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Verschärfte Rahmenbedingungen
Im Wiener Kunstforum gastiert die Schau „Mythos Großstadt - Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“. Material aus bisher verschlossenen Archiven zeigt städtebauliche Ansätze auf dem Gebiet der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Markus Mittringer fand nicht nur in der Ausstellungsarchitektur von Coop Himmelb(l)au Brücken in die unmittelbare Gegenwart Wiens.
19. Juni 2001 - Markus Mittringer
Wien - Folgt man dem Sozialwissenschaftler Richard Sennett, so ist das städtische Leben stets historischer bzw. aktueller Ausdruck des Selbstverständnisses und der Erfahrungsbestände einer Kultur. Die großen Städte sind „Agenturen des sozialen Wandels und Gedächtnisspeicher, Brutstätten des Werdenden und Monumente des Gewordenen“. Für Sennett erklärt sich der Geist der Civitas in einer „Kultur des Unterschiedes“.
Sennet ist Zeitgenosse und muss seine Arbeiten als Werbung, als Plädoyer für diese Kultur des Mit- und Nebeneinander verstanden wissen, da immer wieder gespenstische Reinheitsgebote diese gründende großstädtische Eigenschaft und Funktion infrage zu stellen suchen.
In Wien wird gerade ein Museumsquartier fertig gestellt. Es versteckt sich in den ehemaligen Hofstallungen und ist - unter peinlicher Vermeidung jedes Repräsentationswollens - die späte letzte Bauphase des Kaiserforums des Franz Joseph. Den Fischer-von-Erlach-Trakt, hinter dem sich die Gegenwart, dem politischen Willen folgend, ducken musste, überragen daher, anstatt eines zeitgenössischen Signals, zwei historische Gebäude: der Sitz der Möbelkette Leiner und ein etwas älterer Flakturm.
Utopie und Praxis
Im Kunstforum der Bank Austria ist eine Ausstellung zu Gast, die sich dem Mythos Großstadt widmet, der Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa von 1890-1937. Sie fokussiert den Aufbruch neuer architektonischer Ideen in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie und ihrer Nachfolgestaaten.
Die Schau ist aus einer Kooperation des Bundesministeriums für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten, Wien, dem Canadian Centre for Architecture in Montreal und dem Getty Research Institute in Los Angeles entstanden. Den Mythos Großstadt belegen gut 350 Pläne und Zeichnungen, zu Utopie und Praxis des Bauens zwischen Lemberg und Laibach, Zagreb und Prag, Wien und Brünn. Und, die Öffnung der Archive der ehemaligen Ostblockstaaten liefert dem weiteres Beweismaterial: So mancher große Entwurf, so manches realisierte Gebäude, und vor allem die Rahmenbedingungen ihres Zustandekommens, dürften auch heute noch einigen ein entsetztes „Wien darf nicht Temeswar werden!“ entlocken.
Die Aufgabenstellung lag für die Architekten dieser annähernd fünfzig Jahre, vom späten Anschluss der Monarchie an internationale Standards von Industrie und Verkehr über deren Zerfall hin zur Organisation der vielen Völker in eigenen Staatswesen, darin, politische Kontroversen, radikale soziale Umwandlungen und die komplexe multinationale Geschichte des auseinander driftenden Vielvölkerstaates, auf die jeweiligen lokalen Traditionen hin abgestimmt, in eine gebaute Form zu bringen.
Was diese Reibung von lokalem Interesse, internationalem Gedankengut und nationaler Identitätsfindung an neuen städtischen Strukturen tatsächlich ausprägte beziehungsweise an nachhaltig prägenden Ideen hervor-brachte, gliedert die Ausstellung in zwei Abschnitte: „Die Stadt als Form und Idee“ konzentriert sich auf städtebauliche Theorie und Konzeption, „Modernität und Ort“ stellt in zehn Episoden die Protagonisten der aufbrechenden neuen Stadtkultur vor.
