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Säulenhallen an der Newa
Die Architektur des Klassizismus in St. Petersburg
Seit der Tessiner Domenico Trezzini die ersten Wahrzeichen von St. Petersburg schuf, arbeiteten ungezählte Architekten und Dekorateure aus der italienischsprachigen Welt in der vor 300 Jahren gegründeten Metropole. Eine Doppelausstellung in Lugano und Mendrisio beleuchtet den bedeutenden Kulturaustausch zur Zeit des Klassizismus.
10. Oktober 2003 - Roman Hollenstein
Am Ende der Herrschaft von Zar Alexander I. galt das damals eine halbe Million Einwohner zählende St. Petersburg als eine der prächtigsten Metropolen Europas. Dabei war die 122 Jahre zuvor von Peter dem Grossen im sumpfigen Newa-Delta gegründete Stadt in ihrer Anfangszeit nicht viel mehr gewesen als eine Ansammlung von Holzhütten, überragt von der Peter-und- Paul-Kathedrale, dem Meisterwerk des Tessiner Architekten Domenico Trezzini. Unter Elisabeth I. realisierte dann Bartolomeo Rastrelli Barockjuwelen wie das Smolny-Kloster, den Winterpalast oder die Anlage von Zarskoje Selo. Doch zur ersten wirklich modernen Stadt des Kontinents wurde Russlands «Fenster nach Europa» in den 63 Jahren zwischen der Thronbesteigung Katharinas II. (1762) und dem Tod ihres Enkels Alexander I. im Jahre 1825. Aufschwung und Neuerung manifestierten sich im Stadtbild in Form antikisierender Prachtsbauten, deren Fassaden und Interieurs die archäologischen Neuentdeckungen sowie die architektonischen und antiquarischen Erkenntnisse von Palladio bis Winckelmann spiegelten und St. Petersburg den Ruf eines neuen Rom eintrugen.
Der Traum von Italien
Zu Beginn ihrer bis 1796 dauernden Herrschaft machte sich die kunstsinnige, mit Voltaire und Diderot korrespondierende Katharina II. stark für einen aufgeklärten Absolutismus, dessen adäquates architektonisches Kleid sie im neu aufkeimenden, zunächst noch französisch geprägten Klassizismus sah. Ihr wachsendes Interesse an Antike und Italien befriedigten aus dem Ausland herbeigerufene oder an der Petersburger Akademie und anschliessend in Rom ausgebildete Architekten. Mit Neubauten wie der Akademie der Wissenschaften oder der Assignatenbank war Giacomo Quarenghi Mitbegründer des sogenannt strikten Klassizismus. Dieser erlebte seinen Höhepunkt in Potemkins Taurischem Palais von Iwan Starow sowie im Palast von Pawlowsk, den der von Palladio und Robert Adam beeinflusste Schotte Charles Cameron für Katharinas Sohn Paul I. errichtete. Einmal in Amt und Würde, gab dieser bei Vincenzo Brenna das burgartige, in wuchtigen Neorenaissanceformen gehaltene Michaels- Schloss in Auftrag, den wohl eigenwilligsten italianisierenden Grossbau der Epoche.
Schon bald nach der Thronbesteigung Alexanders I. im Jahre 1801 kristallisierte sich ein stark von der Vorstellung altrömischer Monumentalarchitektur geprägter Stil heraus. Die ersten Meisterwerke des neuen Jahrhunderts, die tempelartige Börse von Thomas de Thomon und Adrian Sacharows durch triumphbogenartige Portale akzentuierte Admiralität, zeugen allerdings auch von einem starken Einfluss der französischen Revolutionsarchitektur, während Andrei Woronichin mit der Kasaner Kathedrale und ihren urbanistisch raffiniert auf den Newski-Prospekt ausgerichteten Kolonnaden eine antikische Antwort auf den Petersdom fand. Alexanders Wille zur imperialen Umgestaltung der Stadt ermöglichte die von zeichenhaften Grossbauten einzigartig gefassten Stadträume von Carlo Rossi, dem genialen Sohn des vermutlich aus Lugano stammenden Giovanni Rossi und einer Tänzerin. Rossis Lösungen am Schlossplatz, beim Alexandratheater oder beim Michael-Palais, dem heutigen Russischen Museum, machten St. Petersburg zum Laboratorium eines frühmodernen Städtebaus, dem in der Neuen Welt in Ansätzen L'Enfants Washington antwortete.
