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Landwirtschaftsschule bei Graz: Der wichtigste Pädagoge ist hier die Natur
Spectrum

Der steirische Grottenhof, eine Fachschule für biologische Landwirtschaft, wurde umgebaut und erweitert und überzeugt jetzt durch seine schnörkellose, nachhaltige Ästhetik.

12. Juli 2024 - Sigrid Verhovsek
Am westlichen Rand des Grazer Stadtgebietes liegt von Wald- und Wiesenflächen umgeben der Grottenhof, ein seit dem 14. Jahrhundert bekannter Ansitz, in dem seit 1869 eine Landwirtschaftliche Fachschule untergebracht ist. Dass die Umgebung zunehmend verbaut ist, tut dem ländlichen Charme des Geländes (noch) keinen Abbruch, die angrenzenden mehrgeschossigen Wohnbauten oder der Blick auf die Türme der Green City scheinen die Idylle sogar noch zu verstärken: Locker auf dem weitläufigen Hang verstreut liegende Stall- und Wirtschaftsgebäude ergänzen das als Internat genutzte ehemalige zierliche „Schlössl“ mit seinem Mansarddach und das 1896/97 errichtete Schulgebäude.

Dringender Sanierungs- und Restrukturierungsbedarf und die Entscheidung, die Schule zu einem modernen Bildungs- und Kompetenzzentrum für biologische Landwirtschaft zu entwickeln, führten 2020 zu einem von der Landesimmobiliengesellschaft ausgelobten EU-weit offenen Wettbewerb. Ein Neubau für Unterricht, Verwaltung, Vermarktung und Veranstaltungen sollte die Energien bündeln und sichtbar machen, während die Klassenräume des Bestandes für die Internatsnutzung freigespielt werden sollten. Das siegreiche Konzept von Caspar Wichert Architektur und OSNAP (Open South North Architecture Practice) wurde nach einstimmigem Juryentscheid ohne gravierende Änderungen umgesetzt und vergangenen Herbst fertiggestellt.

Schlichte Formensprache, konsequenter Materialeinsatz

Der Zubau schmiegt sich an den Rücken des Schulgebäudes; behutsame Aufteilung des Bauvolumens, schlichte Formensprache und konsequenter Materialeinsatz stellen klar, dass hier keine Konkurrenz angestrebt ist, sondern eine sich dennoch nicht anbiedernde Erweiterung.

Zwei im V leicht schräg stehende rechteckige Baukörper verbinden sich über ein eingeschoßiges Gelenk mit dem Bestand und bilden so einen einladenden Platz zwischen „Schlössl“, Wirtschaftsgebäude und alter und neuer Schule. Von hier aus betritt man das Foyer, eine Drehscheibe zwischen Mehrzweckturnsaal, Internat, Garderobe und neuem Schultrakt mit Speisesaal und Aufgang in die Klassenräume.

Hofladen für Bio-Produkte

Vielfältige Synergien ergeben sich durch und in diesem Knotenpunkt. So ist etwa der neben dem Eingang liegende Hofladen für regionale Bio-Produkte direkt mit der Küche verbunden, und auch dessen Wechselspiel mit dem freitags am Vorplatz stattfindenden öffentlichen Bauernmarkt funktioniert gut. Innen erlauben Schiebewände Verbindung oder Separierung zwischen dem zum Turnen oder für Veranstaltungen genutzten Mehrzwecksaal, Seminarraum und Speiseraum.

Zusätzliche Atmosphäre erhält dieses Raumkontinuum durch die zur Innenwand mutierte denkmalgeschützte Fassade der renovierten Schule. In deren ehemaligen Klassenzimmern finden sich teils barrierefreie 2-, 3-, und 4-Bettzimmer samt eigenen Sanitäreinheiten für 78 Schüler:innen. Die wohltuend hohen Räume wurden wie jedes Landesinternat von cebra-Architekten mit einheitlichen, robusten, zeitlos schlichten Holzmöbeln ausgestattet, „luxuriös“ ist allerdings der Blick in den Wald oder auch auf die Stadt.

Der Dachraum wurde von Einbauten befreit und in zwei große gemeinschaftliche Wohnzimmer samt Teeküchen umgewandelt. Hinter ziegelfarbigen Lamellen verstecken sich große Dachflächenfenster – der optische Schutz der historischen Dachfläche gewährt fantastische Ausblicke und zaubert Licht- und Schattenspiele in den gemütlichen Innenraum.

