Artikel
Der private Lichtkörper
Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer
6. April 2001 - Margit Ulama
In Wien findet man trotz forciertem Wohnbau kaum interessante Bauten. Eine Ausnahme bilden die Siedlungen von Walter Stelzhammer, der innerhalb eng gesteckter Grenzen zukunftsweisende Möglichkeiten auszuloten sucht. Seine jüngsten Projekte interpretieren den Zeiten und Kulturen übergreifenden Typus des Hofhauses neu.
Im Rahmen der Wiener Stadterweiterung versäumte man es, griffige städtebauliche Konzepte als Grundlage für weitere Planungen zu entwickeln. Darunter leidet auch der Wohnungsbau. Hier bilden die restriktiven Vorgaben eine weitere Hürde, sowohl was den Gemeindebau als auch den staatlich geförderten Wohnbau betrifft. Auf diesen Sektor konzentriert sich bereits seit längerer Zeit Walter Stelzhammer. In den neunziger Jahren realisierte er unter anderem Wohnbauten jenseits der Donau und am Leberberg, die in ihrem Kontext positiv auffallen. Stelzhammer kritisiert generell die Strategie, am Stadtrand - also dort, wo man mit weiten Wegen und mangelnder Infrastruktur konfrontiert ist - konventionellen Geschosswohnbau zu realisieren. Mit der Neuinterpretation des Hofhauses will er eine Alternative anbieten, die kostengünstig und wandlungsfähig ist. Das intime Atrium fasst er dabei als integrierten Licht- und Raumkörper auf.
Österreichische Tradition
Als Vorbilder nennt Stelzhammer Roland Rainer sowie seinen Lehrer Ernst Plischke. Letzterer realisierte 1932 das vor zwei Jahren von Hermann Czech wieder hergerichtete Arbeitsamt in Liesing, ein für Wien revolutionäres Beispiel des Internationalen Stils. Vom Berner Atelier 5 beeinflusst, gilt Rainer, was den Wohnbau betrifft, als Apologet des verdichteten Flachbaus. In seinen Schriften propagiert er das Hofhaus, das er von traditionellen orientalischen Kulturen herleitet. Stelzhammer entwickelt die frühen inhaltlichen und formalen Prägungen durch die österreichischen Meister kontinuierlich weiter.
Seine erste Interpretation des Atriumhauses findet man jedoch nicht im Wohnbau, sondern bei einem gründerzeitlichen Eckhaus, das er zum neuen Firmensitz der Österreichischen Beamtenversicherung umbaute und dessen Innenhof er in ein glasgedecktes Atrium verwandelte. Eine abstrakte Struktur aus Pfeilern und Öffnungen umfasst den Hof an drei Seiten; an der vierten liegt eine mattierte Glaswand. Diese Art des Atriums bildet das Grundelement der im letzten Jahr fertiggestellten Siedlung in Atzgersdorf am südlichen Stadtrand von Wien unweit des Arbeitsamtes von Plischke. Die «weisse Architektur» hebt sich prägnant von der Umgebung ab. Nicht die Formensprache, sondern die Typologie bildet das Thema. Atzgersdorf stellt die erste Realisierung in einer ganzen Reihe von Projekten dar und führt die Praktikabilität des Haustyps im städtischen Kontext vor. Bei der «Wohnarche» handelt es sich um ein streng geometrisches System, bei dem die Einzelhäuser dicht aneinander gepackt sind. Zwei U-förmig organisierte Häuser, sogenannte Spangentypen, umfassen jeweils ein Atrium, das von einer mattierten Glaswand getrennt wird. Ein minimal dimensioniertes Raumsystem soll durch die Lichtwirkung vom benachbarten Hofraum profitieren.
Natürlich braucht die starke Introvertiertheit eine psychische Affinität der Bewohner, und das Konzept zeigt in seiner Einfachheit gewisse Tücken. In Atzgersdorf wurde die Masse der eng aneinander geschachtelten Räume auf ein Minimum reduziert; in der Folge ist natürlich auch der Lichteinfall im Atrium trotz der mattierten Glaswand zum Nachbarn begrenzt. Der Raumfluss als Verbindung von Zimmern, Gang und Atrium wäre ein entscheidendes Element zur optischen Erweiterung, auch die Strenge des Systems würde durch völlig transparente Übergänge gemildert. Doch dafür wären feine Details und grossflächige Glasschiebewände notwendig. Stelzhammer ist sich dessen bewusst; die Kostenlimits setzten in dieser Hinsicht Grenzen.
