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Wer dieses slowenische Kloster betrat, verließ es nie wieder
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Seiz bei Seitzdorf in Slowenien: Geniale und sparsame Interventionen machten aus den 860 Jahre alten Überresten eines romanischen Kartäuserklosters einen spektakulären Ort.

20. September 2024 - Klaus-Jürgen Bauer
Die Kartäuser sind der wohl geheimnisvollste Orden der katholischen Kirche. Sie sind neben den Zisterziensern strengerer Observanz der einzige Männerorden, der sich bis heute das hochmittelalterliche Ideal eines strikt kontemplativen Lebens erhalten hat.

Der Ordo Cartusiensis verfolgt die eremitische, aber besonders auch die koinobitische Lebensweise: Dabei leben besitzlose Mönche gemeinsam unter einem Dach und bleiben ein Leben lang durch eine Mauer von der Außenwelt getrennt. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist der Abt, der ein oder mehrere Gemeinschaftshäuser betreut. In den Statuten des Ordens steht geschrieben: „Unser Bemühen und unsere Berufung bestehen vornehmlich darin, im Schweigen und in der Einsamkeit Gott zu finden.“

La Grande Chartreuse – die Große Kartause

Gegründet wurde der Orden vom heiligen Bruno von Köln im Jahr 1084. Damals zog sich Bruno gemeinsam mit sechs Gefährten in die Chartreuse zurück, eine einsame Gebirgs­gegend in Frankreich. Sie bauten sich in der Einöde kleine Eremitagen, klösterliche Gemeinschaftsräume und eine Kirche und verbanden dann alles mit einem Kreuzgang. La Grande Chartreuse, die Große Kartause, gab dem strengen Orden seinen Namen.

60 Jahre später schlossen sich auch Frauen in der Lebensweise der Kartäuser zusammen. Die Gemeinschaft wuchs trotz der strengen Lebensweise erstaunlich schnell. Im 15. Jahrhundert – der Blütezeit der spätmittelalterlichen Mystik – gab es in ganz Europa bereits 220 Kartausen, die immer in möglichst abgelegenen Gegenden gegründet wurden. Ende des 18. Jahrhunderts wurden die meisten Kartäuserklöster aufgehoben.

Durch ein menschenleeres Waldtal

Im Jahr 2004 hatte der Orden in Europa, Amerika und Asien nur noch 18 Mönchs- und vier Nonnenklöster mit 335 Brüdern und 48 Nonnen. Der bedeutende englische Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor lebte Ende der 1950er-Jahre mehrere Monate in der absoluten Stille von La Grande Trappe, dem Gründungsort des Ordens der Trappisten oder Zisterzienser von der strengen Observanz. Sein Buch „Eine Zeit der Stille. Zu Gast in Klöstern“ (Dörlemann) gibt einen seltenen Einblick in diese besondere Lebensform.

Das ehemalige Kartäuserkloster Seiz bei Seitzdorf – heute Kartuzijanski samostan Žiče – ist nur noch in Ruinen erhalten. Lange fährt man durch ein weitgehend menschenleeres Waldtal. Irgendwann taucht dann unvermutet eine gotische Kirche mit ein paar Häusern auf. Es stellt sich heraus, dass dies das ­Unterkloster mit Schule, Spital und Spitalskirche war.

Es braucht weitere Kilometer Fahrt durch das Nichts, um endlich beim Hauptkloster anzukommen. Vor dem Kloster befindet sich der eindrucksvolle Bau einer mittelalterlichen Gaststätte, die immer noch in Betrieb ist; das Kloster erscheint von außen wie eine Burg: Mauern, Wachtürme, geheimnisvolle Abgeschlossenheit. Besucher gab es hier nie. Wer dieses Kloster betrat, verließ es nie wieder. Seiz war eine sehr frühe Gründung durch Markgraf Ottokar III. im Jahr 1165. Das strenge und abgelegene Kloster war als Grablege für ihn und seine Familie bestimmt.