Das Holz stammt aus einem Umkreis von 500 Kilometern.

Im ersten Obergeschoß gelangt man über das Flachdach des Foyers vom Internat direkt in die Schule – dieser Freihof zwischen Arbeitsplatz und Wohnort mit Sitzinseln um die runden Flachdachfenster wird auch als Pausenhof genützt.

Von hier aus überblickt man auch jene Kerbe, die sich aufgrund der Hanglage zwischen den beiden neuen Baukörpern bis zur Terrasse des Speisesaales neigt, von der aus aber auch die Dachterrasse erschlossen werden kann. Auch wenn die Bepflanzung erst anwachsen muss, zeigt dieser kleine intime Hof mit seiner spannenden Durchwegung schon die Vielschichtigkeit dieses Gebäudes.

Der gesamte Zubau wurde – beinahe zwingend für eine steirische Landwirtschaftsschule – als Holzbau errichtet: das Foyer in Skelettbauweise, Schultrakt wie Mehrzwecksaal als Holzrahmenbauten mit Brettschichtholz-Decken. Das Holz stammt – Bedingung für die Förderung – aus einem Umkreis von 500 Kilometern. Betonflächen gibt es außer im Fundament nur im offenen Stiegenhaus; sie harmonieren erstaunlich gut mit den glatten Holzwänden aus Kreuzlagenholz und den unverkleideten Holzwolle-Akkustikplatten der Deckenuntersichten.

Niemand muss hier schreien

Diese Schule ist ein Gebrauchs- und kein Ausstellungsobjekt. Einige Feinheiten sind den Anforderungen an eine robuste Ausstattung, andere dem ökonomischen Rahmen zum Opfer gefallen: Zu den Erschwernissen einer Corona-Bauzeit kam auch Unvorhersehbares wie ein baufälliger Dachboden oder eine notwendige komplette Unterfangung des Fundamentes. Architektin Sybille Caspar sieht das gelassen: „Der Verzicht auf eine Holzlattendecke ist ökonomisch bedingt, aber die erzielte Wirkung ist nun viel ruhiger als bei streng linearen, richtungserzeugenden Elementen. Und über die akustische Wirksamkeit sind alle sehr glücklich – niemand braucht hier zu schreien.“

Um Erschließung und Sanitäreinheiten liegt ein durchgängiger Ring aus verschiedenen Aufenthaltsflächen, dahinter sind an der Außenwand die Klassen- und Gruppenräume, Direktion, Verwaltung und ein großes gemeinsames Arbeitszimmer mit zwei kleinen „Ausweichbüros“ für die Pädagog:innen übersichtlich aufgefädelt. Wie Bilderrahmen für die Landschaft (samt grasenden Kühen) lenken überall riesige Fenster den Blick in die Natur, die hier ja als relevanter Pädagoge im Fokus steht.

Nachhaltig in Natur investieren

Dieses Projekt ist derzeit auch Teil der von Eva Hierzer und Tom Kaden kuratierten Ausstellung zum Thema MENSCH. ORT. HAUS. VERSTAND in Mürzzuschlag – zu Recht: 2022 wurden im Rahmen von Bauhaus Earth von einem interdisziplinären Thinktank Kriterien für eine positive Imagination einer Zukunft inmitten des Klimawandels aufgestellt: Gefordert wird eine Wiederverflechtung von menschlichem Handeln mit der Natur.

Genau das wurde und wird in der LFS Grottenhof umgesetzt. Institution wie Architektur zeigen, wie man nachhaltig in Natur investiert, Bioregionalität und Biodiversität fördert, sowie traditionelles rurales Wissen und Handwerk weitergibt und entwickelt. Wiederverwertung und -verwendung des Bestehenden und die Nutzung nachhaltiger Energiequellen fördert Dekarbonisierung. Maßvolle Verdichtung, unter anderem durch gemeinschaftliche Nutzungen, erzeugt leistbaren Wohnraum, und die behutsame Annäherung an den Genius Loci durch die schnörkellose Ästhetik des Zubaus erschließt und öffnet Räume für eine Symbiose verschiedenster Lebensformen und -wesen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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