Das in Atzgersdorf realisierte Konzept wurde von städtebaulichen Studien für Gebiete abseits der dichten Stadtstruktur abgeleitet. Beim Bebauungskonzept für die Gartenstadt Süssenbrunn flottieren einzelne Siedlungsquartiere frei im Grünland, und die quadratische Grundform taucht auf dieser übergeordneten Ebene wieder auf. Die kontextuellen Voraussetzungen sind dabei völlig andere, und mittels der verdichteten und klar begrenzten Elemente werden zusammenhängende Grünflächen erhalten. Dem grundsätzlich traditionellen Konzept sind konträre Themen wie Textur und Solitär beziehungsweise Raumbildung und Raumverdrängung inhärent. Evoziert man das Leben in den geordneten, autonomen Quartieren samt dem sie umgebenden, wuchernden Grün, so vermittelt sich eine romantische Idee. Man mag Ebenezer Howards Satellitenstädte assoziieren, auch wenn deren radial-konzentrische Komposition durch eine strukturelle ersetzt ist.
Introvertiertheit
Das einzelne Quartier ist auf Grund seiner Introvertiertheit auch in Zusammenhängen denkbar, wo eine Abschottung notwendig wird, etwa an lärmbelasteten Orten im innerstädtischen Bereich. Das System scheint beinahe universal anwendbar. Stelzhammer entwickelte ausserdem das Konzept eines «Zentrumsquartiers» mit infrastrukturellen Einrichtungen in den beiden unteren Ebenen und zweieinhalbgeschossigen Hofhäusern darüber. Eine solche Strategie wurde dem jüngsten städtebaulichen Expertenverfahren für den geplanten Stationsbereich der U-Bahn-Linie in Stadlau jenseits der Donau zugrunde gelegt. Natürlich tendiert jedes stringente, streng geometrische Konzept zu einer gewissen Dogmatik, die umso stärker wird, je grösser das Planungsgebiet ist. Die Flexibilität des Haustypus zeigt sich andererseits bei der heuer durchgeführten Studie für ein langes, sehr schmales Grundstück im innerstädtischen Bereich. Ein einzelner Spangentyp reiht sich hier entlang einer langen Feuermauer. Das Atrium verwandelt sich in eine Loggia, so dass sich der zuvor introvertierte Grundriss zur Umgebung öffnet. Ein zweigeschossiges Atelier, eine Einliegerwohnung und der variierte Atriumtypus werden jeweils übereinander gestapelt, aber auch diese Aufteilung ist variabel. Der Entwurf wirkt leicht und offen. Die Erschliessung erfolgt über einen abgerückten Steg und die Loggia.
Das exemplarische Vorbild für Stelzhammers Weiterentwicklung des verdichteten Flachbaus bildet die auf die sechziger Jahre zurückgehende Gartenstadt Puchenau bei Linz von Rainer. Formal bleibt die Siedlung in Atzgersdorf im Rahmen einer vertrauten, modernen Sprache. Gleichwohl benötigt der Wohnbausektor kostengünstige Konzepte, und die Variabilität des Systems beeindruckt. Mit veränderbaren Typen beschäftigte sich Stelzhammer zuletzt auch bei einem geförderten Wohnbau im zehnten Bezirk von Wien. Auf knapp sechzig Quadratmetern eröffnet sich, beginnend beim Loft, eine Vielfalt von möglichen Raumteilungen um eine zentrale Nasszelle.
Schliesslich belegen die in regelmässigen Abständen entstehenden Einfamilienhäuser, dass das Publikumsinteresse am elaborierten ästhetisch-räumlichen Experiment vorhanden ist. Bei einer Mitte der neunziger Jahre in Klosterneuburg bei Wien entstandenen Villa begegnet man einem - hinsichtlich der Proportion der Geschosse, der Verkleidung der Pfeiler mit schwarzen Glastafeln, aber auch der Integration eines an die fünfziger Jahre erinnernden Fenstermotivs - spannungsreichen weissen Kubus.
