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db 2024|11
Einfach wohnen!
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Collegium Academicum in Heidelberg

Der Neubau des Collegium Academicum ist ein Modellprojekt – in vielerlei Hinsicht. Es bietet bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen, die sich in Ausbildung befinden – und noch viel mehr. Auch architektonisch wurde mit einem innovativen Holz-Skelett-Bausystem Neuland beschritten, das ohne metallische Verbindungen auskommt.

4. November 2024 - Enrico Santifaller
Es gibt keine pittoresken zwischen kleinen Gassen gespannten Wäscheleinen. Und doch herrscht in einem Blockinneren in Heidelbergs Süden ein wenig süditalienische Atmosphäre. In den Gängen im EG, aber auch auf der Freiterrasse im 1. OG stehen eine ganze Reihe von Wäscheständern verschiedener Größen und Farben. Behängt mit Jeans, Shirts, Handtüchern, Laken. In der »Waschlounge« rattern acht Maschinen eines ostwestfälischen Premiumherstellers, bei den Trocknern hingegen rührt sich nichts. An diesem sehr warmen Vormittag Ende August ist nasses Zeug in Windeseile trocken, und Strom gespart, wozu mehrere Schilder die Bewohner:innen anhalten, wird damit auch. Manch einer schaut der Szenerie von einem auf dem Rasen aufgebauten Liegestuhl zu, auf einer Terrasse im 3. OG trinkt ein Pärchen Kaffee, während im Außenbereich, vor der schon leicht ergrauten Holzfassade, sich eine kleine Gruppe junger Menschen mit Rechen und Hacken der Gartenarbeit widmet. Ein wenig Dolce Vita und Gaudeamus igitur. Studierendenleben im Jahre 2024. Freilich, was heute heiter und beschwingt auf dem Konversionsgelände des ehemaligen US-Militärhospitals in Heidelberg-Rohrbach wirkt, musste hart erarbeitet werden.

Selbstorganisiertes Wohnen als IBA-Projekt

Im Collegium Academicum (CA) – 1945 von der Universität als »Lebens-, Arbeits- und Selbsterziehungsgemeinschaft« ins Leben gerufen – von der Hochschule wegen linker Umtriebe 1978 zwangsaufgelöst, als Verein später wieder gegründet, reifte Anfang der 2010er Jahre die Idee, ein selbstverwaltetes Wohnheim für Studierende, Auszubildende und Promovierende zu bauen. Nachdem wichtige Institutionen in der Stadt ihre Unterstützung zugesichert und das Mietshäuser-Syndikat, ein Zusammenschluss von derzeit über 200 selbstorganisierten und nicht kommerziellen Hausprojekten, über Möglichkeiten und Fallstricke beraten hatten, bewarb man sich erfolgreich als offizielles Projekt der IBA Heidelberg »Wissen schafft Stadt«. In Workshops zu den Themen »Bildung in der Architektur« und Suffizienz lernten die CA-Verantwortlichen Hans Drexler, Gründer des Frankfurter Büros DGJ Architektur, kennen – und schätzen. Seine umfangreiche Forschungs- und Autorentätigkeit gerade in Sachen nachhaltiger Holz- und Wohnungsbau und der prononcierte Bildungs- und Ökologiewillen der Heidelberger Kollegiaten, das passte zusammen.

Drexler zeichnete einen ersten Entwurf, der in mehreren Runden mit CA-Aktivist:innen und künftigen Bewohner:innen ausgearbeitet wurde. Realisiert wurden ein L-förmiger Holzbau sowie ein weiterer kurzer Baukörper, die zusammen mit einer 330 m² umfassenden Gemeinschaftsaula und den erwähnten Laubengängen einen länglichen Block bilden. In dem viergeschossigen Gebäude entstanden auf knapp 5 000 m² Nutzfläche 46 Wohngemeinschaften für insgesamt 176 Bewohner:innen. Die Individualräume sowie das Bad gruppieren sich um eine Gemeinschaftsfläche mit Wohnküche, wobei diese variabel ist. Denn Drexler konzipierte jedes Zimmer zweiteilig: einen Kernbereich mit knapp 7 m² für Bett, Schrank und kleinen Schreibtisch sowie eine mit einem Raumteiler separierte, ebenso große sogenannte flexible Zone für beispielsweise Sessel oder auch ein kleines Sofa. Mit wenigen Handgriffen kann man diese Zone auch dem Gemeinschaftsbereich zuschlagen.

