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nextroom fragt: Werner Neuwirth
nextroom fragt: Werner Neuwirth © Michael Nagel

Dem Raum kann man sich nicht entziehen, genauso wenig der Zeit. Die alltägliche Gegenwart von Raum ist das, was Werner Neuwirth am meisten beschäftigt. Raum ist die Grundlage für jegliche Existenz von Materie und Lebewesen. Aber wie wird Raum überhaupt konkret geformt, damit er für den Menschen verfügbar ist? Werner Neuwirth im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

18. September 2018
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Großartige Organisationsmuster oder Hierarchien gibt es bei uns eigentlich nicht, wir sind eher ein kleiner unorganisierter Haufen. Ich versuche die Dinge zu ordnen und nicht die Menschen! Auch wenn es das Büro schon seit dem Jahr 2000 gibt, ist die „Ausbeute“ sehr gering. Mit dem aktuellen C21-Atelierhaus sind es sieben Bauwerke, die wir realisiert haben, das machen andere Büros in zwei Jahren. Wir beschäftigen uns eben sehr intensiv mit den einzelnen Bauten. Wie bei diesem Atelierhaus im Sonnwendviertel: Es steht auf einem Restgrundstück im Gewerbegebiet und hat keine Nutzung vorgegeben. Wir wissen nicht, was in den Räumen passieren wird, es ist außerhalb der Norm. Wir wollen uns von diesen verfestigten Kategorien lösen und bemerken dabei, auf wie unglaublich engen Korridoren die Gesellschaft funktioniert. Anscheinend haben wir uns auf seltsame Projekte spezialisiert und es sind deshalb wenige.
Es kommt aber auch vor, dass wir Projekte wieder abgeben, weil die Differenz zwischen dem, was die Bauherrschaft will oder sich vorstellt und dem was aus meiner Sicht das Potential wäre, so groß ist, dass es keinen Sinn hat es gemeinsam weiter zu verfolgen. Mein Grundverständnis von Architektur ist, dass es sich um eine Tätigkeit handelt – man ist werktätig, altmodisch ausgedrückt. Und darin steckt schon die Substanz, nämlich die Frage: Was ist das Werk?

Was inspiriert Sie?