Seinen Höhepunkt erlebte das Kloster während des großen abendländischen Schismas, als Papst Urban VI. den Sitz des Generalkapitels des Kartäuserordens für fast zwei Jahrzehnte nach Žiče verlegte. Das Kloster besaß damals mit mehr als 2000 Manuskripten eine der reichsten Bibliotheken Europas; heute ist davon fast nichts mehr erhalten. Seine dunkelsten Stunden erlebte das Kloster vermutlich 1531. Damals wurde der Prior von Seiz von türkischen Streifschaaren gefangen genommen, gefoltert und auf schreckliche Weise massakriert. 1782 wurde das Kloster von Kaiser Josef II. aufgelöst, seitdem war die Kartause dem Verfall preisgegeben. 1826 kamen die Ruinen gemeinsam mit den Ländereien des ehemaligen Klosters zur Herrschaft von Fürst Windisch-Graetz, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde alles verstaatlicht.

Zu einer entscheidenden Wende für die Ruinen kam es im Jahr 2022, als das slowenische Architekturkollektiv Medprostor (Jerneja Fischer Knap, Rok Žnidaršič und Samo Mlakar) mit der Sicherung und touristischen Aufbereitung der romanischen Ruinen betraut wurde: ein echter Glücksgriff, wie sich bald herausstellen sollte. Ihre Interventionen in der Kartause Žiče kamen zu Recht in die engere Auswahl für den Europäischen Mies van der Rohe Preis 2024, die höchste Auszeichnung für Architekten in der EU.

Spiritualität bleibt erhalten

Die Architekten haben als Erstes – unter den Argusaugen des Denkmalschutzes – die Mauern der ehemaligen Kirche ergänzt. Die Charta von Venedig legt fest, dass Maßnahmen an einem Denkmal vor allem reversibel sein müssen, die Architekten gingen mit dieser Regel sehr kreativ um. Eine fehlende Wand wurde wiederhergestellt, in das Kirchenschiff wurden ein neuer Fußboden sowie Wendeltreppen in bestehende vertikale Schächte eingebaut. Die Besucher haben durch diesen Aussichtspunkt die einmalige Möglichkeit, die Klosteranlage mit ihrem Ruinencharakter auch von oben zu betrachten.

Auf die wiederhergestellte und nun wieder tragfähige Mauerkrone wurde als Höhepunkt eine extrem pfiffige Dachkonstruktion aufgesetzt. Auf der Südseite sieht man nun wieder das historische Kirchendach, aber die Nordseite blieb einfach offen. Den Kirchenraum kann man aber bei Bedarf trotzdem schließen, dazu wird einfach eine an Seilen hängende Decke auf die Mauern herabgelassen. Es entstand solcherart eine Art Faltdach, ein Raum zwischen Ruine und Rekonstruktion, wie Medprostor das nannten. Ein weniger invasiver Eingriff als die Überdachung des Bestandsgebäudes mit einem halb beweglichen Faltdach ist wohl kaum vorstellbar.

Durch diese Intervention sollte nach Angaben des Studios aber nicht nur die Funktionalität für Tourismus und Veranstaltungen verbessert werden; der gewählte Umgang mit den physischen Überresten der romanischen Kirche durch diese subtilen Maßnahmen bewahrt auch auf sehr überzeugende Art und Weise die Spiritualität dieses Ortes. Der 900 Jahre alte Sakralraum wird als solcher – gerade durch die extreme Schlichtheit der Maßnahmen – wieder erlebbar. Die gewählten Lowtech-Materialien wie schwarzer Stahl, geschwärztes Holz und dunkle Schieferziegel unterstützen durch ihre formale Zurückhaltung diese Lesart gut.

Die ästhetische Sprache von Medprostor mit ihren zurückhaltenden und geradlinigen Geometrien unterscheidet sich einerseits gut vom romanischen Mauerwerk – eine Vorgabe der Denkmalpflege –, aber schafft gleichzeitig eine harmonische Verbindung von Alt und Neu. Ein architektonisches Kleinod, nur 100 Kilometer von Graz entfernt und immer einen Ausflug wert.

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