Gelehrte Inszenierungen
Diese ebenso komplexe wie glorreiche Epoche der europäischen Architekturgeschichte versucht nun eine zur Feier des 300. Gründungsjahrs von St. Petersburg im Museo Cantonale d'Arte in Lugano sowie im Archivio del Moderno in Mendrisio veranstaltete Doppelausstellung auf italienische und römisch-antike Wurzeln zurückzuführen. Damit erhellt die anschliessend in die Eremitage weiterreisende Veranstaltung allerdings nur eine (wenn auch die bedeutendste) Quelle, aus der der Petersburger Klassizismus schöpfte. Als nämlich Katharina II. den neuen Stil zum Abbild des aufgeklärten Absolutismus deklarierte, stützte sie sich zunächst auf Vallin de la Mothe, dessen Bauten - etwa die Kunstakademie oder die Kleine Eremitage - noch ganz dem frühklassizistischen Architekturtheoretiker Jean-François Blondel und der Zeit von Louis XIV. verpflichtet waren. Die betont italienische Optik der nun unter Beizug russischer Spezialisten erarbeiteten Ausstellung rührt letztlich daher, dass diese aus der Präsentation zweier Dynastien von Tessiner Baukünstlern und Ingenieuren im Frühjahr 2000 in Mendrisio hervorging: der Adamini und Gilardi, welche in Russland ihre Terra promessa fanden.
Die mit historischen Stadtplänen und Veduten suggestiv gestaltete Ouverture in Lugano vermittelt einen Eindruck von St. Petersburgs schnellem und auf Prachtentfaltung hin angelegtem Wachstum. Im Überblick kann man hier fast allen Bauten begegnen, die dann anhand kostbarer Zeichnungen und Pläne diskutiert werden. Anschliessend wird Katharinas für die Zeit typische Antikenbegeisterung mit Gemälden von Hubert Robert, Pannini und Hackert, mit Stichen Piranesis oder mit Charles-Louis Clérisseaus Vision einer Zarenvilla all'antica illustriert. Eigene Kapitel sind der Petersburger Kunstakademie und dem Einfluss der Architekturtheoretiker von Vitruv bis Scamozzi gewidmet. Dem breit dargelegten italianisierenden Petersburger Klassizismus, der in den Bauten und Interieurs der Quarenghi, Brenna, Rossi und Rusca, der Cameron, Starow, Woronichin und Sacharow triumphierte, wird der spartanische Moskauer Klassizismus Domenico Gilardis entgegensetzt, dessen in der Nachfolge von Baschenow errichtete Bauten den neusten europäischen Geschmack reflektierten.
Wie schwer es fortschrittliche Projekte in dem vom alexandrinischen Empire dominierten Petersburg hatten, zeigt der Wettbewerb für die Isaaks-Kathedrale, bei dem der Vorschlag von Auguste de Montferrand, welcher nur Soufflots Panthéon variiert, dem rationalistisch entschlackten Entwurf von Domenico Adamini vorgezogen wurde. Der mit ihm verwandte Ingenieur Antonio Adamini war es dann, der Montferrand bei der Realisierung der Kathedrale, aber auch 1834 bei der Errichtung der Alexandersäule auf dem Schlossplatz als technischer Berater zur Seite stand. Deren in Mendrisio vorgestellte Arbeiten sowie die in Lugano erläuterten Werke von Domenico Gilardi und Luigi Rusca bilden Glanzlichter der Schau, die sonst - wenn auch mit vielen erstmals gezeigten Exponaten - eher bekannten Wegen folgt. Nun erscheint Luigi Rusca, dem bis zum 2. November auch das Museo plebano in Agno eine kleine Ausstellung mit Katalog widmet, erstmals gleichberechtigt zwischen Rossi und dem aus Bergamo stammenden Quarenghi. Wirkte er doch nicht nur mit seinen säulengeschmückten Kasernen, eigentlichen Militärpalästen, und weiteren, 1810 in einem illustrierten Folioband in Paris publizierten Bauten nachhaltig auf das Stadtbild ein, sondern modernisierte darüber hinaus auch das kostbare Taurische Palais.
