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Das Bild des Booms
Kuala Lumpur im Fieber umfassender Erneuerung
Kuala Lumpur bedeutet «schlammige Flussmündung». Was 1857, zu Beginn der Besiedelung, eine wenig ansehnliche Siedlung war, offenbart sich heute als eine Metropole, deren Gesicht sich durch private Bautätigkeit täglich ändert. Diese Stadt ist ein steinernes Abenteuer, in dem das Neue das Alte unerbittlich fortspült.
23. Dezember 2003 - Robert Kaltenbrunner
Dem Stadtbild von Kuala Lumpur ist mit den ästhetischen Begriffen europäischer Kapitalen nicht beizukommen. Denn die Hauptstadt von Malaysia ist keine mit abendländischer Ratio angelegte Stadt. Den einzigen nennenswerten Versuch, dem urbanistischen Wildwuchs ein Spalier zu liefern, unternahm Frank Swettenham: Nachdem 1871 die malaysischen Staaten zur Kronkolonie erklärt worden waren, erliess der britische Gouverneur die «five-foot ways» als zentrale Bauordnung.
Dieses Muster der zusammenhängenden, fünf Fuss breiten Arkaden vor allen Geschäftshäusern bildete fortan die wesentlichste städtebauliche Vorgabe. Sie basierte auf einer spezifischen «Shophouse»-Architektur, die durch ihre harmonischen Strassenfronten mit rhythmischen Ziegelfassaden beeindruckte, aber auch dem tropischen Klima angepasst war. Zudem bot sie alle Voraussetzungen für die Entstehung einer entwickelten Stadtkultur: gleiches Recht aller auf Nutzung und Begehung, mithin eine Reverenz an die Bedeutung des öffentlichen Raumes.
So entstand jener Typus, der konstitutiv für die Altstadtbereiche von Kuala Lumpur wurde, ob nun in der Petaling Street (Chinatown), der Pudu Road oder der Jalan Bukit Bintang, die mit ihren arkadengesäumten Shophouses von jeher das Zentrum der städtischen Handelsaktivitäten bildeten. Doch weichen sie mehr und mehr grossen Einkaufszentren und klimatisierten Malls. Der öffentliche Raum ist nur mehr ein vermeintlicher.
Dynamik des Umbaus
Kuala Lumpur gibt sich heute als eine brummende, hupende, rauchende, ölverschmierte Maschine. Eine Stadt in Vollgas. Und weitgehend ohne Vergangenheit. Unmittelbar hinter der Stelle, wo Klang und Gombak zusammenfliessen und vor 95 Jahren die älteste Moschee der Stadt, Masjid Jamek, errichtet wurde, herrscht beispielloses Baufieber. Gleich unbändigen Himmelsstürmern erheben sich immer mehr Appartementhäuser und Bürotürme, Luxushotels mit Atrien und hängenden Gärten sowie gigantische Shopping Malls aus dem Häusermeer der traditionellen Viertel - und das in einem bei uns kaum vorstellbaren Tempo. Alles scheint gleichzeitig zu passieren: Wolkenkratzer schiessen empor, Magistralen wie die Jalan Ampang werden auf sechs Spuren verbreitert und, quasi nebenher, eine Aufwertung ganzer Stadtviertel betrieben.
Spektakulärstes Zeichen für den metropolitanen Umbau ist das Kuala Lumpur City Centre. 1997 wurde, anstelle der alten Pferderennbahn, ein Komplex von Büro-, Einkaufs-, Freizeit- und Hotelbauten fertig gestellt, der in seiner Megalomanie kaum zu überbieten ist: Die beiden vom New Yorker Architekten Cesar Pelli konzipierten Petronas Towers (NZZ 7. 6. 97) waren - bis zur Fertigstellung eines noch höheren Turms vor wenigen Wochen in Taipeh - mit 98 Stockwerken und fast einem halben Kilometer Höhe die höchsten Bürohäuser des Globus, was die Bewohner von Kuala Lumpur wie einen persönlichen Triumph betrachteten. Das landschaftliche Environment, in das der Komplex geschickt eingebettet ist, schuf der brasilianische Gartenarchitekt Roberto Burle Marx.
