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Vom Bauhaus zum Schauhaus
Eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen
Unter dem Titel «HausSchau - das Haus in der Kunst» zeigt eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen, dass das Gebaute weit über das rein Architektonische hinausweist. Der kreative Umgang der Künstler mit dem Haus bietet Architekten und Laien gleichermassen Gelegenheit, Bauten bald aus ungewohnter, bald aus unheimlicher Perspektive zu betrachten.
12. Juli 2000 - Hans Frei
Jede Generation hat ihre eigenen Träume. Der Traum vom eigenen Haus aber ist allen gemeinsam, so heisst es in einer Kinowerbung. Die Identität des Menschen ist von Natur aus häuslich. Das Zuhausesein garantiert sowohl individuelle Freiheiten als auch die Achtung sozialer Werte. Nur in «splendid isolation» kann gedeihen, was im Grossen blühen soll. Ein Mensch ohne Haus ist unheimlich, für viele beinahe schon ein potenzieller Verbrecher.
Das Haus in der Kunst
Wenn jedoch Künstler sich mit dem Haus beschäftigen, dann verwandelt es sich in etwas vollkommen anderes und bekommt selbst etwas Unheimliches. Man denke etwa an Gordon Matta- Clarks halbierte oder sonstwie zerschnittene Häuser. Oder an Dan Grahams «Alteration to a Suburban House», wo sich die Bewohner infolge künstlerischer Eingriffe schutzlos dem Aussenraum ausgeliefert sehen. Oder man denke an die massgeschneiderten, klinischen Zivilschutzzellen von Absalon, die einem weit mehr Angst vor dem Eingeschlossensein einjagen, als dass sie irgendwelche Hoffnung auf ein mögliches Überleben machen. Man denke an Martha Rosler, die bekannte Greuelszenen aus dem Vietnamkrieg direkt in Fotos von Wohnzimmern zu Hause montierte. Oder an das Haus von Rachel Whiteread, bei dem die Räume mit Beton ausgegossen wurden - wie um zu zeigen, dass wir zu Hause freiwillige Gefangene der Räume und nicht etwa der Raumhüllen sind. Diese und weitere künstlerische Bearbeitungen von Häusern stehen in krassem Widerspruch zum normalen Traum vom Eigenheim. Gerade deshalb stellt die Ausstellung «HausSchau. Das Haus in der Kunst» in den Hamburger Deichtorhallen eine wichtige Gelegenheit dar, das Haus einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Schreckensvisionen sind aber nicht das Einzige, was Künstler inhaltlich mit dem Haus verbinden. Ein anderes grosses Thema ist das Haus als Wahrnehmungsapparat. Steven John Pippin benutzt ganze Gebäude als Camera obscura, mit der er Bilder von draussen durch Fensteröffnungen einfängt und sie innen kopfüber an der Rückwand festhält. Auch die grossen Pavillon-Modelle von Stephen Craig bestehen primär aus Projektionsflächen: aus Filmen, die an die Wand projiziert werden; aus architektonischen Öffnungen, die Landschaftsbilder rahmen; aus weissen Wänden, die zu Projektionen einladen. In ähnlicher Weise stehen auch die Architekturmodelle von Julian Opie der Idee eines Gebäudes als Bild näher. Die Phantasie wird durch deren Bildhaftigkeit weit mehr angeregt als durch die architektonische Körperhaftigkeit. Opies Gebäude-als-Bilder gewähren denn auch Zugang zu virtuellen Wunderländern, wie sie sonst nur Kinder hervorzubringen vermögen. Dass in diesem Zusammenhang die Haus-Skulpturen von Louise Bourgeois weder in der Ausstellung gezeigt noch im Katalog erwähnt werden, ist vielleicht die schwerwiegendste Unterlassungssünde der Hamburger Ausstellungsmacher. Sie hätten bestens zu der in Hamburg gezeigten anderen Architektur gepasst, deren Materialien in erster Linie Schreckensvisionen und Wunschvorstellungen sind.
