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Strenge Harmonie in Beton
Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten des St. Galler Architekten Marcel Ferrier

4. Mai 2001 - Lore Kelly
Die Suche nach stadt- und landschaftsräumlicher sowie nach geschichtlicher Kontinuität zeichnet die Arbeiten des St. Galler Architekten Marcel Ferrier aus. Bei kleineren Bauten oder in Quartierplanungen manifestiert sich sein Streben nach räumlicher Verschränkung, Fortführung und Ergänzung, aber auch nach Neuerfindung.

Experimentierfreude prägt die Atmosphäre im Architekturbüro von Marcel Ferrier, das sich in den loftartigen Räumen einer alten Lagerhalle in St. Gallen befindet. Der 50-jährige Architekt sieht sein Büro als eine Art Labor. Sein Schaffen ist nachhaltig geprägt durch eine ebenso präzise wie konsequente Denkweise. Auffallend in seinen bisher realisierten Bauten - unter anderem Villen, Verwaltungsgebäude, eine griechisch-orthodoxe Kirche und ein Museum - ist das architektonische Schichten einzelner Materialien, aber auch der Innen- und Aussenräume.


Minimalistisches Spiel

Ferrier hatte sein Studium in Paris noch nicht abgeschlossen, als er 1987 den Wettbewerb für den Erweiterungsbau des Natur- und Kunstmuseums in St. Gallen für sich entscheiden konnte. Die hier von ihm gefundene rationalistische Lösung beweist, wie stark er vom lateinischen Raum beeinflusst ist. Obwohl er die französische Kultur liebt, ist er im Kopf Deutschschweizer geblieben, überzeugt davon, dass ein Projekt auf klaren Strukturen aufbauen müsse. 1995 setzte er mit dem Betriebsgebäude Hauri in Bischofszell einen klärenden Akzent in ein Firmenareal. Die einfache Geometrie des lang gestreckten Körpers definiert unter Einbezug von Landschaft und Gartenanlage die unbestimmte Situation am Rande des Ortes neu. Zwei Jahre später baute Ferrier ein mit der Landschaft vernetztes Betonhaus auf einem schmalen, steil abfallenden Geländestreifen im St. Galler Stadtteil Winkeln. Ein offener, rechteckiger Raum, eine durchlässige Schichtung quer zum Südhang und die Vertikale des Eingangsbereichs strukturieren den Bau. Die versetzten Kuben sind im Hang verankert. Scheiben und Platten aus rohem Beton bilden und trennen die Räume. Nahtlos bündige Gläser unterstützen die räumliche Wirkung. Der Wohnraum öffnet sich zum Garten hin, wo am Ende des Grundstücks der Pavillon als Sommerzimmer und als Bindeglied zwischen Haus und Stadtzentrum dient. Der Bau zeigt Anklänge an die Häuser von Luigi Snozzi und von Louis I. Kahn: in der Schwere und Präsenz der Betonmauern, im flachen Dach und im Grundriss.

In Steckborn am Bodensee setzte Ferrier 1998 mit einem markanten schachtelartigen Haus aus Beton und Glas ein weiteres Zeichen. Das Gebäude ist als grosszügiger Flachdachquader konzipiert. In die mit feinkörnigem Mineralputz geschützte Aussendämmung sind knapp und bündig gefügte Fenster eingesetzt. Der aussen karg wirkende Baukörper erscheint im Innern leicht und weit. Auch bei diesem Bau hat Ferrier das minimalistische Spiel mit Raum und Volumen gewagt; und der raffinierte Einsatz von Beton, klarem und geätztem Glas, Schiefer und Buchenholz erinnert an die künstlerische Haltung des italienischen Architekten Carlo Scarpa.

Im 1998 vollendeten Z-förmigen Neubau in Mörschwil werden die beiden Hauptfunktionen - Gemeindeverwaltung und Raiffeisenbank - so zusammengebunden, dass sie über eine gemeinsame Eingangshalle erreichbar sind und trotzdem eine eigenständige Stellung behalten. Der transparente Eingangsbereich ist topographisch und landschaftlich von Bedeutung: Im steil abfallenden Gelände bildet er zusammen mit dem Vorplatz eine Kante, welche die Bodenseelandschaft wirkungsvoll in Szene setzt. Die gegliederten Fenster, die rötlich lasierten Holzsimse und die Dachuntersichten treten in einen Dialog mit dem alten Riegelbau. Innen und aussen prägen Ganzglaskonstruktionen den Erschliessungsbereich. Tages- und Kunstlicht, Transparenz und Spiegelung werden im polierten, schwarzen Granit des Fussbodens verstärkt. In den beiden Trakten dominieren wenige, einfache Materialien: Weissputz an Wänden und Decken, eine Sichtbetonwand, Ahornfurnier sowie der Granitboden.


Räumliche Sequenz

Den aus einem Wettbewerb hervorgegangenen und 1995 geweihten Neubau der griechisch-orthodoxen Kirche an der Zürcher Kornhausbrücke schloss Ferrier mit einer Hofumfassung gegen die verkehrsreiche Durchgangsstrasse ab und errichtete so einen Ort der Ruhe und der Einkehr. Zum Quartier hin ist der kreuzgangartige, durch eine Baumreihe begrenzte Rahmenbau offen. Ein Portikus, der sich rund um das Atrium zieht, geleitet die Besucher zur Vorhalle, von der aus sie in den elliptischen Sakralraum gelangen. Grossen Wert legte Ferrier auf die räumliche Sequenz im Übergang von der profanen in die sakrale Sphäre.

Primäre geometrische Formen interessierten ihn auch bei dem kürzlich fertig gestellten Umspannwerk im liechtensteinischen Schaan, wo er anstelle einer grossflächigen Anlage einen kompakten Baukörper realisierte. Ähnlich wie die Kolben eines Generators wird das zylindrische Gebäude von Ringen mit dazwischenliegenden Streifen umgeben. Es handelt sich um grosse, gekrümmte und verzinkte Walzprofile aus Stahl sowie um Bänder aus vertikal angeordneten Profilgläsern. Die grossen, gekrümmten Schiebetore sind als Schalen für die Steifigkeit des Tragwerks ausgebildet. Konzentrisch angeordnete Photovoltaikflächen ergänzen die verschiedenen Elemente der Gebäudehülle.

Zurzeit arbeitet Ferrier am Umbau des Luzerner Grossratsaals. Hier schafft er eine Art «gedeckten Aussenraum» mit Himmel, Bühnenhaus und einem Ring für die Parlamentarier. Textile Schichten führen den künstlichen Himmel vom Bühnenhaus über den Saal und die Kolonnade bis an die Aussenmauern, wo ein silberner Lichtvorhang dem Fenster-Mauer-Wechsel folgt. Hier wie bei seinen früheren Entwürfen geht Ferrier von der besonderen Form des Ortes aus. Bezeichnet Ferrier seine Villen als Messpunkte in der Topographie des Ortes, so versteht er seine neusten Arbeiten als Auseinandersetzung mit dem städtischen und territorialen Kontext.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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