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nextroom fragt: Anna Popelka
nextroom fragt: Anna Popelka, Pressebild: Georg Molterer

Architektur kann Gesellschaft verändern! Seit über 20 Jahren widmen sich PPAG (Anna Popelka und Georg Poduschka) gesellschaftlich relevanten Aufgaben der Architektur. Seien es die Enzis im Museumsquartier, Wohn- oder Bildungsbauten, jedes Werk ist für sie ein Beitrag zu unser aller gedeihlichen Entwicklung. Anna Popelka im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

9. April 2018
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Unser Büro ist so organisiert, dass Georg und ich mitten drinnen sind. Wir arbeiten mit und wir lachen viel, wir zeichnen auch selbst und versuchen mit dem ganzen Team das Beste aus einer Aufgabe herauszuziehen. Das kann man jetzt als flache Hierarchie bezeichnen, aber es geht uns wirklich um das Haus und das sehen auch alle so. Wir suchen eben nicht den kleinsten gemeinsamen basisdemokratischen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache! Wir sind bei allen Projekten so gut es geht beide involviert. Voraussetzung ist ein ausgefeiltes Informationsmanagement. Doch für eine gute Zusammenarbeit muss es vor allem inhaltlich, menschlich und architektonisch zusammenpassen. Wir alle nehmen die Architektur 24 Stunden und 356 Tage im Jahr wichtig. Es gibt eigentlich niemanden bei uns, der die tägliche Arbeit einfach als Job betrachtet – Architektur ist lebenslange Überforderung und Lebensaufgabe!
Die große Challenge in unserer Arbeit ist, mit der Komplexität all unserer Aufgaben umzugehen und möglichst Vieles möglichst umfassend zu berücksichtigen und etwas von Relevanz beizutragen, die Architektur ständig weiterzutreiben. Wir sind davon überzeugt, dass Innovation allein dadurch, dass sich die Erde dreht, aufgrund der permanenten Veränderungen, unvermeidbar ist. Wir haben uns bewusst nicht spezialisiert, das heißt, dass wir freiwillig gezwungen sind, immer komplett neue Felder zu betreten. Und wir geben keine Ruhe, bis wirklich alle Beteiligten zufrieden sind. Dabei drehen wir freilich viele Runden und haben einen erklärtermaßen hohen Planungsaufwand, aber ein Haus steht nun einmal über 100 Jahre und wir möchten etwas hinterlassen, das wirklich lange, lange brauchbar und sinnvoll ist.

Was inspiriert Sie?

Alles. Wenn ich mit der U-Bahn fahre, wenn ich am Berg droben stehe, alles inspiriert mich. Die Architektur entspringt quasi einem tiefen Verdauungsprozess, man ist die Transformationsmaschine, die irgendwann etwas ausspuckt, oder das Durchlaufmedium, durch das alles läuft und wundersam mit anderem verklickt wird, was schon drinnen ist – im Schädel. Oft passiert das abrupt, dann entwickeln sich Gedankenstränge über lange Zeit. Im Grunde ist das, was wir bearbeiten, ein zusammenhängendes Riesending, an dem wir permanent weiterbasteln und es wird natürlich letztlich durch das Erlebte genährt. Die Transformation ist das, worauf es ankommt bei dem, was wir Idee nennen. Architektur muss einen Beitrag für die Welt leisten.
Die Architekturproduktion ist ein Energiefluss, ein Geben und Nehmen. Da gibt es den unheimlich komprimierten Energieeinsatz beim Ausdenken und wenn Architektur entsteht, dann einen Rücklauf über viele Jahrzehnte. Zum Beispiel von BewohnerInnen, die aus ihrem Leben heraus erklären können, was unsere Architektur, der Raum, für sie bedeutet oder mit ihnen macht!

