Artikel
Zeitgenössische Architektur als Lückenbüsser
Bauliche Erneuerung der Frankenmetropole
27. Juli 2001 - Oliver Herwig
Geschichte ist Nürnbergs Kapital. Sie wird verkörpert von Kaiserburg und Christkindlesmarkt. Mit zeitgenössischer Architektur hingegen tut sich die Stadt schwer, auch wenn sie entscheidende Leerstellen füllt. Nun verwandelt Günther Domenig die Nazi-Kongresshalle am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in ein Dokumentationszentrum.
Alle Orte haben Geschichte, aber nur wenige verkörpern sie. Dieser Gemeinplatz gilt in besonderem Masse für Nürnberg. Wenn die Frankenmetropole heute eher verschlafen wirkt, liegt dies nicht an ihrer Vergangenheit. In Teilen lebt sie sogar von der Sandsteinromantik des Wiederaufbaus. «Stilrein wiederhergestellt» klebt als Etikett über ihrem Zentrum, das aus zwölf Millionen Kubikmetern Schutt wiedererstand. Ein Phönix aus der Asche ist es dennoch nicht geworden, dazu blieb zu viel historische Substanz auf der Strecke. Oder wurde an den Rand des historischen Gedächtnisses gedrängt, wie das Reichsparteitagsgelände am Grossen Dutzendteich.
Nürnbergs Stadtkrone
Mit so viel Geschichts- und Trümmerlast taten sich die Architekten der Nachkriegsmoderne eher schwer, trotz der Ausnahmeerscheinung Sep Ruf. Ende der vierziger Jahre hatten ihre Vertreter noch strenge Zeilen- und Hochhausbauten propagiert - und die entscheidende Abstimmung im Stadtrat verloren. Eine gemässigtere Gruppe vertrat verschiedene Zonen der Erinnerung. Markante Punkte wie etwa die Mauthalle sollten als historische Rekonstruktion erlebbar werden, Gebäude an wichtigen Plätzen hingegen nur in zeitgemässer Architektursprache entstehen. Kraftvolle Bauten aus dieser Zeit machen sich rar. Noch Anfang der siebziger Jahre war die Altstadt keineswegs komplett saniert. Immer deutlicher zutage tretende Brüche zwischen historischer Substanz, «geretteten Vierteln» und kommerzialisierter Innenstadt riefen schliesslich die «Altstadtfreunde» auf den Plan, einen Verein, der binnen fünf Jahren 5000 Mitglieder zählte und an der langfristigen Sanierung baufälliger Gebäude arbeitete. Heute, da die Arbeit am Zentrum weitgehend abgeschlossen ist, wagt man vorsichtige Modernismen, die sich in den Bestand drängen, etwa Volker Staabs «Neues Museum», das sich zum Publikumsmagneten entwickelte. Im Gegensatz zum Germanischen Nationalmuseum, dessen verschachtelte Struktur durch immer neue An- und Umbauten verschiedenste, oft konkurrierende Architektursprachen aufnahm, gelang dem Berliner Baumeister ein überzeugendes Ganzes.
Indes wird längst an Nürnbergs Stadtkrone gezimmert. Markantestes Beispiel ist ein 400 Millionen Mark teurer Dienstleistungsgigant, der nach Osten hin die Stadtgrenze neu zeichnet. Seit Herbst letzten Jahres erhebt sich auf dem Gelände eines ehemaligen Schrottplatzes der «Business Tower Nürnberg», mit einer Höhe von immerhin 135 Metern Bayerns grösster Büroturm. Seine Symbolik ist mit Händen zu greifen: «Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg», hat sich die Nürnberger Versicherung auf ihre Fahnen geschrieben und dieses Motto in ihrem festungsartigen Verwaltungszentrum wörtlich, allzu wörtlich genommen. Dabei bot das Areal allerhand Entwicklungsmöglichkeiten. Drei Seiten sind von S-Bahn und grossen Ausfallstrassen definiert, aber dieser klaren Begrenzung antwortet das Bürogebäude mit weiterer Abschottung, Kuben, die aus dem Alugeviert ausbrechen, und einer harten, siebengeschossigen Blockkante von 25 Metern. Dem Massstabssprung haben die Wohnbauten der unmittelbaren Umgebung nichts entgegenzusetzen. Sie werden von den herrischen Fronten regelrecht pulverisiert.
