefüge wucherten allmählich zu weitläufigen Streusiedlungen aus, die grosse Teile der Rheinebene und der Hanggebiete erfassten. Der Wohlstand entfesselte eine zügellose Bauorgie. Die banalen Verwaltungsbauten und die weitläufigen, mit Einfamilienhäusern übersäten Hänge wirken bisweilen wie Baumarktkollektionen und verweisen auf die Selbstverwirklichungsansprüche ihrer Erbauer. Es ist viel Geld im Land. Der jahrzehntelange Wirtschaftsaufschwung hat die Leute verändert und Menschen aus dem Ausland angezogen. Der kulturelle Unterschied zwischen den weitgereisten, oft im Ausland ausgebildeten jüngeren Nutzniessern des Aufschwungs und ihren Grosseltern ist eklatant.
Einen eigentlichen Kulturschock vor allem für die ältere Generation löste der eigenwillige Solitär des im letzten November fertiggestellten Kunstmuseums in Vaduz (NZZ 11. 11. 00) aus. Dieser schwarze Monolith ist gleichzeitig aber auch ein charakteristischer Ausdruck der veränderten neuen Gesellschaft. Dem Architektenteam Morger & Degelo und Kerez ist ein Gebäude gelungen, das mit seiner minimalistischen Form radikal ins Allerlei des Kontextes einbricht. Trotzdem fügt es sich mit seinen das Licht und die Nachbarbauten reflektierenden, fein geschliffenen Betonflächen offenbar mühelos in die bestehende Baustruktur ein. Vaduz hat eine Preziose erhalten, die erstmals die - faktisch längst vollzogene - gesellschaftliche Wandlung von der ländlichen zur städtischen Kultur auf architektonischer Ebene ebenso subtil wie eindringlich transponiert.
Zierstück in der Einöde
Ausser dem vielbeachteten Kunstmuseum entstanden in den letzten Jahren in aller Stille einige durchaus bedeutende Bauten in der «Agglomeration Liechtenstein». Ein zentrales Verdienst kommt dabei dem Liechtensteiner Hochbauamt zu. Hätte sich sein oberster Vertreter, Landesbaumeister Walter Walch, in den vergangenen dreissig Jahren nicht beharrlich gegen die weitere Zersiedelung der Landschaft und für mehr Verantwortungsbewusstsein der Bauherren bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes eingesetzt, so wären die heute von der öffentlichen Hand zwingend durchzuführenden Wettbewerbe kaum denkbar. Seit Liechtensteins Beitritt zum EWR im Jahre 1995 und der damit einhergehenden Öffnung zu Europa werden die Wettbewerbe immer öfter mit internationaler Beteiligung durchgeführt. Vermehrt bauen seither Ausländer in Liechtenstein. Die einheimischen Architekten sehen sich einer starken Konkurrenz ausgesetzt, und insbesondere die jüngeren sind willens, den Tendenzen in der Deutschschweiz und in Vorarlberg nachzueifern und im Aufbau einer eigenständigen Baukultur zu reüssieren.
Der in Schaan arbeitende Ivan Cavegn etwa erstellte in Zusammenarbeit mit Franz Marok im Zentrum von Eschen ein bemerkenswertes Gebäude für die Post mit darüber liegenden Alterswohnungen. Der zur Strasse hin mit seiner vollständig verglasten Fassade etwas abweisend wirkende Kubus überrascht mit einer in Holz und Glas ausgeführten, subtil ausformulierten Südfront, deren tiefe Loggien eine hohe Lebensqualität verheissen. Ein eingeschossiger Querarm, der die öffentlichen Bereiche der Poststelle beinhaltet, definiert den noch zu schaffenden Platzraum und sucht den Bezug zur Kirche. Das Architektenteam überzeugt durch den präzise placierten Baukörper im Kontext des alten Dorfzentrums sowie durch die saubere und konsequente Materialisierung: Das vollständig verglaste Erdgeschoss etwa ist umhüllt von leichten, drehbaren Metalllamellen, die zum einen dem geforderten Sicherheitsaspekt entsprechen, zum anderen einen wünschenswerten Sicht- und Sonnenschutz bieten.
Internationale Stars und junge Füchse
Ein weiterer Faktor beeinflusst das Baugeschehen: Stararchitektur liegt im Trend. Die international tätigen Finanzgesellschaften haben erkannt, dass qualitätvolles Bauen weit mehr als nur Büroflächen bereitzustellen vermag. Architektur wird vermehrt zum Imagefaktor, dessen sich die zum Teil um ihre Reputation besorgten Finanzgesellschaften gerne bedienen. Etwas Kultur hat schliesslich noch nie geschadet. Zwei private Architekturwettbewerbe erkoren letzthin die Projekte von Hans Hollein aus Wien und von David Chipperfield aus London. Hollein antwortet bei seinem Entwurf für den Neubau der Centrumsbank in Vaduz mit einem selbstreferenziellen Solitär auf die heterogene Umgebung. Der organisch geschwungene Baukörper zeigt eine Tendenz auf, die bisweilen in der narzisstischen Selbstdarstellung des Privaten im öffentlichen Raum gipfelt. Holleins Interesse gilt nicht dem Kontext, sondern dem Objekt und dem Detail.
