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Ein Umspannwerk für Stil-Ströme
Der Standard

Das Vitra Design Museum hat einen zweiten Standort in Berlin

7. Juli 2000 - Verena Mayer
Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener Straße ist der Prenzlauer Berg nicht die Gegend der Künstler und Freiberufler, als die der Bezirk bekannt (und mittlerweile fast unerschwinglich) geworden ist. Hier sind die wenigsten Häuser saniert und kaum Dachböden ausgebaut, es gibt keine gestylten Bars und keine originellen Läden. Die nahegelegene Schönhauser Allee ist eine tosende Durchzugstraße, die überirdischen Gleise der S-Bahn-Trasse gehen wie ein dicker Strich durch das Viertel. Einige Häuserblöcke weiter beginnt der Arbeiterbezirk Wedding.

Ein Museum, hier? In einer Gegend, die so dynamisch und hauptstädtisch ist wie ein Schrebergarten im Winter? Und ausgerechnet eines für Design? In seiner Heimstätte, Weil am Rhein, ist das Vitra Design Museum in einem gestylt-dekonstruktivistischen Neubau untergebracht, den Frank O. Gehry entworfen hat. In Berlin hat das Museum nun ein verlassenes Umspannwerk in Randlage bezogen, das die Berliner Elektrizitätswerke, wie 42 andere auch, aufgeben mussten, weil sich die Wiedervereinigung eben auch in diesem Spannungsfeld bemerkbar gemacht hatte.

Doch die neue Zweigstelle des aus einer Stiftung der Möbelfirma Vitra hervorgegangenen Museums bietet auf den zweiten Blick weitaus mehr Vorzüge als den, nun einen Fuß in der Tür des Berliner Metropolenlebens zu haben. Das ehemalige Umspannwerk, einst „Kathedrale der Elektrifizierung“ genannt, ist ein eindrucksvolles Denkmal von Industrie-Architektur. Wie ein mittelalterliches Kloster mutet das Backstein-Gebäude mit schmalen hohen Fenstern, den verschachtelten Höfen und dem doppelbögigen Spitzportal an, das der Architekt Hans Heinrich Müller 1925 gebaut hat. Schmiedeeiserne Treppen führen geschwungen wie die Doppel-Helix einer DNS in ovale Überwachungstürme, die mit Kuppeln aus Milchglas überdacht sind und aus Sicherheitsgründen mit grünem Marmor verkleidet wurden. Nur drei Leute haben in dem 8000 Quadratmeter großen Gebäude gearbeitet - ein Meister und zwei Schaltmonteure.

Wie ein gotisches Kirchenschiff ist das Herz des Gebäudes - die mehr als hundert Meter lange, acht Meter hohe, aber nur sieben Meter breite Transformatorenhalle. Sie wurde mit dezenten architektonischen Eingriffen, für das Museum adaptiert. Ein neuer Eingang, ein paar Milchglaswände, eine Bar, ein kleiner Museumsshop - mehr wurde an dem Raum nicht verändert. Herausgekommen ist eine Ausstellungshalle, die das Erhabene einer Kathedrale mit dem Spartanischen eines unbearbeiteten Lofts vereint. „Nicht schalten, hier wird gearbeitet“ ist noch auf vergilbten Schildern zu lesen, die zwischen die Leitungen geklemmt sind.

Die Funktion eines Umspannwerks, vereinfacht es ein Mitarbeiter der Berliner Elektrizitätswerke bei einer Führung in die Eingeweide des Werks, sei es, den vielen Strom, der mit einer riesigen Spannung auf die Hauptstadt einprassle, so aufzubereiten, dass jeder Haushalt etwas damit anfangen könne. Im Wesentlichen ist das auch das Prinzip der neuen Zweigstelle des Vitra Design Museums. Strömungen, so vielfältig und unterschiedlich sie auch sein mögen, sollen von hier verarbeitet und gebündelt werden, sagt Mateo Kries, der die Dependance leiten wird.

Zur Eröffnung wurde aus dem Stammhaus die Ausstellung über Verner Panton übernommen. Der 1998 verstorbene dänische Designer gilt als Klassiker seines Metiers. Er hat aus den unzähligen postmodernen Konzepten, die in den Sechziger und Siebziger Jahren so im Raum standen, Entwürfe für diese knallbunten Stühle, Lampen und Wohnlandschaften destilliert, die man schon so oft gesehen hat, dass sie - wie der stapelbare Freischwinger aus Kunststoff - in einem kollektiven Gedächtnis festgeschrieben sind, ohne dass man sich eines Urhebers bewusst wäre. Es sei ihm unerträglich, meinte Panton, „in ein Wohnzimmer zu kommen und sofort zu wissen, dass man hier den ganzen Abend festsitzt“. Er schraubte Rollen an die Unterseite seiner Möbel, manche hängte er an Schnüren auf. Mit seinen farbigen „Phantasy Landscapes“ sind bis heute Konferenzraum und Kantine des „Spiegel“ gestaltet.

Wie das Museum in Weil am Rhein muss sich auch die Berliner Filiale selbst erhalten. Für den Anfang werden daher auf dem 1000 Quadratmeter großen Areal vorerst die großen Ausstellungen des Stammhauses übernommen und durch Sonderveranstaltungen ergänzt. Doch das Umspannwerk soll keine Abspielstation alter Hits aus Weil am Rhein werden, sondern sich als kulturelles Netzwerk für ein größeres Einzugsgebiet etablieren, meint Kries. Auf den Erläuterungstafeln wurde daher als vierte Sprache Polnisch gewählt.

Vitra Design Museum Berlin
Kopenhagener Straße 58, D-10437 Berlin

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