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Historische Monumente weiterdenken
Ausgewählte Schriften von Giorgio Grassi
2. März 2002 - Fabrizio Brentini
Die wichtigsten Aufsätze und Vorträge des italienischen Architekten Giorgio Grassi liegen dank einer Initiative des Luzerner Quart-Verlags nun endlich auch auf Deutsch vor. Es handelt sich dabei um keine leichte Kost, denn die Eigenart Grassis, seine Gedanken in vertrackten Schachtelsätzen auszudrücken, kann den Leser bisweilen zur Verzweiflung treiben. Hat man aber Ausdauer, dann werden seine Grundanliegen mit fortschreitender Lektüre immer deutlicher. Grassi vertritt in Bezug auf das Bauen in der Stadt eine mit der Aldo Rossis vergleichbare Position.
Historische Monumente enthalten bisweilen vielschichtige architektonische Ideen; und je mehr sie Ruine sind, umso grösser ist die Herausforderung an den Baumeister, das Vorhandene in der Weise zu ergänzen, dass es weder nach Rekonstruktion noch nach Restauration aussieht, sondern zum Ausdruck eines intensiven Dialoges zwischen Alt und Neu wird. Grassi demonstriert dies mit der Restrukturierung des römischen Theaters von Sagunto bei Valencia, das im Buch mehrmals als eine Art Schlüsselwerk erläutert wird. Man merkt, dass der italienische Hintergrund eine andere Ausgangsposition bietet als etwa der mitteleuropäische. Wenn es stimmt, dass Italien rund 50 Prozent der europäischen Kunst- und Kulturgüter besitzt, dann kann ein hier ausgebildeter Architekt gar nicht anders, als sich dem unerschöpflichen Reservoir an Vergangenheitsdokumenten in Demut und Ehrfurcht zu nähern. Carlo Scarpa, ein anderer Italiener, leitete bekanntlich mit seinen interpretierenden Eingriffen in die historische Substanz ein Umdenken in der Denkmalpflege nördlich der Alpen in die Wege.
Der 1935 in Mailand geborene Grassi entzog sich den Fängen der Postmoderne. Seine Bauten sind ausgesprochen spartanisch, in einem gewissen Sinne einer rationalistischen Sprache verpflichtet. Gleichwohl meldet er in seinen Schriften immer wieder Bedenken gegen die Protagonisten des Neuen Bauens an, so wie er auch vor Moden und Experimenten eindringlich warnt. Als Vorbilder führt er Mies van der Rohe, Oud, Tessenow und Schinkel an, Baukünstler, die weniger einen bestimmten Stil verwirklichen wollten, als vielmehr von einem Problem ausgingen, um erst nach einem langen Prozess des Befragens und Verwerfens zu einer gültigen Form zu gelangen. Die Publikation, die dank den Abbildungen auch eine gute Einführung ins architektonische Werk von Grassi bietet, steht für eine unprätentiöse Haltung, die sich als Antithese zum gegenwärtigen Starkult Gehör verschaffen darf und muss.
[ Giorgio Grassi: Ausgewählte Schriften 1970-1999. Quart- Verlag, Luzern 2002. 368 S., 69 Abb., Fr. 48.-. ]
Historische Monumente enthalten bisweilen vielschichtige architektonische Ideen; und je mehr sie Ruine sind, umso grösser ist die Herausforderung an den Baumeister, das Vorhandene in der Weise zu ergänzen, dass es weder nach Rekonstruktion noch nach Restauration aussieht, sondern zum Ausdruck eines intensiven Dialoges zwischen Alt und Neu wird. Grassi demonstriert dies mit der Restrukturierung des römischen Theaters von Sagunto bei Valencia, das im Buch mehrmals als eine Art Schlüsselwerk erläutert wird. Man merkt, dass der italienische Hintergrund eine andere Ausgangsposition bietet als etwa der mitteleuropäische. Wenn es stimmt, dass Italien rund 50 Prozent der europäischen Kunst- und Kulturgüter besitzt, dann kann ein hier ausgebildeter Architekt gar nicht anders, als sich dem unerschöpflichen Reservoir an Vergangenheitsdokumenten in Demut und Ehrfurcht zu nähern. Carlo Scarpa, ein anderer Italiener, leitete bekanntlich mit seinen interpretierenden Eingriffen in die historische Substanz ein Umdenken in der Denkmalpflege nördlich der Alpen in die Wege.
Der 1935 in Mailand geborene Grassi entzog sich den Fängen der Postmoderne. Seine Bauten sind ausgesprochen spartanisch, in einem gewissen Sinne einer rationalistischen Sprache verpflichtet. Gleichwohl meldet er in seinen Schriften immer wieder Bedenken gegen die Protagonisten des Neuen Bauens an, so wie er auch vor Moden und Experimenten eindringlich warnt. Als Vorbilder führt er Mies van der Rohe, Oud, Tessenow und Schinkel an, Baukünstler, die weniger einen bestimmten Stil verwirklichen wollten, als vielmehr von einem Problem ausgingen, um erst nach einem langen Prozess des Befragens und Verwerfens zu einer gültigen Form zu gelangen. Die Publikation, die dank den Abbildungen auch eine gute Einführung ins architektonische Werk von Grassi bietet, steht für eine unprätentiöse Haltung, die sich als Antithese zum gegenwärtigen Starkult Gehör verschaffen darf und muss.
[ Giorgio Grassi: Ausgewählte Schriften 1970-1999. Quart- Verlag, Luzern 2002. 368 S., 69 Abb., Fr. 48.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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