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Profit diktiert die Form
Neue Zürcher Zeitung

Der Hongkonger Architekt Rocco Yim im Gespräch

6. Juli 2001 - Philipp Meuser
Seit dem Rückzug der Briten im Jahre 1997 suchen die Hongkongchinesen nach einem eigenen Profil. Über das architektonische Selbstverständnis in der südchinesischen Stadt sprach Philipp Meuser mit dem ortsansässigen Architekten Rocco Yim.

Hongkong fasziniert zunächst durch die städtebauliche Dichte. Die einzelnen Gebäude aber überzeugen nur in Ausnahmefällen.

Architektur gehorcht in Hongkong zunächst der Funktion und dem Geld. Der Architekt ist daher gezwungen, als Geschäftsmann, Techniker und Verwalter gegenüber dem Auftraggeber aufzutreten. Dass der Architekt auch Künstler ist, wird kaum erwartet. Ganz anders als in Europa, wo die Baukunst Teil der Kultur ist, müssen wir uns zunächst mit der Rendite eines Gebäudes beschäftigen. Hinzu kommt, dass die Schnelllebigkeit der Stadt auch einiges dazu beiträgt, dass die Gestaltung der Bauten vernachlässigt wird. Die Form wird somit vom Profit diktiert.

Welche Rolle spielen Architekturwettbewerbe?

Wettbewerbe finden so gut wie gar nicht statt. Der wohl bekannteste Wettbewerb fand Anfang der achtziger Jahre auf dem Peak statt. Zaha Hadid gewann zwar, doch die Auslober nutzten das Ergebnis nur zur Eigenwerbung. Wie Sie wissen, kam der Entwurf Hadids nie zur Ausführung. Das selbe gilt für öffentliche Bauten. Sie werden überwiegend von der Verwaltung selbst errichtet. Dass dabei das Gebäude-Design in einem kreativen Prozess generiert wird, kann man kaum annehmen. Die Stadtverwaltung hat nun einen internationalen Wettbewerb für ein Areal in West-Kowloon angekündigt. Ich kann nur hoffen, dass das Ergebnis auch umgesetzt wird.

Wodurch wird hier die Architektur beeinflusst?

Das lässt sich nicht leicht beantworten. Dennoch glaube ich, dass das Denken über Architektur sehr von Amerika bestimmt ist. Zu häufig stehen die Wünsche des Kunden - also eine möglichst hohe Rendite - im Vordergrund. Das trifft im Übrigen auch für Wohngebäude zu. Seit einigen Jahren beobachte ich jedoch ein zunehmendes Interesse für eine technische Robustheit und eine gewisse Qualität im Detail. Zu diesem Paradigmenwechsel haben sicherlich Norman Fosterund I. M. Pei beigetragen. Ihre Bankgebäude geniessen bis heute Vorbildcharakter. Insofern finden Hongkonger Architekten auch in ihrer eigenen Stadt Anregungen für ihre Entwürfe.

Den eigentlichen städtebaulichen Boom verzeichnen in China derzeit die Städte auf dem Festland. Wie behauptet sich Hongkong dagegen?

Einen grossen Vorteil gegenüber anderen Städten sehe ich darin, dass es in Hongkong trotz aller Hektik und Geschäftemacherei möglich ist, sich kulturell Gehör zu verschaffen. Das mag mit unserer britischen Vergangenheit zusammenhängen. In Schanghai oder Shenzhen ist das ungleich schwieriger. Architektur und Kultur werden dort einfach nicht zusammengedacht. Wichtig ist, dass wir diesen Vorteil ausbauen und nicht in der Gleichförmigkeit der «chinesischen Stadt» untergehen. Neben der Kultur spielen inzwischen auch umweltpolitische Themen eine gewisse Rolle. Dies erscheint mir ein weiterer Vorteil. Wenn wir es nicht schaffen, Hongkong als «world class city» auszubauen, wird unsere Sonderrolle in China schnell verspielt sein.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der Stadtstruktur Hongkongs und dem Typus der «europäischen Stadt»?

Der wesentliche Unterschied zwischen der europäischen und der chinesischen Stadt besteht in der Art der Sicht von Architektur. Hongkong ist so dicht gebaut, dass man ein Gebäude kaum in seiner Gesamtheit betrachten kann. Man sieht meist nur einen Bruchteil. Das ist in einer traditionellen europäischen Stadt anders. Dort ist das Haus zur Strasse orientiert und präsentiert sich mit seiner Fassade. Hier ist das allein schon aus Platzgründen nicht möglich. Wir bauen so, wie wir die Architektur wahrnehmen: als Teil von Funktionsabläufen und Wegbeziehungen.


[Daten zu Rocco Yim

International machte Rocco Yim schon als 31- Jähriger von sich Reden: Denn 1983 wurde er als einer der drei Preisträger im Wettbewerb um die Bastille- Oper bekannt. Anschliessend erprobte Rocco Yim als Entwerfer von privaten Villen die Verbindung von Landschaft und Baukunst. Erst in den späten achtziger Jahren widmete er sich wieder dem urbanen Kontext. Zu seinen Bauten zählen der Citibank Plaza Tower (1992), ein Wohnbaukomplex (1998) auf Hongkong Island und die Central Station des Flughafen-Expresses (1999), bei der er auch für den Masterplan der Umgebung verantwortlich zeichnete. In diesen Tagen erscheint bei Images Publishing, Mulgrave, Australien, die Monographie: The City in Architecture. Recent works of Rocco Design Limited.
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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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