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Skulpturen in der Stadt
Neue Zürcher Zeitung

Die Architekten Neutelings Riedijk im NAI in Rotterdam

Mit seinen ungewöhnlichen, mitunter provozierenden Entwürfen gilt das Rotterdamer Duo Neutelings Riedijk als eines der schillerndsten Büros der Architekturszene. Eine Ausstellung im Niederländischen Architektur-Institut (NAI) in Rotterdam gibt anhand von 15 Modellen einen umfassenden Einblick in die Arbeit der beiden Planer.

11. Dezember 2003 - Robert Uhde
Auf den ersten Blick erscheinen die Arbeiten von Willem Jan Neutelings (1959) und Michiel Riedijk (1964) klar und einleuchtend. Doch dieser Eindruck täuscht, denn die eigentliche Inszenierung beginnt erst hinter den scheinbar einfachen geometrischen Formen - als Konflikt zwischen innen und aussen, als Kontrast von auffallender Sprödigkeit und raffiniertem Detail oder als ironisch-ambivalentes Spiel zwischen Theorie und Praxis. Die Architekten selbst beschreiben ihre Vorgehensweise als «skulpturale Wissenschaft»: Das in einem ersten Schritt erstellte mathematisch-rationale Konzept, mit dem sie die jeweilige Bauaufgabe organisieren, dient dabei lediglich als Grundlage eines weitergehenden, stark intuitiven Gestaltungsprozesses, bei dem sämtliche Planungsparameter wieder aufgerollt und wie in einer Bildhauerwerkstatt neu in den vorgefundenen städtebaulichen Kontext integriert werden.

Das Ergebnis dieses Prozesses sind raffiniert verschachtelte Collagen oder schwere urbane Solitäre mit ungewöhnlicher Fassadengestaltung: Der eher profane Löschwasserspeicher einer Feuerwache in Maastricht geriet zur minimalistisch inszenierten Bühne, der auf die Glasfront einer Druckerei in Ede gedruckte Gedichttext zum Element kunstvoll-überhöhender Aussendarstellung. Und das mit einer Fassade aus rotbraunen Eisenpigmenten verkleidete Utrechter Universitätsgebäude «Minnaert» erscheint den Betrachtern als meteoritenhafte Landmarke inmitten eines sonst eher avantgardistisch geprägten Umfeldes.


«Rubensartige Formen»

Einen umfassenden Einblick in die Arbeit des 1992 gegründeten Büros gibt jetzt eine Ausstellung im Niederländischen Architektur-Institut (NAI) in Rotterdam. Hinter einem schwarzen Vorhang haben die Architekten eine verdunkelte Schatzkammer mit 15 kunstvoll illuminierten Modellen von zum Teil noch unveröffentlichten Entwürfen inszeniert - darunter die Wohnbauprojekte Wijnhaven und Müllerpier in Rotterdam, die Sphinx-Wohnungen in Huizen, das Ij-Hochhaus im Amsterdamer Hafengebiet Borneo/Sporenburg, das Konzertgebäude in Brügge, das Museum für Stadtgeschichte in Antwerpen, das Niederländische Archiv für audiovisuelle Medien in Hilversum, die Schifffahrts- und Transport- Hochschule in Rotterdam, das Innenministerium in Den Haag, das Ägyptische Museum in Gizeh und das Rathaus in Moskau.

Auch diese neueren Arbeiten des Duos beziehen ihre Identität vor allem aus ihren schweren, «rubensartigen Formen» (Neutelings) sowie aus der ungewöhnlichen Gestaltung der Fassaden, die für Neutelings Riedijk in erster Linie die Funktion haben, ein Gebäude entsprechend seiner jeweiligen städtebaulichen Funktion zu kleiden. Von besonderem Interesse ist dabei der Entwurf für das voraussichtlich Ende 2004 fertiggestellte Niederländische Archiv für audiovisuelle Medien (NAA) in Hilversum, das seinen Reiz vor allem aus dem intelligent in Szene gesetzten Kontrast zwischen der Dauerhaftigkeit des im Untergeschoss gelegenen Archivs und dem eher flüchtigen Charakter der in den Obergeschossen zur Schau gestellten Welt der Medien bezieht. Nach aussen hin wird diese doppelte Funktion des Neubaus durch eine grossflächige zweite Fassadenhaut sichtbar, auf der mit Siebdruck aufgebrachte Abbildungen aus dem Archiv eine fast schon sakral anmutende Membran zwischen innen und aussen schaffen.

Ein ähnlich kompakter Entwurf gelang Neutelings Riedijk bei ihrer Planung des voraussichtlich 2005 fertiggestellten Museums für Stadtgeschichte («Museum aan de Stroom») in Antwerpen. Der in urbanistischer Hinsicht als Verknüpfung zwischen Altstadt und Hafen konzipierte quaderförmige Bau besteht aus zehn spiralförmig übereinander gestapelten und grossflächig verglasten Ebenen. Beim Aufstieg nach oben werden sich immer wieder neue Teilansichten bieten, die sich auf der Dachterrasse in rund 50 Metern Höhe zum Panoramablick über die Altstadt und den Hafen von Antwerpen schliessen werden.

Ebenfalls direkt am Wasser liegen das auf dem Rotterdamer «Kop van Zuid» geplante Kolleg für Schifffahrt und Transport - ein kraftvoller Bau aus verschiedenen, unterschiedlich grossen Volumen und mit weit auskragenden Obergeschossen - sowie das als ironisch-kitschiger Kommentar zu den Themen «Architektur» und «Städtebau» lesbare IJ-Hochhaus in Amsterdam. Der 1998 fertiggestellte Baukomplex besteht aus einem rund 60 Meter hohen Wohnhochhaus und einem langgestreckten dreigeschossigen Sockel mit einem Supermarkt. Als weithin sichtbarer Blickfang fungieren einige deutlich zurückversetzte und gleichzeitig farblich betonte Fassadeneinschnitte - fast so, als seien hier einige Stücke aus der äusseren Hülle des sonst eher unauffälligen Gebäudes herausgeschnitten worden. Eher introvertiert präsentiert sich dagegen der deutlich an der Form der Pyramiden orientierte Entwurf für das Ägyptische Museum in Gizeh, bei dem die Architekten ein Netz aus schmalen Tunneln entwickelt haben, die sämtlich in einer riesigen Halle münden.


Wohnungen über dem Wasser

Die Methode der «skulpturalen Wissenschaft» basiert auf einem logisch-rationalen Entwurfskonzept, das offen für eine Vielzahl irrationaler Eingriffe ist. Vor allem bei den Wohnbauprojekten entwickeln die Architekten oftmals eine Art Puzzle aus raffiniert ineinander verschachtelten und mitunter weit auseinander und auf verschiedenen Ebenen angeordneten Räumen. Eine Wohnung von Neutelings Riedijk ist immer auch das Ergebnis einer spielerischen Analyse der jeweiligen Bauaufgabe. Ein besonders faszinierendes Beispiel dieser Vorgehensweise zeigen die komplett im Wasser des Gooi-Sees errichteten Sphinx-Wohnungen in Huizen bei Amsterdam: Um eine weite Panoramaaussicht auf den See zu erreichen, umfassen die weit auskragenden Wohnzimmer jeweils die doppelte Wohnungsbreite. Die Bewohner wissen ihren Ausblick zu schätzen: die Fluten des Gooi-Sees im Cinemascope-Format.


[At Work. Neutelings Riedijk Architects. Hrsg. Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk. Verlag 010 Publishers, Rotterdam 2003. 400 S., Euro 45.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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