Über allem erhebt sich der Rundturm, massiv und schwer, mit seinen begehrten Offices mit Blick zum Wöhrder See und zur Altstadt. Unter dem Business-Tower, im Schutz der Verwaltungsburg, ist der Innenhof als Seenlandschaft gestaltet, die allerdings nur für Werksangehörige zugänglich ist. Die aufgeständerte und Öffnung signalisierende Ostecke des Gevierts weckt falsche Hoffnungen. Sie bietet Einblicke, aber keinen Eintritt. Gemässigt in den Dimensionen wirkt hingegen das «N-Energie»-Haus unweit des Plärrers. Anders als bei seinem Gegenüber aus den fünfziger Jahren, das prominent den Stadtraum gestaltet, liegen die Qualitäten des Neubaus im Inneren. Hinter der gläsernen Doppelfassade entwickelte das junge Kölner Büro Hausmann + Müller ein vielschichtiges Informationsgebäude für Verwaltung und Öffentlichkeit. Besucher betreten eine Hightech-Welt aus Aluminium, Sichtbeton und grauem Naturstein samt Kundencenter und Showroom, ein Haus im Haus, das als mehrstöckiger Kubus in die südliche Front eingestellt ist. Höfe spielen mit Durch- und Einblicken. Das nördliche Geviert um einen quadratischen Wasserhof ist für Mitarbeiter reserviert. Für alle anderen bleibt der Blick in den begrünten Hof.
Ein Keil gegen das Nazi-Kolosseum
Eines der interessantesten Projekte in Nürnbergs Innenstadt wurde im Herbst 2000 abgebaut und wird nun seit Ostern als Schülertreff der Grundschule in Kornburg neu genutzt: Matthias Loebermanns «Experimental-Box», die als Stadtteilinformationszentrum drei Jahre am Celtisplatz, hinter den Gleisanlagen des Nürnberger Hauptbahnhofs, mehr schwebte als stand. Über einem temporär stillgelegten Fahrstreifen ging es per Treppe beziehungsweise Rampe in einen mit innovativen Fassadensystemen voll gestopften Pavillon. Eine Komposition aus Aluminiumlochblechtafeln, Lamellen und transluzenten, wärmedämmenden Glaspaneelen bot sich dem Besucher dar. Nach Ablauf des Nutzungsvertrags mit der Stadt wurde die Box auf einen Tieflader gepackt und in einem Stück nach Nürnberg-Kornburg verfrachtet. Offensichtlich tat man sich schwer, eine richtige Nutzung für den Pavillon zu finden. Die nun gefundene Lösung klingt nach letzter Rettung. Immerhin erhielten nun die Grundschüler von Kornburg ein Stück avancierter Architektur.
Nur wenige verirren sich an den Grossen Dutzendteich, wo die dem römischen Kolosseum nachempfundene Nazi-Kongresshalle steht. Aus dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wurde wieder der Volksfestplatz, und aus dem Riesenbau ein Abstellplatz für den städtischen Fuhrpark. Das soll sich ändern. Über 50 Jahre nach Kriegsende wird das 18 Millionen Mark teure «Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände» ab November die eher provisorisch untergebrachte Ausstellung «Faszination und Gewalt» in der Zeppelin-Tribüne ersetzen. Architekt Günther Domenig trieb einen gewaltigen Keil aus Stahl und Glas in die steinerne Herrschaftsarchitektur des Dritten Reichs. Ob der Versuch gelingt, die Baumassen der Nationalsozialisten aufzusprengen und Licht in das völkische Dunkel zu bringen, wird sich, wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zeigen. Im Inneren der Anlage jedenfalls bleibt von dem stählernen Keil, der durch meterdickes Mauerwerk gesägt werden musste, nur eine winzige Spitze hoch über dem Boden, eine Ahnung von Veränderung. Geschichte lässt sich nicht stillstellen und auch nur bedingt ausstellen. Wohl aber bewahren und lebendig halten.