Die gelehrte und mit bedeutenden Blättern reich bestückte Doppelausstellung, die - bedingt durch ihren architekturgeschichtlichen Anspruch - etwas an plastischer Anschaulichkeit vermissen lässt und daher ohne Kenntnis der Stadt St. Petersburg nur bedingt zu verstehen ist, wird von einem informativen wissenschaftlichen Katalog begleitet. Aufgrund der Druckfahnen darf dieser schon jetzt als Standardwerk bezeichnet werden, obwohl er erst Anfang Dezember erscheinen wird. Da trifft es sich gut, dass die frühsten bekannten Fotografien von St. Petersburg, die um 1850 vom Tessiner Ivan Bianchi aufgenommen wurden (NZZ 7. 2. 03, Katalog Fr. 70.-), gleichsam als Anschauungshilfe noch bis zum 28. November in der Biblioteca Cantonale in Lugano zu sehen sind.
[ Bis 11. Januar im Museo Cantonale d'Arte in Lugano und im Archivio del Moderno in Mendrisio. Katalog: Dal mito al progetto. La cultura architettonica dei maestri italiani e ticinesi nella Russia neoclassica. Hrsg. Nicola Navone und Letizia Tedeschi. Archivio del Moderno, Mendrisio 2003. 2 Bde., 928 S., Fr. 90.-.]
Der Traum von Italien
Zu Beginn ihrer bis 1796 dauernden Herrschaft machte sich die kunstsinnige, mit Voltaire und Diderot korrespondierende Katharina II. stark für einen aufgeklärten Absolutismus, dessen adäquates architektonisches Kleid sie im neu aufkeimenden, zunächst noch französisch geprägten Klassizismus sah. Ihr wachsendes Interesse an Antike und Italien befriedigten aus dem Ausland herbeigerufene oder an der Petersburger Akademie und anschliessend in Rom ausgebildete Architekten. Mit Neubauten wie der Akademie der Wissenschaften oder der Assignatenbank war Giacomo Quarenghi Mitbegründer des sogenannt strikten Klassizismus. Dieser erlebte seinen Höhepunkt in Potemkins Taurischem Palais von Iwan Starow sowie im Palast von Pawlowsk, den der von Palladio und Robert Adam beeinflusste Schotte Charles Cameron für Katharinas Sohn Paul I. errichtete. Einmal in Amt und Würde, gab dieser bei Vincenzo Brenna das burgartige, in wuchtigen Neorenaissanceformen gehaltene Michaels- Schloss in Auftrag, den wohl eigenwilligsten italianisierenden Grossbau der Epoche.
Schon bald nach der Thronbesteigung Alexanders I. im Jahre 1801 kristallisierte sich ein stark von der Vorstellung altrömischer Monumentalarchitektur geprägter Stil heraus. Die ersten Meisterwerke des neuen Jahrhunderts, die tempelartige Börse von Thomas de Thomon und Adrian Sacharows durch triumphbogenartige Portale akzentuierte Admiralität, zeugen allerdings auch von einem starken Einfluss der französischen Revolutionsarchitektur, während Andrei Woronichin mit der Kasaner Kathedrale und ihren urbanistisch raffiniert auf den Newski-Prospekt ausgerichteten Kolonnaden eine antikische Antwort auf den Petersdom fand. Alexanders Wille zur imperialen Umgestaltung der Stadt ermöglichte die von zeichenhaften Grossbauten einzigartig gefassten Stadträume von Carlo Rossi, dem genialen Sohn des vermutlich aus Lugano stammenden Giovanni Rossi und einer Tänzerin. Rossis Lösungen am Schlossplatz, beim Alexandratheater oder beim Michael-Palais, dem heutigen Russischen Museum, machten St. Petersburg zum Laboratorium eines frühmodernen Städtebaus, dem in der Neuen Welt in Ansätzen L'Enfants Washington antwortete.
Gelehrte Inszenierungen
Diese ebenso komplexe wie glorreiche Epoche der europäischen Architekturgeschichte versucht nun eine zur Feier des 300. Gründungsjahrs von St. Petersburg im Museo Cantonale d'Arte in Lugano sowie im Archivio del Moderno in Mendrisio veranstaltete Doppelausstellung auf italienische und römisch-antike Wurzeln zurückzuführen. Damit erhellt die anschliessend in die Eremitage weiterreisende Veranstaltung allerdings nur eine (wenn auch die bedeutendste) Quelle, aus der der Petersburger Klassizismus schöpfte. Als nämlich Katharina II. den neuen Stil zum Abbild des aufgeklärten Absolutismus deklarierte, stützte sie sich zunächst auf Vallin de la Mothe, dessen Bauten - etwa die Kunstakademie oder die Kleine Eremitage - noch ganz dem frühklassizistischen Architekturtheoretiker Jean-François Blondel und der Zeit von Louis XIV. verpflichtet waren. Die betont italienische Optik der nun unter Beizug russischer Spezialisten erarbeiteten Ausstellung rührt letztlich daher, dass diese aus der Präsentation zweier Dynastien von Tessiner Baukünstlern und Ingenieuren im Frühjahr 2000 in Mendrisio hervorging: der Adamini und Gilardi, welche in Russland ihre Terra promessa fanden.
