Artikel

Einfach aus dem Baumarkt
Spectrum

Ein Architekten­­haus, das für jeden Häuslbauer leistbar ist, gibt es das? Konrad Frey hat eines gebaut und lebt dort mit seiner Frau seit zehn Jahren als Testbewohner. Ein Hausbesuch.

31. Oktober 2024 - Christian Kühn
Jede neu gewidmete Parzelle dehnt den Siedlungsraum weiter aus, reduziert die Biodiversität und verursacht Kosten für Zubringerstraßen und Kanalisation. Ein Pkw für jeden erwachsenen Bewohner gehört zur Grundausstattung. Dazu kommen die Baumaterialien, die im Geschoßwohnbau wesentlich effizienter eingesetzt sind als im Einfamilienhaus. Die CO2-Bilanz eines Einfamilienhauses ist naturgemäß schlecht.

So berechtigt diese Kritik ist, die Liebe der Österreicher zum Einfamilienhaus ist ungebrochen: 44 Prozent der Bevölkerung lebt in Einfamilienhäusern; bei Umfragen geben rund 80 Prozent der Befragten diese Wohnform als ihr Ideal an. Immer noch fließt ein beachtlicher Teil der Wohnbauförderung in diesen Sektor: Von 17.000 Förderzusagen entfielen 2023 österreichweit 3800 auf Einfamilienhäuser, mit länderweise sehr unterschiedlichen Anteilen: Im Burgenland wurden ausschließlich Einfamilienhäuser gefördert, wenn auch insgesamt nur 160; in Nieder- und Oberösterreich entfiel ein knappes Drittel der Zusagen auf diesen Bereich, 1150 bzw. 1300, womit Oberösterreich mit Abstand den Spitzenplatz unter den Bundesländern einnimmt.

Stupide Häuser mit Flachdach

Eine Qualitätssicherung für die hier eingesetzten öffentlichen Gelder gibt es nicht, zumindest nicht in ästhetischer Hinsicht, und das sieht man Österreich auch an. Da wird weiterhin über die Dorfränder hinaus gewidmet und parzelliert, als wäre die Erde eine endlos verfügbare Scheibe, und auf diesen Parzellen entsteht meist nichts Gutes. In den aktuellen Ausläufern der Bebauung machen sich an vielen Orten Häuser mit Flachdach breit, die so stupide sind, dass man die planenden Baumeister zurück zu ihren Urgroßvätern in die Lehre schicken möchte, damit sie lernen, ein Haus einfach und klar zu organisieren und richtig in die Landschaft zu setzen. Und selbst das wären ja immer noch richtige Häuser am falschen Ort. Die Aktivierung von Leerständen im Ortskern mit neuen Konzepten des Zusammenlebens wird keinem Dorf gelingen, das Wildwuchs an seinen Rändern zulässt.

Bei einem Beliebtheitswert von 80 Prozent wird sich das Problem Einfamilienhaus sicher nicht durch die Einrichtung einer architektonischen Schönheits- und Sittenpolizei lösen lassen. Das beste Mittel ist, darauf zu hoffen, dass die Klimakrise und ihre ökologischen Konsequenzen, etwa in Form überfluteter Keller, zur Suche nach Alternativen führen.

