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Kulturkampf an der Ruhr
Die IBA Emscher Park ein gutes Jahr nach ihrem Finale
6. April 2001 - Olaf Kaltenborn
Nur noch Schrott wäre wohl übrig vom Stahlwerk in Duisburg-Meiderich, vom Gasometer in Oberhausen, von der Kokerei der Zeche Zollverein in Essen oder der Jahrhunderthalle in Bochum, hätte es die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park nicht gegeben. Wobei der Begriff «Internationale Bauausstellung» nicht in Worte fasst, welche Evolution sich seit 1989 entlang dem Abwasser-Fluss Emscher im nördlichen Ruhrgebiet ereignet hat: Die längste Bauausstellung aller Zeiten - sie dauerte zehn Jahre - war weit mehr als eine blosse Werkschau zukunftsweisender Architektur. Sie war ein bis dahin beispielloses soziokulturelles und ökologisches Erneuerungsprojekt. Rettungsanker für eine Kulturlandschaft, der man wie den englischen Kohlerevieren noch vor 15 Jahren den sicheren Niedergang vorausgesagt hatte: ausgebrannt und ausgebeutet; mit Städten, in denen keiner mehr wohnen wollte, einer zerstörten Landschaft und mit desillusionierten, arbeitslosen Menschen. Seit der IBA ist das anders. Die Menschen haben wieder Mut gefasst. Was war das Erfolgsrezept?
Neue Inhalte für alte Bauten
Der IBA ist es gelungen, die ehemaligen grossindustriellen Arbeitsstätten mit neuen kulturellen und populären Inhalten zu füllen - sie gleichsam symbolisch neu zu besetzen. «Die IBA hat der Region ihre Würde zurückgegeben, die sie durch die Entindustrialisierung verloren hatte», sagt heute einer ihrer ehemaligen Direktoren, der Dortmunder Städtebauprofessor Peter Zlonicky. Zum Beispiel mit dem Gasometer in Oberhausen. Noch vor zwölf Jahren als Altlast einer untergegangenen Epoche zum Abriss freigegeben, ist er heute mit 118 Metern Höhe und fast 70 Metern Breite einer der grössten Ausstellungsräume der Welt. In der Bochumer Jahrhunderthalle findet alljährlich unter dem Titel «Musik im Industrieraum» ein industriekulturelles Musikfestival statt. Gar über ein veritables Weltkulturerbe in spe verfügt die Stadt Essen mit der Zeche Zollverein. Der Schwerpunkt lautet hier: neues Design. Der Populärkultur gewidmet ist hingegen der Landschaftspark Duisburg-Meiderich: Dort ist im Gasometer des alten Stahlwerks eine Tauchschule eingezogen. Die ehemaligen Kohlebunker nutzt der Alpenverein Duisburg als beste Kletterstrecke weit und breit.
Etwa fünf Milliarden Mark aus 30 verschiedenen Fördertöpfen hat das Team der IBA um seinen Geschäftsführer Karl Ganser in der Region verbaut. Doch weniger die Höhe dieser Summe beeindruckt als vielmehr die innovativen Kriterien, nach denen sie in insgesamt 120 Projekte investiert wurde. Im «Memorandum» von 1988 finden sich die beiden Leitprinzipien der IBA: «Projekte statt Programme» und «Pläne lernen von Projekten». Damit gemeint war die Abkehr von dem, was der Stadtplaner Helmut Siebel einmal als das «Gottvatermodell» in der Regional- und Stadtplanung bezeichnet hat: «Dabei wird ein Planungssubjekt vorausgesetzt, das allwissend, allgütig und allmächtig ist, das über alle Informationen und Machtmittel verfügt, jenseits von Gut und Böse handelt und gleichsam aus einer Tabula-rasa-Situation heraus eine neue Welt schafft», erklärt Siebel voller Ironie das Modell bisheriger Entwicklungsplanung. Statt weiter Gottvater zu spielen, hat die IBA als Tochter des Landes Nordrhein-Westfalen auf die eigenständige Vernetzungskraft ihrer Projekte gesetzt.
