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Alte, neue Abwege?
Alte, neue Abwege?, Foto: Damir Fabijanić
Alte, neue Abwege?, Foto: Damir Fabijanić
Spectrum

Die Architektur ist freudig auf dem „Holzweg“: Der Baustoff Holz erfuhr zuletzt eine sprunghafte Entwicklung, ist ein Sehnsuchtsmaterial der Architekten. Aber die breite Öffentlichkeit ist skeptisch. Eine innovatorische Anfeuerung.

21. April 2001 - Walter Chramosta
Daß die Entwicklung der Bautechnik den durchdringenden Takt festlegt, über dem sich die Evolutionsschübe der Architektur immer entfaltet haben, das ist eine triviale Feststellung. Weniger banal ist die Erkenntnis, daß die neueren Schübe auf diesem Gebiet nicht mehr die Technologie selbst fokussieren, sondern fast ausschließlich die Organisationsform und Prozesse des Bauens. Glas ist vielleicht das letzte Material, das in seiner Technologie noch grundlegenden Innovationen unterliegt, aber damit werden auch nur die achtzig Jahre alten, liegengebliebenen Träume abgearbeitet . . . Der Traum allerdings von einem vollständig neuen Verfahren, ein Haus zu konstruieren und zu errichten, ist vorläufig ausgeträumt. Die Bauwirtschaft führt anderes im Schilde."

Der auch wegen seiner ambitiösen Holzbauten bekannte Zürcher Architekt und ETH-Professor Marcel Meili wirft im Jahrbuch 2000 des Deutschen Architektur-Museums „Zehn Fragen an eine europäische Architektur“ auf. Bei seinem interessanten Versuch einer Vorschau auf die zukünftige Architektur erkennt er überraschenderweise Holzwerkstoffe nicht als Treibsätze an. Heutige Holzzeichen in Forschung, Baupraxis und Industrie können aber auch anders gelesen werden. Grundsätzlich richtig beginnen Meilis kritische Abwägungen mit dem oben zitierten Kapitel „Über Materialität“. Kaum etwas kann für die kommende Architektur derzeit wichtiger sein als eine weitergeführte Technik, Semantik und Ethik der Werkstoffe.

In einer Phase der flüchtigen Bildproduktion in der Baukunst - überwiegend mit „vertieften“ Oberflächen und „verflachten“ Strukturen an einfachen Körpern - sind stofflich-konstruktive Neuerungen besonders gefragt. Beim Holz zeichnen sich solche etwa mit maßgeschneiderten geschoßhohen Viel- schichtplatten statt dem althergebrachten Rahmenbau, mit Fensterprofilen aus extrudiertem Flüssigholz oder mit weit spannbaren Trägern im Holz-Kunstfaser-Verbund ab. Im Wohnbau werden die zimmermannsmäßigen Konstruktionen, die arbeitsintensiv mit der mehrschichtigen hölzernen Verkleidung von Holzskeletten operieren, über kurz oder lang von einer neuen Art des Massivbaus - in Holz - abgelöst werden, der mit belastungsspezifisch ausführbaren, daher beliebig mit Öffnungen und Installation bespielbaren, unmittelbar raumbildenden Flächentragwerken operiert.

Meili muß konstatieren, „daß die Industrie im Rahmen dieser Neuausrichtung den Versuch zur Revolutionierung des Rohbaus offenbar aufgegeben hat. Seit etwa 30 Jahren scheint sich diese Roh-Baustelle in ihr archaisches Schick- sal zu fügen, und sie nimmt dankbar noch die paar Anstrengungen zur Verbilligung und zur technischen Optimierung hin, ohne daß dies den Bauprozeß entscheidend verändern würde. Die maßgebenden Veränderungen erfassen eher die Materialapplikationen, und dort vor allem die Fassaden und die Oberflächentechnologien, nebst der Gebäudetechnik natürlich. Im Zentrum der Anstrengung scheint die Entwicklung eines neuen Typs von Systemen zu stehen, vorab solche für Häute.“ Mit diesen auf gesteigerte Wertschöpfung im Werk optimierten Systemen besteht das Risiko der weiteren Entmündigung des mit klassischen Hochbaudetails agierenden Architekten.

