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Der Elefant im Raum
Der Standard

Sie sind nicht schön. Sie sind überall. Niemand redet über sie: Gewerbegebiete. Auch Architektur und Städtebau haben sich bisher nicht für sie interessiert. Sollten sie aber. Denn hier gibt es viel zu tun.

9. November 2024 - Maik Novotny
Waren Sie schon mal spazieren im Industriezentrum Niederösterreich-Süd? Haben Sie schon mal einen Wochenendurlaub in der Klagenfurter Industrie- und Gewerbezone Ost gebucht oder einen schönen Restaurantabend im Gewerbepark Graz-Straßgang verbracht? Vermutlich nicht, und warum sollten Sie auch. In Gewerbegebiete geht man schließlich nicht, wenn man dort nichts Gewerbliches zu tun hat. Wir reden nicht über sie, und wenn wir an ihnen vorbeifahren, schauen wir nicht hin, und wenn wir hinschauen, denken wir uns nichts. Sie sind halt einfach da. Schön sind sie nicht, aber mein Gott, man braucht sie nun mal, zwengs der Wirtschaft warat’s. Und der Wirtschaft darf man nicht in die Quere kommen, deshalb lassen wir die Gewerbegebiete lieber in Ruhe.

Geringe Lebensdauer

Sie sind die großen Elefanten im Raum, unübersehbar und trotzdem ignoriert. Architektur und Städtebau beschäftigen sich praktisch nie mit ihnen. Aber warum eigentlich? Sie sind für Bodenversiegelung und Zersiedlung verantwortlich, sie kommen gerne im Doppelpack mit Umfahrungsstraßen und Kreisverkehren daher, die noch mehr Boden versiegeln, und die Lebensdauer ihrer Architektur ist gering. Viele Lagerhallen werden nach zehn Jahren schon wieder demoliert, weil der neue Eigentümer eben genau 6000 statt 5800 Quadratmeter Lagerfläche braucht.

Wie konnte es dazu kommen? Der Grund liegt im 20. Jahrhundert, in der 1933 von Le Corbusier und Co verabschiedeten Charta von Athen, die die strikte Funktionstrennung von Wohnung und Industrie vorsah. Nicht ohne Grund, damals war die Industrie tatsächlich schmutzig und ungesund. Heute ist sie das kaum noch, aber in der Raumordnung und den Baugesetzen lebt die Trennung fort.

Doch manche versuchen, hier neue Mischungen anzurühren. Die Stadt Wien beschloss 2017 das Fachkonzept Produktive Stadt, das mit dem Gewerblichen Mischgebiet eine neue Kategorie, die sogenannten rosa Zonen, einführte, in denen Wohnen und Arbeiten zusammenfinden sollen. International gelobt und allgemein als gute Idee begrüßt, wurde das Konzept seitdem jedoch kaum in konkreten Projekten umgesetzt. Vor allem, weil sich die Betriebssysteme Wohnbau und Gewerbe über Jahrzehnte auseinanderentwickelt haben und jede Mischung für die Bauträger ein finanzielles oder rechtliches Risiko darstellt.

Aber es gibt Stimmen in der Architektur, die sich Gedanken über neue Mischverhältnisse machen. Die Universität Darmstadt hatte 2019 in einer Studie erhoben, dass in Deutschland rund 400.000 zusätzliche Wohnungen allein auf innerstädtischen Flächen der zwanzig größten Lebensmittelmarkt- und Discounterketten entstehen könnten, ohne dabei Abstriche bei den Verkaufsflächen oder Parkmöglichkeiten zu machen.