Dass ihr überhaupt die Macht zuwuchs, Veränderungen von solcher Tragweite anstossen zu können, verdankt sich ihrer besonderen Konstruktion: Sie war eine völlig eigenständige Gesellschaft, ausgestattet mit einem Budget, das auch für Politiker beinahe unantastbar war. Nur so war es möglich, etwas ganz Neues zu wagen und Projekte ohne die Gefahr von politischer Verwässerung entlang klarer Qualitätskriterien zu entwickeln. Jedes Einzelprojekt sollte gleichsam den gesamten IBA-Geist als «Pars pro Toto» verkörpern: Zeichenhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, ökologische Innovation, regionale Einbettung und Partizipation. Mit Projekten, die bewusst die Grenzen der 52 beteiligten Gemeinden überschritten, hat die IBA zudem versucht, ein regionales Bewusstsein zu fördern.
Wie bewirkt man Innovation in nicht innovativen Milieus? Das war die grösste Herausforderung, mit der sich die IBA 1989 konfrontiert sah. Wie begeistert man Menschen aus konservativen, hierarchisch geprägten Milieus der Schwerindustrie für Ziele wie Partizipation, Qualität und ökologische Innovation? Damit die IBA nicht zur Spezialveranstaltung von Intellektuellen wurde, nahm sie sich auch die Bergarbeitersiedlungen der Region vor. Ihre Sanierung erfolgte unter Beteiligung der Bewohner, deren Bedürfnisse genauso ernst genommen wurden wie der Denkmalschutz. Die Bewohner machten so eine neue Erfahrung: Einmischung lohnt sich. Um diesen soziokulturellen und planerischen Subtext der IBA geht es, wenn der Duisburger Regionalforscher Hans Heinrich Blotevogel rückblickend schwärmt: «Die IBA war die wichtigste Innovation, die wir hier seit Jahrzehnten hatten.» Auch deshalb, «weil sie die alte Planer- und Politikerriege der Kohle- und Stahlbetonfraktion in den Städten aufgebrochen hat. Vor allem jüngeren Experten hat sie geholfen, ihr Ideenpotenzial einzubringen.»
Ein gutes Jahr nach Ende der IBA - im November 2000 - drehte sich der Wind an der Ruhr schlagartig. Zlonicky spricht von einem «Wettersturz» in der Landespolitik, Blotevogel sieht «ein grosses Debakel», der Festivalleiter von «Musik im Industrieraum», Bojan Budisavljevic, drohte «aufzugeben», und der ehemalige IBA-Geschäftsführer Ganser hat sich grollend ins Saarland zurückgezogen, wo er eine neue IBA verwirklichen will - nicht ohne noch den Hinweis in Richtung der Landespolitik zu hinterlassen, sie sei dabei, «sein Lebenswerk zu zerstören».
Der Wettersturz und der Fall der IBA ins «publizistische Schwarze Loch» (Zlonicky) begann schon im Jahr ihres Finales, 1999, mit einem handfesten Streit um das Erbe. Ganser hatte als Nachfolgeorganisation eine Agentur Ruhr ins Gespräch gebracht. Ihre Aufgabe: das Erbe in Form eines Nationalparks Ruhrgebiet weiterentwickeln. Doch dann verweigerten die Kommunen Ganser die Gefolgschaft. Ein von interessierter Seite lanciertes Gutachten hatte sie aufgeschreckt: Die Agenturlösung sollte sie 110 Millionen Mark im Jahr kosten. Als auch die Landesregierung das Projekt fallenliess, war es gescheitert.
