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Im Inneren der Stadttextur
Neue Zürcher Zeitung

Im Inneren der Stadttextur
Die jüngsten Bauten von Christian Jabornegg und András Pálffy in Wien

4. Mai 2001 - Margit Ulama
Nach der Gestaltung eines Modegeschäfts entwickelten Jabornegg und Pálffy ihre sinnliche Formensprache konsequent weiter und etablierten mit der Generali Foundation eine eindrückliche Form des Minimalismus. Der Umbau der SKWB-Schoellerbank und die Räumlichkeiten des Museums am Judenplatz schliessen eng daran an.

Die Gestaltung von Geschäften und Lokalen bot in Wien immer wieder ein zentrales Betätigungsfeld für Architekten. Herausragende Entwürfe von Adolf Loos über Hans Hollein bis Coop Himmelblau tragen heute zum Flair der Wiener Innenstadt bei und erzählen Architekturgeschichte. Auch für Christian Jabornegg und András Pálffy stand dieses Thema am Beginn der Zusammenarbeit. Mit dem Modegeschäft Pregenzer in Wien-Wieden formulierten sie prägnant und sinnlich ihre konzeptionelle Haltung. Der hohe Raum in dem Gründerzeithaus wurde zu einem von allen Einbauten gereinigten Hintergrund für neue Elemente mit kräftigen Farben. So liegen rote, horizontale Präsentationstafeln direkt hinter den Schaufenstern; ein Fries aus auf Rahmen gespannten gelben Stoffbahnen, die das Licht von Neonröhren streuen, gibt dem Raum im oberen Drittel der Wände optischen Halt und verleiht ihm einen besonderen Reiz.

Die abstrakte Gestaltung, die jedes der hinzugefügten Elemente als Linie oder als Fläche versteht, rekurriert auf das Flächenparadigma der Moderne. Bei den jüngeren Transformationen vorhandener Bausubstanz ist diese Idee weiterhin vorhanden, wenn auch weniger offensichtlich. - Jabornegg und Pálffy dringen immer wieder ins Innere der Stadttextur vor, und die Situationen präsentieren sich dementsprechend komplex. Doch es gelingt den beiden Mittvierzigern - was für Wiener Architekten noch als jung gilt - immer wieder, die schwierige Ausgangslage zu klären. Dies gilt in besonderem Masse für die vor fünf Jahren fertiggestellte Generali Foundation in unmittelbarer Nähe des Modegeschäfts Pregenzer. Die Ausstellungsräume befinden sich auf dem Areal einer ehemaligen Hutfabrik im Hinterhof. Knapp hinter dem Strassentrakt erhebt sich ein zweiter Haustrakt sowie unmittelbar damit verbunden, etwas eingezwängt und daher unregelmässig trapezförmig, die zentrale Ausstellungshalle. Sie übernimmt die Umrisse der früheren Fabrikationshalle, ist jedoch neu gebaut. Der Entwurf verbindet auf souveräne Weise die Trapezfläche mit der Grundfläche des zweiten Haustrakts und einem schmalen Hofbereich davor. Jabornegg und Pálffy gelang es, ruhige Ausstellungsräume zu schaffen. Zugleich entwickelt sich ein komplexer Raumfluss zwischen der langgestreckten, sich verjüngenden grossen Halle, dem quadratischen Mittelbereich und der quergelagerten, kleinen Halle. Im Hauptraum knüpfen die Architekten explizit an das frühere Entwurfskonzept an, denn eine lange Betonwand steht als konstruktives Element frei und wirkt somit als Fläche für sich. Vergleichbares gilt für die transluzente Lichtdecke, die - mit etwas Abstand - knapp über diese Wand greift. Beide Elemente präsentieren sich als Flächenkomposition, die nun konstitutiv für den Innenraum ist.