Zur Weiterung des Werkstoffes Holz kommt ein Fingerzeig aus der Schweiz: Das erste diesjährige Heft der Architekturzeitschrift „Werk, Bauen und Wohnen“ steht unter dem Schwerpunktthema „Kunststoff Holz“. Den angestammten Eigenschaften naturnah, ressourcenschonend und preiswert sind gerade in der Schweiz, in Vorarlberg und in der Steiermark weitere zugewachsen: modern, hochtechnisch, intelligent, künstlich und synthetisch. Architekten, Ingenieure und Industrie sind sich beim Werkstoff Holz auf einmal in viel höherem Maße über die Umsetzbarkeit des Standes des Wissens einig als bei anderen Baustoffen.

Holz kann somit als gleichberechtigter Baustoff neben Stahl, Beton, Ziegel, Glas gelten, befähigt, sowohl im Materialverbund als auch hin und wieder puristisch eingesetzt seine spezifische Leistungsfähigkeit auszuspielen. Nicht alle Bauaufgaben sind bisher dem Holz zugänglich: In ländlichen Gebieten ist der Holzbau kaum umstritten, solange es um standorttypische Nutzungen geht. Dagegen bestehen bei Industrie- und Gewerbeobjekten, besonders aber bei Geschoßwohnbauten im städtischen Umfeld noch unaufgearbeitete Konfliktzonen um die Sinnhaftigkeit des Holzeinsatzes. Einerseits aus brand- schutztechnischen Erwägungen, andererseits aus psychologischen Vorurteilen. Erstere sind in den österreichischen Bauordnungen weitgehend ausgeräumt, das Brandrisiko eines Holzwohnbaus gilt auch bei vier Geschoßen als beherrschbar; letztere werden noch einer breiten Aufklärungskampagne bedürfen: Holzwohnbau in der Stadt ist vielen noch immer Synonym für sozial deklassierende Provisorien.

Neuerdings scheiden sich die Holzgeister aber auch an „philosophischen“ Gründen, die man längst für antiquiert gehalten hätte. Die für den Geschoßwohnbau in Holzsystembauweise schon lange vorpreschende Steiermark bekennt sich politisch zur Gleichwertigkeit der Baustoffe im sozialen Wohnbau. Das hat etwa zur Folge, daß Leistungsverzeichnisse für den Rohbau werkstoffneutral erstellt werden; daß sich aus eingesessenen Bauunternehmen solche mit zusätzlicher Holzkompetenz herausbilden; daß eine für den Holzbau nicht unbedingt förderliche Konkurrenzsituation zum marktdominanten Ziegel entsteht; und nicht zuletzt, daß die Förderstellen neue Regeln für das Bauen mit Holz bei der Hand haben müssen, um die ordnungsgemäße Vergabe der Förderungen zu gewährleisten.

Im September des Vorjahres hat der im Auftrag des Amtes der steiermärkischen Landesregierung mit der Entwicklung technischer Leitlinien für den Holzwohnbau in der Steiermark befaßte Ordinarius für Hoch- und Industriebau der TU Graz, der Architekt Horst Gamerith, ein Richtlinienkonzept zur Fachdiskussion gestellt, das freilich weit über den wichtigen Anlaßfall hinaus die Frage nach der Regulierbarkeit der kommenden Architektur aufwirft. Konkreter: Wieso soll eine wichtige, als traditionelle Handwerkstechnik traut anmutende und politisch gut rechtfertigbare, weil im trendigen Politsuchraster unter Natur und Ökologie leicht zu subsumierende Materie wie der Holzwohnbau durch eine geradezu totalitär argumentierende Richtlinie von der internationalen Entwicklung ferngehalten werden?

