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Architektonische Bildfindungen
Neue Zürcher Zeitung

Phantasiestädte in einer Ausstellung in Barcelona

17. November 2003 - Markus Jakob
Zweierlei haben die vom gelernten (und gelehrten) Architekten Pedro Azara ersonnenen Ausstellungen stets gemein. Sie befassen sich auf präzise Weise mit marginalen Parzellen - oder eher: selten verfolgten Strängen - der Kunstgeschichte. Und sie überraschen zusätzlich durch ihre raffinierte und elegante Ausstellungsarchitektur. Dem war so bei der Schau früher Architekturmodelle, als welche gewisse mesopotamische, griechische und römische Grabmäler gelten können («Casas del alma», 1997); ebenso bei den antiken Stadtgründungen, die Azara drei Jahre später zum Ausstellungsthema machte. Nun führt das Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) die Reihe fort mit «La ciutat que mai existí», der Stadt, die es niemals gab. Die Szenographie verstärkt den Eindruck des Irrealen, der Ortlosigkeit, der von den Bildern ausgeht. Sie taucht den Besucher in dunkle Längsräume, in denen einzig die auf einer Raumseite gleichmässig aufgereihten Exponate beleuchtet sind. Schon die ersten dieser Lichtinseln, kleine pompejische Fresken scheinbar frei im Raum schwebender Baugruppen entziehen einem in dieser Illuminierung buchstäblich den Boden unter den Füssen.

Zwei Schritte weiter kommt man auf den Boden zurück - allerdings ausgerechnet auf den einer der gespenstischen Esplanaden Giorgio de Chiricos, auf welchen die menschlichen Figuren neben ihrem eigenen Schattenwurf fast verschwinden. Die weitgehende Abwesenheit, vielmehr Nebensächlichkeit von Menschen ist ein Charakteristikum dieser Ausstellung, die das Motiv der Phantasiestadt bis in die Gegenwart verfolgt, wobei das Nebeneinander älterer Bildwerke und der Arbeiten von Patrick Shanahan, Olivo Barbieri, Cristina Iglesias und anderen Zeitgenossen oft spannungsvoll ist. Ein Video von Catherine Yass schält auf dem Kopf stehende Londoner Wolkenkratzer aus dem Nebel, und eine gleissend weisse Rauchkammer von Ann Veronica Janssens schliesst die Ausstellung etwas schal, aber hübsch kontrapunktisch ab.

Im Zentrum steht indessen das Capriccio architettonico, wie es im 16. und 17. Jahrhundert gepflegt wurde - als eher zweitrangiges Genre, ähnlich der Ruinenmalerei. Dass im Zeitalter der Entdeckungen, der Erweiterung unseres Weltbilds, auch imaginäre Territorien der Baukunst erobert wurden, hat seine Logik. Ebenso, dass einige der hier vertretenen Maler selbst Architekten waren: de Vries im 16. Jahrhundert, Schinkel im 19. Jahrhundert, Sironi im 20. Jahrhundert. Das Genre gipfelte um 1750 in der venezianischen Vedutenmalerei: Welche Freiheiten sich etwa Canaletto mit dem wirklichen Venedig herausnahm, wies unlängst ebenfalls das CCCB in einer minuziösen Ausstellung nach.

Im Gegensatz zu Canaletto gerieten die meisten dieser Architekturmaler in Vergessenheit, ihre Werke mussten teilweise in den Museumsdepots aufgetrieben werden. Wer - ausser den Kunsthistorikern - kennt schon Dirck van Delen, François de Nomé oder gar den spanischen Barockmaler Francisco Gutiérrez? Was sie schufen, könnte man als prunkhafte Dekorationsmalerei abtun. Man kann aber auch, wie es diese Ausstellung versucht, ihre Stadträume darauf untersuchen, welch seltsame Weltbilder sie uns vermitteln: den Niederschlag zum Teil grässlicher Legenden oder den Eishauch monumentaler Säulenordnungen, unter denen belanglose Menschlein, von Ateliergehilfen nachträglich hinzugepinselt, zu Architekturchargen degradiert werden. Es wäre indessen manchmal gar nicht so einfach, in Worte zu fassen, was das Irreale daran ausmacht. Bei de Vries wird die Perspektive nachgerade zum Wahngebilde. Schon bei ihm lassen sich Aussen- und Innenräume kaum mehr auseinanderhalten - eine weitere Konstante der Ausstellung. Mit lediglich achtzig Bildern setzt diese den Besucher einem Stadtideal aus, das sich indessen mit dem ersten Schritt auf die Strasse, allen Bemühungen der barcelonesischen Urbanisten zum Trotz, als Hirngespinst erweist.


[Bis 1. Februar 2004, anschliessend im Museo de Bellas Artes in Bilbao. Katalog Euro 15.-.]

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