Alle Orte haben Geschichte, aber nur wenige verkörpern sie. Dieser Gemeinplatz gilt in besonderem Masse für Nürnberg. Wenn die Frankenmetropole heute eher verschlafen wirkt, liegt dies nicht an ihrer Vergangenheit. In Teilen lebt sie sogar von der Sandsteinromantik des Wiederaufbaus. «Stilrein wiederhergestellt» klebt als Etikett über ihrem Zentrum, das aus zwölf Millionen Kubikmetern Schutt wiedererstand. Ein Phönix aus der Asche ist es dennoch nicht geworden, dazu blieb zu viel historische Substanz auf der Strecke. Oder wurde an den Rand des historischen Gedächtnisses gedrängt, wie das Reichsparteitagsgelände am Grossen Dutzendteich.
Nürnbergs Stadtkrone
Mit so viel Geschichts- und Trümmerlast taten sich die Architekten der Nachkriegsmoderne eher schwer, trotz der Ausnahmeerscheinung Sep Ruf. Ende der vierziger Jahre hatten ihre Vertreter noch strenge Zeilen- und Hochhausbauten propagiert - und die entscheidende Abstimmung im Stadtrat verloren. Eine gemässigtere Gruppe vertrat verschiedene Zonen der Erinnerung. Markante Punkte wie etwa die Mauthalle sollten als historische Rekonstruktion erlebbar werden, Gebäude an wichtigen Plätzen hingegen nur in zeitgemässer Architektursprache entstehen. Kraftvolle Bauten aus dieser Zeit machen sich rar. Noch Anfang der siebziger Jahre war die Altstadt keineswegs komplett saniert. Immer deutlicher zutage tretende Brüche zwischen historischer Substanz, «geretteten Vierteln» und kommerzialisierter Innenstadt riefen schliesslich die «Altstadtfreunde» auf den Plan, einen Verein, der binnen fünf Jahren 5000 Mitglieder zählte und an der langfristigen Sanierung baufälliger Gebäude arbeitete. Heute, da die Arbeit am Zentrum weitgehend abgeschlossen ist, wagt man vorsichtige Modernismen, die sich in den Bestand drängen, etwa Volker Staabs «Neues Museum», das sich zum Publikumsmagneten entwickelte. Im Gegensatz zum Germanischen Nationalmuseum, dessen verschachtelte Struktur durch immer neue An- und Umbauten verschiedenste, oft konkurrierende Architektursprachen aufnahm, gelang dem Berliner Baumeister ein überzeugendes Ganzes.
Indes wird längst an Nürnbergs Stadtkrone gezimmert. Markantestes Beispiel ist ein 400 Millionen Mark teurer Dienstleistungsgigant, der nach Osten hin die Stadtgrenze neu zeichnet. Seit Herbst letzten Jahres erhebt sich auf dem Gelände eines ehemaligen Schrottplatzes der «Business Tower Nürnberg», mit einer Höhe von immerhin 135 Metern Bayerns grösster Büroturm. Seine Symbolik ist mit Händen zu greifen: «Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg», hat sich die Nürnberger Versicherung auf ihre Fahnen geschrieben und dieses Motto in ihrem festungsartigen Verwaltungszentrum wörtlich, allzu wörtlich genommen. Dabei bot das Areal allerhand Entwicklungsmöglichkeiten. Drei Seiten sind von S-Bahn und grossen Ausfallstrassen definiert, aber dieser klaren Begrenzung antwortet das Bürogebäude mit weiterer Abschottung, Kuben, die aus dem Alugeviert ausbrechen, und einer harten, siebengeschossigen Blockkante von 25 Metern. Dem Massstabssprung haben die Wohnbauten der unmittelbaren Umgebung nichts entgegenzusetzen. Sie werden von den herrischen Fronten regelrecht pulverisiert.
