Artikel
Luxus und Moderne
Wien feiert hundert Jahre Wiener Werkstätte
Die Wiener Werkstätte von Josef Hoffmann und Koloman Moser war in ihrem radikalen Gestaltungswillen ein Vorbote moderner Designkultur. Von Bauten über Möbel bis zur Mode reichte ein Programm, das nun zum 100-Jahr-Jubiläum in Wien gewürdigt wird. Höhepunkt ist eine grosse Ausstellung im Museum für angewandte Kunst.
29. Dezember 2003 - Paul Jandl
Der Preis der Schönheit war hoch für das vermögende Wiener Grossbürgertum, das Anfang des 20. Jahrhunderts einen ganzen «Lebensstil» bei der Wiener Werkstätte (WW) kaufte. Zu hoch aber war der Preis der Schönheit am Ende für die Kunstfirma selbst. Nach drei Jahrzehnten wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde die von dem Architekten Josef Hoffmann, dem Maler Koloman Moser und dem Mäzen Fritz Waerndorfer gegründete Wiener Werkstätte 1932 liquidiert. Mit ihren Kollegen aus vielen Sparten künstlerischen Handwerks schufen die Stil-Fabrikanten Hoffmann und Moser Architektur, Möbel, Keramik, Stoffe, Glas, Grafik, Mode oder Buchkunst zur höheren Ehre der Schönheit. Dank den Mäzenen, die immer wieder im richtigen Augenblick auftauchten, musste man es mit dem Geld nicht so genau nehmen. Und auch betuchte Kundschaft gab es schnell. Frühe Grossaufträge trugen zum Renommee der Wiener Werkstätte bei. Das Sanatorium Purkersdorf des Wiener Arztes Victor Zuckerkandl wurde 1904 nach Hoffmanns Plänen gebaut und von diesem bis in alle Details ausgestaltet. Im Jahr darauf machte sich Hoffmann an die Pläne für das prunkvolle Brüsseler Palais des Industriellen Adolphe Stoclet. Daraus entstand ein Gesamtkunstwerk ganz nach dem Geschmack der Wiener Werkstätte: ein Ort des Luxus und der Moderne.
Triumph und Tragik
Aus Anlass des 100. Geburtstags der Wiener Werkstätte feiert nun eine grosse Ausstellung des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK) dieses Aushängeschild von Wiens ästhetischer Identität mit angemessener Opulenz. Die Schau «Der Preis der Schönheit» würdigt Grösse und Grössenwahn eines frühen Aufbruchs ins Design. Das Museum hat es sich nicht nehmen lassen, das WW-Gesamtkunstwerk als solches zu inszenieren. Aus dem allumfassenden Design der Wiener Werkstätte wird kein Heiligtum gemacht. Vielmehr denkt die Ausstellung ein ehrgeiziges Anliegen ironisch zu Ende. Heimo Zobernig, der schon bei der Zuger WW-Schau (NZZ 20. 6. 03) mitwirkte, hat aus Gerüststangen, Glas und transparenten Stoffbahnen das WW-Signum nachgebaut. Zwei ineinander verschränkte riesenhafte W bilden Vitrinen, in denen sich alles findet, was die Edelschmiede des künstlerischen Handwerks in drei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Triumph und Tragik der Wiener Werkstätte liegen in den Glaskästen eng beieinander.
Am Anfang stand die puristische Phase, in der die ästhetische Produktion so rigide war wie Josef Hoffmanns geometrische Grundformen, die überall Anwendung fanden. «Quadratl-Hoffmann» wurde der Wiener Architekt ob seiner Vorliebe genannt. Nach und nach und vor allem seit dem Ausscheiden Koloman Mosers aus der Wiener Werkstätte 1907, wandelte sich das Unternehmen in einen Produktionsort luxuriösen Überschwangs. Keramische Fragwürdigkeiten eines Zwanziger-Jahre-Rokokos wurden massenhaft produziert, und noch die kleinsten Schatullen wurden aus edelsten Hölzern und drei Sorten Leder gefertigt. Sie stehen im MAK neben zeitlos schönen frühen Arbeiten wie Koloman Mosers Teeservices oder Hoffmanns formal strengem Schreibschrank für Berta Waerndorfer.