In seinem Katalogbeitrag geht Ludwig Seyfarth möglichen Verbindungen zwischen den architektonischen und künstlerischen Umgangsweisen mit dem Haus nach. Natürlich ist das Haus auch in der Architektur ein Thema, das über rein konstruktiv-materielle Belange hinausgeht. Das Haus als Urhütte, als zerstörte Box, als dekorierter Schuppen, als nomadische Unterkunft. Doch es ist, als würden die Architekten und die Künstler von zwei verschiedenen Realitäten sprechen. Die einen machen die äusseren - sozialen, ideologischen, programmatischen - Mechanismen sichtbar, während die andern an Mechanismen interessiert sind, die tief im Inneren eines jeden Hauses stecken. Die beiden Mechanismen oder Prozesse des Sichtbarmachens aber greifen nicht ineinander.
In welchem Sinne die beiden Mechanismen der Sichtbarmachung zusammengehören, zeigt eine Installation von Thomas Schütte, die das ideelle Zentrum der Ausstellung bildet. Sie besteht aus einem grossen Architekturmodell, das auf zwei hohen Tischen verteilt ist, zwischen denen man hindurchgehen kann. Im Raum hängt zudem ein Gemälde von einem Grabstein, dem ein Modell desselben im Massstab 1:20 gegenübergestellt ist. Die Raumdiagonale, die Bild und Modell verbindet, deutet auf die Realisierung einer blossen Vorstellung hin. Den Gang durch die beiden Teile des architektonischen Modells hindurch kann man ebenfalls als Entwicklungslinie in umgekehrter Richtung verstehen: Beide Hälften des Modells lassen sich nur in der Vorstellung des Betrachters wieder zu einem Ganzen zusammenfügen. Die Realisierung einer Vorstellung und die Aktualisierung einer Realität sind zwei vollständig unabhängige Prozesse, die sich aber doch, wie in der Installation von Schütte, irgendwo schneiden. Daraus lässt sich allgemein der Schluss ziehen, dass beide Mechanismen der Sichtbarmachung - Realisierung und Aktualisierung - aufeinander bezogen sind und dass man der Wirklichkeit eines Hauses nur gerecht werden kann, wenn man das eine mit dem anderen zusammenbringt.
Zwischen Kunst und Architektur
Wohl gehört Buster Keatons Kurzfilm «One Week» von 1920 nur am Rande zur Ausstellung - als Teil einer Arbeit von Stephen Craig -, doch wegen seiner musikalischen Untermalung ist er während des ganzen Ausstellungsbesuchs stets präsent. Und auch die «Botschaft» des Filmes ist im Hinblick auf eine Transversale zwischen Kunst und Architektur von zentraler Bedeutung. Gezeigt wird der missglückte Versuch eines jungen Paars, sich seinen Traum vom eigenen Haus aus Baukastenelementen selbst zu verwirklichen. Zuletzt sind alle Wände schief, das Dach viel zu klein, die Badezimmerarmaturen liegen aussen an der Fassade, und der Hauseingang befindet sich im ersten Obergeschoss. Wenn Keaton trotz dem dekonstruktivistisch anmutenden Haus nicht zu den grossen Architekten gezählt werden muss, so könnten diese gleichwohl in einem gewissen Sinne von ihm lernen. Indem er sich über die konventionellen Regeln des Bauens hinwegsetzt, nimmt er seinem Haus den Schrecken. Wir lachen weniger aus Schadenfreude über die ungewollte Missgeburt von einem Haus denn aus Erleichterung darüber, dass wegen der unsachgemässen Ausführung auch die inneren Zwangsmechanismen nicht funktionieren. Mit Rainer Maria Rilke könnte man das Lachen als Befreiung von einem Schrecken verstehen - einem Schrecken, vor dem man sich nicht mehr fürchtet. Ist das Unheimliche nicht gerade dort zu Hause, wo sich die Architekten im Sinne fachgerechter Vernunft durchsetzen? Die von Zdenek Felix und seinem Team zusammengestellte «HausSchau» gibt in dieser Beziehung einiges zu denken.