Kritik an der IBA
Dann kam der pompös inszenierte IBA-Schlusspunkt. Vom Finale versprach sich Ministerpräsident Wolfgang Clement Rückenwind für die bevorstehenden Kommunalwahlen im Spätherbst 1999. Sogar der Bundeskanzler kam an die Ruhr und lobte das Erreichte. Doch die Abstimmungen wurden für seine Partei zum Desaster: Die SPD verlor viele ihrer Hochburgen an die CDU und musste nach den herben Verlusten - besonders in den Kernstädten der IBA - befürchten, auch die Landtagswahlen im Mai 2000 zu verlieren, die sie aber am Ende doch noch gewann. In dieser Situation suchte Clement einen Sündenbock - und fand ihn in der IBA: Sie habe keine Arbeitsplätze geschaffen und damit ihr selbst gestecktes Ziel verfehlt, lautet die Kritik.
Nun ist es durchaus richtig, dass die IBA weit weniger beschäftigungswirksam war, als es sich mancher erhofft hatte. Aber nicht aus eigener Schuld, sondern wegen der politischen Grosswetterlage des Jahres 1989: «Als wir mit der IBA begannen, war einfach nicht vorauszusehen, dass im selben Jahr die Mauer fallen würde», rechtfertigt sich Zlonicky. Die jungfräulichen Märkte des Ostens hätten viele Investoren, die zuvor noch in Nordrhein-Westfalen investieren wollten, in die neuen Bundesländer gezogen, wo grosszügigere staatliche Hilfen winkten.
Der seit dem Ende der IBA häufig erhobene Vorwurf, die IBA sei nur etwas für Schöngeister gewesen, geht einher mit einem neuen paternalistischen Politikstil vor allem von Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold (SPD). Nach zehn Jahren IBA müsse nun endlich wieder harte Wirtschaftspolitik gemacht werden, tönt es aus seinem Hause - als hätte es den partizipationsorientierten Politikstil der IBA nie gegeben. Damit das Ruhrgebiet «nicht den Anschluss an Europa verpasst», hat ihm Schwanhold eine Rosskur verordnet: Öffentliche Unterstützung erführen ab sofort nur noch jene Projekte, die Arbeitsplätze versprächen. Hintergrund der Eile: Bis 2006 läuft die letzte EU-Förderung aus Ziel-II-Mitteln für das Ruhrgebiet aus. Insgesamt 3,9 Milliarden Mark sollen noch fliessen. Bis dahin will der Wirtschaftsminister im ehemaligen industriellen Kernland Deutschlands 200 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, hat sich die Landesregierung ein neues Instrument geschaffen: die Projekt Ruhr GmbH - wie die ehemalige IBA ebenfalls eine Landestochter. Sie soll nun richten, was die IBA angeblich versäumt hat: «Das Ruhrgebiet soll die Region der wirtschaftlichen und technologischen Innovationen werden», heisst das wichtigste Ziel. Auffällig ist, dass die IBA (ein gutes Jahr nach ihrem Ende) in dem Strategiepapier nicht einmal mehr erwähnt wird - als hätte es sie nie gegeben.
Verödung der Kulturlandschaft?
Kritiker wie Hans Heinrich Blotevogel sehen in der beabsichtigten Arbeitsweise der Projekt Ruhr GmbH als wirtschaftspolitische «Treiber-Einrichtung» einen Rückfall in alte Verhaltensmuster der Vor-IBA-Zeit: Nun dominierten wieder «Projekte von oben statt die Förderung kommunaler Eigeninitiativen. Das ist nicht das, was die IBA an innovativen Prozessen vorgemacht hat.» Die neue Regionalförderung werde nun bis 2006 wieder nach dem altbewährten Pawlow-Prinzip funktionieren, befürchtet Blotevogel: «Den Städten wird von der Landesregierung die Wurst hingehängt, und sie schnappen danach.»