Durchgestyltes Leben
Das Brüsseler Palais Stoclet ist in der Wiener Ausstellung im Modell zu sehen. Für dessen opulentes Interieur entwarf Gustav Klimt ein Mosaikfries aus buntem Glas, Email, Perlmutt und Gold. Klimts Zeichnungen in Originalgrösse gehören zu den beeindruckendsten Exponaten. Und Exponate gibt es viele: von den Dokumenten zu architektonischen Grossaufträgen (das Archiv der Wiener Werkstätte befindet sich im MAK) über Möbel und Reformkleider bis hin zu Utensilien stilbewusster Haushaltsführung. Noch die kleinste Pfeffer-Paprika-Büchse hat Josef Hoffmann mit einigem Schwung gestaltet.
Modern ist die Wiener Werkstätte, weil sie forderte, was die designte Welt der Gegenwart dann fast bis zum Überdruss einlöste. Modern ist sie auch, weil sich in ihrer Idee des durchgestylten Lebens selbst dieser Überdruss bereits ankündigt. Das Wiener MAK zieht daraus seinen Schluss und hat zur Ausstellung einen Katalog herausgebracht, der ebenso luxuriös wie schreiend grell ist. In schöner Eleganz zeigt der mit orangefarbenem Plastic umhüllte Bildband die Geschichte des Stil-Unternehmens.
Die hervorragende Ausstellung im MAK spannt einen chronologischen Bogen, der auch die Vorläufer der Wiener Werkstätte nicht vergisst. Die «Arts & Crafts»-Bewegung, Charles Robert Ashbee, Charles Rennie Mackintosh und Henry van de Velde stehen ebenso an der Wiege dieser Idee wie die grafische Kunst der Wiener Sezession. Entscheidend waren die ersten Jahre. Die frühen Grossaufträge haben wesentlich zum noch heute bestehenden Mythos der Werkstätte- Künstler beigetragen, zu denen neben Moser und Hoffmann noch Carl Otto Czeschka, Bertold Löffler oder Michael Powolny gehörten.
Wunschmaschine der Utopie
Während es um die Bauten der Wiener Werkstätte nicht zum Besten steht - das Sanatorium Purkersdorf wurde gerade zu Tode revitalisiert, und das Brüsseler Palais Stoclet soll für 100 Millionen Dollar zum Verkauf stehen -, feiert Wien, was zu feiern ist. Die Wiener Werkstätte war nicht zuletzt auch ein soziales Experiment zwischen Kunst und Alltag. Die smarten Sezessionisten Moser und Hoffmann haben die moderne Corporate Identity mit erfunden, gescheitert sind sie wie moderne Unternehmer. Als auratisches Monument einer Idee steht ein grosser hölzerner Kasten in der Ausstellung des MAK. In seinen engen Fächern liegen die metallenen Prägestempel aller Logos, Künstlermonogramme und Meisterpunzen der Wiener Werkstätte. Dicht an dicht reihen sich die Symbole künstlerischer Individualität, die schnell greifbar sein sollten für die Massenproduktion eines Kunstunternehmens. Der mannshohe Holzkasten wirkt wie die Maschine eines utopischen Wunsches.
[Bis 7. März. Katalog: Der Preis der Schönheit. 100 Jahre Wiener Werkstätte. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2003. 448 S., Fr. 83.-. Ausserdem präsentieren zurzeit private Aussteller wie «Bel Etage» oder die Galerie bei der Albertina Möbel, Kunst und Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte.]
Triumph und Tragik
Aus Anlass des 100. Geburtstags der Wiener Werkstätte feiert nun eine grosse Ausstellung des Wiener Museums für angewandte Kunst (MAK) dieses Aushängeschild von Wiens ästhetischer Identität mit angemessener Opulenz. Die Schau «Der Preis der Schönheit» würdigt Grösse und Grössenwahn eines frühen Aufbruchs ins Design. Das Museum hat es sich nicht nehmen lassen, das WW-Gesamtkunstwerk als solches zu inszenieren. Aus dem allumfassenden Design der Wiener Werkstätte wird kein Heiligtum gemacht. Vielmehr denkt die Ausstellung ein ehrgeiziges Anliegen ironisch zu Ende. Heimo Zobernig, der schon bei der Zuger WW-Schau (NZZ 20. 6. 03) mitwirkte, hat aus Gerüststangen, Glas und transparenten Stoffbahnen das WW-Signum nachgebaut. Zwei ineinander verschränkte riesenhafte W bilden Vitrinen, in denen sich alles findet, was die Edelschmiede des künstlerischen Handwerks in drei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Triumph und Tragik der Wiener Werkstätte liegen in den Glaskästen eng beieinander.
