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Wem nützt der Obama-Bau an der South Side in Chicago?
Das Obama-Zentrum soll der dort lebenden, großteils schwarzen Bevölkerung neue Chancen eröffnen. Die Prunkbauten bringen sicherlich Touristen und Konsum, aber es droht auch Gentrifizierung.
23. Oktober 2024 - Mechtild Widrich
Steht man an der künstlich angelegten Halbinsel Promontory Point an der South Side von Chicago, so ragt der Rohbau des Obama Presidential Museum als graue Silhouette hinter dem Museum for Science and Industry in den Himmel. 1893 als Palast der schönen Künste für die Columbian Exhibition, die Weltausstellung zum 300-Jahr-Jubiläum der „Entdeckung“ der Neuen Welt gebaut, ist der historistische Museumsbau einer der wenigen architektonischen Überreste des Großereignisses. 2016 wurde entschieden, die Präsidentenbibliothek Barack Obamas als „ein globales Zentrum für Veränderung“ auf dem ehemaligen Weltausstellungsgelände in Jackson Park zu platzieren. Geplant von Tod Williams Billie Tsien Architekten, sind unter anderem ein der Lebensgeschichte der Obamas gewidmetes Museum, eine Filiale der Stadtbibliothek, Sport- und Projekträume und ein Forum für Veranstaltungen vorgesehen.
Südseite wird von der Stadtpolitik ignoriert
Es gibt aber auch Grünflächen mit heimischen Pflanzenarten und einem der Gemeinschaft zur Verfügung gestellten Nutzgarten, der an Michelle Obamas seinerzeit umstrittenen Gemüsegarten im Weißen Haus angelehnt ist. Der Campus, wie er offiziell heißt, soll Anfang 2026 eröffnet werden und zukünftigen Generationen helfen, sich stärker am bürgerlichen Leben zu beteiligen. Dieser Anspruch ist in der Tat fast utopisch: Die historisch von Schwarzen besiedelte Südseite Chicagos wird von der Stadtpolitik gern ignoriert und macht meist negative Schlagzeilen. Jackson Park liegt an der Schnittstelle zwischen Hyde Park, einer wohlhabenden Gegend, die seit der Zeit der Weltausstellung durch die Präsenz der elitären University of Chicago bestimmt wird, und Woodlawn, dem Tor zur schwarzen South Side.
Der Unterschied eines einzigen Häuserblockes ist, wie in vielen anderen US-amerikanischen Großstädten, beträchtlich. Die Bevölkerung in Woodlawn ist zu 80 Prozent schwarz, 60 Prozent der Haushalte verdienen weniger als 50.000 Dollar pro Jahr, 16 Prozent besitzen keinen Internetanschluss. Als Obama seine politische Karriere startete, war er dort Gemeindeorganisator und unterrichtete Recht an der University of Chicago. Das Obama-Zentrum liegt auf einem Teil der Grünanlage, die mit Lagunen, Inseln und dem sogenannten Midway im 19. Jahrhundert vom Doyen der amerikanischen Landschaftsarchitektur, Frederick Law Olmsted, als Vergnügungsallee für die Ausstellungbesucher entworfen und danach als öffentlicher Park erhalten wurde.
Alte Bäume werden gefällt
Bevor Michelle Obama Ende der 1990er-Jahre im medizinischen Zentrum der University of Chicago angestellt wurde, um die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft zu stärken, hatte sie, als junge Bewohnerin der Südseite Chicagos, den Universitätscampus als geradezu feindlich empfunden. „Die Chance, diese Mauer [zwischen Hyde Park und den weniger affluenten Teilen der South Side] abzubauen, fand ich inspirierend“, erinnert sie sich in ihren Memoiren mit dem Titel „Becoming“. Das Team des Obama-Zentrums spricht oft und gern von Chancen für die dort lebende Bevölkerung, die lokale Aktivisten in einem verschriftlichten „Community Benefits Agreement“ garantiert sehen möchten. Denn neue Prunkbauten bringen sicherlich Touristen und Konsum, aber es droht auch die Gentrifizierung. Tatsächlich steigen schon die Preise für Mieten, leere Grundstücke und Immobilien, was sich selbst bei den Alteingesessenen in empfindlich höheren Grundsteuern bemerkbar macht. Wer Geld besitzt, hat wohl größere Hoffnungen auf Gewinn und kann jetzt spekulieren, trotz der idealistischen Pläne des Projekts.
Währenddessen sorgen sich die wohlhabenden Angestellten der Universität nicht nur um die soziale Gerechtigkeit, sondern auch um das Fällen alter Bäume und den steigenden Autoverkehr. Viele hätten sich das Zentrum am anderen, noch ärmeren, westlichen Ende des Midway gewünscht, in dem gleichfalls von Olmsted entworfenen Washington Park, der aber wohl zu weit vom schönen Michigansee entfernt gewesen wäre. Vielleicht ist es der Fortschrittsglaube der 1893 ausgerichteten Weltausstellung, welcher letztendlich den Standort attraktiv machte, mehr noch als die Familiengeschichte der Obamas und die lokalen Debatten: Chicago war nach einem unscheinbaren Start als Transportknotenpunkt als Schlachthof-Metropole reich geworden und wollte eine Weltstadt von europäischer Schönheit werden.
Nach einem katastrophalen Feuer im Jahr 1871, dem 300 Menschen und 18.000 Gebäude zum Opfer fielen, schien die Zeit reif für einen neuen urbanen Entwicklungsplan nach Beaux-Arts-Muster, der die Stadtverschönerung auch moralisch argumentierte und aus der „Schweinestadt“ eine Zukunftsmetropole für die aufstrebende Mittelschicht nach Vorbild des damals neu gestalteten Paris machen sollte. Die Weltausstellung war Teil dieser Neugestaltung, wie auch die Gründung der Universität acht Kilometer südlich vom Stadtzentrum.
Aber natürlich war der Fortschrittglaube des 19. Jahrhunderts nicht ohne Schattenseiten. Aktivist:innen wie Ida B. Wells, der aus der Sklaverei geflohene Sozialreformer Frederick Douglass und andere prominente schwarze Intellektuelle der Zeit verfassten 1893 ein Protestschreiben mit dem Titel „Der Grund, weshalb farbige Amerikaner nicht in der Columbus-Weltausstellung vertreten sind“. Kann das Projekt der Obamas aus den historischen Ausgrenzungen eine neue Zukunftsperspektive entwickeln? Physisch und ästhetisch bieten Williams und Tsien einen Entwurf, der Größe und Kompaktheit mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit in der Textur vereint: Der turmartige Museumsbau soll Reden von Obama an der Fassade tragen, der Rest ist eher zurückhaltend gestaltet. Es stimmt, die Obamas setzen viel mehr auf die Tätigkeit des Zentrums als auf stille Würde. Dennoch wird weder die Form noch der Ansatz, sich als Ausbildungsstätte und nicht nur Repräsentationsobjekt zu definieren, die zahlreichen historischen Konflikte, die sie aufruft, so leicht lösen können.
Große Migrationsbewegung
Das 20. Jahrhundert in Chicago sah nicht nur die moderne Bürgerrechtsbewegung, die der gesetzlichen Rassentrennung mit dem Civil Rights Act 1964 ein Ende setzte, sondern auch eine große Migrationsbewegung schwarzer Amerikaner aus den Südstaaten in den Norden. Die hartnäckige ökonomische Diskriminierung sowie die Schul- und Wohnsegregation bestehen aber bis heute. Im frühen 21. Jahrhundert vereinigte das politische Phänomen Obama-Wähler unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe unter einer Rhetorik der Hoffnung und brachte lange überfällige Reformen wie die erste teilweise öffentliche Gesundheitskasse, die erst höhnisch, dann neutral oder gar mit Stolz „Obamacare“ genannt wird.
Chicago steht für die Hoffnung dieser Zeit so sehr, dass der Parteitag der Demokraten Ende August hier abgehalten wurde. Auf der Südseite der Stadt wird die Hoffnung nun zum architektonischen Wahrzeichen an einem Ort, der vor mehr als 100 Jahren als „Weiße Stadt“, wie das Ausstellungsgelände damals aufgrund der hellen Gipsfassaden bezeichnet wurde, die Welt nur sehr selektiv widerspiegelte.
Südseite wird von der Stadtpolitik ignoriert
Es gibt aber auch Grünflächen mit heimischen Pflanzenarten und einem der Gemeinschaft zur Verfügung gestellten Nutzgarten, der an Michelle Obamas seinerzeit umstrittenen Gemüsegarten im Weißen Haus angelehnt ist. Der Campus, wie er offiziell heißt, soll Anfang 2026 eröffnet werden und zukünftigen Generationen helfen, sich stärker am bürgerlichen Leben zu beteiligen. Dieser Anspruch ist in der Tat fast utopisch: Die historisch von Schwarzen besiedelte Südseite Chicagos wird von der Stadtpolitik gern ignoriert und macht meist negative Schlagzeilen. Jackson Park liegt an der Schnittstelle zwischen Hyde Park, einer wohlhabenden Gegend, die seit der Zeit der Weltausstellung durch die Präsenz der elitären University of Chicago bestimmt wird, und Woodlawn, dem Tor zur schwarzen South Side.
Der Unterschied eines einzigen Häuserblockes ist, wie in vielen anderen US-amerikanischen Großstädten, beträchtlich. Die Bevölkerung in Woodlawn ist zu 80 Prozent schwarz, 60 Prozent der Haushalte verdienen weniger als 50.000 Dollar pro Jahr, 16 Prozent besitzen keinen Internetanschluss. Als Obama seine politische Karriere startete, war er dort Gemeindeorganisator und unterrichtete Recht an der University of Chicago. Das Obama-Zentrum liegt auf einem Teil der Grünanlage, die mit Lagunen, Inseln und dem sogenannten Midway im 19. Jahrhundert vom Doyen der amerikanischen Landschaftsarchitektur, Frederick Law Olmsted, als Vergnügungsallee für die Ausstellungbesucher entworfen und danach als öffentlicher Park erhalten wurde.
