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Aus diesen Bücher haben sie unsere Welt erbaut
Das Architekturzentrum Wien zeigt erstmals die Bibliothek Marzona
17. Januar 2004 - Gabriele Reiterer
Geknickte Regale schieben sich wie ein Highway nach einem Erdbeben durch den Raum. Darin ausgestellt wird ein Sprengstoff der besonderen Art: Bücher. Es ist keine Präsentation, die auf den ersten Blick verführt. Die auf eine Initiative der Kuratorin Elisabetta Bresciani zurückgehende Ausstellung zeigt die Architekturbibliothek Egidio Marzonas, dessen Name sonst eher mit einer der wichtigsten Sammlungen der Concept- und Minimal-Art assoziiert wird. Im Architekturzentrum werden über fünfhundert Bücher, Zeitschriften und Faltblätter aus dieser Sammlung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einige Bände können der Regallandschaft des Architekturbüros Holodeck.at entnommen werden, denn erst beim Blättern zeigt sich die Brisanz des Themas. Seit Beginn der Moderne sind Architekturbücher ohne Bilder fast undenkbar geworden. Die Ausstellung führt daher weit über das Präsentierte hinaus und mitten hinein in ein hochaktuelles Thema in Architektur und Städtebau. Es geht um die Präsenz und Ambivalenz von Bildästhetik, Bildproduktion und deren Auswirkungen auf die gestalterische Praxis.
Die optische Kargheit eines um 1890 gedruckten Buches über Architektur oder Städtebau, das sich, wenn überhaupt Abbildungen darin vorkamen, mit blassen Heliogravuren begnügte, würde einen Großteil des Publikums heute wohl kaum mehr ansprechen. Wer kann sich heute die Entwürfe zeitgenössischer Architekten ohne computergenerierte, dynamische Bilderwelten vorstellen? Ohne diese Bildkultur wären viele Theorien und Tendenzen nicht vermittelbar. Was hat es also auf sich mit dieser visuellen Vermittlung, die zentraler Bestandteil von Architektur, Städtebau und auch der Kunst geworden ist? Die Bildästhetik eines um 1925 gedruckten Werks hingegen trat gleichberechtigt neben den Text und machte diesen nicht selten überflüssig.
Mario Carpo hat in seinem Buch „Architecture in the Age of Printing“ auf eine wichtige Konsequenz der neuen abbildenden und dokumentierenden Medien hingewiesen. Die gedruckten Bilder haben demnach die Geschichte der Architektur verändert, aber „nicht durch die Objekte, die abgedruckt wurden, sondern einzig und allein, weil sie gedruckt wurden“. Im 19. Jahrhundert ereignete sich jene Zäsur, deren Potenzial alle bisherigen abbildungs- und drucktechnischen Mittel weit hinter sich ließ: die Erfindung der Fotografie. Mit dem neuen Medium begann das Zeitalter einer sich verändernden visuellen Kultur, die für Städtebau, Architektur und auch für die Kunst weit reichende Konsequenzen hatte. Der Einfluss der Reproduktionstechnik lag vor allem in der Verselbstständigung einer Ästhetik. Das Bild wurde zu einer eigenständigen ästhetischen Kraft.
Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden zahlreiche Architektur- und Kunstzeitschriften, die für die „Sprachentwicklung“ der Moderne als Geburtshelfer dienten. Dem „Bild“ kam die Rolle der wichtigsten „rhetorischen“ Botschaft zu. Die scheinbare Eindeutigkeit des Fotos ersetzte zunehmend das Wort, und die visuelle Vermittlung überholte die geschriebene Sprache. Die Folge dieser visuellen und medienkulturellen Strategien war eine Veränderung der Ästhetik des Gebauten, die sich zunehmend - so paradox dies klingen mag - von ihrer eigenen Dokumentation beeinflusst zeigte. Die vermeintlich nur dokumentierende Fotografie wurde zum dialektischen Treibmittel der modernen Ästhetik. Eine ähnliche Dynamik lässt sich auch in der gegenwärtigen Architektur- und Städtebaudiskussion beobachten. Die Präsenz und die ästhetische Dominanz einer bildästhetischen Ebene mit ähnlich vermittlungsstrategischen Zügen prägen in hohem Maß die Publizistik und den architektonischen Diskurs der Gegenwart. Die visuellen Möglichkeiten und die Ästhetik des digitalen Zeitalters sind zum zentralen Bestandteil der Architektur(ästhetik) und unseres Bildes der Stadt geworden.
