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Die Stadt als Shoppingmall
ORF.at
1. Februar 2002 - Sonja Stummerer
Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import und Tradition. Rolex, Louis Vuitton und feinstes italienisches Trüffelöl finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft von 400 Jahre alten Weihrauchgeschäften und Spezialläden für Teezeremonienzubehör. Wer nach kleinen, exquisiten Boutiquen sucht, die vielleicht noch architektonischen Wert besitzen, der wird der Ginza enttäuscht den Rücken kehren. Vielmehr ist der Besucher mit einer Fülle von Werbescreens, monumentalen Großkaufhäusern und Menschenmassen konfrontiert. Eine Unmenge aller Weltmarken trifft in der Ginza auf eine ebensolche Unmenge an potentiellen Käufern.


Homebase der (japanischen) Globalisierung

Doch nicht nur westliche Geschäftsleute ließen sich in der Ginza nieder, auch Japaner, die versuchten, mit Hilfe von westlichen Errungenschaften japanische Brands zu gründen, wählten die Ginza als Standort für ihr Vorhaben. So ist es kein Zufall, dass gerade in der Ginza das erste japanische Kaufhaus eröffnet wurde, das man betreten durfte, ohne vorher die Schuhe auszuziehen. Bis dahin waren die Geschäfte auf Tatamimatten kniend abgewickelt worden.


Panorama der Superlative

Bis heute hat sich der gute Ruf der Ginza gehalten. Noch immer lockt ihr Name als Garant für Exklusivität Käufer und Schaulustige gleichermaßen an. Große japanische Brands wie Sony oder Nissan nützen dieses Image, um ihre Produkte einer außergewöhnlich interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

In der Ginza einen Showroom zu besitzen, dessen innovative Gestaltung mit den Importbrands in Konkurrenz treten kann, ist für japanische Marken neuerdings von großer Bedeutung. Auch der Autokonzern Nissan verlässt sich nicht auf Altbewährtes im gebauten Sinne. Vielmehr versucht der von Architekt Fumita im Februar 2001 eingerichtete Showroom mit zeitgenössischen „europäischen Mitteln“ nicht nur geografisch in den Mittelpunkt der Ginza zu rücken.

Design und Marketing des neuen Nissan, die dazugehörige Werbelinie und der Showroom in der Ginza bilden eine konzeptionelle Einheit. Der Raum wirkt zeitgeistig und maßgeschneidert für die Präsentation des aktuellen Modells. Diese Zusammengehörigkeit ist so klar, dass der Showroom fast wie ein real gewordenes Bühnenset für den entsprechenden Werbespot wirkt. Die Grenzen dieses Raumes jedoch werden nicht mehr nur von Baugesetzen und Kundenwünschen definiert, sondern auch und vor allem vom Marketingkonzept.


Shiseido-Superbranding

Für den Kosmetikriesen Shiseido waren branchenübergreifende Konzepte schon seit seiner Gründung Teil des Erfolgs. Die erste westliche Apotheke der Stadt war nicht nur als japanischer Konterpart zu französischen Kosmetika bekannt, sondern auch als der erste Ort in Tokio, an dem Eiscreme verkauft wurde. Schon bald gesellten sich zu diesem durchschlagenden Erfolg die ersten Restaurants. Dass diese Restaurants keine japanischen Gerichte offerierten, sondern europäische, versteht sich von selbst.

Bereits seit 1927 betreibt Shiseido eine Kunstgalerie gleichen Namens und darf wohl nicht zuletzt deswegen als Vorläufer und Wegbereiter des sogenannten Superbranding bezeichnet werden, denn jede der oben genannten Aktivitäten präsentierte sich stets mit dem Firmenlogo und unterstand den Marketingprämissen des Konzerns. Das Konzept des von Ricardo Bofill kürzlich errichteten Repräsentationsbaus in der Ginza stellt eine Weiterentwicklung dieser Strategie dar. Es sieht keinerlei Funktionen mehr vor, die in direktem Zusammenhang mit den Produkten der Firma Shiseido stehen, vielmehr handelt es sich um einen kulturorientierten Vergnügungs- und Gourmettempel im Herzen der Ginza.


Der Architekt als Model

Auch der berühmte Name des italienischen Stars Renzo Piano bildete einen nicht unbedeutenden Teil der Werbekampagne, welche die Ankunft des französischen Modelabels Hermès in Tokio feierte. Monatelange Ankündigungen und die späteren Warteschlangen vor dem kürzlich eröffneten Flagshipstore des ehemaligen Nobelsattlers bezeugen ihren Erfolg.

Der Bauplatz für das Gebäude war denkbar klein und die Ginza mit all ihren Leuchtreklamen, akustischen Untermalungen und Menschenmassen ist gewiss keine Probebühne, um eine Marke wie Hermès optimal zur Geltung zu bringen. Piano antwortete auf die urbane Situation gerade deshalb mit einer aufsehenerregenden Fassade. Sie ist sowohl konzeptionell als auch technisch außergewöhnlich, Glasbausteine werden als Vorhangfassade benutzt und damit bewusst verfremdet. Das bekannte Material wird in neuem Kontext verwendet, während die Transluzenz das Gebäude mit einer Aura des Geheimnisvollen umhüllt. Der Lichteffekt bei Nacht verstärkt diese Wirkung und kontrastiert mit den üppigen Leuchtreklamen der Ginza.

Wenn man jedoch in das Innere vordringt, bleibt von der Faszination der Außenhaut wenig übrig. Das Gebäude vermag weder räumlich noch konzeptionell zu überzeugen, denn dem Architekten wurde nicht zugebilligt, das Interieur des Gebäudes zu entwerfen. Dies wurde von Rena Dumas, der Frau des Hermès-Chefs Jean-Louis Dumas persönlich übernommen. Gediegenes Design, beinahe antiquiertes Ambiente und konservative Noblesse waren dabei die Leitlinien. Der Architekt ist hier nur noch imageträchtiger Fassadenmacher, dazu bestimmt, eine hübsche Hülle zu entwerfen und somit auch das Gebaute seiner persönlichen Rolle zu unterwerfen, der des Imageträgers. Einem Fotomodell gleich dient der Architekt nur noch als teurer Botschafter einer Geschäftsidee.


[Den Originalbeitrag finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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