[ Bis 17. September. Katalog: HausSchau. Das Haus in der Kunst. Hrsg. Zdenek Felix. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2000. 157 S., DM 38.- (in der Ausstellung). ]
Das Haus in der Kunst
Wenn jedoch Künstler sich mit dem Haus beschäftigen, dann verwandelt es sich in etwas vollkommen anderes und bekommt selbst etwas Unheimliches. Man denke etwa an Gordon Matta- Clarks halbierte oder sonstwie zerschnittene Häuser. Oder an Dan Grahams «Alteration to a Suburban House», wo sich die Bewohner infolge künstlerischer Eingriffe schutzlos dem Aussenraum ausgeliefert sehen. Oder man denke an die massgeschneiderten, klinischen Zivilschutzzellen von Absalon, die einem weit mehr Angst vor dem Eingeschlossensein einjagen, als dass sie irgendwelche Hoffnung auf ein mögliches Überleben machen. Man denke an Martha Rosler, die bekannte Greuelszenen aus dem Vietnamkrieg direkt in Fotos von Wohnzimmern zu Hause montierte. Oder an das Haus von Rachel Whiteread, bei dem die Räume mit Beton ausgegossen wurden - wie um zu zeigen, dass wir zu Hause freiwillige Gefangene der Räume und nicht etwa der Raumhüllen sind. Diese und weitere künstlerische Bearbeitungen von Häusern stehen in krassem Widerspruch zum normalen Traum vom Eigenheim. Gerade deshalb stellt die Ausstellung «HausSchau. Das Haus in der Kunst» in den Hamburger Deichtorhallen eine wichtige Gelegenheit dar, das Haus einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Schreckensvisionen sind aber nicht das Einzige, was Künstler inhaltlich mit dem Haus verbinden. Ein anderes grosses Thema ist das Haus als Wahrnehmungsapparat. Steven John Pippin benutzt ganze Gebäude als Camera obscura, mit der er Bilder von draussen durch Fensteröffnungen einfängt und sie innen kopfüber an der Rückwand festhält. Auch die grossen Pavillon-Modelle von Stephen Craig bestehen primär aus Projektionsflächen: aus Filmen, die an die Wand projiziert werden; aus architektonischen Öffnungen, die Landschaftsbilder rahmen; aus weissen Wänden, die zu Projektionen einladen. In ähnlicher Weise stehen auch die Architekturmodelle von Julian Opie der Idee eines Gebäudes als Bild näher. Die Phantasie wird durch deren Bildhaftigkeit weit mehr angeregt als durch die architektonische Körperhaftigkeit. Opies Gebäude-als-Bilder gewähren denn auch Zugang zu virtuellen Wunderländern, wie sie sonst nur Kinder hervorzubringen vermögen. Dass in diesem Zusammenhang die Haus-Skulpturen von Louise Bourgeois weder in der Ausstellung gezeigt noch im Katalog erwähnt werden, ist vielleicht die schwerwiegendste Unterlassungssünde der Hamburger Ausstellungsmacher. Sie hätten bestens zu der in Hamburg gezeigten anderen Architektur gepasst, deren Materialien in erster Linie Schreckensvisionen und Wunschvorstellungen sind.