Mistkübel der Nation

In Österreich beschäftigen sich Architekt Peter Lorenz und sein Büro Lorenz Ateliers seit Jahren mit der Frage, wie man den grauen Elefanten zivilisieren und wieder Teil der Stadt werden lassen kann. Denn der Status quo sei inakzeptabel, sagt er. „In Gewerbegebieten gibt es mit wenigen Ausnahmen keinen Städtebau, keine Architektur, keine Qualitäten, keine Planung, keine Effizienz, keine Arbeitsplatzqualität, kein Verkehrskonzept, keine Urbanität, keinen Klimaschutz, aber es gibt dafür Naturzerstörung, Verschwendung, Versiegelung, Kurzlebigkeit, Hässlichkeit, Beliebigkeit. Sie sind der Mistkübel der Nation.“

Neben dem Umdenken in der Klimakrise und dem Stopp der Bodenversiegelung gehe es hier auch um Schönheit, sagt Lorenz. „Wir müssen uns nicht einigen, was genau schön ist oder nicht, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Sonst gewinnt eben die Hässlichkeit. Nicht nur Tirol hat heute den hässlichsten Zustand seiner Geschichte erreicht.“ In der Tat: Warum eigentlich akzeptieren wir die tagtägliche Tristesse aus Asphaltflächen, Lagerhallen und irgendwo dazwischen geklemmten Würstlständen für die ungemütliche Mittagspause, als sei sie ein Naturgesetz?

Für das 500.000 Quadratmeter große Gewerbegebiet Mühlau/Arzl in Innsbruck entwickelten Lorenz Ateliers ein detailliertes Konzept der Durchmischung, in dem bis zu 9000 Wohnungen Platz finden könnten. So ließen sich in Österreichs teuerster Stadt wieder leistbare Angebote schaffen. An Mischtechniken gibt es mehrere, eine davon haben Lorenz Ateliers bereits in Wien-Liesing umgesetzt, wo sie eine komplette Schule auf einen Supermarkt setzten. Nur ein Beispiel dafür, wie man die scheinbar unvereinbaren Puzzlestücke neu zusammensetzen kann.

Auch das Wiener Architekturbüro Smartvoll ist seit Jahren auf der Terra incognita der Gewerbeparks unterwegs. Mit der ehemaligen Panzerhalle und dem Handelszentrum 16 bei Salzburg haben sie alte Hallen an der Peripherie mit neuen Inhalten gefüllt, was erstaunlich gut funktioniert. „Gewerbegebiete sind sozusagen unterplante Orte, die einer Planung bedürfen“, sagt Smartvoll-Architekt Christian Kircher. „Die simplen Flächenwidmungen in Österreich stammen aus dem vorigen Jahrtausend, davon müssen wir wegkommen.“

Die Alternative: entweder eine Schichtenwidmung, bei der Gewerbe und Nichtgewerbe gestapelt werden, oder eine von Smartvoll vorgeschlagene „Zwiebelwidmung“, innen Gewerbe, außen Wohnen.

Ein genau solches Zwiebelprojekt erarbeiten Smartvoll derzeit für eine leerstehende 5000-Quadratmeter-Lagerhalle bei Salzburg, angrenzend an ein Einfamilienhausgebiet. Hier könnten mit relativ geringem Aufwand bis zu 40 Wohnungen entlang der Fassade eingefügt werden, die übrig bleibenden Quadratmeter in der Mitte werden für verschiedenste Nutzer portioniert, von der Tennishalle bis zum Handwerksbetrieb.

„Leerstehende Gewerbehallen finden selten jemanden, der exakt dieses Objekt mit exakt dieser Fläche braucht“, sagt Kircher. „Wenn man die Fläche jedoch filetiert, hat man sehr gute Chancen am Markt.“ Die Herstellungskosten seien etwa halb so teuer wie ein Neubau, auf den großen Dächern könnten Photovoltaik und Urban Gardening Platz finden, und die großen Asphaltflächen um die Halle können entsiegelt und begrünt werden.

Eine Lösung, die sich, so Kircher, vor allem für mittelgroße und große Städte eignet, in denen Wohn- und Gewerbegebiete ohnehin schon zusammengewachsen sind. Eine klimaschonende und wirtschaftlich vernünftige Beautyfarm für die Elefanten, und eine Zivilisierung der Terra incognita.

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