Ähnlichen Ambitionen folgte der ein Jahr später eingeweihte Kuala Lumpur International Airport (KLIA), der auf einen Entwurf des Japaners Kisho Kurokawa zurückgeht. Eine hyperbolisch- paraboloide Schale, schräge Glaswände, ein innenliegender Tropenwald: Der grösste Flughafen Asiens verkörpert zwar, im Sinne seines Schöpfers, eine Symbiose von Natur und Hightech, wirkt aber steril und überdimensioniert. So erstaunt es nicht, wenn das Tradierte auch im modernisierungswütigen Kuala Lumpur Orientierung bietet. Wie etwa am Independence Square (Dataran Merdeka): An seiner Ostseite wird der Platz vom pittoresken Sultan Abdal Samad Building, 1894-96 nach Plänen von R. A. J. Bidwell gebaut, flankiert. Was hier im «Moorish Style» - einer Mischung aus europäischem Funktionalismus und islamischer Formensprache - errichtet wurde, wirkte beispielgebend für alle weiteren öffentlichen Bauten.
Eine eigene, moderne Identität auch baulich- räumlich auszubilden, ist nach wie vor ein Desiderat in Kuala Lumpur. In Fachkreisen stellt Ken Yeang, einer der wenigen malaysischen Architekten von Weltruf, diesbezüglich wohl das Mass der Dinge dar: Nicht umsonst hat sein Menara-Mesaniaga-Hochhaus im Stadtteil Petaling Jaya 1995 den Aga-Khan-Preis gewonnen. Junge Büros wie ZLG Architects eifern diesem Vorbild nach. Ausschlaggebender für Kuala Lumpur indes sind Developer wie Low Yow Chuan, der den 62-stöckigen Empire Tower und das benachbarte Crown Princess Hotel initiierte, und Hijjas Kasturi, der, am Auftragsvolumen gemessen, so etwas wie Malaysias «Staatsarchitekten» darstellt. Vor gut dreissig Jahren gehörte er zur ersten Handvoll einheimischer Baumeister mit besten politischen Kontakten, die selbständig praktizierten und versuchten, eine einheimisch geprägte Architektur zu entwickeln. Seine Bauten bestimmen das heutige Stadtbild: Das Luth Building, ein zylinderförmiges Gebäude mit schlanker Taille, die fünf Orgelpfeifen des Shahzan Tower oder das elegante Dato Zainal Building sind bis ins Detail dem Prinzip der Vertikalität verpflichtet. Sein kantig- asymmetrischer Maybank Tower hingegen wird in Kuala Lumpur als «the ugliest building this side of the Suez» bezeichnet.
Architektur des Mittelmasses
Kuala Lumpur wird weithin beherrscht von einer mediokren Architektur, die vorgibt, etwas eigenständig Malaysisches zu sein. Doch heute sind Proteste gegen zerstörerisches Development häufiger - und manchmal auch erfolgreich. Prominentestes Beispiel dafür ist der Central Market, ein Art-déco-Bau, dessen Abbruch von der «Save the City»-Bewegung verhindert werden konnte. Trotz solchen vereinzelten Versuchen gleicht Kuala Lumpur immer weniger sich selbst. Und da, wo es gelingt, die historischen Fassaden zu erhalten, werden diese zur blossen Touristenattraktion. Bis zur Ölkrise Anfang der siebziger Jahre hatte sich Kuala Lumpur fast ausschliesslich im Bestand entwickelt und verändert. Dann aber begann der radikale Umbau; ganze Strassenzüge verschwanden über Nacht, neue Quartiere traten an ihre Stelle. Diese können das Mosaik des vorherigen städtischen Lebens jedoch nicht ersetzen. Insofern ist Kuala Lumpur ein typisches Beispiel für die Metropolen der asiatischen «Tigerstaaten» - mit einer urbanen Morphologie, die weitgehend von der Ökonomie beherrscht wird und in der Marktmechanismen die Architektur bestimmen. Die Neubauten von heute sind die Ruinen von morgen. Kuala Lumpur ist eine Stadt moderner Trümmer, ein perfektes Baalbek, an einem Tag erbaut, am anderen schon verfallen, eine Stadt, von der man nie erwartet, dass sie fertig wird.
