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Stadtentwicklung und Prestigebauten
Neue Zürcher Zeitung

Bern auf der Suche nach qualitätvoller Baukunst

3. August 2001 - Suzanne Kappeler
Ähnlich wie in Zürich, das sich ausserhalb des Zentrums auf stillgelegten Industriearealen zurzeit mit Kultur-, Wohn- und Dienstleistungsbauten rasant erneuert, herrscht auch in Bern seit kurzem architektonische Aufbruchsstimmung. Neben den baureifen «Grands Projets» am östlichen und westlichen Stadtrand sind in den nächsten fünf bis zehn Jahren auch rund 4000 Wohnungen in verschiedenen Quartieren geplant.

Mit dem Abbruch des traditionsreichen Wankdorfstadions in diesem Sommer wird der Weg frei zum Bau des neuen Nationalstadions. Anders als der abstrakte Leuchtkörper des St.-Jakob-Parks in Basel von Herzog & de Meuron wird der von der Architektengemeinschaft Rodolphe Luscher, Lausanne, sowie Schwaar& Partner, Bern, geplante Berner Neubau von aussen deutlich als Stadion erkennbar sein. Das Dach des neuen «Wankdorf» wird gegen das Stadtzentrum weisen und eine klare Beziehung zum Stadtraum schaffen (NZZ 6. 8. 99). Gleichsam als Gegenstück dazu entsteht an der Autobahnausfahrt Bern Ostring bis spätestens 2006 Renzo Pianos Forschungs- und Ausstellungszentrum für den grossen Berner Maler Paul Klee. Mit einer grosszügigen Schenkung von sechzig Millionen Franken löste der Berner Chirurg Maurice E. Müller die Standort- und Architekturfrage für das neue Haus: Das Zentrum wird auf seinem eigenen Land im Schöngrün-Quartier erstellt (NZZ 10. 12. 99). Als besonders wagemutig gilt der aus einem Wettbewerb hervorgegangene Bauauftrag an den Berliner Architekten Daniel Libeskind für ein Freizeit- und Einkaufszentrum (FEZ) der Migros Aare im westlichen Aussenquartier Brünnen. Auf dem Areal sind ausserdem für insgesamt 2500 Menschen Wohnbauten vorgesehen, für die bereits 1992 ein Architekturwettbewerb lanciert wurde.


Stadtentwicklung

Die geplanten Grossbauten scheinen zunächst einmal mit dem Makel des Standortes im Niemandsland der Agglomeration behaftet zu sein. Doch sind sie eingebettet in die Gesamtplanung der Stadt, die ihre Entwicklungsstrategie in sogenannten Schwerpunktstandorten seit einiger Zeit festgelegt hat. Berns Stadtplaner, Jürg Sulzer, reagiert denn auch etwas ungehalten auf den Begriff Peripherie: «Immer wenn in Bern etwas nicht in der Altstadt entsteht, heisst es, der Bau liegt am Stadtrand. Der Ostring ist indes noch ein Teil der Stadt und gehört nicht zur Agglomeration.» 1995 legte die Stadt Bern ein erstes Stadtentwicklungskonzept vor, darin wurden einzelne Standorte ausgewiesen, etwa in Brünnen, wo ein Teil des städtischen Landes für Dienstleistungsnutzung vorgesehen war. Die Stadtentwicklung richtete sich dabei nicht auf einzelne Investoren aus; das städtebauliche Konzept stand stets im Vordergrund. Anders als in Zürich findet in Bern die Erneuerung der Stadt nicht auf brachliegenden Industriearealen statt, da Bern nie wirklichein Industriestandort, sondern immer eine Beamtenstadt war.

Zur Stadtentwicklung gehört auch das Verkehrskonzept, das auf dem vorhandenen Netz aufbaut und neue Linien mit den bestehenden verknüpft; dies gilt ebenso für die S-Bahn-Anschlüsse im Gebiet Brünnen wie für die Verbindungen zum Klee-Zentrum und zum Wankdorfstadion. «Mit dem Bestehenden etwas Neuesmachen», lautet die Devise. Rechtzeitig zur Eröffnung des FEZ Brünnen im Jahr 2005 soll für denöffentlichen Verkehr ein Viertelstundentakt eingerichtet werden. Zum Klee-Zentrum wird eine Trolleybuslinie führen, die auf dem Weg dorthin die ganze Altstadt durchfährt. «Der beste Sightseeing-Bus Berns», meint Sulzer. Die Zusammenarbeit bei der Konzeption dieses Grossprojektes spielt auf allen Ebenen: Der Kanton baut das S-Bahn-Netz aus, die Stadt stellt die Baufelder und die Erschliessung bereit und sorgt zusammen mit dem privaten Bauherrn für eine städtebaulich- architektonisch möglichst attraktive Lösung.

Keines der ehrgeizigen jüngeren Berner Architekturbüros erhielt den Auftrag für eines der prestigeträchtigen Bauvorhaben. Die Kritik aus ihren Reihen lautet denn auch, die Wettbewerbe seien zu wenig genau formuliert gewesen, ausserdem fehle die Verbindlichkeit, dass ein siegreiches Wettbewerbsprojekt auch gebaut werden könne. Die Architekturkultur müsse unbedingt gestärkt werden, da die traditionsreichen Büros überaltert seien und die jungen Teams zu wenig Chancen erhielten, ihre Fähigkeiten zu beweisen. In den vergangenen Jahren wurde in der Bundesstadt wenigExemplarisches gebaut; gut möglich, dass der Bezug zu einer örtlichen Architekturschule, dass ein lebendiges Diskussionsmilieu fehlt. Als positives Beispiel wird aber immerhin der Wettbewerb für den Anbau an das Historische Museum erwähnt.


