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Blade Runner in the Tropics
Neue Zürcher Zeitung

4. Architektur-Symposium Pontresina

18. September 2001 - Hubertus Adam
Im vierten Jahr seines Bestehens scheint sich das Architektur-Symposium Pontresina (ASP) mit ungefähr 250 Teilnehmern und Besuchern stabilisiert zu haben. Die Idee der Veranstalter, durch hochrangig besetzte Gesprächsrunden Architekturinteressierte ins Engadin zu locken und somit dem Gastgewerbe willkommene Einnahmen ausserhalb der Hochsaison zu verschaffen, ist erfolgreich. Dabei besitzt die - für fast alle Teilnehmer - weite Anreise Vor- und Nachteile: Einerseits ergeben sich dank der abgeschiedenen Lage eher Gelegenheiten zu informellen Gesprächen als im metropolitanen Umfeld, andererseits sind gerade prominentere Referenten vielfach nicht bereit, länger als nötig am Symposium teilzunehmen.

Die Attentate von New York und Washington warfen ihre Schatten auch auf diese Veranstaltung; sie bildeten nicht nur den latenten Bezugspunkt für viele der Vorträge und Gespräche, sondern erzwangen auch Veränderungen des Programms, da Thom Mayne vom kalifornischen Büro Morphosis und Hani Rashid von Asymptote aus New York die Reise nach Europa verwehrt war. Mayne konnte immerhin per Telefonkonferenz zu einem Statement hinzugeschaltet werden.

Nachdem am ersten Tag die städtebauliche Entwicklung Londons thematisiert worden war, stand der zweite Tag unter dem Titel «Elendsgürtel der Städte». Ins Zentrum rückte der Vortrag von Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner, die mit ihrem «Caracas Urban Think Tank» exemplarisch und engagiert demonstrierten, wie Architekten in Schwellen- und Entwicklungsländern agieren können. Voraussetzung dafür ist ein verändertes Selbstverständnis des Architekten: In den Slums der als «Blade Runner in the Tropics» bezeichneten venezolanischen Hauptstadt geht es nicht um selbstreferenzielle Ästhetik, sondern um Strategien und Interventionen. Der Architekt wird zum Kommunikator, der die Potenziale in einem chaotischen, vom ökonomischen und politischen Diskurs bestimmten Raum analysieren und interpretieren muss. Das erfordert unweigerlich, die gegebene urbane Situation zunächst einmal zu akzeptieren, in ihr eher Chancen als Defizite zu sehen. Der Schweizer Hans Boesch, der einige Passagen aus seinen Publikationen ablas, wurde mit seiner unreflektierten wertkonservativen Beschwörung des organischen Städtebaus vor diesem Hintergrund unfreiwillig zum Fossil. Wer sich über Blümlein am Schulweg den Kopf zerbricht und durch Autos in der sinnlichen Wahrnehmung der Umwelt gestört sieht, hat sich meilenweit von der aktuellen urbanistischen Diskussion der Gegenwart entfernt.

In welcher Weise sich das Verständnis der Stadt verändert hat, demonstrierten am dritten Tag der niederländische Architekturkritiker Bart Lootsma und der Architekt Winy Maas vom Rotterdamer Büro MVRDV - «Movement and Mobility» hiess das Thema. In packender Weise präsentierte Maas seine aus detaillierter Analyse hervorgegangenen Projekte, die Pragmatismus und Vision kombinieren, darunter die Schweinehochhäuser der «Pig City» (NZZ 24. 4. 01), einen «Info City» genannten Bibliotheksturm für s'Hertogenbosch und den Entwurf für das «Eyebeam Institute» in Manhattan, mit dem sich MVRDV derzeit in der Finalrunde des Wettbewerbs befindet. - Wenn die Veranstalter bei der Auswahl der Referenten künftig etwas sorgfältiger verfahren und sich auf tatsächliche Problemlagen konzentrieren, wie sie von Lootsma, Maas oder dem «Caracas Urban Think Tank» angesprochen wurden, könnte das ASP zu einem wichtigen Forum für den architektonischen und urbanistischen Diskurs der Gegenwart werden.

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