Besonders die von der IBA geförderte Kulturlandschaft droht mit einer solchen Förderungspolitik zu veröden. Gefährdet sind vor allem Projekte mit experimentellem Charakter. Nur zu gut in dieses Bild einer Projektierung von oben passt auch die neueste Idee aus dem Hause Clement: Eine sogenannte Ruhr-Triennale soll der hiesigen Kulturlandschaft endlich auch zum Sprung in die überregionalen Feuilletons verhelfen. Als Lichtgestalt fungiert kein Geringerer als Gérald Mortier. Er wird ab 2003 mit einem 30-Millionen-Mark-Etat an die Ruhr geholt. Manche fragen sich, wo das Geld plötzlich herkommt und ob es dann nicht an anderer Stelle fehlen wird - bei der freien Kulturszene zum Beispiel, die schon jetzt ums Überleben kämpft.
Neue Inhalte für alte Bauten
Der IBA ist es gelungen, die ehemaligen grossindustriellen Arbeitsstätten mit neuen kulturellen und populären Inhalten zu füllen - sie gleichsam symbolisch neu zu besetzen. «Die IBA hat der Region ihre Würde zurückgegeben, die sie durch die Entindustrialisierung verloren hatte», sagt heute einer ihrer ehemaligen Direktoren, der Dortmunder Städtebauprofessor Peter Zlonicky. Zum Beispiel mit dem Gasometer in Oberhausen. Noch vor zwölf Jahren als Altlast einer untergegangenen Epoche zum Abriss freigegeben, ist er heute mit 118 Metern Höhe und fast 70 Metern Breite einer der grössten Ausstellungsräume der Welt. In der Bochumer Jahrhunderthalle findet alljährlich unter dem Titel «Musik im Industrieraum» ein industriekulturelles Musikfestival statt. Gar über ein veritables Weltkulturerbe in spe verfügt die Stadt Essen mit der Zeche Zollverein. Der Schwerpunkt lautet hier: neues Design. Der Populärkultur gewidmet ist hingegen der Landschaftspark Duisburg-Meiderich: Dort ist im Gasometer des alten Stahlwerks eine Tauchschule eingezogen. Die ehemaligen Kohlebunker nutzt der Alpenverein Duisburg als beste Kletterstrecke weit und breit.
Etwa fünf Milliarden Mark aus 30 verschiedenen Fördertöpfen hat das Team der IBA um seinen Geschäftsführer Karl Ganser in der Region verbaut. Doch weniger die Höhe dieser Summe beeindruckt als vielmehr die innovativen Kriterien, nach denen sie in insgesamt 120 Projekte investiert wurde. Im «Memorandum» von 1988 finden sich die beiden Leitprinzipien der IBA: «Projekte statt Programme» und «Pläne lernen von Projekten». Damit gemeint war die Abkehr von dem, was der Stadtplaner Helmut Siebel einmal als das «Gottvatermodell» in der Regional- und Stadtplanung bezeichnet hat: «Dabei wird ein Planungssubjekt vorausgesetzt, das allwissend, allgütig und allmächtig ist, das über alle Informationen und Machtmittel verfügt, jenseits von Gut und Böse handelt und gleichsam aus einer Tabula-rasa-Situation heraus eine neue Welt schafft», erklärt Siebel voller Ironie das Modell bisheriger Entwicklungsplanung. Statt weiter Gottvater zu spielen, hat die IBA als Tochter des Landes Nordrhein-Westfalen auf die eigenständige Vernetzungskraft ihrer Projekte gesetzt.
Dass ihr überhaupt die Macht zuwuchs, Veränderungen von solcher Tragweite anstossen zu können, verdankt sich ihrer besonderen Konstruktion: Sie war eine völlig eigenständige Gesellschaft, ausgestattet mit einem Budget, das auch für Politiker beinahe unantastbar war. Nur so war es möglich, etwas ganz Neues zu wagen und Projekte ohne die Gefahr von politischer Verwässerung entlang klarer Qualitätskriterien zu entwickeln. Jedes Einzelprojekt sollte gleichsam den gesamten IBA-Geist als «Pars pro Toto» verkörpern: Zeichenhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, ökologische Innovation, regionale Einbettung und Partizipation. Mit Projekten, die bewusst die Grenzen der 52 beteiligten Gemeinden überschritten, hat die IBA zudem versucht, ein regionales Bewusstsein zu fördern.