Vom Museumsbau zum Bankgebäude

Mit der Generali Foundation etablierten sich die zuvor nur Insidern bekannten Architekten in der Wiener Szene. Mit diesem Um- beziehungsweise Neubau formulierten sie ihre grundsätzlichen Themen und nahmen gewissermassen auch ihre nächsten Bauaufgaben vorweg: den Umbau der SKWB-Schoellerbank im Palais Rothschild nahe der Wiener Freyung und die Gestaltung des Museums am Judenplatz (NZZ 26. 10. 00). Letzteres steht in Verbindung mit dem Shoah-Mahnmal von Rachel Whiteread. Beide Bauten wurden nach langen und kontroversen Diskussionen vor wenigen Monaten feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Die grundsätzliche Abstraktion der Architektur sowie ein vergleichbarer Materialkatalog und eine äusserste Präzision in der Durchführung verbinden die Bauwerke. Betritt man die Bank, so glaubt man im ersten Moment, sich in den Ausstellungsräumlichkeiten der Generali Foundation zu befinden. Die grosse Halle im zentralen Bereich des Erdgeschosses dient hier als Mehrzwecksaal. Während jedoch bei der Generali Foundation der unregelmässige Grundstückszuschnitt die Verjüngung der Haupthalle und damit deren besondere Dynamik bedingt, wird in diesem Fall ein in seiner Klarheit klassisch wirkendes Konzept von barocken Gesten umspielt.


Minimalistische Interventionen

Jabornegg und Pálffy gewannen vor drei Jahren ein Gutachterverfahren, das als grundlegende Vorgabe die Erhaltung der Fassade des Gründerzeitbaus formulierte. Da die gesamte Innere Stadt von Wien als Schutzzone definiert ist, hat architektonisch Neues am ehesten Chancen auf Realisierung, wenn es sich nach aussen verbirgt. Im Fall der Bank erscheint die Lösung sinnvoll. Ein schmaler, quergelagerter Trakt blieb sowohl an der Strassen- als auch an der Hofseite erhalten; die Gebäudeteile dazwischen wurden abgebrochen. Ein Neubau ersetzte in diesem Bereich die über Jahre entstandene verwinkelte und somit nicht nur verwirrende, sondern auch räumlich ineffiziente Baustruktur. Über dem grossen Mehrzwecksaal im Erdgeschoss erhebt sich der annähernd quadratische Innenhof. Zwischen diesem und den beiden Altbautrakten liegt jeweils ein überschaubares Grossbüro. An den beiden Längsseiten findet man hingegen die Erschliessung, die Nasszellen und Nebenräume. Die räumlich-funktionelle Klarheit geht Hand in Hand mit energietechnischen Überlegungen. Ganz der Zeit entsprechend interpretierte man den völlig verglasten, den Büroräumen Licht und Leichtigkeit verleihenden Hof als Klimapuffer.

Sichtbeton, weisse Putzflächen, Glas und Edelstahl bilden die immer wieder verwendeten Materialien. Durchgängig ist sowohl die Lesbarkeit - Sichtbeton bedeutet Neubau, weisse Flächen Bestand - als auch die für den architektonischen Minimalismus ganz allgemein charakteristische Suche nach neuen Materialien. Diese werden aber äusserst zurückhaltend eingesetzt. So streuen bei der Generali Foundation milchig-weisse Kunststofffolien, die man als solche kaum identifiziert, das von oben einfallende Licht. Für die Überdachung des Innenhofes der Bank entwickelte man ein besonderes System mit transparenten Membranen, die in der Art von Luftkissen verwendet sind. Sie schwingen in einer fragilen Konstruktion, die in ihrer Immaterialität ins Auge sticht und die strukturelle Leichtigkeit der Glaswände um den Hof weiterführt. Präzision bedeutet für Jabornegg und Pálffy unter anderem Präzision der Materialflächen. Als solche verdeutlichen sie sich durch das Absetzen von Fugen. In der Folge wirkt im Saal der SKWB-Schoellerbank eine mächtige Betonwand wieder als eigenständige Fläche. Dieses Grundthema findet man auch bei silbrig glänzenden Türelementen, die beidseits von Glasstreifen gerahmt, oder bei Stufen, die mit deutlichem Abstand zu den Glasbrüstungen gesetzt sind. Der Bau wird subtil in seine Einzelelemente gesplittet, und die Materialwahl unterstreicht dies.


