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Müssen wir unsere Häuser aus Luft bauen?
Spectrum

Ressourcen schonen, Emissionen senken: Um die Klimaziele zu erreichen, dürfen wir keine zusätzlichen Böden beanspruchen und nur neu bauen, wenn unbedingt nötig. Wie sparsam kann man sein?

31. Mai 2024
Geht’s noch?“ Der Frage stellen sich die Architekturtage 2024, die am 7. und 8. Juni in ganz Österreich stattfinden. Die Antwort scheint klar. So kann es nicht weitergehen, weder mit dem Verbrauch von Ressourcen noch mit dem von diesem Verbrauch verursachten Ausstoß an Schadstoffen, der die Erderwärmung auf mehr als 1,5 Grad über das vorindustrielle Niveau zu heben droht. Dieser Wert ist keine willkürliche Zahl. Mit ihrem Überschreiten wäre die globale Ernährungssicherheit, die heute theoretisch gegeben ist, gefährdet, mit dramatischen Folgen für das lokale gesellschaftliche Gefüge und die globalen Migrationsbewegungen. Der Untertitel der Architekturtage, „Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“, weist darauf hin, dass zur Bewältigung dieser Probleme technischer Fortschritt allein nicht ausreicht. Es geht um eine Transformation unserer Vorstellungen von einem guten Leben in einer gerechten Gesellschaft.

Aber hören wir das nicht schon seit 50 Jahren, ohne dass diese Transformation tatsächlich passiert? Der erste Bericht des Club of Rome, einer Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen über die „Grenzen des Wachstums“, datiert ins Jahr 1972. Seine zentrale Schlussfolgerung gilt bis heute: „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums in Gleichgewichtszustände führen.“

Zwei Bäume pro Jahr pflanzen

Was kann das konkret bedeuten? Global betrachtet werden solche Gleichgewichtszustände erst möglich, sobald sich das weltweite Bevölkerungswachstum ausreichend verlangsamt hat. Die Industriestaaten des globalen Nordens werden umso deutlicher Alternativen zur Ideologie des permanenten Wachstums vorleben müssen. Für das Bauwesen, das für 60 Prozent des globalen Ressourcenverbrauchs verantwortlich gemacht wird, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Wir bauen unsere Häuser in Zukunft aus Luft. In die Realität übersetzt heißt das: keine zusätzliche Inanspruchnahme von Böden als Bauland; vorrangige Nutzung des Bestands; Neubauten nur, wenn unbedingt nötig und dann mit einem so geringen ökologischen Fußabdruck wie technisch und sozial vertretbar. Und wenn jeder Erdenbürger zudem pro Jahr zwei Bäume pflanzt, könnten die Klimaziele noch erreichbar sein.

Dieser Paradigmenwechsel ist derzeit in allen Bereichen des Bauwesens bemerkbar. Eine noch bis 7. Juni im Ringturm laufende Ausstellung zeigt unter dem Titel „Das neue Bauen – sparsame Räume für die Zukunft“ knapp 50 Beispiele für ressourcenschonendes und energieeffizientes Bauen. Mit dem Begriff des „Neuen Bauens“ wird an die Reformbewegungen angespielt, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts das Bauen revolutionierten. Institutionen wie das Bauhaus spielten dabei eine zentrale Rolle und setzten Standards für eine streng rationale Formensprache.

Intuition allein reicht nicht mehr

Im Gegensatz dazu zeigt die Ausstellung im Ringturm eine Wunderkammer architektonischer Ausdrucksformen. Das ist nicht überraschend, handelt es sich doch um unterschiedliche Bauaufgaben, also Bürohäuser, Bildungsbauten, Produktionsgebäude und Wohnbauten, und unterschiedliche Materialien, Ziegel, Stahlbeton, Holz und Lehm. Gemeinsam ist allen Projekten das Bemühen, mit möglichst geringem Energieverbrauch im Betrieb auszukommen beziehungsweise über Fotovoltaik zu einem Plus-Energie-Gebäude zu werden, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Die Berücksichtigung der sogenannten grauen, für die Herstellung eines Gebäudes nötigen Energie relativiert das „Plus“ allerdings: Bis diese durch den nachhaltig produzierten Überschuss kompensiert ist, kann es Jahre dauern.