Was Otto Wagner nun mit den Prager Kubisten, was Camillo Sitte mit dem am Bauhaus orientierten Schaffen in Budapest, was Joze Plecnik mit Adolf Loos, was Zagreb mit Krakau verband, ist bei allen formalen, zeitlichen, sozialen und religiösen Unvereinbarkeiten ein Bekenntnis zur Stadt als „kulturelles Arte-fakt“ und zum Bauen als Aufgabe, unter komplexen und unsteten Bedingungen „Bedeutung“ zu manifestieren. Letzteres könnte wieder von Richard Sennett stammen. Und: Unauffälligkeit stand keiner der präsentierten Arbeiten als Ziel vor.
[Bis 26. August]
Sennet ist Zeitgenosse und muss seine Arbeiten als Werbung, als Plädoyer für diese Kultur des Mit- und Nebeneinander verstanden wissen, da immer wieder gespenstische Reinheitsgebote diese gründende großstädtische Eigenschaft und Funktion infrage zu stellen suchen.
In Wien wird gerade ein Museumsquartier fertig gestellt. Es versteckt sich in den ehemaligen Hofstallungen und ist - unter peinlicher Vermeidung jedes Repräsentationswollens - die späte letzte Bauphase des Kaiserforums des Franz Joseph. Den Fischer-von-Erlach-Trakt, hinter dem sich die Gegenwart, dem politischen Willen folgend, ducken musste, überragen daher, anstatt eines zeitgenössischen Signals, zwei historische Gebäude: der Sitz der Möbelkette Leiner und ein etwas älterer Flakturm.
Utopie und Praxis
Im Kunstforum der Bank Austria ist eine Ausstellung zu Gast, die sich dem Mythos Großstadt widmet, der Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa von 1890-1937. Sie fokussiert den Aufbruch neuer architektonischer Ideen in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie und ihrer Nachfolgestaaten.
Die Schau ist aus einer Kooperation des Bundesministeriums für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten, Wien, dem Canadian Centre for Architecture in Montreal und dem Getty Research Institute in Los Angeles entstanden. Den Mythos Großstadt belegen gut 350 Pläne und Zeichnungen, zu Utopie und Praxis des Bauens zwischen Lemberg und Laibach, Zagreb und Prag, Wien und Brünn. Und, die Öffnung der Archive der ehemaligen Ostblockstaaten liefert dem weiteres Beweismaterial: So mancher große Entwurf, so manches realisierte Gebäude, und vor allem die Rahmenbedingungen ihres Zustandekommens, dürften auch heute noch einigen ein entsetztes „Wien darf nicht Temeswar werden!“ entlocken.
Die Aufgabenstellung lag für die Architekten dieser annähernd fünfzig Jahre, vom späten Anschluss der Monarchie an internationale Standards von Industrie und Verkehr über deren Zerfall hin zur Organisation der vielen Völker in eigenen Staatswesen, darin, politische Kontroversen, radikale soziale Umwandlungen und die komplexe multinationale Geschichte des auseinander driftenden Vielvölkerstaates, auf die jeweiligen lokalen Traditionen hin abgestimmt, in eine gebaute Form zu bringen.
Was diese Reibung von lokalem Interesse, internationalem Gedankengut und nationaler Identitätsfindung an neuen städtischen Strukturen tatsächlich ausprägte beziehungsweise an nachhaltig prägenden Ideen hervor-brachte, gliedert die Ausstellung in zwei Abschnitte: „Die Stadt als Form und Idee“ konzentriert sich auf städtebauliche Theorie und Konzeption, „Modernität und Ort“ stellt in zehn Episoden die Protagonisten der aufbrechenden neuen Stadtkultur vor.
Was Otto Wagner nun mit den Prager Kubisten, was Camillo Sitte mit dem am Bauhaus orientierten Schaffen in Budapest, was Joze Plecnik mit Adolf Loos, was Zagreb mit Krakau verband, ist bei allen formalen, zeitlichen, sozialen und religiösen Unvereinbarkeiten ein Bekenntnis zur Stadt als „kulturelles Arte-fakt“ und zum Bauen als Aufgabe, unter komplexen und unsteten Bedingungen „Bedeutung“ zu manifestieren. Letzteres könnte wieder von Richard Sennett stammen. Und: Unauffälligkeit stand keiner der präsentierten Arbeiten als Ziel vor.
[Bis 26. August]
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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