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Über viele Jahre stand das Haus der Statistik mitten in Berlin leer. Auf Hinwirken einer Gruppe engagierter Künstler:innen, Architekt:innen, Kulturschaffender und Politiker:innen wurden 2015 die bisherigen Pläne für den Verkauf an Investoren und der geplante Abriss verhindert. Leona Lynen ist gemeinwohlorientierte Projektentwicklerin und seit 2018 aktiv an der Gestaltung des Transformationsprozesses des Modellprojekts Haus der Statistik beteiligt. Sie ist im Vorstand der Genossenschaft ZUsammenKUNFT Berlin (ZKB eG), die gemeinsam mit vier Kooperationspartnern der öffentlichen Hand das Haus der Statistik in Berlin zu einem gemeinwohlorientierten Stadtteil umbaut. Im Gespräch erzählt sie aus Sicht der Initiative, warum sie sich beim Haus der Statistik engagieren und was sie dort konkret vorhaben.
Durch den Erwerb der Liegenschaft durch das Land Berlin wurde der Weg frei für eine gemeinwohlorientierte Entwicklung des Quartiers. 2018 schrieb mich ein Kollege an und sagte: „Jetzt geht es hier im Haus der Statistik richtig los. Willst du mitmachen?“ Nach Jahren der eher theoretischen Beschäftigung mit kreativem Stadtmachen und neuen Wegen der Stadtentwicklung hatte ich Lust, selbst ins Tun zu kommen.
Mittlerweile bin ich im Vorstand der ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB eG), dem zivilgesellschaftlichen Partner innerhalb der Kooperationsgemeinschaft Koop5. Diese Genossenschaft hat sich 2016 aus dem Kern der Initiative Haus der Statistik gegründet. Meine Vorstandskolleginnen haben sich teilweise seit Tag eins für den Erhalt des Hauses der Statistik engagiert und treiben das Projekt bis heute unermüdlich voran.
Das Haus der Statistik stand seit 2008 leer. 2015 war dann ein besonderer Moment, weil plötzlich noch mehr Menschen in die Stadt kamen und sich fragten: „Wo sind eigentlich die Orte, wo wir uns begegnen können? Wo ist bezahlbarer Wohnraum? Wo sind soziale Einrichtungen? Das Haus der Statistik war die perfekte Projektionsfläche für die Beantwortung dieser Fragen: 50.000 m2 stehen leer, mitten in der Stadt, während anderswo darüber diskutiert wird, wo eigentlich all die Menschen, die neu in unsere Stadt kommen, untergebracht werden können. Und zugleich geht es hier auch um die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit Bestand um? Im ehemaligen Ost-Berlin sind sehr viele Bauten der DDR abgerissen worden, ohne jegliche Achtung vor der DDR-Baukultur. Das Haus der Statistik ist zwar kein besonders schönes Objekt, aber natürlich steht es in dieser Reihe und hat damit auch einen emotionalen Wert für Menschen aus der Umgebung – auch aufgrund seiner Lage direkt am Alexanderplatz, als Entrée zur Karl-Marx-Allee. Der andere Punkt ist die immense graue Energie, die in diesem Gebäude steckt. Es sind einfach so viele Themen, die sich in diesem Objekt kristallisieren. Ich denke, das Zusammenspiel aller dieser Themen hat letztlich dazu beigetragen, dass die Initiative Haus der Statistik ein stadtweiter Zusammenschluss von Akteur:innen war und sich nicht auf die unmittelbare Nachbarschaft begrenzte.
In 80 Prozent der Bestandsgebäude ziehen Verwaltungsnutzungen ein, die restlichen 20 Prozent gehen an das Programm, für das sich die Initiative seit Tag eins einsetzt und das heute durch die ZKB eG weiter fortgeführt wird: Langfristig bezahlbare Räume für Kunst, Kultur, Soziales und Bildung. Hinzu kommen gut 110.000 m2 Neubau: Der Bezirk Berlin-Mitte baut ein neues Rathaus, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM knapp 300 Wohnungen und wir bauen mit dem aus dem Prozess heraus gegründeten gemeinnützigen Bauträger AndersBauen drei sogenannte Experimentierhäuser. Hier werden Nutzungen aus dem Bereich zirkuläres Wirtschaften (z. B. offene Werkstätten, Bildungsangebote etc.), Kunst- und Kulturproduktion sowie inklusive Wohnformen realisiert.
Transformationsprozesse brauchen Zeit. Durch Modellprojekte wie das Haus der Statistik lernen wir auszuhandeln und auch auszuhalten, dass es Konflikte und unterschiedliche Perspektiven auf Stadt gibt. Die komplexe Quartiersentwicklung erfordert ein hohes Maß an Engagement von allen Beteiligten. Solche kooperativen Prozesse können anstrengend und langwierig sein, aber wir müssen sie einüben – gerade im Sinne neu zu verhandelnder Verantwortlichkeiten zwischen der Stadtgesellschaft und der öffentlichen Hand. Für die langfristige Sicherung der Flächen und die dauerhafte Bezahlbarkeit strebt die ZKB eG eine Public-Civic-Partnership an: Ein Modell der Selbstverwaltung in partnerschaftlicher Kooperation und mit hoher Entscheidungskompetenz bei den Nutzer:innen“.
Leona Lynen ist gemeinwohlorientierte Projektentwicklerin und seit 2018 aktiv an der Gestaltung des Transformationsprozesses des Modellprojekts Haus der Statistik beteiligt. Sie ist im Vorstand von ZUsammenKUNFT Berlin, einer Genossenschaft für Stadtentwicklung.
Sie hat Südostasienstudien und politische Ökonomie studiert und einen Master in Stadt- und Regionalplanung gemacht. Derzeit beschäftigt sie sich mit Strukturen von Trägerorganisationen und damit, wie diese aussehen müssen, um solche gemeinwohlorientierten Prozesse zu befähigen.