Dieses Muster der zusammenhängenden, fünf Fuss breiten Arkaden vor allen Geschäftshäusern bildete fortan die wesentlichste städtebauliche Vorgabe. Sie basierte auf einer spezifischen «Shophouse»-Architektur, die durch ihre harmonischen Strassenfronten mit rhythmischen Ziegelfassaden beeindruckte, aber auch dem tropischen Klima angepasst war. Zudem bot sie alle Voraussetzungen für die Entstehung einer entwickelten Stadtkultur: gleiches Recht aller auf Nutzung und Begehung, mithin eine Reverenz an die Bedeutung des öffentlichen Raumes.
So entstand jener Typus, der konstitutiv für die Altstadtbereiche von Kuala Lumpur wurde, ob nun in der Petaling Street (Chinatown), der Pudu Road oder der Jalan Bukit Bintang, die mit ihren arkadengesäumten Shophouses von jeher das Zentrum der städtischen Handelsaktivitäten bildeten. Doch weichen sie mehr und mehr grossen Einkaufszentren und klimatisierten Malls. Der öffentliche Raum ist nur mehr ein vermeintlicher.
Dynamik des Umbaus
Kuala Lumpur gibt sich heute als eine brummende, hupende, rauchende, ölverschmierte Maschine. Eine Stadt in Vollgas. Und weitgehend ohne Vergangenheit. Unmittelbar hinter der Stelle, wo Klang und Gombak zusammenfliessen und vor 95 Jahren die älteste Moschee der Stadt, Masjid Jamek, errichtet wurde, herrscht beispielloses Baufieber. Gleich unbändigen Himmelsstürmern erheben sich immer mehr Appartementhäuser und Bürotürme, Luxushotels mit Atrien und hängenden Gärten sowie gigantische Shopping Malls aus dem Häusermeer der traditionellen Viertel - und das in einem bei uns kaum vorstellbaren Tempo. Alles scheint gleichzeitig zu passieren: Wolkenkratzer schiessen empor, Magistralen wie die Jalan Ampang werden auf sechs Spuren verbreitert und, quasi nebenher, eine Aufwertung ganzer Stadtviertel betrieben.
Spektakulärstes Zeichen für den metropolitanen Umbau ist das Kuala Lumpur City Centre. 1997 wurde, anstelle der alten Pferderennbahn, ein Komplex von Büro-, Einkaufs-, Freizeit- und Hotelbauten fertig gestellt, der in seiner Megalomanie kaum zu überbieten ist: Die beiden vom New Yorker Architekten Cesar Pelli konzipierten Petronas Towers (NZZ 7. 6. 97) waren - bis zur Fertigstellung eines noch höheren Turms vor wenigen Wochen in Taipeh - mit 98 Stockwerken und fast einem halben Kilometer Höhe die höchsten Bürohäuser des Globus, was die Bewohner von Kuala Lumpur wie einen persönlichen Triumph betrachteten. Das landschaftliche Environment, in das der Komplex geschickt eingebettet ist, schuf der brasilianische Gartenarchitekt Roberto Burle Marx.