Dieser Umstand wird in der Ausstellung zwar angesprochen, er fehlt aber als Position in der ansonsten umfangreichen technischen Beschreibung der Projekte. Das liegt nicht an den Autoren – diese Daten sind derzeit kaum vorhanden. Eine in manchen Ländern wie Frankreich bereits verpflichtende EDP (environmental product declaration) ist erst für einen kleinen Teil der Produkte verfügbar. In der Ausstellung zeigt das Wiener Beratungsunternehmen Ofroom, wie man diese Daten visuell aufbereiten und dabei Produkte in Relation zueinander setzen kann. Das Bauwesen, das bisher keine besondere Eile mit der Digitalisierung hatte, kommt von dieser Seite genauso unter Druck wie die Architekturschaffenden. Intuition allein reicht heute nicht mehr. Es geht darum, die Präzision von Raumfahrtingenieuren mit der Empathie und der Geduld von Gärtnern zu kombinieren.

Balkone statt französischer Fenster

Mit dem Untertitel „Sparsame Räume für die Zukunft“ meint die Ausstellung aber nicht nur sparsamen Umgang mit Ressourcen, sondern auch das kostengünstige Wohnen. Präsentiert wird dazu unter anderem ein Projekt von Driendl Architects in Haiming (Tirol), ein Wohnbau mit 23 Wohneinheiten, der 2020 fertiggestellt wurde und zu einer Warmmiete von fünf Euro pro Quadratmeter angeboten werden konnte. Als Konstruktion kam eine wenig ökologische Stahlbetonmassivbauweise mit Vollwärmeschutz zum Einsatz, mit der aber immerhin Passivhaus-Standard erreicht wurde.

Die Architekten haben den Typus weiterentwickelt und für unterschiedliche Materialien durchkalkuliert. Derzeit stehen sie vor Baubeginn von drei viergeschoßigen Einheiten in der Innsbrucker Andechsstraße, wo sie den Freiraum zwischen Hochhäusern aus den 1960er-Jahren nachverdichten. Grünflächen gehen dabei keine verloren, da die Häuser bestehende asphaltierte Parkplätze überbauen. Das wirkt sich günstig auf die Grundkosten aus. Gespart wird, wo es nicht wehtut: Statt Balkonen gibt es französische Fenster, alle Sanitäreinheiten sind identisch und können daher kostengünstig in Serie vorgefertigt werden. Die Grundrisse kommen ohne Gänge aus und lassen Varianten vom Loft bis zur Dreizimmerwohnung zu.

Keine großen Gesten

Der Bautyp geht auf das Jahr 2015 zurück, als in ganz Österreich Unterkünfte für Geflüchtete geschaffen wurden und Architekten Alternativen zu Containerlösungen vorschlugen. Bekannte Beispiele sind die Projekte in Holzbauweise, die Andreas Postner und Konrad Duelli mit Hermann Kaufmann unter dem Namen „Transfer Wohnraum“ für Rankweil, Götzis und Dornbirn entwarfen, wo rund ein Drittel der Bewohner Fluchthintergrund hat.

Architektur kann sich bei solchen Aufgaben keine großen Gesten erlauben. Sie lebt von gut proportionierten Räumen, hochwertigen Materialien und präzise gelösten Details. Gefährlich wird es, wenn diese Kriterien zum gesellschaftlichen Grundkonsens über gute Architektur werden und alles Experimentelle und Festliche aus der Architektur verschwindet. Dann ist weniger tatsächlich weniger, wie man es etwa am Wettbewerbsergebnis für den neuen Zugang zum Schloss Belvedere sehen kann. Eines der wichtigsten Museen des Landes hätte Besseres verdient.

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