Wie bewirkt man Innovation in nicht innovativen Milieus? Das war die grösste Herausforderung, mit der sich die IBA 1989 konfrontiert sah. Wie begeistert man Menschen aus konservativen, hierarchisch geprägten Milieus der Schwerindustrie für Ziele wie Partizipation, Qualität und ökologische Innovation? Damit die IBA nicht zur Spezialveranstaltung von Intellektuellen wurde, nahm sie sich auch die Bergarbeitersiedlungen der Region vor. Ihre Sanierung erfolgte unter Beteiligung der Bewohner, deren Bedürfnisse genauso ernst genommen wurden wie der Denkmalschutz. Die Bewohner machten so eine neue Erfahrung: Einmischung lohnt sich. Um diesen soziokulturellen und planerischen Subtext der IBA geht es, wenn der Duisburger Regionalforscher Hans Heinrich Blotevogel rückblickend schwärmt: «Die IBA war die wichtigste Innovation, die wir hier seit Jahrzehnten hatten.» Auch deshalb, «weil sie die alte Planer- und Politikerriege der Kohle- und Stahlbetonfraktion in den Städten aufgebrochen hat. Vor allem jüngeren Experten hat sie geholfen, ihr Ideenpotenzial einzubringen.»
Ein gutes Jahr nach Ende der IBA - im November 2000 - drehte sich der Wind an der Ruhr schlagartig. Zlonicky spricht von einem «Wettersturz» in der Landespolitik, Blotevogel sieht «ein grosses Debakel», der Festivalleiter von «Musik im Industrieraum», Bojan Budisavljevic, drohte «aufzugeben», und der ehemalige IBA-Geschäftsführer Ganser hat sich grollend ins Saarland zurückgezogen, wo er eine neue IBA verwirklichen will - nicht ohne noch den Hinweis in Richtung der Landespolitik zu hinterlassen, sie sei dabei, «sein Lebenswerk zu zerstören».
Der Wettersturz und der Fall der IBA ins «publizistische Schwarze Loch» (Zlonicky) begann schon im Jahr ihres Finales, 1999, mit einem handfesten Streit um das Erbe. Ganser hatte als Nachfolgeorganisation eine Agentur Ruhr ins Gespräch gebracht. Ihre Aufgabe: das Erbe in Form eines Nationalparks Ruhrgebiet weiterentwickeln. Doch dann verweigerten die Kommunen Ganser die Gefolgschaft. Ein von interessierter Seite lanciertes Gutachten hatte sie aufgeschreckt: Die Agenturlösung sollte sie 110 Millionen Mark im Jahr kosten. Als auch die Landesregierung das Projekt fallenliess, war es gescheitert.
Kritik an der IBA
Dann kam der pompös inszenierte IBA-Schlusspunkt. Vom Finale versprach sich Ministerpräsident Wolfgang Clement Rückenwind für die bevorstehenden Kommunalwahlen im Spätherbst 1999. Sogar der Bundeskanzler kam an die Ruhr und lobte das Erreichte. Doch die Abstimmungen wurden für seine Partei zum Desaster: Die SPD verlor viele ihrer Hochburgen an die CDU und musste nach den herben Verlusten - besonders in den Kernstädten der IBA - befürchten, auch die Landtagswahlen im Mai 2000 zu verlieren, die sie aber am Ende doch noch gewann. In dieser Situation suchte Clement einen Sündenbock - und fand ihn in der IBA: Sie habe keine Arbeitsplätze geschaffen und damit ihr selbst gestecktes Ziel verfehlt, lautet die Kritik.