Anders präsentierte sich die Ausgangslage für Chipperfield: Seine Aufgabe ist die Umgestaltung und Erweiterung eines ehemals herrschaftlichen Gutshofes in Schaan, bei dem es sich um eine wertvolle, unter Denkmalschutz stehende Anlage handelt. Um einer weiteren Zerstückelung des weitläufigen Areals vorzubeugen, liess der Grundeigentümer einen von der Denkmalpflege begleiteten Architekturwettbewerb durchführen. Chipperfield, der sich der historischen Bedeutung des Objekts bewusst ist, sieht den Erhalt des Ensembles und eine bauliche Erweiterung in zeitgemässer Architektursprache vor. Leider kann das Projekt nicht umgesetzt werden, weil die Gemeinde die Ausnahmebewilligung - unter der etwas abstrusen Begründung, die Ausnützungsziffer werde überschritten - nicht erteilen mag.
Einige private Bauherren haben es gewagt, ungewöhnliche Projekte in Auftrag zu geben. Bearth & Deplazes aus Chur errichteten 1998 ein winkelförmiges Einfamilienhaus aus Sichtbeton in Triesen. Der minimalistische, unaufgeregte Bau in schöner Aussichtslage am Hang besticht durch die sich dem Betrachter offenbarenden Themen, deren Reichtum aus einer konsequenten Reduktion resultiert. Die skulpturalen Häuser des Vorarlberger Duos Baumschlager & Eberle in Vaduz und Schaan suchen dagegen den offensichtlichen Kontrast zur Biederkeit der Umgebung. Vorkragende, übereinander gestapelte Betonkuben hinterlassen einen starken Eindruck.
Neben den etablierten Schweizern und Vorarlbergern gelang es auch einer jungen Generation ortsansässiger Architekten, mit ersten Privathäusern auf sich aufmerksam zu machen. Einer ähnlich direkten Sprache wie Baumschlager & Eberle bedienen sich Thomas Keller und Richard Brander. Ihr spektakulär auskragendes Mehrfamilienhaus in Nendeln verblüfft durch seine äusserst karge Sprache. Das Material spricht für sich selbst: Ein Holzhaus ist ein Holzhaus. Das in seiner Breite mit den unteren Geschossen identische Attikageschoss wird zurückgeschoben, wodurch zur einen Seite eine Dachterrasse gewonnen wird und zur gegenüberliegenden die abenteuerliche Auskragung entsteht.
Die Vorgehensweise der Architekten muss geradezu als kühn bezeichnet werden, und ihre etwas ältere Überbauung in Triesen zeigt, dass zuweilen ein schmaler Grat über Triumph oder Misslingen entscheidet: Die auf eine provokative Art das Einfache zelebrierenden Wohnhäuser drohen ins Banale abzugleiten.
Pragmatischer gehen Markus Freund und Camillo Fehr vor. Die beiden Architekten vom Büro Effeff haben bereits einige bemerkenswerte Holzhäuser gebaut, wobei sie auch ökologischen Belangen gerecht zu werden suchen. Beim Grenzübergang in Ruggell-Nofels erstellten sie eine Zollstation als offenes Tor, das den Blick in die österreichische Nachbarschaft weitet und dadurch eine klare Haltung bezüglich der politischen Grosswetterlage einer zusammenwachsenden europäischen Grenzregion offenbart. Lattenroste verkleiden sowohl die Wände wie auch ein ausgedehntes, schwebendes Dach. Bereits beim Bau des Schulhauses in Triesenberg, das sie in Zusammenarbeit mit Hubert Ospelt 1992 bis 1994 errichteten, benutzten sie Holz. Die Verwendung von Holzschindeln für die Fassadenverkleidung und von Natursteinen für das Mauerwerk verweist auf die regionale Bautradition. Vor allem das Wohnhaus des Abwarts besticht durch seine kräftige Form und durch die bereits nachgedunkelten Holzschindeln, die das Bild einer geglückten Einpassung in den Hang evozieren. Subversiv wirkt hingegen die irritierende Grösse des Schulhauskomplexes an exponierter Hanglage.
Verheissungsvolle Aussichten
Liechtenstein gilt nicht als bedeutende Architekturregion. Eine verstädterte Landschaft einerseits und eine erfreuliche Offenheit gegenüber neuen Tendenzen anderseits verheissen indessen eine interessante Entwicklung. Das Wettbewerbswesen hat durch die gezielte Förderung der öffentlichen Hand zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen geführt, und vermehrt anerkennen auch private Bauherren den Nutzen des Architekturwettbewerbs. Es gibt sie, die Architekten, die an der Gestaltung der zahlreichen Bauaufgaben teilnehmen und aufzeigen, wie zunehmend schwierigere Anforderungen mit klaren städtebaulichen und architektonischen Vorstellungen vereinbart werden können. Die Hoffnungen sind daher nicht unbegründet, dass in Zukunft vermehrt von gelungenen baukünstlerischen Resultaten aus dem Fürstentum zu berichten sein wird und sich im kleinen Land mit grossem finanziellem Potenzial allmählich eine eigenständige regionale Architekturkultur entwickeln wird.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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