Für mich stellt sich eher die Frage, was einen antreibt. Mich interessiert und inspiriert fast alles, das ganze Leben, die Lebensformen. Doch die Hauptsache ist schon die Architektur, nämlich was Architektur im Kern ist, also nicht an den Rändern. Ich will der architektonischen Substanz eines Werks auf den Grund gehen. Das ist jedes Mal anders, hat mit der geschichtlichen Entwicklung zu tun, mit konkreten Möglichkeiten, die drinnen stecken. Wenn man sich einmal auf die Architektur selbst als Disziplin einlässt, merkt man wie vielfältig und unermesslich breit diese sind und man ist eigentlich ratlos, warum da so viele belanglose Nebenaspekte erfunden werden. Meinungsbefindlichkeiten kann man ebenfalls draußen lassen, denn wenn man permanent Meinungen verfolgt oder die eigene zu formulieren versucht, verstrickt man sich im bloßen Austausch von Befindlichkeiten, was ja unterhaltsam und ganz nett sein kann, aber die Sache nicht weiterbringt.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Die Begrenzung liegt meistens in der eigenen Vorstellungsfähigkeit oder in jener der Beteiligten. Meistens sind es geschmackliche Klischees die sehr resistent sind. Sie werden ja von Werbung und Industrie ständig gefüttert, – sich selbst davon zu befreien, ist schon ein großes Kunststück. Der zweite Aspekt sind diese vielen einzelnen „Fach-Intelligenzen“, die mit unglaublicher Selbstsicherheit ihre Teilgebiete schon für Architektur halten, wenn man sie nur einfach anhäuft. Es ist abenteuerlich, was wir an statistischen, technischen Werten zusammensammeln und uns damit immer mehr davon entfernen, was Architektur und der Lebensraum wirklich sind. Wie in der Ernährung: Da werden unheimlich viele ernährungswissenschaftliche Daten sortiert und die Industrie erzeugt eine Art synthetische Lebensmittel, die dann mit Geschmacksstoffen verstärkt werden müssen. In der Architektur ist es ähnlich: Wenn alle technischen Daten, die Bauordnung, alle Förderkriterien erfüllt sind und keine Norm übergangen wurde, kommt am Ende etwas heraus, das man mit etwas Lifestyle und geschmacklichen Applikationen aufzupeppen versucht.
Unter dem Vorwand von „kostengünstigem“ Bauen wird derzeit ja alles entschuldigt und praktisch mit der moralischen Keule demontiert. Der große Irrtum besteht im Vorurteil, dass eine Lösung die architektonisch besser ist, automatisch mehr kosten würde. Die Frage ist eher umgekehrt: wohin geht das ganze Geld, wenn es nicht in der Qualität zu finden ist! Wenn etwas zwanzig Prozent weniger kostet und ich nur die halbe Qualität bekomme, dann ist das von Nachteil. Qualitäten für den Lebensraum werden im Leistungsbild für die Beurteilung der Kosten nicht berücksichtigt. Es ist auch schwierig dagegen anzukommen, weil es keinen größeren Machtbereich gibt, der etwas dagegen hätte. Die Politik, die Bauträger, die Bauwirtschaft als solches leben gut damit. Doch irgendwann werden die Menschen merken, dass sie abgespeist werden, sie zwar Nährstoffe aber nichts Genießbares, nichts Lebenswertes bekommen.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Im aktuellsten – da steckt man gerade am intensivsten drin. Das Realisieren von einzelnen Projekten ist ein Teil, aber für mich nicht unbedingt der wichtigste. Das Interessante dabei ist immer, wie weit man in der architektonischen Lösung, im Verständnis und in der eigenen Denkfähigkeit kommt. Beim Konzept des C21-Atelierhauses haben wir ungewöhnlich lange daran gearbeitet, wie der ganze Raumorganismus aufgebaut ist, wie sich die einzelnen Ateliers verschachteln und inwieweit das ganze Haus einen kollektiven Organismus mit Gemeinschaftsräumen, Foyer-Situationen bekommt, ein Haus ist ja mehr als eine Anhäufung von Einzelräumen. Im Grunde geht es einfach um das Thema Raum und Nutzung und die Fragestellung, warum wir permanent an Nutzungsvorstellungen kleben, aber uns so wenig mit dem Raum selbst beschäftigen. Das ist sicher ein Relikt oder Resultat von hundert Jahren Modernismus, alles in Funktionen fassen zu wollen. Selbst Physiker haben nicht den Optimismus, dass sie mit den wissenschaftlichen Methoden auch nur annähernd die Welt begreifen können. Dazu ein Zitat: „Was wir mathematisch festlegen, ist nur zum kleinen Teil ein objektives Faktum, zum größeren Teil eine Übersicht über Möglichkeiten.“ Werner Heisenberg (1901–1976)
Wenn man ein Gebäude als wertfreie oder nutzungsoffene Raumstruktur denkt, die sich der Nutzer in jeder Form aneignen kann, taucht schnell die Frage auf, ob dieser auch in der Lage ist, das zu tun. Die Möbel- wie Lifestyle-Industrie, die Werbung, aber auch die Politik bombardieren doch die Leute damit, wie sie leben sollen. Es werden stereotype Bilder generiert. Dem wollen wir ein kleines Buch entgegenstellen, das vielleicht zum Nachdenken anregt, was Raum, was Lebensraum eigentlich sein kann. Ohne Raum ist ja keine einzige Lebensform denkbar. Die Erfahrung, dass man Raum mit Materie teilen muss und nur den Zwischenraum zur Verfügung hat, macht man in früher Kindheit. Die räumliche Wahrnehmung ist die elementarste, unmittelbarste und kommt vor der sprachlichen Entwicklung. Dieses Büchlein ist parallel mit der konzeptionellen Planung von C21 entstanden, und wen es interessiert, der wird es finden.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Das ist naheliegend – über die Architektur. Über das was Architekten eigentlich tun. Ich habe das Gefühl, dass sich vieles in Nebenschauplätzen verirrt und wäre froh, wenn man die Architektur halbwegs auf die Reihe bringen würde. Der Spagat zwischen architektonischem Anspruch und pragmatischer Tätigkeit mit unzähligen fachtechnischen Aspekten wird immer größer, sodass die Gefahr besteht, dass das Bauen auseinanderbricht in formalen Eklektizismus einerseits und in bedenkenloser technischer Produktion, die den üblichen Marktmechanismen unterliegt, andererseits. Für mich ist das nur über Intensität und Zeit zu bewältigen. Damit kann man eben bloß alle zwei, drei Jahre ein Werk fertigstellen.
Wir sollten darauf achten, dass wir beim Kern der Architektur bleiben. Die Architektenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten so stark mit allen möglichen Rändern beschäftigt, beschäftigen lassen, dass die Substanz der Architektur eigentlich andern überlassen wird, wie Generalunternehmern oder Bauträgern. Das hat vielleicht einmal eine gewisse Befreiung aus stereotypen Vorstellungen von Architektur gebracht, gegenwärtig verlieren wir aber als Berufsstand an Stellenwert und müssen aufpassen, dass wir nicht selbst zur Randerscheinung werden.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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