Bauwerk

Boutiquehotel KM5
Lukas Schelling - Bregenz (A) - 2023

Bregenzer Kornmarkt: Das Hotel „Kleiner Löwe“ hat ein Tonnendach

Auf dem Kornmarktplatz in Bregenz steht eine kleine Architektursensation: Das Schweizer Architekturbüro Herzog und de Meuron hat dort ein Stadthotel mit historischer Fassade und Wohnloft in Szene gesetzt.

30. Dezember 2024 - Isabella Marboe
Die Lage ist premium: Das kleine schmale Haus steht hinter einer schattenspendenden, alten Linde auf dem Bregenzer Kornmarktplatz. Gegenüber befindet sich das Vorarlberg Museum der Bregenzer Architekten Cukrowicz Nachbaur mit den phänomenalen PET-Flaschenböden-Reliefs des Künstlers Manfred A. Mayr, die an Streublumenmuster oder Semmeln erinnern. Daneben das Landestheater, gefolgt vom ikonischen Kunsthaus des Pritzker-Preisträgers Peter Zumthor.

Das Haus liegt zwischen zwei Feuermauern auf einer acht Meter schmalen Parzelle, die sich 23 Meter tief in einen versteckten Hintergarten zieht. Es stammt aus dem 17. Jahrhundert und war ursprünglich eine Bierbrauerei; Lüftungsschlitze verraten bis heute, dass dort Gerste gelagert wurde. Gleich nebenan befand sich das Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“, wo man auch übernachten konnte. Die Brauerei wurde zum Kinematografen, in den 1920er-Jahren zog die Allgemeine Depositenbank ein, der die Fassade ihre heutige neobarocke Erscheinung mit den drei Fenstertürbögen zum Platz verdankt. In den 1970er-Jahren wurde das Gasthaus abgebrochen; das schmale Häuschen blieb, es war Möbelhandel, Feinkostladen, Nachtclub, Café und Bar.

Ein gemischt genutztes Stadthaus

Mitte November 2013 brannte der Dachstuhl, seither stand das Haus leer. Im Herbst 2015 nahm es der Bauherr erstmals bewusst wahr, wurde sich mit den Grundeigentümern rasch einig und kaufte das Haus. Diese Lage ist auch Verpflichtung, es sollte ein gemischt genutztes Stadthaus bleiben: unten Gewerbe, oben Wohnen. „Wir wollten das Richtige tun und etwas finden, das der Platz noch nicht hat“, sagt der Bauherr. Geschäfte, Restaurants, Cafés und Banken gibt es hier genug, das Haus sollte in die Fußstapfen des „Löwen“ treten und ein exquisites Boutique-Hotel werden: der „Kleine Löwe“. Das Bauherrenpaar wollte es als Quereinsteiger selbst betreiben, dezidiert aber keinen Vorarlberger Architekten, sondern unbedingt und ausschließlich ein bestimmtes Architektenbüro mit dem Umbau betrauen: die Schweizer Herzog & de Meuron oder keines.

Der Bauherr griff nach den Sternen, kontaktierte das Büro, blieb hartnäckig, fuhr öfter nach Basel und ließ sich nicht abwimmeln. Glück war auch dabei: Die Chemie stimmte, zudem hatten Herzog & de Meuron bis auf die – natürlich! – außergewöhnliche Siedlung in der Wiener Pilotengasse noch kein weiteres Projekt in Österreich realisiert. Sie fanden die Bauaufgabe interessant. Der Umgang mit Bestand ist ein Thema der Zukunft, der sehr spezielle, beengte Bauplatz, das Raumprogramm und nicht zuletzt die Dringlichkeit des Bauherrn machten dieses Projekt besonders. Anfang 2017 nahmen Herzog & de Meuron den Auftrag an. So kam Bregenz zu einer weiteren kleinen Architektursensation.
Beengter Bauplatz als Herausforderung

Die Substanz des Hauses war nicht zu retten, bis auf die Fassade blieb davon nichts. Erstere wollten Herzog & de Meuron als integrativen Bestandteil des Kornmarktplatzes unbedingt erhalten, obwohl sie nicht unter Denkmalschutz steht. Sie musste aufwendig unterfangen und mit einem Stahlgerüst gestützt werden, bis das Haus hochgezogen war. Die Fundamente der Nachbarhäuser wurden im Düsenstrahlverfahren unterfangen, um die Bestandsbauten nicht zu gefährden; aufgrund der beengten Verhältnisse war der Bau eine besondere Herausforderung.

