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Am Beispiel Benko: Wenn das Betongold zu Staub zerfällt
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Im Unterschied zu einem ­Pyramidenspiel hinterlässt fahrlässige Projektentwicklung immerhin Spuren. Die Signa-Pleite aus Sicht der Architekturkritik.

6. Juli 2024 - Christian Kühn
Was für eine Lücke! Als die Bagger das Möbelhaus Leiner an der Mariahilfer Straße abgetragen hatten und der Schutt entsorgt war, eröffnete sich im Herbst 2021 für ein paar Wochen ein leerer Raum, in den das Leopoldmuseum, das MuMoK und die Kunsthalle aus dem angrenzenden Museumsquartier locker hineingepasst hätten – eine gigantische Tabula rasa, der einiges geopfert wurde, unbedeutende Zubauten aus den 1980er-Jahren, aber auch historisch wertvoller Bestand: Das 1895 an dieser Stelle errichtete „Haus zur großen Fabrik“, ein auf Bekleidung spezialisiertes Warenhaus, war einer der ersten Bauten in Wien, bei dem Eisenbeton zum Einsatz kam, um große Auslagenscheiben auf Straßenniveau und im ersten Obergeschoß zu ermöglichen.

Der Sog des Neuen, der diesen Bestand hinwegfegte, trägt einen Namen: Signa. Der Konzern des Immobilienentwicklers René Benko versprach, die besten Stararchitekten einzuladen, um auf diesem Areal ein Hotel und ein Kaufhaus neuen Typs zu entwerfen, das „Traditionsbewusstsein mit modernem Lebensgefühl vereinen“ sollte. Ein öffentlicher, teilweise konsumfrei zugänglicher Dachgarten und ein spezielles Warenangebot, nicht nur für Touristen, sondern auch für den Alltagsbedarf, sollten die lokale Bevölkerung positiv für das Projekt stimmen.

Den 2019 durchgeführten Wettbewerb mit vier Teilnehmern, Snøhetta, BIG, Hadi Teherani und OMA (Rem Koolhaas) gewann OMA mit einem gerade noch am Kitsch vorbeischrammenden Projekt mit gekurvten Arkaden und einer Fassade aus dekorativen Glaselementen. Im Inneren überzeugte das Projekt allerdings durch Kompaktheit, Flächeneffizienz und eine klare Wegführung. Die Kritik urteilte mehrheitlich positiv, auch wenn leise Zweifel aufkamen, ob das Projekt sein Investment jemals hereinspielen könne. Das Luxussegment des Handels war von Signa ja schon im Goldenen Quartier abgeschöpft worden, einer mehrere Straßen umfassenden Quartiersentwicklung im ersten Bezirk.

Erfolg mit Kaufhaus Tyrol

Solche Bedenken versuchte Signa mit dem Verweis auf seine anderen erfolgreichen Luxuskaufhäuser, etwa das bereits 2022 von OMA umgebaute Berliner KaDeWe, zu zerstreuen, die nach ähnlichem Konzept bestens funktionieren würden. Den Namen Lamarr für das Kaufhaus in Wien lieh man sich von Hedi Lamarr, der Filmschauspielerin und Erfinderin, die als Hauptdarstellerin im Film „Ekstase“ berühmt wurde. Als Verbindung von Sinnlichkeit und ­Erfindergeist sollte sie Teil des „Narrativs“ werden, mit dem Signa das Projekt bewarb.

Heute erinnern an dieses Narrativ nur noch einige Plakate am Bauzaun des im Rohbau fertiggestellten Komplexes. Wann weiter gebaut wird, ist nach der Implosion der Signa ungewiss. Der tiefe Fall des Unternehmens wird Geldgeber und Gerichte noch lange beschäftigen. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Signa auch Teil der Architekturgeschichte Österreichs war, mit einer für die ersten Jahre durchaus positiven Bilanz. Das erste öffentlichkeitswirksame Projekt René Benkos war das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck, das er 2004 erwarb und 2010 nach einer verwickelten Planungsgeschichte eröffnen konnte. Ein Wettbewerb im Jahr 2006 hatte eine futuristische Fassadenlösung von BEHF auf den ersten Platz gesetzt, gegen die es Einsprüche aus mehreren Richtungen gab. Ein formal an den Bestand angelehnter Alternativentwurf eines Wiener Denkmalpflegers erregte umgekehrt den berechtigten Widerstand der lokalen Architekturszene. Benko bewies mit der Beauftragung von David Chipperfield, gemeinsam mit Dieter Mathoi die Fassaden und die innere Halle neu zu gestalten, strategisches Geschick. Das Projekt wurde zum Erfolg beim Publikum und bei den Fachleuten, die den hohen Qualitätsanspruch bis ins Detail hervorhoben.

Auch das zweite innovative Projekt, eine als Public Private Partnership entwickelte Kombination einer Shopping Mall mit einem Gymnasium, befindet sich in Innsbruck. Geplant von Helmut Reitter in Zusammenarbeit mit dem Büro Eck & Reiter, wurde es 2011 eröffnet. Auf einem Areal von rund 100 Meter im Quadrat liegen Tiefgarage, Shopping Mall und Schule übereinandergestapelt, aber mit jeweils deutlich separiertem eigenem Eingang. Als PPP-Projekt war die Schule nicht den damals noch sehr strengen Flächenvorgaben des Unterrichtsministeriums unterworfen und ist mit ihrer in Cluster gegliederten Organisation und großzügigen Freiflächen immer noch vorbildlich. Die rechtlichen Komplikationen bei der Kombination unterschiedlicher Nutzer, insbesondere bei einer Mischung von öffentlichen und privaten Interessen, sind bekanntlich eine Herausforderung. Vor allem deshalb sind solche Lösungen selten, obwohl aus stadtökologischer Sicht vieles für sie spricht.

Fremdkörper Park Hyatt Hotel

Mit dem Wachstum der Signa verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit vorerst nach Wien. Hier relevante Projekte zu finden, ist schwierig. Das Goldene Quartier wurde bereits erwähnt. Die Sterilität der Sanierung wird erst bemerkbar, wenn nachts die Touristenströme versiegen und die Auslagen der Luxus-Shops ihre repetitive Wirkung entfalten. Der eigentliche Kern des Projekts, das Park Hyatt Hotel, ist mit seinen steifen Innenräumen ein Fremdkörper in der Stadt geblieben.

Mehr Beachtung verdienen die vom Büro des italienischen Altmeisters Renzo Piano 2008 entworfenen und 2019 fertiggestellten Park­apartments Belvedere. An einer extremen Lage neben den Bahngleisen sind die zwei Hotel- und vier Wohntürme auf schlanken Stützen über dem Bahnbetrieb aufgeständert. Mit ihren guten Grundrissen und der hochwertigen Keramikfassade gehören sie zu den besten Wohnhochhäusern Wiens.

Am anderen Ende dieses Spektrums trifft man allerdings auch auf ein Projekt, an dem Signa beteiligt war. Das von DMAA auf der Basis eines städtebaulichen Vorprojekts entworfene Hochhauskonglomerat vor der U-Bahn-Station Kagran mit dem Projektnamen Vienna TwentyTwo ist vor allem eines: profitabel. Mit dem 2018 partizipativ für das Zentrum Kagran erarbeiteten Leitbild hat dieses Projekt mit seinem 150 Meter hohen Hauptturm nicht mehr das Geringste zu tun.

Wird die Signa-Pleite die Architektur verändern? Es sieht so aus, als hätte sich die Welt sowieso längst weitergedreht und der Architektur andere Schwerpunkte vorgegeben: Ressourcenschonung, Emissionsvermeidung und die günstige Bereitstellung sozialer Infrastruktur von der Schule bis zum Wohnraum. Haben wir nicht endlich genug von Stararchitekten und gierigen Projektentwicklern, die keine moralischen Skrupel kennen und Architektur wie ein Finanzprodukt behandeln? So einfach ist die Welt nicht. Auch wenn das in Wien mit seinem hohen Anteil an geförderten Wohnungen nicht immer gern gehört wird: Eine gut funktionierende Stadt lebt vom kompetenten Zusammenwirken zwischen öffentlichem und privatem Engagement. Projektentwicklung den Bankern zu überlassen, wäre fatal.

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