Ähnlichen Ambitionen folgte der ein Jahr später eingeweihte Kuala Lumpur International Airport (KLIA), der auf einen Entwurf des Japaners Kisho Kurokawa zurückgeht. Eine hyperbolisch- paraboloide Schale, schräge Glaswände, ein innenliegender Tropenwald: Der grösste Flughafen Asiens verkörpert zwar, im Sinne seines Schöpfers, eine Symbiose von Natur und Hightech, wirkt aber steril und überdimensioniert. So erstaunt es nicht, wenn das Tradierte auch im modernisierungswütigen Kuala Lumpur Orientierung bietet. Wie etwa am Independence Square (Dataran Merdeka): An seiner Ostseite wird der Platz vom pittoresken Sultan Abdal Samad Building, 1894-96 nach Plänen von R. A. J. Bidwell gebaut, flankiert. Was hier im «Moorish Style» - einer Mischung aus europäischem Funktionalismus und islamischer Formensprache - errichtet wurde, wirkte beispielgebend für alle weiteren öffentlichen Bauten.
Eine eigene, moderne Identität auch baulich- räumlich auszubilden, ist nach wie vor ein Desiderat in Kuala Lumpur. In Fachkreisen stellt Ken Yeang, einer der wenigen malaysischen Architekten von Weltruf, diesbezüglich wohl das Mass der Dinge dar: Nicht umsonst hat sein Menara-Mesaniaga-Hochhaus im Stadtteil Petaling Jaya 1995 den Aga-Khan-Preis gewonnen. Junge Büros wie ZLG Architects eifern diesem Vorbild nach. Ausschlaggebender für Kuala Lumpur indes sind Developer wie Low Yow Chuan, der den 62-stöckigen Empire Tower und das benachbarte Crown Princess Hotel initiierte, und Hijjas Kasturi, der, am Auftragsvolumen gemessen, so etwas wie Malaysias «Staatsarchitekten» darstellt. Vor gut dreissig Jahren gehörte er zur ersten Handvoll einheimischer Baumeister mit besten politischen Kontakten, die selbständig praktizierten und versuchten, eine einheimisch geprägte Architektur zu entwickeln. Seine Bauten bestimmen das heutige Stadtbild: Das Luth Building, ein zylinderförmiges Gebäude mit schlanker Taille, die fünf Orgelpfeifen des Shahzan Tower oder das elegante Dato Zainal Building sind bis ins Detail dem Prinzip der Vertikalität verpflichtet. Sein kantig- asymmetrischer Maybank Tower hingegen wird in Kuala Lumpur als «the ugliest building this side of the Suez» bezeichnet.
Architektur des Mittelmasses
Kuala Lumpur wird weithin beherrscht von einer mediokren Architektur, die vorgibt, etwas eigenständig Malaysisches zu sein. Doch heute sind Proteste gegen zerstörerisches Development häufiger - und manchmal auch erfolgreich. Prominentestes Beispiel dafür ist der Central Market, ein Art-déco-Bau, dessen Abbruch von der «Save the City»-Bewegung verhindert werden konnte. Trotz solchen vereinzelten Versuchen gleicht Kuala Lumpur immer weniger sich selbst. Und da, wo es gelingt, die historischen Fassaden zu erhalten, werden diese zur blossen Touristenattraktion. Bis zur Ölkrise Anfang der siebziger Jahre hatte sich Kuala Lumpur fast ausschliesslich im Bestand entwickelt und verändert. Dann aber begann der radikale Umbau; ganze Strassenzüge verschwanden über Nacht, neue Quartiere traten an ihre Stelle. Diese können das Mosaik des vorherigen städtischen Lebens jedoch nicht ersetzen. Insofern ist Kuala Lumpur ein typisches Beispiel für die Metropolen der asiatischen «Tigerstaaten» - mit einer urbanen Morphologie, die weitgehend von der Ökonomie beherrscht wird und in der Marktmechanismen die Architektur bestimmen. Die Neubauten von heute sind die Ruinen von morgen. Kuala Lumpur ist eine Stadt moderner Trümmer, ein perfektes Baalbek, an einem Tag erbaut, am anderen schon verfallen, eine Stadt, von der man nie erwartet, dass sie fertig wird.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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