Im Rahmen der Wiener Stadterweiterung versäumte man es, griffige städtebauliche Konzepte als Grundlage für weitere Planungen zu entwickeln. Darunter leidet auch der Wohnungsbau. Hier bilden die restriktiven Vorgaben eine weitere Hürde, sowohl was den Gemeindebau als auch den staatlich geförderten Wohnbau betrifft. Auf diesen Sektor konzentriert sich bereits seit längerer Zeit Walter Stelzhammer. In den neunziger Jahren realisierte er unter anderem Wohnbauten jenseits der Donau und am Leberberg, die in ihrem Kontext positiv auffallen. Stelzhammer kritisiert generell die Strategie, am Stadtrand - also dort, wo man mit weiten Wegen und mangelnder Infrastruktur konfrontiert ist - konventionellen Geschosswohnbau zu realisieren. Mit der Neuinterpretation des Hofhauses will er eine Alternative anbieten, die kostengünstig und wandlungsfähig ist. Das intime Atrium fasst er dabei als integrierten Licht- und Raumkörper auf.
Österreichische Tradition
Als Vorbilder nennt Stelzhammer Roland Rainer sowie seinen Lehrer Ernst Plischke. Letzterer realisierte 1932 das vor zwei Jahren von Hermann Czech wieder hergerichtete Arbeitsamt in Liesing, ein für Wien revolutionäres Beispiel des Internationalen Stils. Vom Berner Atelier 5 beeinflusst, gilt Rainer, was den Wohnbau betrifft, als Apologet des verdichteten Flachbaus. In seinen Schriften propagiert er das Hofhaus, das er von traditionellen orientalischen Kulturen herleitet. Stelzhammer entwickelt die frühen inhaltlichen und formalen Prägungen durch die österreichischen Meister kontinuierlich weiter.
Seine erste Interpretation des Atriumhauses findet man jedoch nicht im Wohnbau, sondern bei einem gründerzeitlichen Eckhaus, das er zum neuen Firmensitz der Österreichischen Beamtenversicherung umbaute und dessen Innenhof er in ein glasgedecktes Atrium verwandelte. Eine abstrakte Struktur aus Pfeilern und Öffnungen umfasst den Hof an drei Seiten; an der vierten liegt eine mattierte Glaswand. Diese Art des Atriums bildet das Grundelement der im letzten Jahr fertiggestellten Siedlung in Atzgersdorf am südlichen Stadtrand von Wien unweit des Arbeitsamtes von Plischke. Die «weisse Architektur» hebt sich prägnant von der Umgebung ab. Nicht die Formensprache, sondern die Typologie bildet das Thema. Atzgersdorf stellt die erste Realisierung in einer ganzen Reihe von Projekten dar und führt die Praktikabilität des Haustyps im städtischen Kontext vor. Bei der «Wohnarche» handelt es sich um ein streng geometrisches System, bei dem die Einzelhäuser dicht aneinander gepackt sind. Zwei U-förmig organisierte Häuser, sogenannte Spangentypen, umfassen jeweils ein Atrium, das von einer mattierten Glaswand getrennt wird. Ein minimal dimensioniertes Raumsystem soll durch die Lichtwirkung vom benachbarten Hofraum profitieren.
Natürlich braucht die starke Introvertiertheit eine psychische Affinität der Bewohner, und das Konzept zeigt in seiner Einfachheit gewisse Tücken. In Atzgersdorf wurde die Masse der eng aneinander geschachtelten Räume auf ein Minimum reduziert; in der Folge ist natürlich auch der Lichteinfall im Atrium trotz der mattierten Glaswand zum Nachbarn begrenzt. Der Raumfluss als Verbindung von Zimmern, Gang und Atrium wäre ein entscheidendes Element zur optischen Erweiterung, auch die Strenge des Systems würde durch völlig transparente Übergänge gemildert. Doch dafür wären feine Details und grossflächige Glasschiebewände notwendig. Stelzhammer ist sich dessen bewusst; die Kostenlimits setzten in dieser Hinsicht Grenzen.