Die mit historischen Stadtplänen und Veduten suggestiv gestaltete Ouverture in Lugano vermittelt einen Eindruck von St. Petersburgs schnellem und auf Prachtentfaltung hin angelegtem Wachstum. Im Überblick kann man hier fast allen Bauten begegnen, die dann anhand kostbarer Zeichnungen und Pläne diskutiert werden. Anschliessend wird Katharinas für die Zeit typische Antikenbegeisterung mit Gemälden von Hubert Robert, Pannini und Hackert, mit Stichen Piranesis oder mit Charles-Louis Clérisseaus Vision einer Zarenvilla all'antica illustriert. Eigene Kapitel sind der Petersburger Kunstakademie und dem Einfluss der Architekturtheoretiker von Vitruv bis Scamozzi gewidmet. Dem breit dargelegten italianisierenden Petersburger Klassizismus, der in den Bauten und Interieurs der Quarenghi, Brenna, Rossi und Rusca, der Cameron, Starow, Woronichin und Sacharow triumphierte, wird der spartanische Moskauer Klassizismus Domenico Gilardis entgegensetzt, dessen in der Nachfolge von Baschenow errichtete Bauten den neusten europäischen Geschmack reflektierten.
Wie schwer es fortschrittliche Projekte in dem vom alexandrinischen Empire dominierten Petersburg hatten, zeigt der Wettbewerb für die Isaaks-Kathedrale, bei dem der Vorschlag von Auguste de Montferrand, welcher nur Soufflots Panthéon variiert, dem rationalistisch entschlackten Entwurf von Domenico Adamini vorgezogen wurde. Der mit ihm verwandte Ingenieur Antonio Adamini war es dann, der Montferrand bei der Realisierung der Kathedrale, aber auch 1834 bei der Errichtung der Alexandersäule auf dem Schlossplatz als technischer Berater zur Seite stand. Deren in Mendrisio vorgestellte Arbeiten sowie die in Lugano erläuterten Werke von Domenico Gilardi und Luigi Rusca bilden Glanzlichter der Schau, die sonst - wenn auch mit vielen erstmals gezeigten Exponaten - eher bekannten Wegen folgt. Nun erscheint Luigi Rusca, dem bis zum 2. November auch das Museo plebano in Agno eine kleine Ausstellung mit Katalog widmet, erstmals gleichberechtigt zwischen Rossi und dem aus Bergamo stammenden Quarenghi. Wirkte er doch nicht nur mit seinen säulengeschmückten Kasernen, eigentlichen Militärpalästen, und weiteren, 1810 in einem illustrierten Folioband in Paris publizierten Bauten nachhaltig auf das Stadtbild ein, sondern modernisierte darüber hinaus auch das kostbare Taurische Palais.
Die gelehrte und mit bedeutenden Blättern reich bestückte Doppelausstellung, die - bedingt durch ihren architekturgeschichtlichen Anspruch - etwas an plastischer Anschaulichkeit vermissen lässt und daher ohne Kenntnis der Stadt St. Petersburg nur bedingt zu verstehen ist, wird von einem informativen wissenschaftlichen Katalog begleitet. Aufgrund der Druckfahnen darf dieser schon jetzt als Standardwerk bezeichnet werden, obwohl er erst Anfang Dezember erscheinen wird. Da trifft es sich gut, dass die frühsten bekannten Fotografien von St. Petersburg, die um 1850 vom Tessiner Ivan Bianchi aufgenommen wurden (NZZ 7. 2. 03, Katalog Fr. 70.-), gleichsam als Anschauungshilfe noch bis zum 28. November in der Biblioteca Cantonale in Lugano zu sehen sind.
[ Bis 11. Januar im Museo Cantonale d'Arte in Lugano und im Archivio del Moderno in Mendrisio. Katalog: Dal mito al progetto. La cultura architettonica dei maestri italiani e ticinesi nella Russia neoclassica. Hrsg. Nicola Navone und Letizia Tedeschi. Archivio del Moderno, Mendrisio 2003. 2 Bde., 928 S., Fr. 90.-.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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