Alte Bäume werden gefällt
Bevor Michelle Obama Ende der 1990er-Jahre im medizinischen Zentrum der University of Chicago angestellt wurde, um die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft zu stärken, hatte sie, als junge Bewohnerin der Südseite Chicagos, den Universitätscampus als geradezu feindlich empfunden. „Die Chance, diese Mauer [zwischen Hyde Park und den weniger affluenten Teilen der South Side] abzubauen, fand ich inspirierend“, erinnert sie sich in ihren Memoiren mit dem Titel „Becoming“. Das Team des Obama-Zentrums spricht oft und gern von Chancen für die dort lebende Bevölkerung, die lokale Aktivisten in einem verschriftlichten „Community Benefits Agreement“ garantiert sehen möchten. Denn neue Prunkbauten bringen sicherlich Touristen und Konsum, aber es droht auch die Gentrifizierung. Tatsächlich steigen schon die Preise für Mieten, leere Grundstücke und Immobilien, was sich selbst bei den Alteingesessenen in empfindlich höheren Grundsteuern bemerkbar macht. Wer Geld besitzt, hat wohl größere Hoffnungen auf Gewinn und kann jetzt spekulieren, trotz der idealistischen Pläne des Projekts.
Währenddessen sorgen sich die wohlhabenden Angestellten der Universität nicht nur um die soziale Gerechtigkeit, sondern auch um das Fällen alter Bäume und den steigenden Autoverkehr. Viele hätten sich das Zentrum am anderen, noch ärmeren, westlichen Ende des Midway gewünscht, in dem gleichfalls von Olmsted entworfenen Washington Park, der aber wohl zu weit vom schönen Michigansee entfernt gewesen wäre. Vielleicht ist es der Fortschrittsglaube der 1893 ausgerichteten Weltausstellung, welcher letztendlich den Standort attraktiv machte, mehr noch als die Familiengeschichte der Obamas und die lokalen Debatten: Chicago war nach einem unscheinbaren Start als Transportknotenpunkt als Schlachthof-Metropole reich geworden und wollte eine Weltstadt von europäischer Schönheit werden.
Nach einem katastrophalen Feuer im Jahr 1871, dem 300 Menschen und 18.000 Gebäude zum Opfer fielen, schien die Zeit reif für einen neuen urbanen Entwicklungsplan nach Beaux-Arts-Muster, der die Stadtverschönerung auch moralisch argumentierte und aus der „Schweinestadt“ eine Zukunftsmetropole für die aufstrebende Mittelschicht nach Vorbild des damals neu gestalteten Paris machen sollte. Die Weltausstellung war Teil dieser Neugestaltung, wie auch die Gründung der Universität acht Kilometer südlich vom Stadtzentrum.
Aber natürlich war der Fortschrittglaube des 19. Jahrhunderts nicht ohne Schattenseiten. Aktivist:innen wie Ida B. Wells, der aus der Sklaverei geflohene Sozialreformer Frederick Douglass und andere prominente schwarze Intellektuelle der Zeit verfassten 1893 ein Protestschreiben mit dem Titel „Der Grund, weshalb farbige Amerikaner nicht in der Columbus-Weltausstellung vertreten sind“. Kann das Projekt der Obamas aus den historischen Ausgrenzungen eine neue Zukunftsperspektive entwickeln? Physisch und ästhetisch bieten Williams und Tsien einen Entwurf, der Größe und Kompaktheit mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit in der Textur vereint: Der turmartige Museumsbau soll Reden von Obama an der Fassade tragen, der Rest ist eher zurückhaltend gestaltet. Es stimmt, die Obamas setzen viel mehr auf die Tätigkeit des Zentrums als auf stille Würde. Dennoch wird weder die Form noch der Ansatz, sich als Ausbildungsstätte und nicht nur Repräsentationsobjekt zu definieren, die zahlreichen historischen Konflikte, die sie aufruft, so leicht lösen können.
Große Migrationsbewegung
Das 20. Jahrhundert in Chicago sah nicht nur die moderne Bürgerrechtsbewegung, die der gesetzlichen Rassentrennung mit dem Civil Rights Act 1964 ein Ende setzte, sondern auch eine große Migrationsbewegung schwarzer Amerikaner aus den Südstaaten in den Norden. Die hartnäckige ökonomische Diskriminierung sowie die Schul- und Wohnsegregation bestehen aber bis heute. Im frühen 21. Jahrhundert vereinigte das politische Phänomen Obama-Wähler unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe unter einer Rhetorik der Hoffnung und brachte lange überfällige Reformen wie die erste teilweise öffentliche Gesundheitskasse, die erst höhnisch, dann neutral oder gar mit Stolz „Obamacare“ genannt wird.
Chicago steht für die Hoffnung dieser Zeit so sehr, dass der Parteitag der Demokraten Ende August hier abgehalten wurde. Auf der Südseite der Stadt wird die Hoffnung nun zum architektonischen Wahrzeichen an einem Ort, der vor mehr als 100 Jahren als „Weiße Stadt“, wie das Ausstellungsgelände damals aufgrund der hellen Gipsfassaden bezeichnet wurde, die Welt nur sehr selektiv widerspiegelte.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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