Das in Atzgersdorf realisierte Konzept wurde von städtebaulichen Studien für Gebiete abseits der dichten Stadtstruktur abgeleitet. Beim Bebauungskonzept für die Gartenstadt Süssenbrunn flottieren einzelne Siedlungsquartiere frei im Grünland, und die quadratische Grundform taucht auf dieser übergeordneten Ebene wieder auf. Die kontextuellen Voraussetzungen sind dabei völlig andere, und mittels der verdichteten und klar begrenzten Elemente werden zusammenhängende Grünflächen erhalten. Dem grundsätzlich traditionellen Konzept sind konträre Themen wie Textur und Solitär beziehungsweise Raumbildung und Raumverdrängung inhärent. Evoziert man das Leben in den geordneten, autonomen Quartieren samt dem sie umgebenden, wuchernden Grün, so vermittelt sich eine romantische Idee. Man mag Ebenezer Howards Satellitenstädte assoziieren, auch wenn deren radial-konzentrische Komposition durch eine strukturelle ersetzt ist.
Introvertiertheit
Das einzelne Quartier ist auf Grund seiner Introvertiertheit auch in Zusammenhängen denkbar, wo eine Abschottung notwendig wird, etwa an lärmbelasteten Orten im innerstädtischen Bereich. Das System scheint beinahe universal anwendbar. Stelzhammer entwickelte ausserdem das Konzept eines «Zentrumsquartiers» mit infrastrukturellen Einrichtungen in den beiden unteren Ebenen und zweieinhalbgeschossigen Hofhäusern darüber. Eine solche Strategie wurde dem jüngsten städtebaulichen Expertenverfahren für den geplanten Stationsbereich der U-Bahn-Linie in Stadlau jenseits der Donau zugrunde gelegt. Natürlich tendiert jedes stringente, streng geometrische Konzept zu einer gewissen Dogmatik, die umso stärker wird, je grösser das Planungsgebiet ist. Die Flexibilität des Haustypus zeigt sich andererseits bei der heuer durchgeführten Studie für ein langes, sehr schmales Grundstück im innerstädtischen Bereich. Ein einzelner Spangentyp reiht sich hier entlang einer langen Feuermauer. Das Atrium verwandelt sich in eine Loggia, so dass sich der zuvor introvertierte Grundriss zur Umgebung öffnet. Ein zweigeschossiges Atelier, eine Einliegerwohnung und der variierte Atriumtypus werden jeweils übereinander gestapelt, aber auch diese Aufteilung ist variabel. Der Entwurf wirkt leicht und offen. Die Erschliessung erfolgt über einen abgerückten Steg und die Loggia.
Das exemplarische Vorbild für Stelzhammers Weiterentwicklung des verdichteten Flachbaus bildet die auf die sechziger Jahre zurückgehende Gartenstadt Puchenau bei Linz von Rainer. Formal bleibt die Siedlung in Atzgersdorf im Rahmen einer vertrauten, modernen Sprache. Gleichwohl benötigt der Wohnbausektor kostengünstige Konzepte, und die Variabilität des Systems beeindruckt. Mit veränderbaren Typen beschäftigte sich Stelzhammer zuletzt auch bei einem geförderten Wohnbau im zehnten Bezirk von Wien. Auf knapp sechzig Quadratmetern eröffnet sich, beginnend beim Loft, eine Vielfalt von möglichen Raumteilungen um eine zentrale Nasszelle.
Schliesslich belegen die in regelmässigen Abständen entstehenden Einfamilienhäuser, dass das Publikumsinteresse am elaborierten ästhetisch-räumlichen Experiment vorhanden ist. Bei einer Mitte der neunziger Jahre in Klosterneuburg bei Wien entstandenen Villa begegnet man einem - hinsichtlich der Proportion der Geschosse, der Verkleidung der Pfeiler mit schwarzen Glastafeln, aber auch der Integration eines an die fünfziger Jahre erinnernden Fenstermotivs - spannungsreichen weissen Kubus.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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