Nun ist zum statischen Bild in unserer Zeit ein neues Element dazugekommen. Virtuelle Bilder und Raumsimulationen beeinflussen Entwurfsansätze und Umsetzungen. Auch unser gegenwärtiges urbanistisches und architektonisches „Image“ ist in hohem Maß von den digitalen Reproduktionsmöglichkeiten der virtuellen Bildkultur geprägt. Elaborierte Bildproduktionen vermischen sich mit realen Eindrücken bis hin zum illusionistischen Spiel. Wie im barocken Spiegelkabinett umflutet uns die Bilderwelt. Als Phänomen ist dies nicht neu. Bildproduktionen haben die Architekturproduktion stets begleitet. Nur eines sollte zu denken geben. Architektur als Bild alleine ist eine (nicht unproblematische) Illusion.
[„Wie bauen?“, Architekturzentrum Wien, nur noch bis zum 2. 2. 2004.
Am Samstag, 28. Januar 2004 um 19.00 Uhr führen Elisabetta Bresciani und Egidio Marzona durch die Ausstellung.]
Die optische Kargheit eines um 1890 gedruckten Buches über Architektur oder Städtebau, das sich, wenn überhaupt Abbildungen darin vorkamen, mit blassen Heliogravuren begnügte, würde einen Großteil des Publikums heute wohl kaum mehr ansprechen. Wer kann sich heute die Entwürfe zeitgenössischer Architekten ohne computergenerierte, dynamische Bilderwelten vorstellen? Ohne diese Bildkultur wären viele Theorien und Tendenzen nicht vermittelbar. Was hat es also auf sich mit dieser visuellen Vermittlung, die zentraler Bestandteil von Architektur, Städtebau und auch der Kunst geworden ist? Die Bildästhetik eines um 1925 gedruckten Werks hingegen trat gleichberechtigt neben den Text und machte diesen nicht selten überflüssig.
Mario Carpo hat in seinem Buch „Architecture in the Age of Printing“ auf eine wichtige Konsequenz der neuen abbildenden und dokumentierenden Medien hingewiesen. Die gedruckten Bilder haben demnach die Geschichte der Architektur verändert, aber „nicht durch die Objekte, die abgedruckt wurden, sondern einzig und allein, weil sie gedruckt wurden“. Im 19. Jahrhundert ereignete sich jene Zäsur, deren Potenzial alle bisherigen abbildungs- und drucktechnischen Mittel weit hinter sich ließ: die Erfindung der Fotografie. Mit dem neuen Medium begann das Zeitalter einer sich verändernden visuellen Kultur, die für Städtebau, Architektur und auch für die Kunst weit reichende Konsequenzen hatte. Der Einfluss der Reproduktionstechnik lag vor allem in der Verselbstständigung einer Ästhetik. Das Bild wurde zu einer eigenständigen ästhetischen Kraft.
Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden zahlreiche Architektur- und Kunstzeitschriften, die für die „Sprachentwicklung“ der Moderne als Geburtshelfer dienten. Dem „Bild“ kam die Rolle der wichtigsten „rhetorischen“ Botschaft zu. Die scheinbare Eindeutigkeit des Fotos ersetzte zunehmend das Wort, und die visuelle Vermittlung überholte die geschriebene Sprache. Die Folge dieser visuellen und medienkulturellen Strategien war eine Veränderung der Ästhetik des Gebauten, die sich zunehmend - so paradox dies klingen mag - von ihrer eigenen Dokumentation beeinflusst zeigte. Die vermeintlich nur dokumentierende Fotografie wurde zum dialektischen Treibmittel der modernen Ästhetik. Eine ähnliche Dynamik lässt sich auch in der gegenwärtigen Architektur- und Städtebaudiskussion beobachten. Die Präsenz und die ästhetische Dominanz einer bildästhetischen Ebene mit ähnlich vermittlungsstrategischen Zügen prägen in hohem Maß die Publizistik und den architektonischen Diskurs der Gegenwart. Die visuellen Möglichkeiten und die Ästhetik des digitalen Zeitalters sind zum zentralen Bestandteil der Architektur(ästhetik) und unseres Bildes der Stadt geworden.
Nun ist zum statischen Bild in unserer Zeit ein neues Element dazugekommen. Virtuelle Bilder und Raumsimulationen beeinflussen Entwurfsansätze und Umsetzungen. Auch unser gegenwärtiges urbanistisches und architektonisches „Image“ ist in hohem Maß von den digitalen Reproduktionsmöglichkeiten der virtuellen Bildkultur geprägt. Elaborierte Bildproduktionen vermischen sich mit realen Eindrücken bis hin zum illusionistischen Spiel. Wie im barocken Spiegelkabinett umflutet uns die Bilderwelt. Als Phänomen ist dies nicht neu. Bildproduktionen haben die Architekturproduktion stets begleitet. Nur eines sollte zu denken geben. Architektur als Bild alleine ist eine (nicht unproblematische) Illusion.
[„Wie bauen?“, Architekturzentrum Wien, nur noch bis zum 2. 2. 2004.
Am Samstag, 28. Januar 2004 um 19.00 Uhr führen Elisabetta Bresciani und Egidio Marzona durch die Ausstellung.]
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