Und das taten denn auch die meisten Kollegiaten: Knapp zwei Drittel der Bewohner:innen kommen derzeit mit dem Kernbereich zurecht und erleben durch persönlichen Verzicht mehr Gemeinschaft(sfläche). Dass der Architekt statt normaler Anschlagstüren Schiebetüren für die Zimmer konzipierte, war eine gute Entscheidung – weil sie dem knapp bemessenen Raum mehr Platz gibt. In die Holzwände eingelegte Gummidichtungen erreichen eine hohe Luft- und Schalldichte, wofür nicht nur die üblichen Messungen, sondern auch Wahrnehmungstests gemacht wurden.
Holz-Skelett-Bausystem mit metallfreien Knotenpunkten

Gebaut wurde auf Basis von Drexlers Forschungsprojekt »Holz: Form- und kraftschlüssig«. Ziel war, eine Entwurfs- und Konstruktionsmethode für eine Architektur zu entwickeln, die flexibel und anpassungsfähig ist. Und zwar in dem Sinne, dass sie eine weitreichende Partizipation der Nutzer:innen geradezu fordert und sich mit einfachen Mitteln auch an die Bedürfnisse späterer Nutzer:innen angleichen lässt. Zentrales Element bei »Open Architecture«, wie Drexler sein Holz-Skelett-Bausystem nennt, sind Knotenpunkte, die als form- und kraftschlüssige geometrische Verbindungen der Tragelemente ausschließlich aus Holz konstruiert werden. Also ohne jegliche Verwendung von metallischen Beschlägen, sodass einerseits die Produktion solcher Holzgebäude vereinfacht und wirtschaftlicher, andererseits bei eventuellem Rückbau auch das Recycling unkomplizierter wird.

Für sein System kombinierte er traditionelle Zimmermannstechnik wie Schwalbenschwanz- und Schlitz-Zapfen-Verbindungen (Hartholzdübel sorgen für zusätzliche Sicherung) mit zeitgenössischer Bautechnologie und computergestützten Abbundanlagen. Die dreidimensionalen Geometrien der Knotenpunkte wurden dabei parametrisch berechnet. Der Architekt unterteilte das Gebäude durch die durchgängige Trennung der Konstruktion zwischen Nutzungseinheiten in statisch unabhängige Abschnitte. Weil die Erschließung über einen mit einer Fuge getrennten und nicht aussteifenden Laubengang aus Stahlbeton erfolgt, musste davon unabhängig das statische System des Holzgebäudes dessen Lasteinwirkungen aufnehmen. Dabei wurden beispielsweise die Schubkräfte der mit schwalbenschwanzförmigen Holzverbindern (X-Fix) zu Scheiben verbundenen BSP-Deckenelemente in darunterliegende Unterzüge und einige wenige aussteifende Wandscheiben übertragen. Aus den Wänden werden die Lasten ebenfalls durch die X-Fix-Verbinder in die Stützen übertragen. Dadurch wirken auf diese Stützen sowohl Druck- als auch Zuglasten, die in der Ausbildung der Knoten am Geschossübergang und Bodenanschluss berücksichtigt wurden.

Selbstverständlich achtete Drexler auch auf eine möglichst weitreichende Standardisierung und Vereinheitlichung von Tragwerk und Ausbau, auf die weitgehende Vorfertigung der Bauteile und die Reduzierung und Vereinfachung der Montageschritte auf der Baustelle.

Miete für 370 Euro plus Bildung

Das Collegium Academicum diente neben der Frankfurter Wohngruppe »Gemeinsam suffizient leben« und einer Wohngruppe um das »WohnWerk Mannheim« als Case Study des Forschungsprojekts. Die Baukosten des CA-Neubaus betrugen knapp 15 Mio. Euro (KG 300, 400), die Gesamtkosten 21 270 000 Euro (KG 100–700), wobei das Vorhaben von verschiedenen Institutionen gefördert wurde. Allein aus dem Programm »Variowohnungen« des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung kamen 2,19 Mio. Euro. Ergebnis aller Bemühungen um Wirtschaftlichkeit ist eine Miete von 375 Euro inklusive der Nebenkosten und Internetzugang. Dieser Betrag entspricht etwa der BAföG-Wohnkostenpauschale in Höhe von 380 Euro im WS 24/25, die freilich in kaum einer deutschen Hochschulstadt für ein WG-Zimmer reicht. Doch dem Collegium Academicum geht es um mehr als billiges Wohnen. Man will »gesellschaftliche, soziale und ökologische Verantwortung übernehmen«, »egalitär und inklusiv« und »basisdemokratisch und selbstverwaltet« sein, wie es auf der Homepage heißt. Man will »kritisch und kreativ denken«, »neue Wege gehen« und dabei »wertschätzend kommunizieren«.

Das CA verbindet ein Lösungsmodell für eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme der Zeit – die hohen Mieten – mit Bildung und einem temporären Lebensmodell. Und der Hoffnung, dass die in einem solchen Wohnen erworbenen Fähigkeiten – Stichwort »nachhaltig« – im späteren Leben weiterentwickelt werden. Dass in diesem ambitionierten Modell innovative Holzarchitektur eine entscheidende Rolle spielt, macht das Collegium Academicum zu einem hochspannenden Projekt. Ein Projekt, dem ein paar herumstehende Wäscheständer eine sehr sympathische Note verschaffen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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