Umbau des Misrachi-Hauses

Besonderes Augenmerk legen Jabornegg und Pálffy auf die Gestaltung der Treppen, die als zweiläufige Elemente frei in den Raum oder eine Nische gestellt werden. Bereits in der Generali Foundation entstand auf diese Weise ein eindrücklicher Durchblick zwischen Treppenskulptur und Aussenwand über alle Geschosse. In der SKWB-Schoellerbank lehnen sich zwei parallele Treppenläufe an die Querwand des Hofes an und stehen im Übrigen frei. Doch indem die Elemente gegenläufig geführt sind, birgt eine einfache Geste am Ende eine gewisse Dramatik, die sich beim Blick durch den Innenhof verdeutlicht. Man assoziiert barocke Treppenführungen, obwohl eine entsprechende Axialität fehlt. Doch das Raumerlebnis wird auch mittels dieser Treppe, ihrer grünlich schimmernden Glasbrüstungen und der Neonbeleuchtung an der Unterseite inszeniert und gesteigert. - Die jüngste Treppenskulptur findet man schliesslich im Museum zum mittelalterlichen Judentum im Misrachi-Haus am Judenplatz. Die besondere Brisanz dieses Museums beruht auf seiner Nähe zum Shoah-Mahnmal, das im Gedenken an die 65 000 ermordeten österreichischen Juden errichtet wurde.

Nach jahrelangen Diskussionen präsentiert sich der Platz seit kurzem als einer der intimsten und schönsten, aber auch im politischen Sinn eindrücklichsten von Wien. Völlig frei von jeglichem Verkehr - sogar die Fiakerrouten wurden verlegt - steht nun vis-à-vis vom Lessing-Denkmal der Bücherkubus von Whiteread, der in präzise ausgeführtem, hellem Beton dem Ort Gewicht verleiht und die Geschichte unverrückbar in der Gegenwart verankert. Über Gestaltungsdetails mögen unterschiedliche Meinungen bestehen; Dimension und Situierung des Mahnmals fügen sich auf jeden Fall positiv in die Platzfiguration. Für Kontroversen sorgten in der Vergangenheit insbesondere die Grabungsfunde der mittelalterlichen Synagoge unter dem Mahnmal. Die jetzige Lösung, bei der beides getrennt voneinander präsentiert wird, erscheint als adäquate Lösung; die beiden unterschiedlichen Themen werden auf diese Weise nicht verwischt.

Jabornegg und Pálffy gestalteten drei Bereiche: die Platzoberfläche, für die sie alte Granitsteine finden konnten, die Ausstellungsräume im Erdgeschoss und Keller des Misrachi-Hauses sowie den Schauraum der archäologischen Ausgrabung der 1421 zerstörten Synagoge. In gewohnter Präzision und Zurückhaltung präsentieren sich nach der umfassenden Renovierung die überwölbten Ausstellungsräume, die dadurch ihre eigentliche Wirkung entfalten. Über einen neuen Stichgang erreicht man schliesslich den Schauraum mit den Resten der Synagoge, der leicht versetzt unter dem Mahnmal liegt. In der Abgeschlossenheit und mittels einer subtilen Lichtführung entsteht eine Stimmung, die beim im Laufe der Zeit auch diskutierten üblichen Blick von oben auf die offene Grabungsstelle nie hätte erreicht werden können. Brünierte Messingtafeln rahmen den im Halbdunkel liegenden Raum, ein neu entwickelter Lehmboden ergänzt die Materialpalette.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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