Hinter der in hauchzartem Hellblau kalkverputzten historischen Fassade mit den weiß gefaschten Rundbogenfenstern befindet sich ein kompletter, fast 20 Meter hoher Neubau. Das entspricht der Firsthöhe des Nachbarhauses aus den 1970er-Jahren. Es brauchte einige Massenmodelle mit Quadern, Pult- und Satteldächern, bis das Tonnendach als ideale Form gefunden war. Weich und halbkreisrund überwölbt die leichte Dachkonstruktion aus Holz den Raum zwischen den Feuermauern, gleicht souverän die fünf Meter Differenz zwischen den im Osten und Westen angrenzenden Häusern aus und wirkt durch den halbkreisförmigen Dachabschluss weniger hoch. Das ist sehr gut so.

Das Erdgeschoß mit den drei hohen Rundbogenfenstertüren auf den Platz ist die Auslage des Hauses, hinter der sich ein großer, 4,80 Meter hoher, durchgesteckter Raum bis zur vollverglasten Rückfassade durch die gesamte Haustiefe zieht. Schlichte, halbhohe Lamperie aus mattweißem Holz, darüber schlammfarbene, stoffbespannte Paneele, die akustisch wirksam sind, Holzparkett und geschmackvolle Möbel schaffen eine Atmosphäre, die genau den richtigen Ton zwischen wohnlich und urban trifft. Der Raum ist so choreografiert, dass er nie wie ein Schlauch wirkt und ganz beiläufig als Lobby, Wartebereich, Café und Veranstaltungsort in der Stadt dienen kann.

In der Mitte senkt sich die Decke auf 2,50 Meter ab. Ihr gespachtelter, schimmernder Stuccolustro-Putz reflektiert das Licht, der Tresen darunter ist auch Rezeption und Bar. Darüber beginnt die halb gewendelte Kreistreppe ihren Weg in die oberen Ebenen. Das Hotel teilt sich den Eingang mit dem sogenannten Stadtsalon, an dessen Seitenwand eine einläufige Treppe zu den Zimmern führt. In der dunklen Mittelzone ein mit Sternparkett belegter Verteilerraum zwischen Zimmertüren, Treppe und Lift, im Süden je zwei Zimmer an eineinhalb Fensterachsen zur Stadt, im Norden je zwei mit Glasfronten und kleinem Balkon zu Hintergarten und Pfänderblick.
Versteckte Terrasse

Der „Kleine Löwe“ fügt sich stimmig in die Stadtstruktur, ohne seine Bauzeit zu verleugnen. Das ist nicht zuletzt der Geometrie des Kreises zu verdanken, die den neobarocken Rundbogen zitiert und sich in vielen Details und Größenordnungen zeigt. Das hat System. Auf der beengten Fläche, die hier zur Verfügung steht, ist die fließende Grenze, die der Kreis im Raum erzeugt, sehr gewinnbringend. So bildet der viertelkreisförmige Abschluss der raumhohen Stahl-Glas-Fassade auf dem Balkon eines hintergartenseitigen Zimmers einen Freiraum aus, in dem man entspannt draußen sitzen kann. Sein Pendant bildet innen die runde Dusche mit den runden Fliesen.

Die schmale Dachtonne mit der silberweiß schimmernden Aluminiumhaut fügt sich in die Bregenzer Dächer. Sie ist ein wenig vor die Glasfassade gezogen und schützt so die zwei Balkone der bauherrlichen Wohnung vor zu viel Sonne, Regen und Neugier. Die Schlafräume befinden sich im dritten Stock über den zwei Zimmerebenen des Hotels und halten sich auch an deren Raumaufteilung: in der Mitte die Erschließung, je stadt- und hintergartenseitig die Räume. Südwärts die Wohnküche zu Garten, Baum, Hinterhofgewusel, Dachlandschaft und Pfänder, nordwärts das Living mit der großen, vom Tonnenvordach in fünf Meter Höhe überdeckten Terrasse zum Kornmarktplatz mit einer Ahnung vom Bodensee.

Die zweigeschoßhohe Wohnebene ist geprägt von der Dachwölbung. In ihrer Mitte ist ein Kreis in die Aluminiumhaut eingeschnitten: Er rahmt eine runde, gleichermaßen im Dach versenkte, versteckte Terrasse, auf der man nur noch den Himmel über sich hat. Der Rest ist Privatsphäre.

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