Nun ist es durchaus richtig, dass die IBA weit weniger beschäftigungswirksam war, als es sich mancher erhofft hatte. Aber nicht aus eigener Schuld, sondern wegen der politischen Grosswetterlage des Jahres 1989: «Als wir mit der IBA begannen, war einfach nicht vorauszusehen, dass im selben Jahr die Mauer fallen würde», rechtfertigt sich Zlonicky. Die jungfräulichen Märkte des Ostens hätten viele Investoren, die zuvor noch in Nordrhein-Westfalen investieren wollten, in die neuen Bundesländer gezogen, wo grosszügigere staatliche Hilfen winkten.
Der seit dem Ende der IBA häufig erhobene Vorwurf, die IBA sei nur etwas für Schöngeister gewesen, geht einher mit einem neuen paternalistischen Politikstil vor allem von Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold (SPD). Nach zehn Jahren IBA müsse nun endlich wieder harte Wirtschaftspolitik gemacht werden, tönt es aus seinem Hause - als hätte es den partizipationsorientierten Politikstil der IBA nie gegeben. Damit das Ruhrgebiet «nicht den Anschluss an Europa verpasst», hat ihm Schwanhold eine Rosskur verordnet: Öffentliche Unterstützung erführen ab sofort nur noch jene Projekte, die Arbeitsplätze versprächen. Hintergrund der Eile: Bis 2006 läuft die letzte EU-Förderung aus Ziel-II-Mitteln für das Ruhrgebiet aus. Insgesamt 3,9 Milliarden Mark sollen noch fliessen. Bis dahin will der Wirtschaftsminister im ehemaligen industriellen Kernland Deutschlands 200 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, hat sich die Landesregierung ein neues Instrument geschaffen: die Projekt Ruhr GmbH - wie die ehemalige IBA ebenfalls eine Landestochter. Sie soll nun richten, was die IBA angeblich versäumt hat: «Das Ruhrgebiet soll die Region der wirtschaftlichen und technologischen Innovationen werden», heisst das wichtigste Ziel. Auffällig ist, dass die IBA (ein gutes Jahr nach ihrem Ende) in dem Strategiepapier nicht einmal mehr erwähnt wird - als hätte es sie nie gegeben.
Verödung der Kulturlandschaft?
Kritiker wie Hans Heinrich Blotevogel sehen in der beabsichtigten Arbeitsweise der Projekt Ruhr GmbH als wirtschaftspolitische «Treiber-Einrichtung» einen Rückfall in alte Verhaltensmuster der Vor-IBA-Zeit: Nun dominierten wieder «Projekte von oben statt die Förderung kommunaler Eigeninitiativen. Das ist nicht das, was die IBA an innovativen Prozessen vorgemacht hat.» Die neue Regionalförderung werde nun bis 2006 wieder nach dem altbewährten Pawlow-Prinzip funktionieren, befürchtet Blotevogel: «Den Städten wird von der Landesregierung die Wurst hingehängt, und sie schnappen danach.»
Besonders die von der IBA geförderte Kulturlandschaft droht mit einer solchen Förderungspolitik zu veröden. Gefährdet sind vor allem Projekte mit experimentellem Charakter. Nur zu gut in dieses Bild einer Projektierung von oben passt auch die neueste Idee aus dem Hause Clement: Eine sogenannte Ruhr-Triennale soll der hiesigen Kulturlandschaft endlich auch zum Sprung in die überregionalen Feuilletons verhelfen. Als Lichtgestalt fungiert kein Geringerer als Gérald Mortier. Er wird ab 2003 mit einem 30-Millionen-Mark-Etat an die Ruhr geholt. Manche fragen sich, wo das Geld plötzlich herkommt und ob es dann nicht an anderer Stelle fehlen wird - bei der freien Kulturszene zum Beispiel, die schon jetzt ums Überleben kämpft.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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