Am Anfang stand die puristische Phase, in der die ästhetische Produktion so rigide war wie Josef Hoffmanns geometrische Grundformen, die überall Anwendung fanden. «Quadratl-Hoffmann» wurde der Wiener Architekt ob seiner Vorliebe genannt. Nach und nach und vor allem seit dem Ausscheiden Koloman Mosers aus der Wiener Werkstätte 1907, wandelte sich das Unternehmen in einen Produktionsort luxuriösen Überschwangs. Keramische Fragwürdigkeiten eines Zwanziger-Jahre-Rokokos wurden massenhaft produziert, und noch die kleinsten Schatullen wurden aus edelsten Hölzern und drei Sorten Leder gefertigt. Sie stehen im MAK neben zeitlos schönen frühen Arbeiten wie Koloman Mosers Teeservices oder Hoffmanns formal strengem Schreibschrank für Berta Waerndorfer.
Durchgestyltes Leben
Das Brüsseler Palais Stoclet ist in der Wiener Ausstellung im Modell zu sehen. Für dessen opulentes Interieur entwarf Gustav Klimt ein Mosaikfries aus buntem Glas, Email, Perlmutt und Gold. Klimts Zeichnungen in Originalgrösse gehören zu den beeindruckendsten Exponaten. Und Exponate gibt es viele: von den Dokumenten zu architektonischen Grossaufträgen (das Archiv der Wiener Werkstätte befindet sich im MAK) über Möbel und Reformkleider bis hin zu Utensilien stilbewusster Haushaltsführung. Noch die kleinste Pfeffer-Paprika-Büchse hat Josef Hoffmann mit einigem Schwung gestaltet.
Modern ist die Wiener Werkstätte, weil sie forderte, was die designte Welt der Gegenwart dann fast bis zum Überdruss einlöste. Modern ist sie auch, weil sich in ihrer Idee des durchgestylten Lebens selbst dieser Überdruss bereits ankündigt. Das Wiener MAK zieht daraus seinen Schluss und hat zur Ausstellung einen Katalog herausgebracht, der ebenso luxuriös wie schreiend grell ist. In schöner Eleganz zeigt der mit orangefarbenem Plastic umhüllte Bildband die Geschichte des Stil-Unternehmens.
Die hervorragende Ausstellung im MAK spannt einen chronologischen Bogen, der auch die Vorläufer der Wiener Werkstätte nicht vergisst. Die «Arts & Crafts»-Bewegung, Charles Robert Ashbee, Charles Rennie Mackintosh und Henry van de Velde stehen ebenso an der Wiege dieser Idee wie die grafische Kunst der Wiener Sezession. Entscheidend waren die ersten Jahre. Die frühen Grossaufträge haben wesentlich zum noch heute bestehenden Mythos der Werkstätte- Künstler beigetragen, zu denen neben Moser und Hoffmann noch Carl Otto Czeschka, Bertold Löffler oder Michael Powolny gehörten.
Wunschmaschine der Utopie
Während es um die Bauten der Wiener Werkstätte nicht zum Besten steht - das Sanatorium Purkersdorf wurde gerade zu Tode revitalisiert, und das Brüsseler Palais Stoclet soll für 100 Millionen Dollar zum Verkauf stehen -, feiert Wien, was zu feiern ist. Die Wiener Werkstätte war nicht zuletzt auch ein soziales Experiment zwischen Kunst und Alltag. Die smarten Sezessionisten Moser und Hoffmann haben die moderne Corporate Identity mit erfunden, gescheitert sind sie wie moderne Unternehmer. Als auratisches Monument einer Idee steht ein grosser hölzerner Kasten in der Ausstellung des MAK. In seinen engen Fächern liegen die metallenen Prägestempel aller Logos, Künstlermonogramme und Meisterpunzen der Wiener Werkstätte. Dicht an dicht reihen sich die Symbole künstlerischer Individualität, die schnell greifbar sein sollten für die Massenproduktion eines Kunstunternehmens. Der mannshohe Holzkasten wirkt wie die Maschine eines utopischen Wunsches.
[Bis 7. März. Katalog: Der Preis der Schönheit. 100 Jahre Wiener Werkstätte. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2003. 448 S., Fr. 83.-. Ausserdem präsentieren zurzeit private Aussteller wie «Bel Etage» oder die Galerie bei der Albertina Möbel, Kunst und Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom