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nextroom fragt: Henke Schreieck Architekten
nextroom fragt: Henke Schreieck Architekten, Pressebild: Heinz Schmölzer

Raum zu schaffen, der in keinem Programm steht ist Henke Schreieck Architekten ein Anliegen. Sie verstehen den öffentlichen Raum nicht nur als Außenraum sondern finden, dass man diesen auch in die Gebäude hineinziehen muss und der Öffentlichkeit damit wieder etwas zurückzugeben sollte. Marta Schreieck und Dieter Henke im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

13. November 2018
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Der Gewinn eines Wettbewerbs hat uns gleich nach dem Studium 1983 ermutigt selbständig zu werden und wir blieben einige Jahre zu zweit, was unsere Arbeitsweise natürlich sehr geprägt hat. Dann mussten wir jedoch aufgrund der Auftragslage relativ rasch ein großes Büro aufbauen. Das war schon eine Herausforderung in Zeiten als auf Computer umgestellt wurde, wir lernten im Zeitraffer. Anfangs wurden wir mit Arbeit überhäuft und merkten schnell, dass wir nicht als Getriebene arbeiten wollten, blieben also immer bei einer überschaubaren Größe von zehn bis zwanzig Leuten. Das bedeutet aber, dass wir keine Lehrtätigkeit angenommen haben und dass wir kaum mehrere große Projekte gleichzeitig machen. Wichtig ist für uns, dass ein Projekt bis zu Ende gedacht wird, vom Entwurf, Einreichung über Ausführungsplanung, Detailplanung bis zur künstlerischen Oberleitung. Ein Bauwerk kann für uns nur so eine Aura entwickeln. Dafür übergeben wir Kostenschätzung, Ausschreibung, Bauleitung bewährten Partnerbüros und können uns mit unserem Team – durchwegs ArchitektInnen, die schon lange dabei sind – wirklich auf die kreative Arbeit konzentrieren. Vor zirka zehn Jahren nahmen wir Gavin Rae als Partner dazu und werden dieses Beteiligungsmodell fortsetzen.
Wir wollten eigentlich nie Spezialisten werden und haben bewusst – auch durch gezielte Wettbewerbsbeteiligungen – unterschiedliche Herausforderungen gesucht die ein breites Themenspektrum abdecken. Die Entwürfe sind unsere Leidenschaft, der Schlagabtausch findet primär unter uns beiden statt.
Nach einer derart langen Zusammenarbeit sind wir schon sehr gleichgeschaltet und suchen mittlerweile bewusst Gegensätze um zum Wesentlichen zu kommen und die Möglichkeiten und Potentiale einer Aufgabe voll auszuschöpfen.

Was inspiriert Sie?

Diesbezüglich sind wir im Gleichklang, uns interessiert Kunst, wir schauen uns viel gemeinsam an und es sind die Reisen die uns inspirieren. Städte mit ihrer alten und neuen Architektur bewusst unvorbereitet, ohne Reiseführer, zu entdecken, ergründen, in die unterschiedlichen Milieus hinein zu kippen, das ist für uns spannend und wir fragen uns: Warum gefällt uns das? Warum ist das gut? Warum hat das eine gute Atmosphäre? Früher nahmen wir sogar die Geräusche der Stadt auf, jede Stadt hat nämlich ihren eigenen Sound. Doch hat sich nicht nur dieser stark verändert, wir waren 1986 in China und haben Peking und Shanghai ohne Hochhäuser erlebt! Durch die Globalisierung werden sich die Städte immer ähnlicher, viel Authentisches geht verloren.
Und dann gibt es die Reisen um Abstand vom Büroalltag zu gewinnen, um fremde Lebenswelten aufzuspüren. Seit dem Studium interessiert uns die anonyme Architektur. Regelmäßig zieht es uns nach Westafrika, wo wir Städte, Landschaften und vor allem die Leute noch authentisch erleben können. Immer wieder aufs Neue erstaunt uns, dass die Menschen trotz Armut ihre Lebensfreude, auch ihre Würde bewahren und wie sich über ihre Musik, ihre Feste, ihr Handwerk der gesellschaftliche Zusammenhalt manifestiert. Phantastisch sind das Licht und die Farben Afrikas, die Materialien, die Menschen, die Kultur, all das bildet eine Einheit. Vieles ist jedoch auch hier im Wandel durch Krieg, globale Ausbeutung und digitale Vernetzung, es entstehen berechtigte Unzufriedenheit und Begehrlichkeiten. Trotzdem finden wir in Afrika viel Inspiration für unsere Arbeit, was Materialien und Handwerkstechniken betrifft. Wir haben Unmengen von Stoffen gesammelt oder auch Erde mitgenommen, um uns an bestimmte Farbtöne von Städten und Landschaften zu erinnern.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Wir sprechen lieber von Ideen und Konzepten. Alles was wir machen, muss eine tragende Idee oder ein Konzept haben. Aber um diese entwickeln zu können, müssen wir ArchitektInnen zunehmend an den Programmen mitarbeiten. Wir sind immer öfter mit eindimensionalen Aufgabenstellungen konfrontiert, die wir einfach nur zu erfüllen haben, mit immer geringeren Möglichkeiten. Im Wohnbau zum Beispiel gibt es kaum Spielraum. Man muss den Menschen Raum geben, möglichst groß und möglichst einfach. Die Entwicklung ist leider genau konträr, die Wohnungen werden immer kleiner, dafür sind sie hoch installiert, was sie nicht leistbarer macht. Neue Ideen kann es hier nur geben, wenn wir uns mit neuen Inhalten auseinandersetzen. In den skandinavischen Ländern ist im Schulbau beispielsweise gut zu beobachten, was alles möglich ist, wenn ArchitektInnen involviert sind und mit den Pädagogen gemeinsam die Konzepte entwickeln.
Die beste Wettbewerbsausschreibung wäre eine klare und kurze, die möglichst viel offen lässt. Man könnte uns Architekten ja einfach vor die Aufgabe stellen: Hier ist ein Grundstück, entwickle z.B. ein Wohnhaus, bestimme die verträgliche Dichte und Typologie. Die Ausschreibung unseres ersten realisierten Wettbewerbs – das Wohnhaus der ÖBV – war genau in diesem Sinne. Allerdings waren hier Friedrich Achleitner und Heinz Tesar involviert und keine Ausschreibungsspezialisten und Juristen.
Der erste gewonnene Wettbewerb war eine Reihenhaussiedlung in einem denkmalgeschützten Umfeld, wo wir uns strukturell und typologisch aber nicht formal auf den Kontext bezogen haben. Genau das hat der Bauherr in der weiteren Bearbeitung eingefordert, wodurch die Projektidee verloren gegangen wäre.
Mit viel „Bauchweh“ haben wir den Auftrag zurückgelegt. Im Nachhinein betrachtet war das die Beste Entscheidung unseres Berufslebens, nicht mit einem fragwürdigen Kompromiss zu beginnen. Wenn Vorgaben bezüglich Dichte und Konzeption den eigenen Ansprüchen widersprechen leidet die Qualität, und da müssen wir ArchitektInnen lernen „nein“ zu sagen. Das ist nicht nur der Bauherrschaft, sondern vor allem der Gesellschaft gegenüber unsere Verantwortung und Verpflichtung.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Das Wohnhaus der ÖBV, weil wir dort manifestartig unsere Vorstellung vom urbanen Wohnen umsetzen konnten. Heute wäre dieses Projekt mit offenen Laubengängen, Maisonetten, flexiblen Grundrissen, großzügigen Verglasungen und privaten Freibereichen so nicht mehr realisierbar. Um diese Qualitäten und gleich gute Bedingungen für alle Wohnungen zu schaffen, hat der Bauherr auf nahezu ein Viertel der laut Bebauungsplan möglichen Fläche verzichtet.
Weiters die SOWI Innsbruck, weil wir mit diesem Projekt einen ganzen Stadtteil geprägt haben. Inmitten der Altstadt, einem städtebaulich sehr sensiblen Bereich, ist ein nach mehreren Seiten offener, durch verschiedene Nutzungen überlagerter Stadtraum entstanden. Und wieder sahen wir bei der Wettbewerbsausschreibung ein anderes Potential und riskierten es, ein angrenzendes Grundstück in unser urbanes Konzept miteinzubeziehen. Um dies zu erreichen, haben wir uns über die Vorgaben des Wettbewerbs hinweggesetzt – heute unmöglich.
Und natürlich der Erste Campus, bei dem wir uns großzügig über den bestehenden Masterplan hinweggesetzt haben. Es war eine besondere Herausforderung - gemäß unserer Maxime – für alle 4.500 Mitarbeiter gleich gute Arbeitsplätze zu schaffen. Dies führte zu dieser offenen, organisch geformten Raumstruktur die sich nicht nur zum Stadtraum öffnet sondern diesen auch mit einbezieht. Der Campus ist Teil der Stadt und die Stadt ist Teil des Campus. Es ist ein großes Verdienst des Bauherrn, auch die Erdgeschosszone zu öffnen und mit entsprechenden Funktionen zu füllen, damit ein urbanes Stadtquartier entstehen kann.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Über Raumplanung beziehungsweise Städtebau!. Es ist ein Desaster, wie zersiedelt ganz Österreich ist und der öffentliche Raum zunehmend abhanden kommt! Wir müssen dieses Terrain zurückerobern und auch die Frage stellen: Was wird eigentlich für wen, wann und wo gebaut! Dürfen wertvolle innerstädtische Lagen mit Bürohäusern besetzt werden, wenn dieser Markt eigentlich gesättigt ist? Die Spekulation mit Immobilien ist ein großer Wirtschaftszweig geworden, mit den gängigen Investorenmodellen werden unsere Städte für das nächste Jahrhundert kurzsichtig verbaut. Das müssen wir ArchitetkInnen zur Diskussion stellen.
Ein anderes Spektrum worüber wir reden sollten, ist das Selbstverständnis unseres Berufes. Zunehmend werden wir zu Designern von mehr oder weniger schönen Hüllen degradiert, die sich zwar von außen unterscheiden, jedoch im Inneren konzeptionell und inhaltlich keine Veränderungen erlauben und die immer gleichen Atmosphären schaffen. Wir Architekten müssen jedoch Generalisten bleiben, die sich von der städtebaulichen Auseinandersetzung bis ins kleinste Detail, bis zur letzten Oberfläche im Gebäude kümmern können, damit diese wieder jene Sinnlichkeit und Aura entfalten können, in denen sich die Menschen wohlfühlen.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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