Über allem erhebt sich der Rundturm, massiv und schwer, mit seinen begehrten Offices mit Blick zum Wöhrder See und zur Altstadt. Unter dem Business-Tower, im Schutz der Verwaltungsburg, ist der Innenhof als Seenlandschaft gestaltet, die allerdings nur für Werksangehörige zugänglich ist. Die aufgeständerte und Öffnung signalisierende Ostecke des Gevierts weckt falsche Hoffnungen. Sie bietet Einblicke, aber keinen Eintritt. Gemässigt in den Dimensionen wirkt hingegen das «N-Energie»-Haus unweit des Plärrers. Anders als bei seinem Gegenüber aus den fünfziger Jahren, das prominent den Stadtraum gestaltet, liegen die Qualitäten des Neubaus im Inneren. Hinter der gläsernen Doppelfassade entwickelte das junge Kölner Büro Hausmann + Müller ein vielschichtiges Informationsgebäude für Verwaltung und Öffentlichkeit. Besucher betreten eine Hightech-Welt aus Aluminium, Sichtbeton und grauem Naturstein samt Kundencenter und Showroom, ein Haus im Haus, das als mehrstöckiger Kubus in die südliche Front eingestellt ist. Höfe spielen mit Durch- und Einblicken. Das nördliche Geviert um einen quadratischen Wasserhof ist für Mitarbeiter reserviert. Für alle anderen bleibt der Blick in den begrünten Hof.
Ein Keil gegen das Nazi-Kolosseum
Eines der interessantesten Projekte in Nürnbergs Innenstadt wurde im Herbst 2000 abgebaut und wird nun seit Ostern als Schülertreff der Grundschule in Kornburg neu genutzt: Matthias Loebermanns «Experimental-Box», die als Stadtteilinformationszentrum drei Jahre am Celtisplatz, hinter den Gleisanlagen des Nürnberger Hauptbahnhofs, mehr schwebte als stand. Über einem temporär stillgelegten Fahrstreifen ging es per Treppe beziehungsweise Rampe in einen mit innovativen Fassadensystemen voll gestopften Pavillon. Eine Komposition aus Aluminiumlochblechtafeln, Lamellen und transluzenten, wärmedämmenden Glaspaneelen bot sich dem Besucher dar. Nach Ablauf des Nutzungsvertrags mit der Stadt wurde die Box auf einen Tieflader gepackt und in einem Stück nach Nürnberg-Kornburg verfrachtet. Offensichtlich tat man sich schwer, eine richtige Nutzung für den Pavillon zu finden. Die nun gefundene Lösung klingt nach letzter Rettung. Immerhin erhielten nun die Grundschüler von Kornburg ein Stück avancierter Architektur.
Nur wenige verirren sich an den Grossen Dutzendteich, wo die dem römischen Kolosseum nachempfundene Nazi-Kongresshalle steht. Aus dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wurde wieder der Volksfestplatz, und aus dem Riesenbau ein Abstellplatz für den städtischen Fuhrpark. Das soll sich ändern. Über 50 Jahre nach Kriegsende wird das 18 Millionen Mark teure «Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände» ab November die eher provisorisch untergebrachte Ausstellung «Faszination und Gewalt» in der Zeppelin-Tribüne ersetzen. Architekt Günther Domenig trieb einen gewaltigen Keil aus Stahl und Glas in die steinerne Herrschaftsarchitektur des Dritten Reichs. Ob der Versuch gelingt, die Baumassen der Nationalsozialisten aufzusprengen und Licht in das völkische Dunkel zu bringen, wird sich, wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zeigen. Im Inneren der Anlage jedenfalls bleibt von dem stählernen Keil, der durch meterdickes Mauerwerk gesägt werden musste, nur eine winzige Spitze hoch über dem Boden, eine Ahnung von Veränderung. Geschichte lässt sich nicht stillstellen und auch nur bedingt ausstellen. Wohl aber bewahren und lebendig halten.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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