In seinem Katalogbeitrag geht Ludwig Seyfarth möglichen Verbindungen zwischen den architektonischen und künstlerischen Umgangsweisen mit dem Haus nach. Natürlich ist das Haus auch in der Architektur ein Thema, das über rein konstruktiv-materielle Belange hinausgeht. Das Haus als Urhütte, als zerstörte Box, als dekorierter Schuppen, als nomadische Unterkunft. Doch es ist, als würden die Architekten und die Künstler von zwei verschiedenen Realitäten sprechen. Die einen machen die äusseren - sozialen, ideologischen, programmatischen - Mechanismen sichtbar, während die andern an Mechanismen interessiert sind, die tief im Inneren eines jeden Hauses stecken. Die beiden Mechanismen oder Prozesse des Sichtbarmachens aber greifen nicht ineinander.
In welchem Sinne die beiden Mechanismen der Sichtbarmachung zusammengehören, zeigt eine Installation von Thomas Schütte, die das ideelle Zentrum der Ausstellung bildet. Sie besteht aus einem grossen Architekturmodell, das auf zwei hohen Tischen verteilt ist, zwischen denen man hindurchgehen kann. Im Raum hängt zudem ein Gemälde von einem Grabstein, dem ein Modell desselben im Massstab 1:20 gegenübergestellt ist. Die Raumdiagonale, die Bild und Modell verbindet, deutet auf die Realisierung einer blossen Vorstellung hin. Den Gang durch die beiden Teile des architektonischen Modells hindurch kann man ebenfalls als Entwicklungslinie in umgekehrter Richtung verstehen: Beide Hälften des Modells lassen sich nur in der Vorstellung des Betrachters wieder zu einem Ganzen zusammenfügen. Die Realisierung einer Vorstellung und die Aktualisierung einer Realität sind zwei vollständig unabhängige Prozesse, die sich aber doch, wie in der Installation von Schütte, irgendwo schneiden. Daraus lässt sich allgemein der Schluss ziehen, dass beide Mechanismen der Sichtbarmachung - Realisierung und Aktualisierung - aufeinander bezogen sind und dass man der Wirklichkeit eines Hauses nur gerecht werden kann, wenn man das eine mit dem anderen zusammenbringt.
Zwischen Kunst und Architektur
Wohl gehört Buster Keatons Kurzfilm «One Week» von 1920 nur am Rande zur Ausstellung - als Teil einer Arbeit von Stephen Craig -, doch wegen seiner musikalischen Untermalung ist er während des ganzen Ausstellungsbesuchs stets präsent. Und auch die «Botschaft» des Filmes ist im Hinblick auf eine Transversale zwischen Kunst und Architektur von zentraler Bedeutung. Gezeigt wird der missglückte Versuch eines jungen Paars, sich seinen Traum vom eigenen Haus aus Baukastenelementen selbst zu verwirklichen. Zuletzt sind alle Wände schief, das Dach viel zu klein, die Badezimmerarmaturen liegen aussen an der Fassade, und der Hauseingang befindet sich im ersten Obergeschoss. Wenn Keaton trotz dem dekonstruktivistisch anmutenden Haus nicht zu den grossen Architekten gezählt werden muss, so könnten diese gleichwohl in einem gewissen Sinne von ihm lernen. Indem er sich über die konventionellen Regeln des Bauens hinwegsetzt, nimmt er seinem Haus den Schrecken. Wir lachen weniger aus Schadenfreude über die ungewollte Missgeburt von einem Haus denn aus Erleichterung darüber, dass wegen der unsachgemässen Ausführung auch die inneren Zwangsmechanismen nicht funktionieren. Mit Rainer Maria Rilke könnte man das Lachen als Befreiung von einem Schrecken verstehen - einem Schrecken, vor dem man sich nicht mehr fürchtet. Ist das Unheimliche nicht gerade dort zu Hause, wo sich die Architekten im Sinne fachgerechter Vernunft durchsetzen? Die von Zdenek Felix und seinem Team zusammengestellte «HausSchau» gibt in dieser Beziehung einiges zu denken.
[ Bis 17. September. Katalog: HausSchau. Das Haus in der Kunst. Hrsg. Zdenek Felix. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2000. 157 S., DM 38.- (in der Ausstellung). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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