Gamerith, dessen langjährige Verdienste als baukonstruktiver Mitdenker des steirischen Architekturphänomens „Grazer Schule“ der siebziger bis neunziger Jahre außer Streit stehen, begibt sich mit seinen „Empfehlungen, was künftig für den steirischen sozialen Holzwohnbau charakteristisch sein soll“ auf ein neokonservatives, in Richtung falsch verstandener Traditionspflege abschüssiges baukulturelles Glatteis der Innovationsfeindlichkeit. Zwar beginnt er: „Mit Holz zu bauen hat Zukunft“; aber gleich setzt er abschwächend fort: „Wichtig ist es, nicht die Merkmale dieser ökologischen Bauweise zu überfordern. Es gilt daher, die sinnvollen Grenzen vor allem im sozialen und geförderten Wohnbau auszuloten. Soll es ein Ziel sein, Häuser aus Holz zu bauen, die höher sind, als unsere Bäume wachsen, sollen sie durch überfrachtete Technik und hypertrophe Ausmaße anderen Bauweisen Konkurrenz machen? Nein!“
Sein restriktives Regulativ gipfelt in humanökologischen Stehsätzen, die als Prämissen für mehrgeschoßigen Holzwohnbau in der Steiermark, wo etwa mit den Bauten von Hubert Riess in Judenburg oder Trofaiach bereits international anerkannte Spitzenleistungen bestehen, unproduktiv oder gar rückschrittlich sind: „Holzbauten, wo man kein Holz sieht noch spürt und die nicht kostengünstig herstellbar sind und deren ökologische Vorteile durch die Integration von allerlei Ausbauteilen in Frage gestellt sind, haben keine Berechtigung, bevorzugt gegenüber anderen Bauweisen gefördert zu werden . . . Geförderte Holzbauten sollten vorwiegend aus Holz sein und erforderliche Zusatzmaterialien auf ein Mindestmaß beschränken . . . Trenne den sozialen Wohnbau, der risikominimiert und realisierbar sein muß, schärfer vom experimentellen Bauen . . . Es wird Aufgabe aller steirischen Holzbauer sein, sich mit diesen Grundprinzipien zu identifizieren.“

Abgesehen von der Verirrung, den sozialen Wohnbau nicht mehr als architektonisches Desiderat, sondern als holzreligiöses Bekenntnis unter der Dreifaltigkeit „Naturnähe, Stoffreinheit und Wirtschaftlichkeit“ zu konstruieren, marginalisiert die Essenz des Modellvorhabens Holzgeschoßwohnbau in Bayern die Empfehlungen Gameriths: Die Bewohner wollen an ihren Häusern kein Holz sehen. Der Holzbau darf nicht mit der Kostenkonkurrenz zum Ziegel begründet werden, sondern ist mit seinen ureigenen Qualitäten wie Schnelligkeit, Behaglichkeit et cetera zu motivieren. Holz wird erst durch den Baustoffverbund leistungsfähig, Holzfundamentalismus ist unzeitgemäß. Holzbau sollte nicht unter dem Motto Ökologie verbraucht, sondern endlich als einer unter mehreren alltagstauglichen Strategien der Architektur akzeptiert werden, um Wohnqualität zu verwirklichen.

Die für Holz unerquickliche Synthese: Nach Meili sichern Materialinnovationen die Zukunftsarchitektur, aber sie attackieren den Architekten als Generalisten des Konstruktionsgedankens; Holz sieht er überraschend nicht als baukünstlerischen Treibsatz. Gamerith möchte andererseits den neuen Holzbau in alte Rechte einsetzen, reduziert dabei Architekten zu Erbmassenverwaltern; er will retrogrades Bauen, keine Architektur sehen. Architektonischer Fortschritt wächst aber aus fest geregelten Ressourcen, nicht aus strengen Regeln. Daher sei geraten: Geben Sie der Technik Grenzen und der Architektur Gedankenfreiheit!

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