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Minimalistische Tendenzen
Neue Zürcher Zeitung

Ein Blick auf die junge tschechische Architekturszene

5. Dezember 2003 - Stephan Templ
Keine der tschechischen Tageszeitungen pflegt die Architekturkritik. Auch sonst hat Architektur in Tschechien kaum einen nennenswerten politisch-gesellschaftlichen Stellenwert - ganz im Gegensatz zu den zwanziger und dreissiger Jahren, als das Bauen heftig diskutierter Ausdruck des jungen, fortschrittlichen Industriestaates war, wie eine Fülle von Zeitschriften bezeugt. Umso bemerkenswerter ist es, dass nun schon zum dritten Mal das 2001 lancierte Jahrbuch zum tschechischen Architekturgeschehen erscheinen konnte - das einzige seiner Art in einem Land des ehemaligen Ostblocks. Der vom Architekten Michal Kohout herausgebrachte dritte Band wurde ausschliesslich durch Werbeeinnahmen finanziert, weshalb die Architekten für die Präsentation ihrer Bauten selber nichts bezahlen mussten. Vorgestellt werden Vertreter der jungen und jüngsten Generation von Baukünstlern, die nach dem Wendejahr 1989 ihre Ausbildung erfuhren.


Keine Stararchitekten

In seinem einleitenden Essay nimmt Kohout die 1989 neu gewonnene Freiheit im Bereich der Architektur unter die Lupe. Freilich gibt es jetzt einen Austausch über die Grenzen hinweg, doch an der Rolle des Architekten hat sich grundsätzlich wenig geändert: Im Gegensatz zu seinen westlichen Kollegen ist der Architekt in Tschechien lediglich ein Entwerfer, der bei der Bauausführung keinerlei Mitspracherecht hat - diese ist dort ausschliesslich den Bauingenieuren vorbehalten. Auch die Wettbewerbskultur ist noch nicht voll ausgebildet: So wurde nicht einmal bei der Neugestaltung der Räumlichkeiten für das Oberhaus des Parlamentes in Prag ein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben. Es mag für die schwache Stellung der Architektur weiter bezeichnend sein, dass der Staat für die neuen demokratischen Einrichtungen keine Neubauten realisieren liess. Vielmehr wurden für die Verwaltung alte Adelsresidenzen im Viertel unter der Prager Burg umgebaut. Wenn Wettbewerbe ausgeschrieben werden, so sind es - wie im Falle der Restaurierung der Mies'schen Villa Tugendhat in Brünn - rein ökonomisch orientierte Wettbewerbe, bei denen es vor allem um das Kostenkonzept geht.

Die schwache gesellschaftliche Verankerung der Architektur schafft auch keine «Stararchitekten» - die Jungen haben keine Fixsterne. Ein gewisses Ansehen geniesst die Generation der heute über Siebzigjährigen - und hier wieder nur diejenigen, die in den späten fünfziger Jahren die Schranken des Stalinismus durchbrochen haben. Die Jungen unterliegen vor allem dem westlichen Einfluss und da - gemäss Kohout - oft den minimalistischen Tendenzen. Wo sich diese mit einem sehr schmalen Budget treffen, gibt es denn auch interessante Lösungen: Die jüngst von Milan Jirovec vom Prager Büro DUM Architekten errichtete «Umkleidebox» im Strahover Sportstadion, dem wohl grössten Ostmitteleuropas, ist eine schlichte, lediglich mit transparenten Kunststoffplatten verkleidete Stahlkonstruktion. Ebenfalls mit sehr beschränkten finanziellen Mitteln auszukommen hatte der Umbau der Kunstschule in Kuim von Roman Gale und Michal Palašák aus dem Brünner Atelier B9: Eine bestehende Skelettkonstruktion wurde da mit leichter Hand und sehr gewöhnlichen Materialien in einen multifunktionalen Bau umgestaltet. Erwähnt sei hier auch Václav Havels Abschiedsgeschenk an seine Mitbürger: Die Stiftung des ehemaligen Präsidenten finanzierte den an der Nordseite der Prager Burg gelegenen minimalistisch eiförmigen Fussgänger- und Wassertunnel des Ateliers AP, der dem Brusnice-Bach ebenso Durchlass gewährt wie den im Hirschengraben wandelnden Spaziergängern.


Interessantes aus der Provinz

Das Jahrbuch überrascht aber auch dadurch, dass Prag als Hauptstadt des streng zentralistisch verwalteten Landes nicht im Mittelpunkt steht: Kohout machte sich auf die Suche nach regionalen Eigenheiten und fand diese in Mähren, in der Umgebung der Stadt Brünn. Die Architekten folgen hier weniger als in Prag den internationalen Trends - wohl auch deswegen, weil es hier auch nur vereinzelt internationale Investoren gibt. An den vorgestellten Bauten lassen sich rurale Einflüsse ausmachen. Kohout spricht von «Vernacular Architecture», die im Gegensatz zur ungarischen Spielform eines Imre Makovecz jedoch in der Moderne beheimatet ist. Das Einfamilienhaus der Brünner Transat Architekten in Lipvka lässt an den Einfluss von Arbeiten Hans Scharouns aus den dreissiger Jahren denken. Beim Bau des Verwaltungsgebäudes des Naturreservates in d'ár nad Sázavou setzte das Atelier Tišnovka aus Brünn auf den lange vernachlässigten, einst aber für die Gegend typischen Baustoff Holz. Rurales wird - blickt man in die Vitrinen der ausgestellten Flora und Fauna - mit Urbanem konterkariert.

Die Distanz zur längst legendären tschechischen Moderne wird am Umbau der am Moldauufer gelegenen Prager Sova-Mühle zum Kampa- Museum für moderne tschechische Kunst durch das in Prag ansässige Team Cigler, Karel, Motyka und Špaek ablesbar. Für denselben Ort zwischen den Kulissen von Karlsbrücke und Burg hatte schon Josef Goár Ende der zwanziger Jahre einen flachen Baukörper mit Bandfenstern entworfen. Die nun realisierte Version berücksichtigt die Wünsche der Denkmalschutzbehörde sichtlich mehr als die Erfindungsgabe der Architekten. Das schwierige Verhältnis zur eigenen Geschichte und Vergangenheit wird auch daran erkennbar, dass Kohout lediglich zwei Bauten in den einst prosperierenden deutschsprachigen Randzonen finden konnte: Aus diesen heute von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Krisengebieten werden der Um- und Zubau an die bestehende Glasschule im nordböhmischen elezn Brod des Prager Büros Jiran & Kohout und eine Wohnanlage im nahe der österreichischen Grenze gelegenen Znojmo-Pímtice von Aleš Burian und Gustav Kivinka aus Brünn präsentiert.


[eská architektura - Czech Architecture. 2001-2002. Englisch und tschechisch. Hrsg. Michal Kohout. Verlag Prostor, Prag 2003. 189 S., Euro 20.-. Informationen: www.prostor.net]

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