Stararchitektur

Zwar fordert die Stadt für die zu überbauenden Areale Architekturwettbewerbe. Im Fall des FEZ Brünnen schlug sie dem Bauherrn fünfzehn renommierte, mehrheitlich ausländische Büros vor, aus denen die Migros dann fünf bekannte auslas, darunter auch das Berner Büro ARB. Dass Stararchitekt Daniel Libeskind mit seinen «Nexus» genannten, sich wie Finger aus einer geöffneten Hand ausstreckenden Baukörpern obenaus schwang, wird von Behörden und Bauherrschaft als Glücksfall empfunden. Der Stadtplaner spricht denn auch von einer «baukünstlerisch unverwechselbaren Identität am Stadtrand». DerKontrast zur orthogonalen Struktur des daran anschliessenden Wohnquartiers, das - einmal gebaut - von einem überdachten und begrüntenAutobahnteilstück durchschnitten wird, ist augenfällig. Die Voraussetzungen sind also gegeben,dass hier - bei städtebaulich sorgfältig durchdachter Planung - im Zusammenspiel von FEZ und Siedlung ein zukunftsweisender Stadtteil und nicht nur ein peripheres Wohnquartier entsteht.

Liegen den Bauten in Brünnen demokratische Entscheidungsprozesse zugrunde, so ist Renzo Pianos Klee-Zentrum mit der von einem elegant geschwungenen Dach gefassten Glasfassade entlang der Autobahn das Resultat eines einsamenEntscheids des auch als Investor tätigen Mediziners Maurice E. Müller. Nach dem Bau einer Siedlung auf seinem Land im Schöngrün-Quartier blieb eine Restfläche übrig, auf der nun das neue Forschungs- und Ausstellungszentrum verwirklicht wird. Die Stadt nimmt den Faden auf, indemsie hinausgeschobene Aufgaben - etwa die Realisierung von Wohnungsbauten auf den an das geplante Klee-Zentrum anschliessenden Grünflächen - mit dem Bau desselben verknüpft. DurchAbtausch mit dem Landeigentümer, der Burgergemeinde, sollen auf dem «Florama» genannten Gebiet auf Grund eines Architekturwettbewerbs zwei- bis dreihundert Wohnungen entstehen.


Wohnungsbau und Platzgestaltungen

Erlebte Bern in den sechziger Jahren mit Bümpliz Nord und Bethlehem einen Entwicklungsschub im verdichteten Wohnungsbau auf der grünen Wiese, so steht heute die Überbauung noch vorhandener Freiflächen innerhalb des bebauten Stadtgebiets im Vordergrund. Gegenwärtig wird etwa die Umnutzung eines ehemaligen Tramdepots diskutiert. Als grösstes freies Areal auf Stadtgebiet bietet sich das «Viererfeld» im Norden an, wo in den nächsten Jahren 800 Wohnungen entstehen sollen. Ursprünglich für eine campusartige Erweiterung der Universität vorgesehen, kann das Gebiet jetzt für urbane, drei- bis viergeschossige, würfelartige Bauten genutzt werden. Diese «Stadtvillen» erlauben ein verdichtetes Bauen mit hoher Lebensqualität. In Brünnen werden Wettbewerbe für die einzelnen Baufelder lanciert, wobei noch nicht klar ist, was mit den Plänen von Michael Alder geschehen soll, der 1992 einen Wettbewerb für Wohnbauten auf dem Areal gewann. Für Stadtplaner Jürg Sulzer wirken die geplanten Grossbauten als «Katalysatoren für die Stadtentwicklung, die jetztSchritt für Schritt realisiert werden kann. Es genügt nicht, Baulinien und Bauflächen zur Verfügung zu stellen, die Stadtbaukunst muss wieder ein zentrales Thema werden.»

Anders als Zürich leidet Bern nicht direkt unter Wohnungsnot, sondern unter der Abwanderung gut verdienender Bürger. Deshalb sollen etwa an der Manuelstrasse im vornehmen Kirchenfeld- Quartier 80 Wohnungen mit gehobenem Ausbaustandard entstehen, für die bereits viel Interesse besteht. Falls die Steuerzahler den Planern keinen Strich durch die Rechnung machen, sollen in den nächsten fünf bis zehn Jahren etwa 4000 Neuwohnungen gebaut werden.

Da es im denkmalgeschützten, von der Unesco schon vor Jahren zum Weltkulturerbe ernannten Altstadtgebiet, also in der eigentlichen Berner Innenstadt, keinen freien Platz für Wohnüberbauungen gibt, konzentriert sich hier die Stadtentwicklung auf die öffentlichen Räume: Schritt fürSchritt sollen die historischen Plätze erneuert werden. Nachdem das geplante Glasdach für denBahnhofsplatz soeben am Widerstand der Burgergemeinde gescheitert ist, formieren sich die fortschrittlichen Kräfte, um das Konzept für einen leer geräumten Bundesplatz durchzusetzen. Ein feiner gestalterischer Raster mit einem Wasserspiel und einem Leuchtband, das zum Bärenplatzüberleitet, soll Möglichkeiten für eine Aussenempfangsfläche, eine Bühne und Ähnliches bieten. Die unendliche Geschichte um den Waisenhausplatz ist den Bernern längst vertraut: Dochnun steht fest, dass das vom Zürcher Büro Kienast Vogt Partner bereits 1990 mit dem erstenPreis ausgezeichnete Wettbewerbsprojekt zur Erneuerung von Bären- und Waisenhausplatz realisiert werden soll, vorerst jedoch zugunsten desBundesplatzes um drei bis vier Jahre zurückgestellt wird. Für den Casinoplatz sind Erweiterungen geplant; hier soll eine Lösung für diegegenwärtig noch auf dem Bundesplatz abgestellten Autos gefunden werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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