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Ganz allgemein - also nicht nur für uns - ist es ein Armutszeugnis, wie viele gute Ideen nicht realisiert werden und wie schwer es das Neue hat. Die klassischen Einschränkungen wie gesetzliche Regelwerke und Standards sind unser Spielzeug. Das alles kann der Architektur nicht die Qualität nehmen, ich jammere ja auch nicht über die Schwerkraft oder über schwierige Bauherren. Wenn sie konturiert sind und etwas wollen ist uns das willkommen.
Der Gegner des Neuen ist die Konvention, und die ergibt sich allzu oft als Schnittmenge der Möglichkeitshorizonte der Beteiligten. Das ist die Macht der gebauten Realität, die als vermeintlicher Beweis für Machbarkeit und Qualität stets für Vergangenes lobbyiert. Das betrifft Entscheidungsträger inklusive Wettbewerbs-Jurien, wenn diese den notwendigen Schnell-Lernprozess nicht mitmachen. Auch der Denkmalschutz gehört zu diesem Thema. Architektur wurde immer weitergebaut und heute ist man so zaghaft. Da müssen wir als ArchitektInnen Position beziehen!
Unser Eindruck ist auch, dass das Phänomen der wachsenden Stadt eine Überforderung darstellt, die paralysiert. Aus einer Art Schockstarre heraus verweigert man den Blick in die Zukunft, schaut lieber nach rückwärts und sagt: dann machen wir es halt so, wie immer. Wir kommen nicht daran vorbei, uns der Komplexität der Verhältnisse zu stellen und der Heterogenität der Gesellschaft gerecht zu werden. Gesucht ist nicht „die“ Lösung, sondern Vielfalt.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Hervorheben möchte ich kein einzelnes unserer Werke. Wir ergründen ja für jedes Projekt, wo sein relevanter Beitrag zur Welt liegen kann. Dadurch ist jedes einzelne Projekt in seiner speziellen Weise wichtig.
Wir machen unglaublich viele Projekte. Die realisierten stehen zumindest als Diskussionsgrundlage da. Die vielen ungebauten, oft die besten, würden mehr Aufmerksamkeit verdienen. Es wäre total interessant eine App zu entwickeln, die zeigt, wie zum Beispiel Wien mit den nicht realisierten Bauten aussehen würde. Was uns ArchitektInnen alles einfällt, bleibt der Gesellschaft eigentlich verschlossen.
Vielleicht könnte man sogar der YIMBY-Bewegung (*) zum Durchbruch verhelfen, wenn diese Ideen- und Denkräume, diese unbefleckten Phantasieräume öffentlich zugänglich wären. Wir müssten so weit kommen, dass die Gesellschaft das Neue von sich aus wieder fordert!
Jedes unserer Projekte verstehen wir als Innovationsbeitrag. In unterschiedlicher Dimension und Thematik. Deswegen nehmen wir uns bewusst das ganze Spektrum der Architektur vor – wir sind nicht auf eine Gebäudetypologie spezialisiert: Von der Sandkiste Kagome, eine Weidenstruktur, die wir für das Museumsquartier als lebendes Haus neu erfinden bis zum leistbaren Wohnbau. Die inneren Communities bei Wohnen am Park am ehemaligen Nordbahnhofgelände beispielsweise, oder bei der Slim City in Aspern die permeable, kleinteilige Bebauung, die mit turmartigen, schmalen, unterschiedlich hohen Häusern ein eigenständiges Quartier in der sonst blockrandgeprägten Seestadt bildet. Zwischen den Häusern liegt ein urbaner Freiraum, wie man ihn sonst eher aus der gewachsenen Stadt kennt. Das ganze Areal ist allseitig zugänglich, es wird ein Freiraum geschaffen für alte, junge, kleine und große Leute. Umströmt von der Stadt haben sogar die Maisonettewohnungen mit Eingang im Erdgeschoß private Außenbereiche.
Es muss ja nicht jede Wohnung für jeden passen. Wir glauben nicht an die eine einzige Lösung für alle. Das war neben der Funktionstrennung ein anderer Denkfehler der Moderne, den wir – da ist man wieder bei der Macht des Faktischen – erst aus unseren Köpfen kriegen müssen.

(*) YIMBY - Yes in my backyard: ist die Gegenbewegung zur NIMBY-Bewegung (Not in my backyard). YIMBY erlangt im Zuge der prekären Wohnungsfrage in den Großstädten der Welt immer mehr Unterstützung.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Wir sollten uns stärker politisieren und uns nicht nur zu den Kernthematiken des Berufs äußern. Das hängt ja alles zusammen: die Verteilungsgerechtigkeit, die Unleistbarkeit des Wohnens etc. Das aktuelle Preisniveau entspricht ja nicht den höheren Standards! Es hat damit zu tun, dass das internationale Kapital den Wohnbau als Spekulationsobjekt entdeckt hat. Nur eine Gemeinwohlorientierung kann das stoppen. Dazu braucht es starke Kommunen, die hier ihre Rolle einnehmen. Oder die Monopolisierung und Monotonisierung des Baumarktes.
Die fehlende Firmenvielfalt wirkt sich großflächig auf unsere gebaute Umwelt aus.
Und wir müssen über Schönheit reden! Wir wollen neue Schönheit entdecken, Schönheit erhält unser Leben. Jede Zeit manifestiert sich in gebauten Strukturen. Das nennt man Baukultur. Baukultur ist das gesamthafte Ergebnis der Verfasstheit einer Gesellschaft. Wir schaffen Baukultur und – dass alles so schnell gehen und so leistbar sein soll, das müssen wir auch schaffen! Wir können nicht ablassen davon, dass wir Kultur-Produzenten sind, ganz bodenständig! Aber auch abgehoben, denn die Räume kommen aus der Fantasie und sie landen auf der Erde, irgendwie müssen sich Himmel und Erde finden, in der Architektur.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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