Haus liefert originelle Antworten

Bis es so weit ist, ergibt es durchaus Sinn, Einfamilienhäuser zu diskutieren, die außergewöhnlich und zumindest in Teilaspekten vorbildlich sind. „Außergewöhnlich“ kann vieles bedeuten: den längsten Infinity-Pool, ein Marmorbad mit Karawanken-Blick oder ein Energiekonzept, das völlige Autonomie garantiert. Mich interessieren andere Aspekte, nämlich Typologie und Kosten: Wie zweckmäßig ist das Haus im Grundriss organisiert? Sind die eingesetzten Mittel angemessen und sparsam gewählt? Das Haus in Hart bei Graz, das der Architekt Konrad Frey für sich und seine Frau entworfen hat, liefert auf beide Fragen höchst originelle Antworten. Frey, der heuer seinen 90. Geburtstag feierte, nennt es Low Budget Loft House. Die ersten Ideen für das Haus datieren ins Jahr 2012, bezogen wurde es 2015, also vor knapp zehn Jahren, die es Zeit hatte, sich im Gebrauch zu bewähren. Der Anlass für das Projekt war die Wohnsituation der Freys in einem historischen Altbau auf demselben Grundstück, in dem Konrad Frey schon seine Kindheit verbracht hatte. Als barrierefreier, komfortabler Alterssitz war dieses Haus nicht geeignet. Frey verkaufte den Altbau, teilte das Grundstück und errichtete auf seiner Hälfte das Loft House.

Wie der Name andeutet, besteht das Haus aus einer großen Hülle mit Satteldach, die in der Gesamtfigur auch eine einfache Lagerhalle sein könnte. Das Innere ist durch zwei abgeschlossene Rückzugsräume gegliedert, die jeweils an drei Seiten vom Großraum umspült werden, einem Kreativbereich mit funktionellen Zonen, etwa fürs Kochen und Essen. Ein Wintergarten und ein Bad sind seitlich unter das große Dach geschoben. Wer will, kann in der Grundrissfigur das Echo einer palladianischen Villa entdecken; Konrad Frey betont lieber den hohen Alltagswert, von der perfekten Schmutzschleuse am Eingang bis zum umfangreichen Stauraum, der den kostensparenden Verzicht auf einen Keller möglich macht. Das Obergeschoß besteht im Wesentlichen aus einer Art Brücke unter dem Giebel, die den Kreativraum luftig nach oben erweitert. Hier hat Bärbl Frey ihr Atelier für Textilkunst und Konrad Frey sein Büro.

Keine Scheu vor Welleternit

„Low Budget“ ist das Haus insofern, als es weitgehend vorgefertigt und einfach konstruiert ist. Frey zeigt keine Scheu vor Welleternit und Wellkunststoff als Dachdeckung und vor einer Kombination von Stahlstützen und Holzfertigteilen für das Tragwerk, die auch außen ablesbar ist. Viele Elemente kommen vom Baumarkt, unter anderem die Treppe ins Obergeschoß und ein Kunststofffenster an der Hauptfassade mit wirklich grausigen Profilen, die man als Provokation verstehen muss, über das Wesen des „Billigen“ nachzudenken. Licht fällt auch durch dieses Fenster nämlich sehr schön.

Ob Konrad Frey sich mit diesem Haus genauso in die österreichische Architekturgeschichte einschreiben wird wie mit dem Haus Fischer am Grundlsee, das er 1972 bis 1978 mit seinem Büropartner Florian Beigel entwickelte, wird sich zeigen. Das Haus wurde oft als typisches Beispiel für die „Grazer Schule“ missverstanden, ein zweifelhaftes Etikett, das auf Frey und Beigel trotz mancher formalen Ähnlichkeit nicht passt. Sie suchen nach einer Logik der Form, die sich – soweit möglich – aus technischen und sozialen Parametern ergibt. Für Baukunst bleibt dabei noch Platz genug. Das Haus Fischer steht seit Kurzem unter Denkmalschutz, sehr zum Leidwesen seines Architekten, der diesen Experimentalbau lieber offen für Veränderungen gehalten hätte.

Dem Low Budget Loft Haus möchte man eine andere Zukunft wünschen, nämlich zahlreiche Nachahmer, die von einem räumlich komplexen Haus träumen, sich aber nur ein Fertighaus leisten können. Der Plan des Hauses liegt als Open Source Lizenz vor. Wenn die Kombination aus Forschergeist und sprühendem Optimismus, die Konrad Frey sich aus den 1960er-Jahren in die Gegenwart gerettet hat, in dieser Lizenz enthalten ist, ist sie jeden Preis wert.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: